Stephen Crane : Die rote Tapferkeitsmedaille

Die rote Tapferkeitsmedaille
The Red Badge of Courage The Philadelphia Press, Philadelphia 1894 Die rote Tapferkeitsmedaille Neuübersetzung: Bernd Gockel Pendragon Verlag, Bielefeld 2020 ISBN 978-3-86532-686-7, 320 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein junger Mann meldet sich im Amerikanischen Bürgerkrieg freiwillig bei den Unionstruppen. Seine Illusion vom Heldentum zerstiebt rasch. Einmal rennt er in panischer Angst davon, und am nächsten Tag stürmt er blindwütig in den Kampf. Er reflektiert sein widersprüchliches Verhalten und versucht, sein Selbstwertgefühl zu erhalten.
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Kritik

In dem Antikriegsroman "Die rote Tapferkeitsmedaille" erleben wir die Menschenverachtung im Krieg, aber Stephen Crane geht es v. a. um die Frage, was die Ausnahmesituation mit dem einzelnen Menschen macht, und dabei nimmt er die beschränkte Sicht eines überforderten einfachen Soldaten ein.
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Desillusionierung

Mit romantischen Vorstellungen vom Heldentum meldet sich der junge Henry Fleming im amerikanischen Sezessionskrieg bei den Unionstruppen.

Der Krieg ist jedoch anders, als er dachte. Während die Rekruten darauf warten, aktiv zu werden, fangen sie an, heimlich über die Vorgesetzten zu nörgeln, die sich – so scheint es – nicht entscheiden können. Das Warten und die Ungewissheit zerren an den Nerven.

Endlich erfolgt der erste Einsatz. Nach heftigen Kämpfen beobachtet Henry Fleming, wie sich die Konföderierten in dem von ihm überblickten Frontabschnitt zurückziehen.

Langsam kam der Junge wieder zu Sinnen. Es dauerte eine Weile, bis er in der Lage war, seine eigene Person als solche überhaupt wahrzunehmen. Zeitweilig war sein Bewusstsein so umnebelt gewesen, dass er sich selbst fremd geworden war
[…] Dann war also tatsächlich alles vorbei! Er hatte die Prüfung aller Prüfungen bestanden. Die existenziellen Herausforderungen, die der Krieg an ihn gestellt hatte, waren bewältigt.
Er durchlebte ekstatische Gefühle der Selbstbestätigung und registrierte Momente einer Euphorie, die er in dieser Form noch nie erlebt hatte. Wie ein distanzierter Zuschauer rief er sich die letzte Kampfszene in Erinnerung und kam zu dem Resultat, dass ein Soldat, der derart zu kämpfen wusste, ein außergewöhnlicher Mann sein musste.

Aber der Jubel in Henry Flemings Einheit währt nur kurz, denn der Feind greift erneut an. Der Junge sieht Kameraden flüchten. In Panik schleudert er sein Gewehr auf den Boden und rennt davon.

Henry Fleming begegnet einem General hoch zu Ross.

Er verspürte den Wunsch, dem General gehörig den Marsch zu blasen oder ihm zumindest klipp und klar zu sagen, was er von ihm hielt. Es war schlicht und einfach kriminell, hier rumzusitzen und nichts gegen den drohenden Untergang zu unternehmen.

Der General hat ein Problem in der Mitte erkannt und befiehlt einem Offizier, ein Regiment von einem weniger gefährdeten Abschnitt zu der Stelle zu schicken, an der ein Durchbruch des Feindes droht. Dieser Einsatz ist erfolgreich, und die Front hält. Offenbar entscheidet der General auf der Grundlage eines größeren Überblicks über den Schlachtverlauf als ihn die einzelnen Soldaten haben können.

Der Erfolg ist nicht von langer Dauer. Erneut nehmen die Kämpfe zu. Henry Fleming kehrt spontan um und stürzt sich in das Gefecht.

Flucht

Als er auf verletzte Soldaten trifft, die Hilfe suchend ins Hinterland streben, schließt er sich der Kolonne an. Dabei trifft er auf seinen Kameraden Jim Conklin, dem Geschosse die Brust zerfleischt haben, der aber noch marschiert, bis er vor Henrys Augen tot zusammenbricht.

Den Verletzten kommen neue Truppen entgegen, die in den Kampf ziehen.

Die moralische Rechtfertigung lag dem Jungen sehr am Herzen. Ein Freispruch musste her, weil er sonst nicht in der Lage sein würde, mit der abstoßenden Medaille der Feigheit durchs Leben zu gehen.

Er sah vor seinem geistigen Auge, wie einige seiner Kameraden vor dem Feind getürmt waren. Die Erinnerung an ihre angstverzerrten Gesichter erfüllte ihn mit Abscheu. Sie hatten keinen Grund gehabt, sich so leichtfertig von der Truppe zu entfernen. Es waren Schwächlinge, die gewogen und für zu leicht befunden worden waren. Sicher, auch er war geflohen, aber er hatte es mit Würde und guten Argumenten getan.

Ein Infanterist, den er am Arm packt und nach dem Warum des Ganzen fragt, wuchtet ihm die Muskete gegen den Schädel.

Am Abend erreicht Henry Fleming ein Lagerfeuer, in dessen Nähe viele Männer am Boden liegen und schlafen. Wilson, ein anderer seiner Kameraden, nimmt ebenso wie der Hauptmann an, dass ein Streifschuss die Kopfverletzung des Neuankömmlings verursacht habe, und Henry wird verbunden.

Eine Zeitungsschlagzeile fällt ihm ein:

Am Rappahannock nichts Neues

Blindwütig

Gerade weil er nicht mehr an einen Sieg glaubt, kämpft er am nächsten Tag so verbissen und hasserfüllt, dass er trotz einer Feuerpause weiter seine Muskete lädt und abfeuert, bis ihn die Kameraden auslachen.

Als Fleming und Wilson nach Wasser suchen, belauschen sie den General und einen Offizier namens MacChesnay. Letzterer soll eine seiner Einheiten für ein Himmelfahrtskommando abstellen und entscheidet sich für die, der auch Fleming und Wilson angehören. Der Offizier meint, die Einheit kämpfe wie eine Horde von Maultiertreibern und ihren Verlust könne er verschmerzen.

Verärgert über die Verachtung durch den Offizier werfen Fleming und Wilson sich kurz darauf wieder in die Schlacht, und als der Bannerträger fällt, übernimmt Henry Fleming die Fahne.

Nach dem Kampf wird Leutnant Hasbrouck von einem Oberst gefragt, wer der neue Bannerträger gewesen sei, und der Zugführer antwortet stolz, dass es sich um Fleming handele, einen echter Haudegen und Höllenhund, an dessen Seite übrigens ein Soldat namens Wilson mit nach vorne gestürmt sei.

Der Veteran

Henry Fleming ist inzwischen ein alter Familienvater. Beim Militär brachte er es zwar nur zum Sergeant, aber alle halten ihn für einen Kriegshelden, und er muss immer wieder von seinen Erlebnissen berichten.

Als die Scheune brennt, rettet Henry Fleming die Pferde. Dabei gerät seine Kleidung in Brand, und andere Männer überschütten ihn deshalb mit Wasser aus Eimern. Dann rennt er zu den Kühen. Zu spät denkt jemand an die beiden Fohlen ganz hinten im Stall. Henry Fleming wirft sich noch einmal in die Flammen. In diesem Augenblick stürzt das Dach ein.

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In dem Antikriegsroman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ von Stephen Crane erleben wir die Menschenverachtung im Krieg, hier am Beispiel des Amerikanischen Bürgerkriegs.

Im Mittelpunkt des Romans steht ein junger Soldat, dessen Illusion vom Heldentum an der Front rasch zerstiebt, der in panischer Angst davonrennt und am nächsten Tag blindwütig in den Kampf stürmt.

Stephen Crane geht es in „Die rote Tapferkeitsmedaille“ weniger um die Kriegsgräuel als um die Frage, was die Ausnahmesituation mit dem überforderten einzelnen Menschen macht. Dabei interessiert er sich nicht – wie bis dahin üblich – für die Entscheidungsträger und Befehlshaber, sondern für einen einfachen jungen Soldaten, der sich ständig selbst erforscht und über sein widersprüchliches Verhalten nachdenkt. Beim Lesen spüren wir, wie er sich einiges zurechtrückt und verdrängt, um sein Selbstwertgefühl wiederzuerlangen. Es ist die Sicht eines Jungen, der keinen Überblick hat wie etwa ein strategisch und taktisch denkender General, sondern nur unmittelbar erlebt, was in seinem Frontabschnitt geschieht, ohne es in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können.

Dieser Einfall Stephen Cranes macht „Die rote Tapferkeitsmedaille“ zu einem wichtigen Buch, auch wenn dem Autor einige Formulierungen entgleist sind, wie ein paar aus wenigen Seiten herausgepickte Beispiele zeigen:

Der Tote und der Lebende tauschten einen langen, wissenden Blick aus. (Seite 87)

Die Bäume stimmten ein Wiegenlied auf die Dämmerung an. […] Selbst die Zikaden legten eine Pause ein, senkten ihre Köpfe und verneigten sich vor dem feierlichen Moment. (Seite 88)

Wieder ein Stück weiter sah er vier oder fünf Leichen, die sich melancholisch Gesellschaft leisteten. (Seite 91)

In der deutschen Übersetzung von Bernd Gockel stolpert man dann auch noch über einen missglückten Satz wie:

Was wiederum bedeutete, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, jemals ein Held werden zu können. (Seite 118)

Um welche Schlacht es sich handelt, erfahren wir erst in der Kurzgeschichte „Der Veteran“, in der Stephen Crane seinen Protagonisten Henry Fleming noch einmal als alten Mann auftreten lässt. Die Handlung des Romans „Die rote Tapferkeitsmedaille“ bezieht sich auf die Schlacht bei Chancellorsville am Rappahannock River in Virginia, die vom 1. bis 4. Mai 1863 stattfand und mit einem überwältigenden Sieg der Konförderierten über die Unionstruppen endete.

„The Red Badge of Courage“ erschien als Fortsetzungsroman ab Dezember 1894 in „The Philadelphia Press“. Den Titel „Das Blutmal“ trug die erste Übertragung ins Deutsche durch Hans Umstätter im Jahr 1954. Bereits im Jahr darauf erschien eine Neuübersetzung von Milo Dor und Elisabeth Moltkau mit dem Titel „Die Flagge des Mutes“. Eine weitere Übersetzung, diesmal von Eduard Klein und Klaus Marschke, wurde 1962 zunächst mit „Das rote Siegel“ betitelt, ab 1985 dann mit „Die rote Tapferkeitsmedaille“. Diesen Titel hat der Pendragon Verlag auch 2020 bei der Neuübersetzung von Bernd Gockel beibehalten. Unter einer roten Tapferkeitsmedaille versteht der Protagonist eine blutige Verwundung.

Die Neuausgabe des Pendragon Verlags aus dem Jahr 2020 beinhaltet neben dem Roman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ die Kurzgeschichte „Der Veteran“ von  Stephen Crane aus dem Jahr 1896, eine kurze Besprechung von Thomas F. Schneider („Am Rappahannock nichts Neues“) und eine 68 Seiten lange Biografie von Rüdiger Barth („Stephen Crane – ein Porträt“).

John Huston verfilmte den Roman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ 1951:

Die rote Tapferkeitsmedaille – Originaltitel: The Red Badge of Courage – Regie: John Huston – Drehbuch: Albert Band nach dem Roman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ von Stephen Crane – Kamera: Harold Rosson – Schnitt: Ben Lewis – Musik: Bronislau Kaper – Darsteller: Audie Murphy, Bill Mauldin, Douglas Dick, Royal Dano, Andy Devine, John Dierkes, Arthur Hunnicutt, Tim Durant, Robert Easton Burke, Smith Bellew, Glenn Strange u.a. – 1951; 70 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © Pendragon Verlag

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