Massaker von Sant'Anna di Stazzema

Bis August 1944 hatten die Alliierten die Front auf der italienischen Halbinsel nach Norden in die Toskana verschoben (Gotenstellung bei Florenz).

Die deutsche Besatzungsmacht war in der Bevölkerung unter anderem wegen der Zwangsrekrutierung von Italienern nicht besonders beliebt. Dazu kam, dass ein Sieg der Alliierten gegen die Deutschen abzusehen war. In dieser Situation erhielten die italienischen Partisanen (Resistenza) zum Beispiel in den Apuanischen Alpen im Nordwesten der Toskana Zulauf.

Die Deutschen gingen nicht nur gegen die Partisanen unbarmherzig vor, sondern auch gegen Dorfbewohner, die heimlich in die Berge ritten, um sie mit Lebensmitteln oder Medikamenten zu versorgen bzw. Nachrichten zu übermitteln.

Am Morgen des 12. August 1944 umstellte ein Grenadierregiment der Waffen-SS das 40 Kilometer nordwestlich von Lucca gelegene Dorf Sant’Anna di Stazzema und einige andere Weiler der Gemeinde Stazzema. Etwa 180 junge Männer flüchteten noch rechtzeitig. Die Verbliebenen – fast ausschließlich ältere Männer, Frauen und Kinder – wurden von den Deutschen auf dem Kirchplatz zusammengetrieben und erschossen. Die Toten schichtete man zu Hügeln auf, übergoss sie mit Benzin und verbrannte sie ebenso wie die Häuser.

Historiker schätzen, dass am 12. August 1944 etwa 400 Menschen in der Gemeinde Stazzema ermordet wurden, darunter mehr als 100 Kinder.

Akten über das Massaker in Sant’Anna di Stazzema lagen bis 1994 in einem mit der Tür zur Wand gestellten Schrank im Palazzo Cesi, dem Sitz der Militärstaatsanwaltschaft in Rom („Schrank der Schande“). Erst 2004 wurde vor dem Militärgericht von La Spezia ein Prozess gegen mutmaßliche Täter eröffnet. Das Gericht verurteilte zehn Deutsche in Abwesenheit, aber die Bundesrepublik lieferte sie nicht aus. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart stellte im Oktober 2012 ein Verfahren gegen acht mutmaßliche Täter ein, weil es in den zehn Jahre dauernden Ermittlungen nicht gelungen war, individuelle Schuldnachweise zu erbringen.

Literatur über das Massaker von Sant’Anna di Stazzema:

  • Friedrich Andrae: Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943 – 1945 (1995)
  • Carlo Gentile: Sant’Anna di Stazzema. In: Gerd R. Ueberschär (Hg.): Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg (2003)
  • Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg. Italien 1943 – 1945 (Dissertation Universität Köln 2008)
  • Gabriele Heinecke, Christiane Kohl, Maren Westermann (Hg.): Das Massaker von Sant’Anna di Stazzema. Mit den Erinnerungen von Enio Mancini (2014)
  • Christiane Kohl: Der Himmel war strahlend blau. Vom Wüten der Wehrmacht in Italien (Reportagen, 2004)
  • Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung (1996)

Der Roman „Vor der Wand“ (2013) von Michael Göring dreht sich um Massaker von Sant’Anna di Stazzema, und auch in dem Roman „Vom Ende eines langen Sommers“ (2018) von Beate Teresa Hanika gehört es zur Handlung.

© Dieter Wunderlich 2018

Beate Teresa Hanika: Vom Ende eines langen Sommers

Reinhold Schneider - Las Casas vor Karl V.
Die Erzählung "Las Casas vor Karl V." dreht sich um die spanische Kolonialherrschaft im 16. Jahrhundert. Reinhold Schneider prangerte damit jedoch auch die Nationalsozialisten an, die sich als "Herrenmenschen" über andere "Rassen" erhoben und zusätzlichen "Lebensraum" beanspruchten.
Las Casas vor Karl V.