Reconstruction
Reconstruction
Inhaltsangabe
Kritik
Der dreißigjährige Fotograf Alex David (Nikolaj Lie Kaas) kommt mit seiner zwei Jahre jüngeren Freundin Simone (Maria Bonnevie) aus einem Restaurant in Kopenhagen, wo sie gerade mit seinem Vater Mel (Peter Steen) gegessen haben. Alex hat keine Lust, den weiteren Abend mit seinem Vater zu verbringen und geht zur U-Bahn-Station voraus. Simone folgt ihm, nachdem sie sich von seinem Vater verabschiedet hat. Unter dem Vorwand, nach einer Zeitung zu suchen, geht Alex zur nächsten Plattform. Eigentlich zieht es ihn zu jedoch einer attraktiven Schwedin (ebenfalls Maria Bonnevie), die ihm auf dem Weg zum Bahnsteig auffiel. Als sie aussteigt, verabschiedet Alex sich hastig von Simone und folgt der Unbekannten in eine Bar.
Am Tresen spricht er sie an. Sie nennt ihm ihren Namen – Aimée –, und beschwert sich darüber, dass er sie ein paar Minuten warten ließ. Alex fordert sie auf, mit ihm in einer Stunde nach Rom zu fliegen, aber das lehnt sie ab. Aimée begleitet ihren Ehemann, den Schriftsteller August Holm (Krister Henriksson), auf einer Lesereise und wohnt mit ihm in einer Suite des Hilton-Hotels in Kopenhagen. An diesem Abend hat er allerdings eine Verpflichtung außerhalb der Stadt und wird erst am nächsten Morgen zurückkommen. Aimée nimmt Alex mit in die Suite und verbringt eine Liebesnacht mit ihm.
Am anderen Morgen, während Aimée duscht, hinterlässt Alex ihr einen Zettel, den er mit einem Feuerzeug beschwert: „Wir treffen uns um 13 Uhr“. Auf dem Weg zum Aufzug begegnet er August, der gerade zurückkommt. Der Ehemann bemerkt das zerwühlte Doppelbett und liest den Zettel. Daraufhin verlässt er die Suite noch einmal für einige Minuten und gibt seiner Frau die Gelegenheit, den Beweis ihrer Untreue fortzuräumen.
Nach dieser Liebesnacht ist die Welt für Alex verändert: Seine Maisonette existiert nicht mehr. An der Stelle, an der er seine Wohnungstür sucht, befindet sich nur eine kleine Luke zum Dachboden. Frau Banum (Malene Schwartz), die im Stockwerk darunter wohnt, kennt Axel nicht mehr und behauptet, über ihrer Wohnung sei noch nie etwas anderes als ein Dachboden gewesen. Axel fährt zu seinem Freund Leo Sand (Nicolas Bro), aber weder Leo noch dessen Frau Nan (Helle Fagralid) kennen ihn. Hat Simone das alles arrangiert, um sich dafür zu rächen, dass er sie am Vorabend in der U-Bahn sitzen ließ und die Nacht mit einer anderen Frau verbrachte? Axel trifft Simone auf der Straße, aber sie behandelt ihn ebenfalls wie einen Fremden. Das tut auch sein Vater Mel David (Peter Steen).
Zur vorgeschlagenen Zeit, um 13 Uhr, betritt Aimée das Restaurant, in dem Alex auf sie wartet. Endlich eine Frau, die weiß, wer er ist. Doch als sie von der Toilette zurückkommt, setzt sie sich statt zu ihm an den Tisch an den Tresen. Sie flirtet mit Alex wie mit einem Fremden und fragt dann höflich, ob sie ihm Gesellschaft leisten dürfe. Ihr Name sei Aimée, stellt sie sich vor.
August beobachtet die beiden durchs Fenster. Plötzlich rennen sie aus dem Restaurant und verstecken sich hinter der nächsten Hausecke: Weil Alex kein Geld hat, prellten sie die Zeche.
Jetzt möchte Aimée mit Alex nach Rom fliegen. Sie müsse sich nur noch von jemandem verabschieden, meint sie. Er solle das auch tun, denn in Rom wolle sie ihn für sich alleine haben.
Als Aimée zu August ins Hotel kommt, um ihm zu sagen, dass sie sich von ihm trennt, lässt er sie nicht zu Wort kommen, drückt ihr seinen letzten Roman mit einer Widmung für sie in die Hand und schlägt vor, nach der Autorenlesung an diesem Abend vorzeitig abzureisen und die Termine für die folgenden Tage abzusagen. Daraufhin geht Aimée allein ins Hotelzimmer, packt ihre Sachen und hinterlässt August einen kurzen Abschiedsbrief.
Auf dem Weg zum erneuten Treffen mit Aimée begegnet Alex noch einmal Simone. Sie läuft ihm nach, hält ihn auf – „hallo Fremder“ –, verwickelt ihn in ein Gespräch und lässt sich von ihm küssen, bis er „Lebewohl“ sagt und losrennt. Aimée hat in einer Bar auf Alex gewartet, doch als er dort verspätet eintrifft, ist sie bereits fort. Auf der Straße holt er sie ein.
August, der an seinem nächsten Roman arbeitet, schreibt gerade den Satz: „Alex hat im entscheidenden Augenblick geschwankt und ist dabei, Aimée zu verlieren.“
Aimée folgt Alex mit ein paar Schritten Abstand zu einer U-Bahn-Station. Als er sich auf dem Bahnsteig wie Orpheus in der Unterwelt umdreht, ist sie verschwunden.
Am nächsten Morgen sieht er sie in der Halle des Hilton Hotels wieder. Sie kommt gerade die Treppe herunter, während August bereits die Rechnung bezahlt und seine Assistentin Monica (Ida Dwinger) auf das Gepäck aufpasst. Alex läuft Aimée entgegen und bestürmt sie, mit ihm nach Rom zu fliegen, aber sie scheint ihn nicht zu kennen: „Verzeihung, mein Mann wartet.“ Verstört bleibt Alex auf der Treppe stehen und blickt ihr nach. „Was war denn da los?“, fragt August. Aimée erwidert: „Ein junger Mann.“ – „Dachte er, dass er dich kennt?“ – „Er dachte, dass er mich liebt.“ – „Wie nett.“
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Christoffer Boe zeigt die Geschichte scheinbar aus der Perspektive von Axel, lässt jedoch August aus dem Off erzählen. Tatsächlich müsste der Film „Deconstruction“ statt „Reconstruction“ heißen, denn Christoffer Boe hat das Geschehen in Bruchstücke zerlegt, die sich nicht mehr zu einem eindeutigen Bild zusammenfügen lassen. Es könnte sich um einen kafkaesken Albtraum oder eine Wahnvorstellung von Alex David handeln, der durch die Liebe sein Ich verliert. Setzt man mit dem Erklärungsversuch bei der Stimme aus dem Off an, kann man „Reconstruction“ als Bestandteile eines selbstreflexiven Romans von August Holm auffassen.
Christoffer Boe setzt zweimal an, zuerst mit einer Begegnung von Alex und Aimée in einer Bar, dann zeigt er Alex einsam auf einer Straße und korrigiert diese Szene gleich wieder, indem er Passanten hinzunimmt. Aus dem Off hören wir: „Alles ist Film. Alles ist konstruiert. Und dennoch tut es weh!“ Dann beginnt der Film zum dritten Mal, und August erklärt, es gehe in der Geschichte um vier Personen: ihn und seine Ehefrau Aimée, Alex und dessen Freundin Simone. Mit wenigen Ausnahmen erzählt Christoffer Boe den Verlauf der Handlung chronologisch. Eine vorgezogene Szene – das erste Gespräch von Alex und Aimée in einer Bar – wird an der chronologisch richtigen Stelle leicht variiert wiederholt. Auch die vorletzte Szene gehört zu den Ausnahmen: Wir sehen Alex in der Hotelsuite am Morgen nach der Liebesnacht mit Aimée. Sie schläft noch, während er aufsteht, ihr den Ring zurücklegt, den sie ihm schenkte, sich anzieht und fortgeht. Am Ende läuft Alex – wie zu Beginn des Films – allein auf einer Straße, und wir hören wieder Augusts Stimme aus dem Off: „Alles ist Film. Alles ist konstruiert. Und dennoch tut es weh!“
Eine Besonderheit sind die zwischen den Szenen gezeigten Satellitenfotos von Stadtteilen in Kopenhagen mit Hinweisen, wo sich die Figuren gerade befinden. Hin und wieder lässt Christoffer Boe den Film schneller oder langsamer laufen; er reiht Einzelbilder aneinander, setzt Falschfarben ein und imitiert Filmfehler. Diese stilistischen Einfälle werden jedoch weder l’art pour l’art noch effekthascherisch eingesetzt, sondern stellen integrale Bestandteile des kunstvoll konstruierten Films dar. Von entscheidender Bedeutung ist der Schnitt (Peter Brandt, Mikkel E. G. Nielsen), durch den an vielen Stellen überhaupt erst Beziehungen zwischen Handlungsmomenten geschaffen werden. „Reconstruction“, der Debütfilm des dänischen Regisseurs Christoffer Boe, ist stilvoll und ästhetisch, raffiniert und verblüffend, spannend und geheimnisvoll, ein faszinierendes Vexierbild wie zum Beispiel „Mulholland Drive“. Christoffer Boe hat jedoch nicht David Lynch kopiert, sondern seinen ganz persönlichen, sehr überzeugenden Stil entwickelt.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006 / 2008