Fessle mich!

Fessle mich!

Fessle mich!

Fessle mich! - Originaltitel: Átame! - Regie: Pedro Almodóvar - Buch: Pedro Almodóvar und Yuyi Beringola - Kamera: José Luis Alcaine - Musik: Ennio Morricone - Darsteller: Antonio Banderas, Victoria Abril, Francisco Rabal, Loles León, Julieta Serrano, María Barranco, Rossy de Palma, Lola Cardona, Francisca Caballero, Agustín Almodóvar, Manuel Bandera, Virginia Díez - 1989; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Ricky ist in Waisenhäusern und Nervenheilanstalten aufgewachsen. Im Alter von 23 Jahren kommt er frei. Nun möchte er mit der Pornodarstellerin Marina, der er einmal kurz begegnete, eine Familie gründen. Um ihr ausreichend Zeit zu geben, sich zu besinnen, schlägt Ricky sie zu Boden und fesselt sie aufs Bett ...
mehr erfahren

Kritik

"Fessle mich!" ist eine schrill-bunte Groteske, ein Lobgesang auf die Fantasie, in der aus nackter Gewalt die wahre Liebe entstehen kann. Ein großes Vergnügen für alle, die Pedro Almodovars skurrile Filme mögen.
mehr erfahren

Ricky (Antonio Banderas) kam mit drei Jahren in ein Waisenhaus, mit acht in ein Erziehungsheim und mit sechzehn ins Irrenhaus. Als er 23 Jahre alt ist, ordnet der Richter seine Freilassung an. Die Direktorin weint bei seinem Abschied und schenkt ihm 50 000 Pesetas, denn er war ihr Liebhaber.

In einer Chocolaterie in Madrid kauft er ein Pralinenherz. Dann fährt er mit dem Bus zu einem Filmstudio und bricht in eine Garderobe ein, die sich die Produzentin Lola (Loles León) mit ihrer Schwester, der Schauspielerin und Pornodarstellerin Marina Osorio (Victoria Abril), teilt. Dort stiehlt er Geld, einen Walkman, einige Requisiten, Marinas Wohnungsschlüssel, setzt eine ihrer Perücken auf und hinterlässt das Schokoladenherz, bevor er sich in den Kulissen versteckt und bei den Dreharbeiten zusieht.

Máximo Espejo (Francisco Rabal), der Regisseur des Horrorfilms „Das Grauen kam nach Mitternacht“, wird von einer Journalistin interviewt, die ihn bedauert, weil er seit einem Schlaganfall gehunfähig ist. (Sie verspricht sich und nennt den motorisierten Rollstuhl einen „elektrischen Stuhl“.) Aber der Regisseur versichert ihr, er fühle sich geiler als je zuvor. Marina fragt Máximo, welche Mimik sie zeigen soll, wenn sie auf der Couch erstochen wird. In diesem Augenblick erblickt die Journalistin einen Darsteller mit blutverschmiertem Kopf und kreischt: „Osvaldo!“ Sie waren früher ein Paar. Ihren überraschten und entsetzten Gesichtsausdruck solle Marina nachahmen, rät der Regisseur. Dann ändert er allerdings den Schluss des Films, weil der Produzent die Couch nach den Dreharbeiten für seine Wohnung haben möchte und sie deshalb nicht mit Blut besudelt werden soll.

Ein Mann dringt bei Marina ins Zimmer ein und will sie entführen. Unter einem dünnen Umhang ist er fast nackt, aber sein Gesicht verbirgt er hinter einer Maske. Als er sich umdreht, wirft Marina ein Lasso über ihn und springt mit dem Seil in der Hand vom Balkon. Der Eindringling wird dadurch an die Brüstung gerissen und erdrosselt.

Nach den Dreharbeiten spricht Ricky die Schauspielerin an, aber sie beachtet ihn nicht weiter, obwohl er einen Handstand macht. Ein Kollege fährt Marina nach Hause.

Sie nimmt ein Bad. Dabei hat sie einen elektrischen Spielzeugtaucher mit im Wasser, der vergeblich in ihrem Schamhaar strampelt.

Im Treppenhaus hört Ricky, wie sich Marinas Nachbar Pepe für drei Wochen verabschiedet. Er klingelt. Sie glaubt, Pepe habe etwas vergessen, aber als sie Ricky sieht, knallt sie die Wohnungstür gleich wieder zu. Doch er hat ihre Schlüssel und sperrt auf. „Nicht schreien!“, mahnt er sie. Damit bringt er sie auf die Idee, und sie schreit gellend. Er schlägt sie nieder, um sie zum Schweigen zu bringen. Als sie wieder zu sich kommt, entschuldigt er sich: Er habe ihr nicht wehtun wollen. Sie wirft ihm ein gefülltes Wasserglas an den Kopf, aber er kriegt nur ein paar Schrammen ab.

Vor einem Jahr, als er aus der Nervenheilanstalt ausgebrochen war, lernte er sie in einer Bar kennen und verbrachte eine Nacht mit ihr. Damals versprach er ihr, sie von der Straße zu holen und sie zu beschützen. Nun sei er da, um sein Versprechen einzulösen und mit ihr eine Familie zu gründen. Marina kann sich nicht an ihn erinnern. Entgeistert hört sie, wie er ihr versichert: „Ich wäre gerne ein guter Ehemann für dich und ein guter Vater für unsere Kinder.“

Weil Marina über Zahnschmerzen klagt und wegen ihrer früheren Drogensucht auf gewöhnliche Schmerzmittel nicht anspricht, geht Ricky mit ihr zur Ärztin. Berta (María Barranco) hält Ricky für einen neuen Liebhaber ihrer Patientin. Sie findet ihn sehr sympathisch, insbesondere, als ihre beiden Kinder schreien, er spontan ins Schlafzimmer geht, sie aus den Betten holt und liebevoll in den Armen trägt. Vergeblich flüstert Marina: „Er hat mich entführt. Du musst die Polizei anrufen.“ Berta hat nur Augen und Ohren für Ricky und ihre Kinder.

Da die Nachtapotheke die verschriebene Droge nicht vorrätig hat, fesselt Ricky seine Angebetete aufs Bett, klebt ihr den Mund mit Heftpflaster zu und sucht auf der Straße nach Dealern. Camello (Rossy de Palma) ist bereit, ihm etwas Stoff zu verkaufen, aber Ricky folgt ihr zu ihrem Depot und raubt ihr die Tabletten.

In Marinas Wohnung stöhnt Ricky: „Wie lange soll ich denn noch warten, bis du dich in mich verliebst?“

Bei der Party am Abend und am nächsten Tag auf dem Set wird Marina vermisst. Unter ihrer Telefonnummer meldet sich niemand. Beim Begutachten der Aufnahmen meint Lola: „Das ist kein Horror-, sondern ein Liebesfilm!“ – „Wie willst du das auseinanderhalten?“, fragt Máximo. Er verlangt immer neue Änderungen und treibt die Produzenten in den Wahnsinn, aber seine Frau versteht ihn: Er hat Angst, den Film fertigzustellen, weil er weiß, dass es sein letzter ist.

Ricky kauft ein hautfreundliches Heftpflaster, ein Antibiotikum und eine Dichtung für den kaputten Wasserhahn in der Küche. Dann sperrt er die Nachbarwohnung auf und sieht sich dort um. Als Marina ihm klarmacht, dass sie nicht so einsam ist wie er, sondern Freunde und Verwandte hat, die sich Sorgen um sie machen, lässt er sie ihre Mutter anrufen und ihrer Schwester ausrichten, sie sei aufs Land gefahren, um ein wenig auszuspannen.

Bei dem Versuch, Marina noch einmal Drogen zu besorgen, wird Ricky von Camello erkannt und von ihr und ihren Freunden zusammengeschlagen. Als Marina die Verletzungen in seinem Gesicht sieht, packt sie das Mitleid. Sie tupft seine Wunden ab und küsst ihn. Vorsichtig schmiegt sie sich an ihn, aber er beruhigt sie: „Das einzige, was die Schweine ganz gelassen haben, ist mein Schwanz.“ Als sie erschöpft umsinken, stöhnt Marina: „Jetzt weiß ich wieder, woher wir uns kennen.“

Lola hat bereits bei Marina geklingelt und eine Nachricht unter der Tür durchgeschoben. Weil damit zu rechnen ist, dass sie wiederkommt, bringt Ricky Marina in die leer stehende Nachbarwohnung. Sie ahnen nicht, dass Lola Pepes Geliebte ist und in seiner Wohnung auftaucht. Aber sie merkt nichts und geht wieder. Um wegfahren zu können, will Ricky ein Auto klauen. Er fragt Marina: „Läufst du weg?“ Da fordert sie ihn auf: „Fessle mich!“ Von der Tür kehrt er nochmals zum Bett zurück, nimmt ihr das Pflaster ab, um sie küssen zu können und vergisst danach, ihr den Mund wieder zu verkleben.

Während Ricky nach einem geeigneten Auto sucht, kehrt Lola um, weil sie etwas in Pepes Wohnung vergaß. Marina hört ihre Schwester, bleibt aber stumm. Erst als Lola die Schlafzimmertür öffnet, schreit sie. Lola bindet sie los. Marina nimmt das Schokoladenherz mit, folgt ihrer Schwester und gesteht ihr, wieder zu ihrem Kidnapper zurück zu wollen. „Du stehst unter Schock oder du bist noch perverser als ich dachte“, antwortet Lola.

Mit einem Foto aus Marinas Wohnung in der Hand sucht Ricky nach ihrem Elternhaus. Aber davon existiert nur noch eine Ruine. Traurig und unschlüssig steht er da. Marina und Lola kommen mit dem Auto und nehmen ihn mit zu ihrer Familie. Dort wird er sicher Arbeit finden, denn er ist ein geschickter Elektriker, Installateur und Mechaniker. Der Heirat steht nichts mehr im Weg. Unterwegs singen Lola und Ricky gemeinsam, und als Marina ihnen bekümmert zusieht, meint ihre Schwester: „Warum soll ich mich nicht auch mit ihm vertragen?“

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Die Groteske „Fessle mich!“ ist ein Lobgesang auf die Fantasie, in der aus nackter Gewalt die wahre Liebe entstehen kann. Dabei verherrlicht Pedro Almodóvar nicht etwa Brutalität und Unterdrückung: Ricky ist kein Macho, sondern ein Kind gebliebener sensibler und verletzlicher Mann, der sich unbekümmert nimmt, was er möchte. Er hat nicht vor, Marina zu unterwerfen, sondern nimmt mit der größten Selbstverständlichkeit an, dass sie nur etwas Zeit braucht, um sich in ihn zu verlieben. Dass sie es früher oder später tun wird, steht für ihn fest. Und bis dahin muss er sie leider ein wenig fesseln, wenn er die Wohnung verlässt, um Drogen für sie zu besorgen. Dabei begibt er sich wie ein Held ohne viel Aufhebens für sie in Gefahr. Ricky will seine Angebetete vor der dekadenten Welt beschützen und eine Familie mit ihr gründen.

Volker Maria Engel bearbeitete den Film „Fessle mich!“ für die Bühne. Tobias Materna inszenierte die Uraufführung am 8. März 2002 in Bonn-Beuel mit Ulrike Gubisch als Marina und Jochen Langner als Ricky.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002/2003

Häusliche Gewalt

Pedro Almodóvar (Kurzbiografie / Filmografie)
Pedro Almodóvar: Labyrinth der Leidenschaften
Pedro Almodóvar: Das Gesetz der Begierde
Pedro Almodóvar: Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs
Pedro Almodóvar: High Heels
Pedro Almodóvar: Kika
Pedro Almodóvar: Mein blühendes Geheimnis
Pedro Almodóvar: Live Flesh. Mit Haut und Haar
Pedro Almodóvar: Alles über meine Mutter
Pedro Almodóvar: Sprich mit ihr
Pedro Almodóvar: La Mala Educación. Schlechte Erziehung
Pedro Almodóvar: Volver
Pedro Almodóvar: Zerrissene Umarmungen
Pedro Almodóvar: Die Haut in der ich wohne
Pedro Almodóvar: Fliegende Liebende
Pedro Almodóvar: Julieta

Gilbert Adair - Blindband
In seinem Roman "Blindband" ist es Gilbert Adair gelungen, allein mit Dialogen eine dichte beklemmende Atmosphäre zu beschwören. Man sieht gewissermaßen nichts, sondern "hört" Gespräche. Was könnte besser zu einem Roman über einen blinden Schriftsteller passen?
Blindband