Das Programm

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Das Programm – Originaltitel: Das Programm – Regie: Till Endemann – Drehbuch: Holger Karsten Schmidt – Kamera: Michael Schreitel – Schnitt: Jens Müller – Musik: Enis Rotthoff – Darsteller: Nina Kunzendorf, Benjamin Sadler, Alwara Höfels, Carlo Ljubek, Stephanie Japp, Paula Kalenberg, Daan Lennard Liebrenz, Paul Faßnacht, Kai Scheve, Vladimir Tarasjanz, Heiner Lauterbach u.a. – 2016; 180 Minuten

Inhaltsangabe

Nachdem der Kronzeuge gegen den in U-Haft sitzenden Gangster Philip Darankow ermordet wurde, versucht das LKA, den Banker Simon Dreher als Belastungs­zeugen zu gewinnen. Er und seine Familie werden in ein Zeugenschutz-Programm aufge­nom­men. Bald argwöhnt die Teamleiterin Ursula Thern, dass er noch immer Anweisungen Darankows befolgt, und dann kommt es trotz des geheimen Aufenthaltsortes und geänderter Identitäten zu einer tödlichen Schießerei ...
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Kritik

In "Das Programm", einer packenden Mischung aus Thriller und Familien­drama, geht es um die Frage, was ein Zeugen­schutz-Programm für Be­troffene bedeutet. Till Endemanns Inszenierung besticht u. a. durch Sorgfalt und Ausgewogenheit.
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Der russische Gangster Philip Darankow (Wladimir Tarasjanz) sitzt 2014 in Hamburg in Untersuchungshaft. Während er sich im Gefängnishof aufhalten darf, formt er bedächtig aus Silberpapier ein Einhorn und schaut mehrmals auf die Turmuhr – bis sie 11 Uhr anzeigt.

Genau in diesem Augenblick explodiert die Limousine, mit der Victor Miro (Heiner Lauterbach) von einem Versteck in einem Mietshaus in ein anderes Quartier gebracht werden soll. Als Kronzeuge gegen Philip Darankow befand Victor Miro sich in einem Zeugenschutz-Programm des LKA. Mit ihm sterben Beamte wie Lars Hameister (Kai Ivo Baulitz). Ursula Thern (Nina Kunzendorf), die Einsatzleiterin, beobachtet es aus nächster Entfernung, ohne etwas verhindern zu können.

Offenbar zieht Darankow mit Hilfe seines Kontaktmanns Adam Barisha (Kasem Joxha) auch aus der Haft die Fäden.

Ohne den Zeugen wird es der Staatsanwaltschaft im bevorstehenden Prozess kaum gelingen, Philip Darankow ernsthafte Straftaten nachzuweisen. Victor Miro behauptete bei seinen Vernehmungen, Simon Dreher (Benjamin Sadler), der Geschäftsführer einer Privatbank, habe dem Drogen- und Waffenhändler Darankow bei der Gründung von Stiftungen zur Geldwäsche geholfen. Das LKA versucht deshalb, ihn als neuen Kronzeugen zu gewinnen.

Ursula Thern sucht ihn in seinem Büro auf, droht ihm mit Ermittlungen auch der Finanzaufsicht und bietet ihm als Gegenleistung für eine Zusammenarbeit die Aufnahme in ein Zeugenschutz-Programm an. Simon Dreher beteuert jedoch, er habe von Ermittlungen nichts zu befürchten. Zynisch fragt er, ob das LKA auch dem ermordeten Kronzeugen den Schutz des Programms versprochen habe.

Erst nachdem Simon Dreher in der Mittagspause auf einer Brücke angeschossen wird, erklärt er sich zur Kooperation mit Ursula Thern bereit. Der Täter muss mit einem Präzisionsgewehr von einem Hausdach geschossen haben.

Den Banker allein ins Zeugenschutz-Programm aufzunehmen, wäre zwecklos, denn in diesem Fall könnte er durch Drohungen gegen seine Familie erpresst werden. Ursula Thern bringt Simon Dreher, seine Ehefrau Rieke (Stephanie Japp), die Tochter Lona (Paula Kalenberg) und den Sohn Anton (Daan Lennard Liebrenz) vorübergehend in einem abgelegenen Strandhaus an der Nordsee unter. Dort erhalten sie Legenden und müssen auf alles verzichten, was Rückschlüsse auf ihre wahren Identitäten zulassen könnte. Verwandte und enge Freunde dürfen sich zwar noch von ihnen verabschieden, erfahren jedoch nichts über das neue Leben der Familie „Schmidt“. Dann werden „Peter“, „Astrid“, „Ira“ und „Leon“ zusammen mit Ursula Thern, Nadja Lenz (Alwara Höfels) und Mario Kreutzer (Carlo Ljubek) vom LKA in einem Bauernhaus in Reutte einquartiert. Dort findet auch „Leon Schmidts“ Einschulung statt.

Diese Entwurzelung trifft vor allem Mutter und Tochter. Rieke beabsichtigte, sich von ihrem Mann zu trennen und mit ihrem Geliebten, dem Segellehrer Rolf Kahles (Kai Scheve), in Portugal ein neues Leben anzufangen. Lona verlobte sich soeben mit David Wendt (Ludwig Blochberger) und fing an, mit ihm die gemeinsame neue Wohnung zu renovieren. Um mit ins Programm aufgenommen zu werden, müsste der Geiger den erst vor wenigen Tagen unterschriebenen Vertrag mit den Hamburger Symphonikern kündigen. Ursula Thern unterrichtet Rolf Kahles und David Wendt darüber, dass Rieke bzw. Lona Dreher in ein Zeugenschutz-Programm aufgenommen wurden, aber mehr verrät sie nicht. Stattdessen verpflichtet sie die Männer zur Verschwiegenheit. „Was ist das?“, fragt Rolf Kahles. „Das ist ein Vertrag zwischen Ihnen und der Bundesrepublik Deutschland.“ „Was soll ich damit?“ „Unterschreiben.“

Bei den Vernehmungen belastet Simon Dreher sich zwar selbst, verrät aber nichts, was vor Gericht gegen Philip Darankow verwendet werden könnte. Es dauert nicht lang, bis Ursula Thern ihn verdächtigt, die Bereitschaft zur Kooperation nur vorzutäuschen. Sie nimmt an, dass der Schuss auf der Brücke in Hamburg mit ihm abgesprochen war und der Scharfschütze ihn absichtlich nur leicht verletzte. Vermutlich ist es Drehers Aufgabe, die Ermittler bis zum Prozess hinzuhalten. Aber statt ihn zur Rede zu stellen oder gar das Zeugenschutz-Programm für ihn und seine Familie zu beenden, beschließt die Teamleiterin, ihn aus der Nähe zu beobachten.

Weil Dreher behauptet, Philip Darankow sei bei der Gründung von zwei als Geldwaschanlagen verdächtige Stiftungen am 14. Mai bzw. 23. Oktober 2013 in Liechtenstein nicht dabei gewesen, drängt Ursula Therns Vorgesetzter Ernst Pramann (Paul Faßnacht) zehn Tage vor dem Gerichtstermin gegen den Gangster auf einen „Abgleich“, d. h. auf eine Gegenüberstellung Simon Drehers mit der Hotelangestellten Meike Schüttkus (Natalie Spinell) aus Vaduz, die Simon Dreher und Philip Darankow zur fraglichen Zeit zusammen gesehen haben will. Ursula Thern, Nadja Lenz und Mario Kreutzer fahren Simon Dreher zu einem Berghof, wo Meike Schüttkus, Ernst Pramann und andere bereits warten. Zwei Männer sichern das Gebäude, während Meike Schüttkus und Simon Dreher ihre widersprüchlichen Aussagen wiederholen. Eine Schafherde nähert sich. Plötzlich zersplittern Fenster. Die Männer, die sich als Schäfer tarnten, haben den Wachen die Kehle durchgeschnitten. Wild um sich schießend, dringen sie ins Haus ein. Im letzten Augenblick verhindert Ursula Thern mit einem gezielten Kopfschuss, dass einer der Männer Simon Dreher tötet. Unter den Toten sind nicht nur die Angreifer und die Wachen, sondern auch Ernst Pramann und andere Beamte.

Aufgebracht wirft Ursula Thern dem ehemaligen Banker vor, durch sein doppeltes Spiel den Tod dieser Menschen verschuldet zu haben. Endlich gibt er zu, dass er bis zuletzt Anweisungen von Philip Darankow befolgte. Er schildert, wie er zunächst in die lukrativen Geschäfte mit dem Gangster hineinschlitterte. Bis er merkte, auf was er sich da zum vermeintlichen Nutzen der Bank und wegen der eigenen zusätzlichen Einnahmen eingelassen hatte, war es zu spät. Darankow hatte ihn in der Hand und drohte schließlich damit, Rieke oder den Kindern etwas antun zu lassen.

Woher kannten die Gangster Drehers Aufenthaltsort? Er selbst beteuert, keine aktive Kontaktmöglichkeit zu den Verbrechern gehabt zu haben, aber Ursula Thern argwöhnt, dass die Armbanduhr, die Simon Dreher von Philip Darankow geschenkt bekam, mit einem Peilsender ausgestattet sein könnte. Sie schickt die Uhr deshalb zur Untersuchung nach Hamburg.


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Simon Dreher erklärt sich explizit bereit, vor Gericht gegen Philip Darankow auszusagen, und er bestätigt, die fraglichen Stiftungen in Liechtenstein gemeinsam mit ihm zum Zweck der Geldwäsche gegründet zu haben.

Unter dem Vorwand, Rieke müsse noch einmal allein vernommen werden, ermöglicht Ursula Thern ihr ein kurzes Treffen mit Rolf Kahles in einem Hotel. Simon Dreher durchschaut, dass seine Frau einen Liebhaber hat. Als Rieke zurückkommt, bestätigt sie seinen Verdacht und eröffnet ihm zugleich, dass sie die Affäre beendet habe und bei ihm bleiben wolle.

Aufgrund von Simon Drehers Zeugenaussage verurteilt der Richter Philip Darankow zu sieben Jahren Haft. Der Banker wird der Beihilfe zur Geldwäsche für schuldig befunden, kommt aber mit zehn Monaten auf Bewährung davon, weil seine Kooperation mit dem LAK als strafmildernd gewertet wird.

Das Zeugenschutz-Programm für ihn und seine Familie kann noch nicht beendet werden, denn Philip Darankow verfügt auch weiterhin über die Möglichkeit, aus dem Gefängnis heraus beispielsweise einen Mordauftrag zu erteilen.

In Matrei beginnt für die Drehers bzw. Schmidts unter noch einmal geänderten Identitäten ein neues Leben. Der ehemalige Geschäftsführer einer Privatbank arbeitet dort als Schlosser, und seine Frau sitzt an der Kasse eines Supermarkts.

Die Gangster benötigten keinen Peilsender, um Simon Drehers Aufenthaltsort zu kennen, denn sie haben die überschuldete LKA-Mitarbeiterin Nadja Lenz in der Hand. Adam Barisha trifft sich konspirativ mit ihr. Sie weist ihn darauf hin, dass inzwischen ein anderes Team zuständig sei und sie den neuen Aufenthaltsort der Familie Dreher nicht kenne. Damit gibt Adam Barisha sich nicht zufrieden. Man werde über entsprechende Kontakte für einen weiteren Personalwechsel sorgen, sagt er, und dann sei es ihre Aufgabe, Simon Dreher zu töten. Andernfalls müsse sie mit ihrer Enttarnung rechnen.

Kurz darauf erhält Ursula Thern den Auftrag, mit ihrem Team erneut den Schutz der Familie zu übernehmen. Aufgrund von Hinweisen, die das LKA von Spitzeln erhalten hat, geht das Team von einer erhöhten Gefährdung aus und plant eine nochmalige „Verpflanzung“ der Familie. Während Überprüfungen und Vor­bereitungen laufen, wird Simon Dreher von Nadja Lenz auf einem Parkplatz erschossen.

Beerdigt wird er in Hamburg. Auf der Kranzschleife stehen auch wieder die richtigen Namen: Rieke, Lona und Anton. Das Zeugenschutz-Programm ist beendet. Adam Barisha beobachtet von einem anderen Grab aus, wie der Sarg in die Erde gesenkt wird und nickt Nadja Lenz zu, die unter den Trauergästen steht.

Tatsächlich handelt es sich um eine Inszenierung. Das verrät Ursula Thern der vermeintlichen Witwe erst nach der vorgetäuschten Bestattung.

In der ersten Nacht in Matrei gestand Nadja Lenz ihrer Chefin Ursula Thern und ihrem Kollegen Mario Kreutzer, dass sie über Adam Barisha mit Philip Darankow in Kontakt gestanden habe. Ursula Thern ist nicht überrascht. Weil sich bei der Untersuchung von Simon Drehers Uhr herausstellte, dass der eingebaute Peilsender defekt war, vermutete sie einen Maulwurf in ihrem Team. Nachdem Nadja Lenz ihr Geständnis beendet hat, beschließt Ursula Thern eine Inszenierung für die Gangster: Sie sollen glauben, dass Simon Dreher tot sei.

Simon und Rieke fangen mit ihrem Sohn Anton ein neues Leben an. Lona kehrt zu David nach Hamburg zurück. Ursula Thern kommt nach längerer Abwesenheit endlich wieder heim und überrascht ihre Tochter Alika (Nicole Mercedes Müller) mit zwei Flugtickets nach Neuseeland. Nadja Lenz wird entlassen und angeklagt. Im letzten Bild sehen wir sie tot im Wald liegen. Vermutlich hat sie sich selbst das Leben genommen.

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„Das Programm“ ist eine Mischung aus Thriller und Familiendrama. Es gibt zwar Gangster und Schießereien, aber Holger Karsten Schmidt (Drehbuch) und Till Endemann (Regie) interessieren sich vor allem für die Frage, was ein Zeugenschutz-Programm für die Beteiligten bedeutet. Die Familie muss alles hinter sich lassen, was auf ihre Vergangenheit schließen lässt und in einer ungewohnten Umgebung neu anfangen, der Banker Simon Dreher beispielsweise als Schlosser und seine Ehefrau Rieke als Kassiererin im Supermarkt. Diese Entwurzelung bedeutet auch die Trennung von Verwandten und Freunden. Jeder Schritt wird nun von Sicherheitskräften überwacht, die sogar zunächst mit der Familie zusammen im Haus wohnen, aber nichts von sich preisgeben dürfen. Dazu kommt die ständige Angst vor der Entdeckung, der permanente Ausnahme­zustand.

Teile der Handlung des Films „Das Programm“ basieren auf drei realen Fällen, über die sich die Filmemacher informierten. Zwei ehemalige Zeugenschützer berieten sie bei den Dreharbeiten.

Nebenbei veranschaulicht der Plot auch, wie Personen in die Kriminalität gleiten können. Was zu Beginn verhältnismäßig harmlos erscheint, gewinnt eine Eigendynamik und zwingt zu immer massiveren Straftaten. Simon Dreher rechtfertigt seine Geldgier mit dem Wunsch, seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen, aber er zerstört sie dadurch beinahe und erreicht das Gegenteil.

„Das Programm“ beginnt mit einer vierfachen Parallelmontage. Ein Häftling, über den wir nichts weiter wissen, sitzt auf einer Bank. Ein junger Geiger spielt vor einer Kommission und macht nach der bestandenen Prüfung einer ungeduldig auf ihn wartenden jungen Frau einen Heiratsantrag. Ein Banker kommt vom Büro nach Hause zu seiner Familie. Ein in einem Mietshaus untergebrachter Kronzeuge wird unter Polizeischutz abgeholt. – Das wirkt zunächst verwirrend und soll es wohl auch. Erst nach und nach werden die Zusammenhänge erkennbar. Auch im weiteren Verlauf von „Das Programm“ konfrontiert uns Till Endemann mit Parallelmontagen, und dabei übertreibt er es mit dem Stilmittel.

Ansonsten ist die Darstellung ruhig und realistisch. Till Endemann beweist in „Das Programm“ einen Blick für scheinbare Kleinigkeiten, die viel aussagen. Beispielhaft ist auch die Ausgewogenheit von Nüchternheit und Emotionalität, Beschleunigung und Retardierung. Nur am Ende droht „Das Programm“ zu zerfallen.

Till Endemann (* 1976) studierte Filmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Dabei konzentrierte er sich auf Dokumentarfilme. 2005 kam sein Spielfilm „Das Lächeln der Tiefseefische“ in die Kinos.

Holger Karsten Schmidt (* 1965) – ein geborener Hamburger wie Till Endemann – studierte zunächst Germanistik und Politikwissenschaft in Mannheim, dann Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo er 1998 dann auch als Dozent tätig wurde. Für zahlreiche Fernsehfilme hat Holger Karsten Schmidt die Drehbücher geschrieben. Zwei davon wurden mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet: „Mörder auf Amrum“ und „Mord in Eberswalde“. 2011 debütierte Holger Karsten Schmidt mit einem Kriminalroman: „Isenhart“.

Die Dreharbeiten für „Das Programm“ fanden im Spätherbst 2014 in Hamburg, an der Nordsee und in Tirol statt. Die Erstausstrahlung des als Miniserie mit zwei Folgen konzipierten, insgesamt drei Stunden langen Films erfolgte am 4. Januar 2016 im Ersten Programm der ARD.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

Till Endemann: Das Lächeln der Tiefseefische

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