Nackt

Nackt

Nackt

Nackt - Originaltitel: Nackt - Regie: Doris Dörrie - Drehbuch: Doris Dörrie - Kamera: Frank Griebe - Schnitt: Inez Regnier und Frank Müller - Musik: Ivan Hajek und Liquid Loop - Darsteller: Heike Makatsch, Benno Fürmann, Alexandra Maria Lara, Jürgen Vogel, Nina Hoss, Mehmet Kurtulus u. a. - 2002; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Drei früher eng befreundete Paare, die sich inzwischen auseinander entwickelt haben, treffen sich zu einem Abendessen. Erst als sie bereit sind, die Fassaden einzureißen und sich auch im übertragenen Sinn nackt zu zeigen, wird es ihnen möglich, ihre Lebenskrisen zu überwinden und ihre Beziehungen zu retten.


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Kritik

In der mit leichter Hand inszenierten Komödie "Nackt" geht es um Liebesglück und Beziehungsprobleme, Identitätsverlust und Selbstfindung, Lebenslügen und die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Die Wirkung basiert v.a. auf gelungenen Dialogen und sechs hervorragenden Schauspielern.
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Felix (Benno Fürmann) holt Emilia (Heike Makatsch) ab, weil sie zu einem Abendessen eingeladen sind. Die beiden haben sich vor kurzem nach fünfjährigem Zusammenleben getrennt. Emilia schläft in ihrer Wohnung in einem Zelt, das sie an gemeinsame Ferien mit Felix erinnert, und statt einer Couch steht ein Schlauchboot im Zimmer. Während Felix seine Frustration durch zynische Äußerungen zu überspielen versucht, stellt Emilia ihre Verletzheit zur Schau.

Boris (Jürgen Vogel) und Annette (Alexandra Maria Lara) sind ebenfalls eingeladen. Sie könnten zwar auch etwas mehr Geld gebrauchen, aber sie kommen auch so zurecht und sind einigermaßen zufrieden. Annette mag sich gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn sie Boris nicht kennen gelernt hätte, denn sie hält ihre Beziehung für einmalig. Boris denkt nüchterner und ist überzeugt, dass jeder von ihnen auch mit einem anderen Partner glücklich geworden wäre, doch Annette will nichts von ihrer oder seiner Austauschbarkeit hören. Darüber streiten sie, während sie sich zurechtmachen.

Inzwischen bereiten Dylan (Mehmet Kurtulus) und Charlotte (Nina Hoss) gemeinsam das Essen vor. Dylan ist durch Börsenspekulationen zu Geld gekommen und bewohnt mit Charlotte ein japanisch gestyltes Loft. Da die beiden Neureichen bei allem darauf bedacht sind, wie es auf andere wirkt, haben sie es verlernt, sich natürlich und ungezwungen zu verhalten. Der Luxus kann die Brüchigkeit ihrer Beziehung nicht überdecken; Charlotte wirft Dylan vor, Speck auf der Seele angesetzt zu haben und sie nicht mehr scharf zu sehen – scharf im Doppelsinn des Wortes.

Als Dylan einen Becher Sahne in die Bratensoße kippt, reagiert Charlotte hysterisch, nimmt den beinahe fertigen Braten und wirft ihn zu den Karpfen in den Zierteich. Dylan fischt ihn wieder heraus und entsorgt ihn im Müllschlucker. Was jetzt? In 25 Minuten kommen die Gäste! Dylan ruft ein chinesisches Restaurant an und bestellt zwei knusprig gebratene Enten. Er ist bereit, das Doppelte dafür zu bezahlen, aber sie müssen sofort geliefert werden.

Die beiden anderen Paare treffen ein. Annette hat sich nach einem Telefonat mit Emilia für ein langes Abendkleid entschieden, und diese sorgt für Erstaunen, weil sie Mullbinden über ihr Kleid gewickelt hat. Charlotte, die zuerst ein chices Abendkleid angezogen, dann aber Jeans und Pullover vorgezogen hatte, um nicht als protzig zu gelten, verschwindet noch einmal und erscheint dann in einer extravaganten Robe.

Die drei Berliner Paare – alle um die 30 – hatten früher viel Spaß zusammen und waren eng befreundet. Da trafen sie sich in einer Pizzeria und fühlten sich locker und fröhlich. Inzwischen haben sie sich auseinander entwickelt, versuchen aber krampfhaft, die Fassaden aufrechtzuerhalten. Annette reagiert gereizt, als zuerst Charlotte und dann auch Emilia sie fragen, ob ihr Busen größer sei. (Sie weiß, dass Charlotte sich den Po absaugen ließ.) Während die drei Männer die Leistungsstärke ihrer Palms vergleichen, spottet Emilia gegenüber Annette neidisch über die ausgefallene Innenarchitektur. Beim Abendessen stellt sich heraus, dass sie alle außer Dylan froh sind, dass es zur Ente keinen Seetang gibt, wie ihn der Gastgeber immer zu servieren pflegte, wenn er gekocht hatte. Es gibt Wein, aber Boris hat einen Sixpack Bier mitgebracht und trinkt davon.

Emilia berichtet von einer Studie, derzufolge Männer und Frauen die Hände ihrer Partnerin bzw. ihres Partners auch nach 20 Jahren des Zusammenseins nicht auf Fotos identifizieren können. Und sie vermutet, die meisten Männer würden mit verbundenen Augen auch den Körper der eigenen Frau nicht erkennen. Boris und Dylan widersprechen heftig, auch Annette ist sicher, dass sie und Boris sich durch Tasten fänden; Charlotte glaubt zwar, dass sie Dylan identifizieren könnte, zweifelt aber daran, ob er sie erkennen würde. Felix heizt den Konflikt zwischen Charlotte und Dylan an und schlägt eine entsprechende Wette vor. Dylan zögert zuerst, dann setzt er 10 000 Mark. Annette legt eine teure Uhr auf den Tisch, die sie von Boris bekommen hat. Der nimmt verärgert einen Brillantring heraus, den er ihr seit Tagen schenken wollte. Felix legt seine EC-Karte dazu und erklärt, dass wohl noch 2000 Mark auf seinem Konto seien.

Boris und Annette, Dylan und Charlotte entkleiden sich und lassen sich die Augen mit Krawatten verbinden. Während sie sich betasten, ziehen sich Felix und Emilia als Schiedsrichter in einen Nebenraum zurück und schauen durch die roten und blauen Scheiben zu. Als die Eieruhr läutet, haben sich die richtigen Paare gefunden, aber Felix nimmt sie bei der Hand und vertauscht rasch die Aufstellung. Alle vier erklären noch einmal, dass sie sicher sind, ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin gegenüberzustehen – und sind entsetzt, als sie die Augenbinden abnehmen und sehen, dass es nicht der Fall ist.

Dylan verdächtigt Felix, die Aufstellung am Ende manipuliert zu haben. Es kommt zu einem heftigen Streit. Die beiden Paare ziehen sich wieder an. Der Abend ist gelaufen.

Der Schreck hat die Fassaden eingerissen. Sobald die Gäste gegangen sind, nimmt sich Dylan ein Bier. Er verdrängt nicht mehr, dass seine Beziehung gefährdet ist und versucht ehrlich mit Charlotte zu reden, um sie besser zu verstehen.

Boris und Annette nehmen die Erfahrung etwas leichter. Auf dem Weg zur Bushaltestelle überlegen sie, dass es nicht so sehr auf die Körper ankomme, die sich im Lauf der Jahre ohnehin verändern werden. Annette will nicht auf ihren Körper reduziert werden; wichtiger sei die Persönlichkeit.

Felix bringt Emilia nach Hause. Er ärgert sich, als sie ihm gesteht, dass sie den anderen die Einsätze zurückerstattete, denn er hatte für sie betrogen: Von dem Geld sollte sie sich eine ordentliche Wohnungseinrichtung kaufen. Obwohl Emilia mehrmals verlangt, dass er sofort wieder geht, kauert er sich in eine Ecke und berichtet ihr offen, wie sehr er sie jeden Sonntagmorgen vermisse. Er reiße sich dann zusammen und trinke irgendwo einen Kaffee, sage sich vor, es gehe ihm gut und werde doch traurig, wenn er die anderen jungen Männer bemerke, die so einsam wie er an ihren Tischen sitzen und alle so tun, als sei es wunderbar, allein und ungebunden zu sein. Zögernd gibt Emilia zu, dass sie immer wieder versucht, nicht an die schöne Zeit mit Felix zu denken. Sie verbinden sich die Augen und suchen sich.

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Es geht um Liebesglück und Beziehungsprobleme, Identitätsverlust und Selbstfindung, Lebenslügen und die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Ohne die Bereitschaft, die Fassaden einzureißen und sich „nackt“ zu zeigen, ist es den sechs jungen Menschen nicht möglich, ihre Lebenskrisen zu überwinden und die Beziehungen zu retten.

Aus den drei symmetrischen Akten ihres allerdings noch nie aufgeführten Kammerspiels „Happy“ machte Doris Dörrie die leicht und unterhaltsam inszenierte Filmkomödie „Nackt“. Nur der Schluss ist etwas ernster. Originell ist, wie die im Vorspann benutzten roten, blauen, grünen und gelben Farbfilter die Buntheit der Wohnungseinrichtung von Dylan und Charlotte vorwegnehmen. Zur Auflockerung dienen auch die Chansons, die Felix, Boris und Dylan nacheinander als Karaoke singen (etwa wie in „8 Frauen“). Überhaupt gibt es viel Musik – zum Beispiel von Ella Fitzgerald – zu hören. Im Mittelpunkt stehen jedoch die gut geführten Dialoge und sechs hervorragende Schauspieler.

Ich halte „Nackt“ für Doris Dörries bisher besten Film.

„Nackt“ („Naked“) lautet übrigens auch der Titel eines 1993 in Cannes prämierten Sozialdramas von Mike Leigh mit Davis Thewlis in der Rolle des zynischen Stadtstreichers Johnny.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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