William Boyd : Einfache Gewitter
Inhaltsangabe
Kritik
Beginnen wir mit dem Fluss – der Fluss ist der Ursprung aller Dinge und auch unser[er] Erde, wie zu vermuten ist, aber warten wir ab, sehen wir, was wird. Gleich wird ein junger Mann erscheinen und am Fluss Aufstellung nehmen, hier an der Chelsea Bridge in London. (Seite 9)
So beginnt William Boyd seinen Roman „Einfache Gewitter“.
Bei dem Mann handelt es sich um den einunddreißigjährigen Klimatologen Adam Kindred. Er kommt gerade mit seinem Aktenkoffer von einem Bewerbungsgespräch beim Imperial College in Kensington.
Adam ist Engländer, lebte zuletzt jedoch in den USA. Dort war er Juniorprofessor an der Marshall McVay University in Phoenix, Arizona. Unter seiner maßgeblichen Beteiligung wurde in Painted Rock in den Mohawk Mountains bei Yuma die größte Wolkenkammer der Welt errichtet. Vor gut zwei Jahren heiratete er die drei Jahre ältere Immobilienmaklerin Alexa Maybury aus Phoenix. Die Ehe zerbrach, als Adam sich während eines Experiments in der Wolkenkammer auf der Beobachtungskanzel im 9. Stockwerk von der liebestollen Studentin Fairfield Singer verführen ließ, die kurz darauf seine Frau anrief und sie drängte, ihr den Ehemann zu überlassen. Aufgrund des Skandals musste Adam auch seine Professur aufgeben. Nun will er in London von vorne anfangen.
In einem italienischen Restaurant in Chelsea, wo Adam zu Mittag isst, kommt er mit einem anderen Gast ins Gespräch, der ebenfalls allein ist, mit dem Allergologen Dr. Philip Wang aus Oxford. Als der Mediziner sich verabschiedet, lässt er eine Dokumentenmappe liegen. Adam entnimmt dem Titelblatt, dass Wang die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Pharmazie-Unternehmens Calenture-Deutz in London leitet. Nach dem Essen bringt er die Mappe zu der angegebenen Adresse in der Sloane Avenue.
Die Wohnungstüre ist nicht verschlossen. Die Räume wurden durchwühlt. Wang liegt blutüberströmt auf dem Bett. Er lebt noch. Der Griff eines Messers ragt aus seinem Pullover. Wang fleht Adam an, das Messer herauszuziehen. Obwohl Adam weiß, dass er das besser nicht tun sollte, erfüllt er die Bitte. Gleich darauf stirbt Wang. Während Adam zum Telefon geht und merkt, dass seine Hand blutig ist, hört er ein Geräusch im Schlafzimmer. Offenbar versteckte sich der Mörder auf dem Balkon und kommt nun zurück in die Wohnung! Adam flieht.
Er hat einen schrecklichen Fehler gemacht. Die Polizei wird seine Fingerabdrücke auf der Tatwaffe sicherstellen und seinen Namen samt Angabe der Unterkunft – Grafton Lodge – im Besucherbuch des Apartmenthauses lesen.
Vor der Grafton Lodge steht ein schwarzes Taxi. Wartet die Polizei bereits auf ihn? Statt zum Eingang geht Adam erst einmal in den Hof und blickt zu seinem Fenster hinauf. Da fragt jemand von hinten: „Adam Kindred?“ Erschrocken wirbelt Adam herum und schlägt mit dem Aktenkoffer zu. Mit einer Metallkante trifft er den Mann an der Schläfe. Bevor der Fremde zusammensackt, fällt ihm eine Automatikpistole mit Schalldämpfer aus der Hand. In diesem Augenblick fährt ein Streifenwagen vor, aber Adam entkommt unbemerkt.
Erst am nächsten Tag, nachdem er sich am Bahnhof notdürftig gewaschen hat, sucht Adam ein Polizeirevier auf. Dort fällt ihm sofort das Fahndungsplakat auf: „Adam Kindred – gesucht wegen Mordes“. Woher hat die Polizei sein Foto? Seine Exfrau Alexa lebt in Texas, sein verwitweter Vater Francis mit Adams älterer Schwester Emma-Jane und deren Ehemann Ray in Australien. Adam verlässt das Gebäude. Statt sich zu stellen, kauft er einen Schlafsack, eine Isomatte, einen Campingkocher, sechs Büchsen Baked Beans, Wasser und einen Klappspaten. Damit verkriecht er sich zwischen Büschen am Ufer neben der Chelsea Bridge.
Aus weggeworfenen Zeitungen erfährt Adam, dass er die Stelle als Senior Research Fellow für Klimatologie bekommen hätte. Das Imperial College zog das Angebot allerdings wegen des gegen ihn bestehenden Mordverdachts gleich wieder zurück. Und Calenture-Deutz setzte inzwischen eine Belohnung von 100 000 Pfund für seine Ergreifung aus. Das hohe Kopfgeld macht Adam stutzig. Warum ist er für das Pharmaunternehmen so wichtig? Neugierig geworden, schaut er sich Wangs Mappe genauer an. Sie enthält eine Liste mit den Namen und Geburtsdaten von Kindern sowie Angaben über Dosierungen.
Um keine Spuren zu hinterlassen, benutzt Adam weder sein Handy noch seine Kreditkarten. Das Bargeld geht ihm bald aus, und nachdem er längere Zeit nichts mehr gegessen hat, fängt er an der Themse eine Möwe. Er tötet und rupft sie. Dann schneidet er mit dem Taschenmesser Fleischstücke ab und hält sie der Reihe nach über die Flamme des Gaskochers, bis sie essbar sind. In Mülleimern sucht er nach Nahrungsmitteln. Dass man ihn erkennt, befürchtet er nicht, denn inzwischen sieht er verwildert aus und trägt einen Vollbart.
Im Shaftesbury Estate wird Adam überfallen, niedergeschlagen und ausgeraubt. Die Prostituierte Suri, die sich Mhouse nennt, findet ihn, telefoniert den mit ihr befreundeten Taxifahrer Mohammed herbei, und die beiden bringen ihn nach Chelsea. Sie kann es kaum glauben, dass er dort wie ein Kaninchen im Freien lebt. Weil er kein Geld hat, nimmt sie seinen Aktenkoffer und seinen Burberry-Trenchcoat mit. Der Mantel soll Mohammed für die Fahrt entschädigen.
Mhouse erwähnte die Kirche John Christus in Southwark. Dort werde Bedürftigen geholfen. Adam geht hin, erhält den Mitgliedsnamen „John 1603“, und nach einer mehrstündigen Predigt des „Erzbischofs“ Yemi Thompson-Gbeho gibt es etwas zu essen. Der zweite Mann, der an diesem Abend als „John 1604“ in die kleine Gemeinde aufgenommen wird, heißt Vincent Turpin.
Philip Wangs Mörder, der Auftragskiller John-Joseph („Jonjo“) Case, war 1982 für die britische Armee im Falklandkrieg, später in Nordirland, im Golfkrieg von 1990/91, in Bosnien, im Irak und 2001 in Afghanistan gewesen. Dann hatte er bei dem privaten Sicherheitsdienst Risk Averse Group angefangen. Seine Aufträge bekommt er von Major Tim Delaporte. Als unerwartet jemand in Wangs Wohnung kam, nachdem er zugestochen hatte, versteckte er sich zunächst auf dem Balkon. Später zündete er einen Mülleimer vor dem Apartmenthaus an, um den Pförtner abzulenken und einen Blick ins Besucherbuch werfen zu können. Die letzte Eintragung stammte von Adam Kindred, Grafton Lodge. Also fuhr Case mit seinem schwarzen Taxi zu dem Hotel und wartete dort, bis sich ein Mann näherte, in dem er Adam Kindred vermutete. Um sicher zu gehen, dass er nicht den Falschen tötete, fragte er ihn nach dem Namen – und wurde fast im selben Augenblick von der Metallkante eines Koffers an der Stirn getroffen.
Auf der Suche nach Adam Kindred erfährt Case, dass dieser überfallen und ausgeraubt wurde. Er spürt einen der Straßenräuber auf, überwältigt und fesselt ihn. Er heißt Bozzy. Nachdem Case ihm mit einem Messer die Haut zwischen dem Mittel- und dem Ringfinger der rechten Hand eingeschnitten hat, droht er, ihm die Hand auseinanderzureißen. Panisch vor Angst verspricht Bozzy, nicht nur das Handy und die Brieftasche des Opfers herauszurücken, sondern darüber hinaus nachzuforschen, wer dem Verletzten half. Die Spur führt zum Taxifahrer Mohammed. Der behauptet, allein gewesen zu sein, bringt Case zur Chelsea Bridge und zeigt ihm das Versteck des Obdachlosen. Case legt sich dort auf die Lauer.
Die Frau, die genau unter Philip Wangs Apartment wohnt, meldete sich bei der Polizei, weil sie in der Etage darüber Lärm gehört hatte und sich dunkle Flecken an der Zimmerdecke bildeten. Die Polizistin Rita Nashe leitete den Einsatz – und fand die Leiche des Mediziners.
Margarita („Rita“) Camilo Nashe lebt mit ihrem Vater auf einem am Themseufer verankerten Hausboot, einem ausgemusterten Minensuchboot der Royal Navy: TS Bellerophon. Jeff Nashe war Dozent für Lateinamerikanistik am Polytechnikum in East Battersea, bis er vor siebzehn Jahren über die Bibliothekstreppe stürzte und seither gehbehindert ist. Seine geschiedene Ehefrau Jayne lebt in Kanada. Ernesto Guevara Nashe, der Sohn, ist zwei Jahre jünger als Rita und besitzt eine Kranfabrik.
Kurz nachdem Rita Wangs Leiche gefunden hatte, wurde sie zur Marine Support Unit versetzt. Bei einem ihrer ersten Einsätze in der neuen Funktion ging es um die Anzeige eines Mannes, der gesehen haben wollte, wie jemand in der Nähe der Chelsea Bridge einen Schwan tötete. An der angegebenen Stelle fand Rita zwar keine Schwanen-, aber Möwenfedern und das Versteck eines Obdachlosen, der allerdings nicht da war. Sie beschloss, wiederzukommen und den Landstreicher unter die Lupe zu nehmen.
Als Adam zu seinem Unterschlupf bei der Chelsea Bridge zurückkommt, sieht er von weitem drei Polizisten und eine Polizistin. Er bleibt zurück und beobachtet, wie sie den Mann, den er mit seinem Aktenkoffer an der Stirn traf, in Handschellen abführen. Lauerte ihm der Mörder dort auf?
Jedenfalls ist das Versteck nun unbrauchbar. Adam geht zu Mhouse, die mit ihrem siebenjährigen Sohn Ly-on im Shaftesbury Estate wohnt. Die Prostituierte nimmt ihn als Untermieter bei sich auf. Adam kann dafür bezahlen, denn er bettelte eine Weile erfolgreich. Seit kurzem klappert er mit einem gestohlenen Blindenstock übers Pflaster und lügt Passanten vor, er habe sich verlaufen, denn daraufhin geben ihm die meisten der Angesprochenen Geld für ein Taxi. – Adam lehrt Ly-on, der keine Schule besucht, das Lesen und Schreiben, und der Junge mag „John“.
Rita kann es kaum glauben, als sie erfährt, dass der Festgenommene am nächsten Morgen auf Weisung von oben freigelassen wurde und man ihm sogar die beiden Pistolen aushändigte, die er bei der Verhaftung bei sich gehabt hatte. Man munkelt über einen verdeckten Einsatz des MI5.
Niemand bei der Marine Support Unit ahnt, dass der Industrielle Alfredo Rilke die Fäden zieht. Dessen Vater, Gunther Rilke, stammte vermutlich aus der Schweiz. Jedenfalls wanderte er 1946 nach Uruguay aus und heiratete dort Asunción Salgueiro, die einzige Tochter eines Fabrikbesitzers. Im Jahr darauf wurde Alfredo geboren. Der löste er seinen Vater 1970 in der Leitung des Familienunternehmens ab. Vor einigen Jahren übernahm er 20 Prozent der Aktien von Calenture-Deutz.
Diese Firma war von Ingram Fryzer aufgebaut worden. Der CEO feiert gerade seinen 59. Geburtstag. Mit finanzieller Unterstützung von Alfredo Rilke entwickelt Calenture-Deutz ein vielversprechendes Medikament gegen Asthma: Zembla-4. Eine Woche vor seiner Ermordung erklärte Philip Wang dem Unternehmer, die klinischen Untersuchungen würden noch mindestens ein Jahr dauern. Um so verwunderter ist Fryzer, als er erfährt, dass die ihm unterstehenden Manager Burton Keegan und Paul de Freitas inzwischen im Auftrag Rilkes die Zulassung des Präparats bei den zuständigen Behörden in den USA und im Vereinigten Königreich beantragt haben. Gleichzeitig beginnt eine PR-Kampagne. Mit der Ankündigung eines Heilmittels gegen Asthma will Rilke öffentlichen Druck auf die Behörden erzeugen.
Misstrauisch geworden, lässt Fryzer sich Wangs Terminkalender aus Oxford bringen. Der Wissenschaftler besuchte in den letzten zehn Tagen Kliniken in Aberdeen, Manchester, Southampton und London, in denen die Zembla-4-Untersuchungen laufen. An seinem Todestag war Wang mit Burton Keegan verabredet. Aus dem Meldebuch am Empfang geht hervor, dass der Forscher tatsächlich wenige Stunden vor seiner Ermordung bei Keegan im Büro gewesen war. Was besprachen die beiden? Warum hat Keegan das Treffen verschwiegen?
Keegan und de Freitas rufen Rilke an und unterrichten ihn darüber, dass Fryzer von dem Treffen Keegans mit Wang weiß. Allerdings, so beteuern sie, ahne er nichts von dem Inhalt des Gesprächs.
Philip Wang war auf Fälschungen und Manipulationen in den Forschungsergebnissen gestoßen und hatte herausgefunden, dass in Aberdeen, Manchester, Southampton und London insgesamt vierzehn Kinder während der Einnahme von Zembla-4 gestorben waren. Offiziell gab es keinen Zusammenhang zwischen der Testreihe und den Todesfällen. Weder die Eltern noch das Klinikpersonal schöpften Verdacht. Aufgebracht drohte Wang damit, das Gesundheitsministerium zu informieren. Nach der Unterredung rief Keegan Rilke an. Der erklärte ihm, was zu tun war und gab ihm die Telefonnummer von Major Tim Delaporte. Der würde sich um alles Weitere kümmern, meinte Rilke.
Drei Wochen nachdem Adam bei Mhouse einzog, sieht er den Mann, den er mit seinem Aktenkoffer niederschlug, im Shaftesbury Estate. Case achtet zum Glück nicht auf den vollbärtigen Mann mit einem siebenjährigen Kind an der Hand. Nun weiß Adam, dass der Mörder seine Spur gefunden hat. Er muss fort.
Zuflucht findet er bei Vladimir, einem Russen, den er an den Abenden in der Kirche John Christus in Southwark kennengelernt hat. Der wohnt jetzt im Londoner Stadtteil Stepney, besitzt einen zwar echten, aber illegal beschafften Pass auf den Namen Primo Belem und fängt in Kürze als Pfleger im Bethnal & Bow Krankenhaus an. Die beiden Männer feiern ihr Wiedersehen und Vladimirs Erfolg.
Am anderen Morgen wacht Adam verkatert auf. Bevor er losgeht, um in einem Café zu frühstücken, klopft er bei Vladimir an die Tür, hört aber nur ein Stöhnen. Als er zurückkommt und Vladimir immer noch nicht aufgestanden ist, schaut er nach. Vladimir liegt tot in seinem Bett. Die Drogen und der Alkohol waren zu viel für sein krankes Herz.
Mit Vladimirs Kreditkarte kauft Adam einen Kühlschrank. Dann packt er die Leiche in den leeren Karton und fährt diesen mit einer Sackkarre zur Themse, um ihn zu versenken. Er schneidet sich die Haare und rasiert sich bis auf ein Kinnbärtchen, sodass er dem Mann auf dem Passfoto ähnlich sieht. Als Primo Belem meldet er sich im Bethnal & Bow Krankenhaus und fängt dort als Pfleger zu arbeiten an.
Case war bei der Begegnung mit Adam und Ly-on auf dem Weg zu Mohammed. Er hatte nämlich herausgefunden, dass der Taxifahrer nicht mit Adam Kindred allein zur Chelsea Bridge gefahren war. Mohammed gestand schließlich, dass auch die Prostituierte Mhouse dabei gewesen sei.
In deren Apartment trifft Case auf den siebenjährigen Jungen. Als dieser von John spricht, weiß er, wie der Gesuchte sich hier nannte. Mhouse findet er auf dem Straßenstrich. Sie hält ihn für einen Freier und führt ihn zu einer dunklen Ecke. Dort packt er sie und fragt sie nach Adam Kindred. Der habe ihre Wohnung vor einer Woche verlassen, sagt sie. Es gelingt ihr, sich Cases Griff zu entwinden, aber mit ihren High Heels kommt sie nicht weit. Ein Rückhandschwinger schleudert sie gegen eine Mauer. Mhouse prallt mit dem Kopf zuerst auf. Dabei brechen Schädel und Genick. Case wirft die Tote in die Themse.
Von Bozzy und Abdul-latif alias Mr Quality, einem Mann, der im Shaftesbury Estate das Sagen hat, erfährt Case, dass der Gesuchte hier „John 1603“ hieß. Weil Adam Kindred den merkwürdigen Namen in der Kirche John Christus bekam, mischt Case sich unter die Mitglieder der Sekte und stößt schließlich auf Vince Turpin bzw. „John 1604“, den Mann, der mit Adam Kindred zusammen aufgenommen wurde. Mit einer versprochenen Belohnung von 2000 Pfund motiviert der Mörder ihn dazu, nach Adam zu suchen.
Der erfährt aus der Zeitung von Mhouses Ermordung. Er erkennt sie auf dem Foto. Noch ist nicht bekannt, um wen es sich bei der Toten handelt. Adam hält es für seine Pflicht gegenüber Ly-on, trotz des Risikos zur Polizei zu gehen. Nach der Schicht im Krankenhaus identifiziert er die Tote. Dabei trifft er auf Rita Nashe. Er tut ihr leid, denn sie weiß, wie die Wasserleiche nach Zusammenstößen mit anderen im Fluss treibenden Gegenständen und Schiffsschrauben aussieht. Sie verabredet sich mit „Primo Belem“, trifft sich häufiger mit ihm, geht mit ihm ins Bett und stellt ihn schließlich ihrem Vater vor.
Primo Belem war ein Mann, der entweder nichts oder alles zu verbergen hatte. Und sie hatte keine Eile, herauszufinden, zu welcher Sorte er gehörte. (Seite 358)
Adam alias Primo wechselt durch die Vermittlung eines anderen Pflegers vom Bethnal & Bow Krankenhaus zum St. Botolph for Women and Children in London-Rotherhithe. Dort gibt es eine von der Felicity-de-Vere-Stiftung finanzierte Station für asthmakranke Kinder, in der seit drei Jahren Zembla-4 erprobt wird. Unter verschiedenen Vorwänden erkundigt Adam sich an seinem Arbeitsplatz, aber auch in Aberdeen, Manchester und Southampton nach den vierzehn Kindern, die auf Wangs Liste stehen, also vermutlich zu den Testpersonen gehörten. Sie sind alle tot.
In einem Internet-Café informiert Adam sich über Zembla-4, Calenture-Deutz und den CEO Ingram Fryzer. Felicity de Vere lautete der Mädchenname der Mutter des Unternehmers, der mit Meredith Cannon verheiratet ist, einer Tochter des Earl of Concannon, und in den Neunzigerjahren vom Immobiliengeschäft zur Pharmazie wechselte, die kleine Firma Calenture erwarb und sie zu einem bedeutenden Unternehmen in der Branche entwickelte.
Alfredo Rilke weiß, dass die US-Zulassung für Zembla-4 in Kürze erteilt wird. Nun hält er den Zeitpunkt für gekommen, Calenture-Deutz ganz zu übernehmen. Fryzer soll so tun, als sei die Zulassung äußerst unsicher und sich gegenüber den Aktionären für die Annahme des Übernahmeangebots einsetzen.
Dem Journalisten Aaron Lalandusse berichtet Adam über seine Erkenntnisse. Er behauptet, bei seiner Arbeit im Krankenhaus auf die Namensliste der gestorbenen Kinder gestoßen zu sein und verschweigt, dass er Philip Wang persönlich kennengelernt hatte. In Absprache mit Lalandusse listet er in einem Pharma-Forum die Namen der toten Kinder auf und behauptet, sie seien bei der Erprobung von Zembla-4 gestorben. Sobald entsprechende Fragen und Gerüchte in den Medien auftauchen, will Lalandusse einen Artikel über den Fall fürs Global Finance Bulletin schreiben.
Vincent Turpin trifft Adam, der inzwischen einen Motorroller besitzt, auf der Straße. Er informiert ihn über das 2000-Pfund-Angebot und erpresst ihn mit der Drohung, dem Interessenten das Kennzeichen des Fahrzeugs durchzugeben, zu wöchentlichen Geldzahlungen.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Bei Ivo Lord Redcastle handelt es sich um Ingram Fryzers Schwager. Der Siebenundvierzigjährige erhält eines Morgens von einem behelmten Kurier, der mit einem Motorroller unterwegs ist, einen Umschlag. Dem entnimmt er einen Zettel, auf dem steht: „C-D-Aktien sofort verkaufen. Ich weiß von nichts. I.“ Der Aristokrat, der sich mit seinem Schwager überworfen hat, vermutet, seine Schwester Meredith habe dafür gesorgt, dass Fryzer ihm den Insider-Tipp zukommen ließ. Redcastle ruft seinen Börsenmakler Jock Tait an und erteilt ihm einen entsprechenden Auftrag.
Zwei Tage später hält die Calenture-Deutz im Queen Charlotte Conference Center in Covent Garden eine Aktionärsversammlung ab. Jeff Nashe, der inzwischen ebenso wie Adam ein paar Aktien des Pharmaunternehmens gekauft hat, kommt im Rollstuhl. Er hält ein Plakat hoch: „Zembla-4 tötet Kinder“. Und nachdem der CEO den Aktionären das Übernahmeangebot schmackhaft gemacht hat, fragt er über ein Mikrofon, wie viele Kinder bei der klinischen Erprobung von Zembla-4 ums Leben gekommen seien. Ordner zerren ihn aus dem Saal. Der Rollstuhl kippt um, und Nashe schlägt sich die Stirn blutig. Fernsehleute filmen den Tumult, und Reporter interviewen den Verletzten.
Redcastle nahm zunächst aufgrund des Übernahmeangebots an, sein Schwager habe mit dem Aktientipp verhindern wollen, dass er vom zu erwartenden Anstieg des Aktienkurses profitiert. Er schwor ihm Rache, aber Fryzer wusste nicht, wovon er sprach. Kurz darauf sieht alles anders aus:
Rilke zieht sein Übernahmeangebot zurück, nicht wegen der Aufregung über die bei den Tests gestorbenen Kinder, sondern weil die Finanzaufsicht ein Verfahren wegen Insider-Handels eingeleitet hat. Es fiel auf, dass der Schwager des CEO von Calenture-Deutz zwei Tage vor dem Bekanntwerden des Übernahmeangebots und der Vorwürfe gegen das Unternehmen alle Anteile an Calenture-Deutz abgestoßen hatte. Gerüchten zufolge war ihm dazu von Fryzer geraten worden. Inzwischen setzte er sich mit den 1,8 Millionen Pfund, die er für das Aktienpaket bekam, nach Spanien ab. In den Turbulenzen rutschen die Aktien von Calenture-Deutz um 82 Prozent ab, denn die Zulassungen für Zembla-4 werden bestimmt nicht erteilt.
Dass Case inzwischen von Turpin das Kennzeichen des Motorrollers von Adam Kindred erfahren hat und der Zielperson dicht auf den Fersen ist, interessiert jetzt niemanden mehr. Weil er argwöhnt, dass er nun selbst als Zeuge einiger verbrecherischer Machenschaften ausgeschaltet werden soll, versteckt er sich auf Canvey Island, bis ihn sein holländischer Freund Giel Hoekstra nach Rotterdam holt.
Aaron Lalandusse verfasst zwar den geplanten Artikel über die vierzehn bei der klinischen Erprobung von Zembla-4 gestorbenen Kinder, aber die Redaktion wagt es nicht, ihn zu veröffentlichen.
Bei der nächsten Geldübergabe auf einer Themse-Brücke denkt Adam, dass Vince Turpin längst das Kennzeichen weitergegeben hat. Er nutzt eine günstige Gelegenheit und wirft den Erpresser übers Geländer in die Tiefe.
Adam und Rita holen Ly-on aus dem Waisenhaus der Church of John Christus in Eltham. Sie werden heiraten und den Jungen adoptieren. Vielleicht kann „Primo Belem“ seiner Frau irgendwann einmal die Wahrheit anvertrauen und sie ihm helfen, seine alte Identität zurückzugewinnen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Von einer Sekunde zur anderen wird ein einunddreißigjähriger Klimatologe zum zweiten Mal aus der Bahn geworfen. Danach ist nichts mehr wie zuvor. Die Polizei und ein Auftragskiller suchen nach ihm. Um keine Spuren zu hinterlassen, kann er sein Handy und seine Kreditkarten nicht mehr benutzen. Er hat alles verloren, und nachdem er für eine Weile als Obdachloser untergetaucht ist, nimmt er eine neue Identität an.
Einfache Gewitter vermögen es, sich zu Multizellengewittern von unbegrenzter Komplexität aufzubauen. (L. D. Sax & W. S. Watson, Storm Dynamics and Hail Cascades; hier: Seite 7)
Um die Brüchigkeit der Identität eines Menschen dreht sich der Roman „Einfache Gewitter“ von William Boyd. Der Thriller zeigt aber auch, dass Gier und Hass, Betrug und Verbrechen nicht auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht beschränkt sind.
Strahlende Helden gibt es in „Einfache Gewitter“ nicht. Die Charaktere sind gut herausgearbeitet und wirken recht lebendig. Souverän und mit unterschwelliger Komik entwickelt William Boyd die ebenso spannende wie unterhaltsame Geschichte. Dass nicht alle Zusammenhänge plausibel sind und das Ende beinahe märchenhaft ist, stört nicht weiter.
Nach einer knapp eine Seite langen Introduktion im Präsens erzählt William Boyd im Imperfekt weiter und wechselt immer wieder zwischen den Perspektiven vor allem von Adam Kindred, Margarita („Rita“) Camilo Nashe, John-Joseph („Jonjo“) Case und Ingram Fryzer.
Den Roman „Einfache Gewitter“ von William Boyd gibt es auch als Hörbuch, gelesen von David Nathan (Bearbeitung: Doreen Maas, Regie: Wolf-Dietrich Fruck, Berlin 2009, 6 CDs, ISBN: 978-3-89813-888-8).
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