Rashomon

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Rashomon

Rashomon. Das Lustwäldchen – Originaltitel: Rashomon – Regie: Akira Kurosawa – Drehbuch: Shinobu Hashimoto, Akira Kurosawa, nach den Kurzgeschichten "Rashomon" und "Im Dickicht" von Akutagawa Ryunosuke – Kamera: Kazuo Miyagawa – Schnitt: Akira Kurosawa – Musik: Fumio Hayasaka – Darsteller: Toshiro Mifune, Machiko Kyo, Masayuki Mori, Kichijiro Ueda, Takashi Shimura, Minoru Chiaki, Fumiko Honma – 1950; 85 Minuten

Inhaltsangabe

Während eines Wolkenbruchs in Kyoto stellen sich drei Männer in der Ruine des Rashomon-Tors unter. Der eine von ihnen erzählt von einer kürzlich durchgeführten Gerichtsverhandlung über den Tod eines Samurai, bei der die Beteiligten bzw. Zeugen widersprüchliche Angaben über den Tathergang machten. Es ist verstörend, dass nicht entschieden werden kann, was wahr und was gelogen ist ...
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Kritik

Der expressionistische Schwarz-Weiß-Film "Rashomon" gilt als Meilenstein in der Filmgeschichte. Akira Kurosawa erzählt eine zeitlose Geschichte über den japanischen Ehrbegriff und die Frage, ob es eine objektive Wahrnehmung gibt.
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Ein Bürger (Kichijiro Ueda), der wegen eines Wolkenbruchs in die Ruine des Rashomon-Tors in Kyoto flüchtet, trifft dort auf einen Mönch (Minoru Chiaki) und einen Holzfäller (Takashi Shimura). Die beiden sagten kurz zuvor als Zeugen in einer Gerichtsverhandlung aus und sind verstört, weil sie „die Geschichte“ nicht verstehen. Neugierig geworden, lässt der Bürger sich erzählen, was geschah.

Der Holzfäller sagt, er sei zur Arbeit in den Wald gegangen und dort auf die Leiche eines Samurai gestoßen. Der Mönch sah den Samurai vor drei Tagen, als dieser ein Pferd am Zügel führte, auf dem eine verschleierte Frau saß.

Der gefesselte Räuber Tajomaru (Toshiro Mifune) habe sich vor Gericht verantworten müssen, erzählt der Holzfäller weiter. Als Tajomaru von einem Polizisten (Daisuke Kato) festgenommen wurde, lag er am Strand und krümmte sich vor Schmerzen. Er sagt, er habe aus einer Quelle getrunken. Wahrscheinlich sei das Wasser giftig gewesen, denn bald darauf habe er sich vor Krämpfen nicht mehr auf dem Rücken seines Pferdes halten können.

Der Räuber, der ohnehin mit einem Todesurteil rechnet, schildert vor Gericht, was sich im „Wald der Dämonen“ zwischen Sekiyama und Yamashina ereignete. Er schlief unter einem Baum und wurde durch Geräusche wach. Da sah er den Samurai und die Frau auf dem Pferd. Für einen Augenblick öffnete der Wind den Schleier, und als Tajomaru das Gesicht der schönen jungen Frau erblickte, begann er sie zu begehren. Deshalb hielt er den Samurai auf, zeigte ihm sein wertvolles Schwert und behauptete, es mit anderen kostenbaren Gegenständen in einem nahen Grab gefunden zu haben. Auf diese Weise lockte er den Samurai von der Frau und der Straße weg. Nachdem er ihn überwältigt und gefesselt hatte, holte er die Frau unter dem Vorwand, ihr Mann sei von einer Schlange gebissen worden, ebenfalls ins Unterholz. Als sie begriff, was er vorhatte, verteidigte sie sich mit einem Dolch, aber Tajomaru vergewaltigte sie vor den Augen ihres Mannes. Als er dann fortgehen wollte, hielt die Frau ihn zurück, denn sie war der Meinung, dass nur einer der beiden Männer weiterleben könne. Daraufhin durchschnitt Tajomaru die Fesseln des Samurai, und sie kämpften mit ihren Schwertern gegeneinander, bis der Räuber den Samurai in einem ehrenwerten Duell erstach. Die Frau floh jedoch während des Schwertkampfs.

Der Holzfäller erzählt am Rashomon als Nächstes, was die Frau vor Gericht aussagte.

Masako (Machiko Kyo) – so heißt sie – war mit ihrem Ehemann Takehiro (Masayuki Mori) unterwegs, als der Räuber sie überfiel. Weil sie befürchtete, dass dieser ihren Mann sonst töten würde, gab sie sich dem Verbrecher hin. Als Tajomaru dann fort war, zerschnitt Masako die Fesseln ihres Mannes – und merkte, dass er sie voller Verachtung anblickte. In ihrer Verzweiflung drückte sie Takehiro ihren Dolch in die Hand und forderte ihn auf, sie zu töten, aber er reagierte nicht darauf. Weil sie seine Verachtung nicht ertrug, erstach sie ihn. Es sollte ein erweiterter Suizid werden, aber bevor sie sich selbst töten konnte, verlor sie das Bewusstsein, und später fehlte ihr die Kraft für den Selbstmord.

Der Samurai Takehiro habe vor Gericht durch den Mund einer Geisterbeschwörerin (Fumiko Honma) gesprochen, erzählt der Holzfäller dem Bürger am Rashomon.

Takehiro sagt, der Räuber habe Masako nach der Vergewaltigung angeboten, seine Konkubine zu werden und sie sei darauf eingegangen, habe ihn allerdings aufgefordert, ihren Mann zu töten, statt ihn gefesselt zurückzulassen. Dieser Vorschlag entsetzte sogar den Räuber. Der wandte sich an den Samurai und fragte ihn, ob er die Frau wegen des Verrats töten solle, bekam jedoch keine Antwort. Masako floh, und der Räuber verfolgte sie. Nach einiger Zeit kam er zurück und berichtete, er habe sie zwar eingeholt, aber nicht getötet. Dann löste er Takehiros Fesseln und ging fort. Takehiro fand den auf dem Boden liegenden Dolch seiner Frau und erstach sich damit, um seine Ehre zurückzubekommen.

Bis jetzt hat der Holzfäller noch nicht erzählt, was er selbst gesehen hat. Erst als der Bürger ihn dazu drängt, fängt er damit an.

Vor Gericht sprach der Holzfäller nur darüber, wie er den Toten vorgefunden hatte, denn er wollte möglichst wenig mit dem Verbrechen zu tun haben. Am Rashomon gibt er nun zu, alles mit angesehen zu haben.

Nach der Vergewaltigung machte Tajomaru seinem Opfer einen Heiratsantrag. Masako meinte jedoch, als Frau könne sie nicht selbst über ihr Schicksal entscheiden: das müssten die Männer tun. Und sie befreite Takehiro mit ihrem Dolch von den Fesseln. Der Räuber war zum Schwertkampf bereit, aber der Samurai weigerte sich, für die vergewaltigte Frau zu kämpfen. Stattdessen forderte er Masako auf, sich selbst zu töten, um ihre und seine Ehre wieder herzustellen, aber das wollte sie nicht. Der Räuber war von der Haltung der Frau angewidert und wollte das Paar verlassen. Masako hielt ihn jedoch zurück und beschimpfte ihn und ihren Mann als Feiglinge, bis diese endlich mit ihren Schwertern übereinander herfielen, ohne sich an Regeln zu halten. Am Ende erstach der Räuber den wehrlos am Boden liegenden Samurai. Masako war inzwischen fortgelaufen.

Nachdem der Holzfäller diese vier Versionen wiedergegeben hat, die zwar in sich schlüssig sind, aber nicht alle wahr sein können, diskutieren die Männer am Rashomon darüber, ob die Menschen lügen, weil sie die Wahrheit nicht kennen, oder weil sie aus Eigeninteresse etwas zu verbergen haben.

Unvermittelt ist das Weinen eines Babys zu hören. Der Bürger entdeckt einen ausgesetzten Säugling. Er raubt das mit im Körbchen liegende Amulett und die Decke, die das Kind vor der Kälte schützen sollte. Als ihn der Holzfäller deshalb zur Rede stellt, meint der Bürger, alle Menschen seien selbstsüchtig und bringt den Holzfäller zu dem Geständnis, Masakos wertvollen Dolch gestohlen zu haben. Dann verlässt der Bürger mit seiner Beute das Rashomon.

Erschüttert hebt der Mönch das Kind vom Boden auf. Der Holzfäller möchte es ihm abnehmen, aber der Mönch gibt es ihm nicht, denn er argwöhnt, dass der Holzfäller vorhat, das Baby zu verkaufen. Der erklärt jedoch, er habe zu Hause sechs eigene Kinder und werde deshalb auch für ein siebtes sorgen können. Daraufhin vertraut der Mönch das Baby dem Holzfäller an und bedankt sich dafür, dass dieser ihm den Glauben an das Gute im Menschen zurückgegeben habe.

Als der Holzfäller sich anschickt, das Rashomon mit dem Kind im Arm zu verlassen, hört der Regen auf.

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Der expressionistische Schwarz-Weiß-Film „Rashomon. Das Lustwäldchen“ basiert auf zwei Kurzgeschichten von Akutagawa Ryunosuke (1892 – 1927): „Rashomon“ (1915) und „Im Dickicht“ (1922).

Die Geschichte, die der japanische Regisseur Akira Kurosawa erzählt, spielt in der Heian-Zeit (794 – 1184), ist aber zeitlos.

Der Räuber und die Frau behaupten vor Gericht, Takehiro getötet zu haben, und dieser schildert durch den Mund einer Geisterbeschwörerin seinen Selbstmord. Das ist im Westen kaum verständlich; es hängt mit japanischen Moralvorstellungen zusammen, denen zufolge der Verlust der Ehre das Schlimmste ist, was einem Menschen geschehen kann. Der Holzfäller schildert die Vorgänge allerdings am Ende so, als ob keine der drei an der Tat beteiligten Personen ehrbar gehandelt habe.

In der westlichen Rezeption des Films „Rashomon. Das Lustwäldchen“ steht die philosophische bzw. psychologische Frage nach Wahrheit und Objektivität im Mittelpunkt. Alle vier Schilderungen des Tathergangs sind in sich schlüssig, aber sie widersprechen sich, können also nicht alle wahr sein. Möglicherweise entspricht keine einzige Version der Wahrheit. Gibt es die Wahrheit überhaupt und sind wir in der Lage, sie zu erkennen? Oder existiert nur das, was wir subjektiv wahrnehmen? Wodurch wird die Wahrnehmung verfälscht? Der Aspekt der Relativität der Wahrheit wird in „Rashomon“ durch die Verschachtelung betont: Bevor der Holzfäller seine eigene Version erzählt, gibt er wieder, was Zeugen vor Gericht aussagten.

Bei widersprüchlichen Zeugenaussagen spricht man inzwischen vom Rashomon-Effekt.

Shinobu Hashimoto und Akira Kurosawa haben „Rashomon. Das Lustwäldchen“ aus einer in der Gegenwart stattfindenden Rahmenhandlung, Szenen aus einer kürzlich durchgeführten Gerichtsverhandlung und einer in vier verschiedenen Versionen erzählten, vor drei Tagen abgelaufenen Haupthandlung komponiert.

Die Gerichtszenen sind stilisiert. Wir sehen nur die Zeugen und den Angeklagten, aber keine Richter oder Anwälte.

Als vorbildlich in der Filmsprache gilt beispielsweise der Gang des Holzfällers durch den Wald. Kazuo Miyagawa nahm ihn mit mehreren Kameras gleichzeitig auf, und Akira Kurosawa montierte dann am Ende aus dem Filmmaterial die fertige Szene.

Akira Kurosawa (1910 – 1998) beschäftigte sich mit westlicher Malerei, bevor er 1936 – zunächst als Drehbuchautor – zum Film kam. Durch „Rashomon. Das Lustwäldchen“ wurden er und Toshiro Mifune, der Darsteller des Räubers, weltberühmt. Der Film gilt als Meilenstein der Filmgeschichte, denn es war erste japanische überhaupt, der einen internationalen Preis gewann, nämlich den „Goldenen Löwen“ bei den Filmfestspielen in Venedig 1951. Im Jahr darauf erhielt Akira Kurosawa einen Ehren-„Oscar“ für „Rashomon. Das Lustwäldchen“. Darüber hinaus wurde „Rashomon. Das Lustwäldchen“ 1953 in der Kategorie „Bestes Szenenbild“ für einen „Oscar“ nominiert.

Der Titel stammt aus der im Rashomon in Kyoto stattfindenden Rahmenhandlung. Das Rashomon (Festungstor), das größte Tor in Kyoto, wurde 789 errichtet, also kurz vor der Zeit, in der Kyoto der Sitz des kaiserlichen Hofes war (794 – 1869). Am 11. September 816 stürzte das Tor ein, wurde aber wieder aufgebaut. Nach einem erneuten Zusammenbruch am 20. September 980 blieb das Rashomon Ruine. Der deutsche Untertitel „Das Lustwäldchen“ geht auf einen Fehler in der Übersetzung vom Japanischen ins Englische und dann ins Deutsche zurück.

Fay und Michael Kanin adaptierten „Rashomon“ fürs Theater. Ihr Bühnenstück wurde 1959 mit Rod Steiger als Räuber und Claire Bloom als Frau im Music Box Theatre am Broadway uraufgeführt. Daraus entstand dann auch das Drehbuch für das Remake des japanischen Films, das Martin Ritt 1964 mit Paul Newman als Banditen Juan Carrasco, Laurence Harvey als Offizier, Claire Bloom als dessen Frau und William Shatner als Prediger drehte: „The Outrage“ / „Carrasco, der Schänder“.

Carrasco, der Schänder – Originaltitel: The Outrage – Regie: Martin Ritt – Drehbuch: Michael Kanin – Kamera: James Wong Howe – Schnitt: Frank Santillo – Musik: Alex North – Darsteller: Paul Newman, Laurence Harvey, Claire Bloom, Edward G. Robinson, William Shatner, Howard Da Silva, Albert Salmi, Thomas Chalmers, Paul Fix u.a. – 1964; 95 Minuten

„Rashomon. Das Lustwäldchen“ wurde 2008 restauriert.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

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Die Sprache, mit der Julias Vater seine Reflexionen formuliert, besticht durch detailgenaue Beschreibungen oft sehr delikater Situationen: "Festland".
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