Michael Kumpfmüller : Die Herrlichkeit des Lebens
Inhaltsangabe
Kritik
Anfang Juli 1923 trifft der Doktor in Müritz ein, wo in der Pension „Haus Glückauf“ ein Zimmer für ihn reserviert ist. Seine Schwester Elli, die dort mit dem Säugling Hanna und den elf bzw. zwölf Jahre alten Kindern Felix und Gerti die Ferien verbringt, drängte ihn dazu, ebenfalls ans Meer zu kommen. Das würde seiner schwer angeschlagenen Gesundheit gut tun. Bis vor einem Jahr arbeitete er in einer Versicherungsgesellschaft in Prag, dann ließ er sich im Alter von 39 Jahren wegen seiner Tuberkulose pensionieren. Während seiner Berufstätigkeit schrieb er Erzählungen, und es gibt ein paar Bücher von ihm.
Von seinem Zimmer in der Pension sieht der Doktor hinüber in die Ferienkolonie „Kinderglück“, und er hört Hebräisch, denn es handelt sich um eine Anlage des Jüdischen Volksheims in Berlin.
Am Strand kommt er mit einer der jüdischen Mädchen aus Berlin ins Gespräch, mit der 17-jährigen Tile Rössler. Sie nimmt ihn mit ins Ferienlager, und dort begegnet er der 25-jährigen Köchin Dora Diamant, die beim Jüdischen Volksheim in Berlin beschäftigt ist und hier den Sommer verbringt. Ihr ist der Doktor bereits am Strand aufgefallen. Weil sie ihn mit einer Frau und drei Kindern sah, glaubt sie, er sei verheiratet. Dora ist erleichtert, als sie herausfindet, dass er ungebunden ist, denn sie hat sich in ihn verliebt, und er erwidert ihre Gefühle. Fast jeden Tag gehen sie nun miteinander spazieren.
Bevor der Doktor mit seiner Schwester aus Müritz abreist, verspricht er Dora, zu ihr nach Berlin zu kommen. Zunächst muss er erst einmal zurück nach Prag, zu seinen Eltern. Als seine Schwester Ottla ihn dort sieht und über seine Abmagerung erschrickt, nimmt sie ihn mit in die Sommerfrische nach Schelesen (Železná). Sie hat auch ihre vier Monate alte Tochter Helene dabei. Ihr Ehemann Pepo kann Prag nur an den Wochenenden verlassen.
Als Doras Ende August auslaufende Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird, sucht sie vorübergehend Zuflucht bei ihrer Freundin Judith, die von einer im Februar gestorbenen Tante ein Haus in Döberitz geerbt hat und nach dem Studium nach Palästina auswandern möchte. Dora bittet ihren Berliner Freund Hans, ein Zimmer für den Doktor zu suchen. Anfang September holt Hans sie ihn Döberitz ab und begleitet sie im Zug nach Berlin, wo der Doktor auf sie wartet.
Seinen Eltern sagte Franz, er wolle nur für ein paar Tage nach Berlin. Von der Wohnung in Steglitz, die Hans ihm vermittelte, verriet er nichts.
Dora hat in Berlin ihr eigenes Zimmer und arbeitet nach wie vor stundenweise im Jüdischen Volksheim, aber so viel Zeit wie möglich verbringt sie mit Franz. Obwohl die junge Frau abends nach Hause geht, missfällt der Vermieterin die Damenbekanntschaft des Doktors, und wegen der galoppierenden Inflation erhöht sie alle paar Tage die Miete.
Einmal im Monat kommt Franz‘ Freund Max [Brod] vorbei. Er lebt in Prag und ist dort verheiratet, hat aber in Berlin eine Geliebte namens Emmy [Salveter].
In einem Park begegnen Franz und Dora einem Mädchen, das gerade in die Schule kam und weint, weil es seine Puppe verloren hat. Franz sagt, er habe von der Puppe einen Brief erhalten. An den nächsten Nachmittag erzählt er dem Kind im Park fantasievoll von einer Reise der Puppe und von dem Prinzen in Afrika, in den sie sich verliebte.
Die Vermieterin kündigt dem Doktor den Mietvertrag, aber Franz und Dora wollten sich ohnehin zusammen eine Zwei-Zimmer-Wohnung nehmen. Sie finden ganz in der Nähe etwas Passendes bei einer Ärztin. Am Tag des Umzugs schickt Dora ihren Geliebten fort und bringt seine Sachen zu Fuß in die neue Wohnung. Erst am Abend, als sie bereits gebadet und ein frisches Kleid angezogen hat, kommt Franz zurück. Mit seinem Einverständnis gibt Dora ihr eigenes Zimmer auf.
Franz fällt es gewöhnlich schwer, einen Menschen in seine Nähe zu lassen. Er war zwar mehrmals verlobt, aber jetzt lebt er zum ersten Mal mit einer Frau zusammen – und ist glücklich.
Er schaut nicht mehr nur nach innen, hat er den Eindruck, wie nach einer leichten Drehung des Kopfes, als habe sich allen Ernstes etwas verändert, so erstaunlich das ist. Als hätte er immer nur den Kopf drehen müssen, und mit einem Mal schaut er nach draußen, wo Dora ist und die Erfahrung der Gemeinschaft, die er mit ihr verknüpft.
Dora denkt über ihn ihn:
Sein Beruf ist das Schreiben nie gewesen. Er war in dieser Anstalt, irgendetwas mit Versicherungen, jetzt ist er pensioniert, es gibt ein paar Bücher, die sie nicht kennt und für ihre Liebe nicht braucht.
Inzwischen hat er seinen Eltern geschrieben, dass er in Berlin mit einer Frau zusammenlebt. Aus Kostengründen beabsichtigen Franz und Dora, eines der beiden Zimmer aufzugeben, aber die Vermieterin will stattdessen ein drittes Zimmer vermieten, weil sie das Geld benötigt. Bis 1. Februar 1924 müssen sie die Wohnung verlassen haben. Diesmal ist Franz zu krank, um sich am Umzug zu beteiligen. Dora transportiert alles mit Hilfe eines der Mädchen aus dem Jüdischen Volksheim. Nur für die letzte Fuhre bestellt sie einen Wagen, denn anders könnte Franz den Weg nicht zurücklegen.
Onkel Siegfried, der für ein paar Tage zu Besuch kommt und sich in einer Frühstückspension am Wannsee einquartiert, hält aufgrund stundenlanger Hustenanfälle einen Sanatoriums-Aufenthalt seines Neffen für erforderlich. Dora kennt einen Arzt aus Breslau, der inzwischen im Jüdischen Krankenhaus in Berlin praktiziert. Dr. Ludwig Nelken untersucht Franz, ohne ein Honorar dafür zu verlangen. Auch er rät zu einer Kur.
Franz fährt zunächst ohne Dora nach Prag. Max begleitet ihn. Geplant ist ein Kuraufenthalt in Davos. Dora soll dorthin nachkommen. Sie löst die Wohnung auf und zieht vorübergehend wieder zu Judith, die im Mai oder spätestens im Sommer mit ihrem Geliebten Fritz, einem mit einer anderen Frau verheirateten Arzt, in einen Kibbuz in Palästina umsiedeln möchte.
Als der Kanton Graubünden Franz die Einreisegenehmigung verweigert, bringt Ottla ihren Bruder Anfang April 1924 ins Sanatorium „Wiener Wald“ in Ortmann bei Pernitz, 50 Kilometer südwestlich von Wien. Dora stellt sogleich einen Einreiseantrag für Österreich. Mit dem Zug fährt sie über Wien nach Pernitz und geht das letzte Stück zu Fuß. Ein Zimmer bekommt sie auf einem Bauernhof, aber zu ihrer Enttäuschung darf sie Franz außerhalb der Besuchszeiten nicht sehen.
Franz leidet unter einer Kehlkopfschwellung und kann kaum sprechen. Weil in Ortmann nichts für ihn getan werden kann, lässt Franz sich ins Sanatorium Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg nördlich von Wien bringen. Der mit ihm befreundete Medizinstudent Robert [Klopstock] kommt, um ihm beizustehen.
Anfang Mai fährt Dora unter einem Vorwand nach Wien und bittet einen weiteren Arzt, nach Franz zu schauen. Er klärt sie darüber auf, dass der Patient allenfalls noch drei Monate leben werde.
An einem der Abende fragt Franz sich, was nach seinem zu erwartenden Tod aus Dora werden soll, und als sie ihm am nächsten Morgen das Frühstück ans Bett bringt, bittet er sie, seine Frau zu werden. Dora sagt erfreut ja, bezweifelt jedoch, dass ihr Vater sein Einverständnis dazu geben werde.
Dora Diamant wurde in Pabianice bei Lodz geboren. Ihr strenggläubiger Vater kam nicht über den frühen Tod seiner Frau hinweg. Dora verließ ihn, als sie 20 war, und ein Jahr später überwarf sie sich endgültig mit ihm. Franz schreibt ihm einen Brief und hält förmlich um Doras Hand an. Die Antwort lässt lange auf sich warten, und sie besteht aus einer klaren Ablehnung.
Weil Franz nicht mehr sprechen kann, schreibt er Zettel. Dora beobachtet, dass Robert die Zettel heimlich sammelt.
Franz korrigiert noch Druckfahnen, aber er weiß, dass er das fertige Buch nicht mehr in der Hand halten wird.
Am 3. Juni 1924, einen Monat vor seinem 41. Geburtstag, stirbt Franz in Doras Armen. Die Formalitäten dauern eine Woche. Erst dann kann der Leichnam zum Begräbnis nach Prag gebracht werden.
Dora bleibt einige Wochen in Prag. Max hat Manuskript-Fragmente des Verstorbenen entdeckt und drängt Dora, ihm Briefe und Notizhefte zu überlassen. Aber sie hält nichts von einer Veröffentlichung und nimmt die Sachen mit, als sie Anfang August 1924 nach Berlin zurückkehrt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Franz Kafka war mehrmals verlobt, aber die Beziehungen scheiterten allesamt, nicht zuletzt, weil er vor engen Bindungen zurückschreckte. Ein einziges Mal lebte er mit einer Frau zusammen, mit Dora Diamant im Winter 1923/24 in Berlin. Michael Kumpfmüller erzählt in seinem Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ von dieser Liebesbeziehung und den letzten Monaten im Leben Franz Kafkas. Er porträtiert den Schriftsteller nicht, wie üblich, als schwierigen, innerlich zerrissenen Außenseiter, sondern als einen trotz schwerer Krankheit und Geldsorgen glücklichen Menschen.
„Die Herrlichkeit des Lebens“ ist eine tragisch endende Liebesgeschichte. Die Protagonistin heißt Dora Diamant; ihren Lebensgefährten nennt Michael Kumpfmüller entweder Doktor oder Franz, aber nie bei seinem Familiennamen. Bei beiden Charakteren handelt es sich um Romanfiguren, aber der Autor hält sich eng an die historischen Tatsachen. Nicht zuletzt würdigt er mit seinem Buch eine einfache Frau, die Franz Kafka im letzten Jahr seines Lebens zu etwas Glück verhalf und dem Todkranken bis zum Ende beistand. Mit großem Einfühlungsvermögen entwirft Michael Kumpfmüller ein lebendiges Bild von ihr.
Der Verfall des Kranken verläuft parallel zur galoppierenden Inflation und dem politischen Niedergang in der Weimarer Republik.
Michael Kumpfmüller erzählt im Präsens und wechselt zwischen den Perspektiven der beiden Hauptfiguren. Die Darstellung ist schlüssig und nachvollziehbar. Der Autor verzichtet inhaltlich, formal und sprachlich auf jede Effekthascherei.
Den Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ von Michael Kumpfmüller gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Christian Brückner (Regie: Waltraut Brückner, Berlin 2011, 390 Min, ISBN 978-3-941004-26-9).
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch
Franz Kafka (kurze Biografie)
Dora Diamant (kurze Biografie)