Heute trage ich Rock!

Heute trage ich Rock!

Heute trage ich Rock!

Heute trage ich Rock! – Originaltitel: La journée de la jupe – Regie: Jean-Paul Lilienfeld – Drehbuch: Jean-Paul Lilienfeld – Kamera: Pascal Rabaud – Schnitt: Aurique Delannoy – Musik: Kohann (aus dem Album "Hypnotic") – Darsteller: Isabelle Adjani, Denis Podalydès, Yann Collette, Nathalie Besançon, Khalid Berkouz, Yann Ebonge, Sonia Amori, Kévin Azaïs, Sarah Douali, Hassan Mezhoud, Karim Zakraoui, Jackie Berroyer, Anne Girouard u.a. – 2008; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Die Lehrerin Sonia Bergerac schluckt Beruhigungsmittel, bevor sie ihre Unterrichtsstunde beginnt. Anders übersteht sie die Konfrontation mit der Klasse nicht. Die fast ausschließlich aus Einwandererfamilien stammenden Schüler begehren nicht nur gegen sie auf, sondern schüchtern sie auch ein und bedrohen sie. Während eines heftigen Streits zwischen ihr und Mouss fällt dessen Pistole auf den Boden. Sonia hebt sie auf, riegelt den Saal ab und zwingt die Klasse mit vorgehaltener Waffe, ihr zu gehorchen ...
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Kritik

Ohne Schuldzuweisungen zeigt Jean-Paul Lilienfeld in dem Sozialdrama "Heute trage ich Rock!", was an Schulen mit hohem Migrantenanteil los ist. Die tragische Handlung ist zwar nicht durchgängig realistisch, aber die Inszenierung lässt sie so wirken, als sei sie authentisch.
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Sonia Bergerac (Isabelle Adjani), eine französische Sprach- und Literaturlehrerin um die fünfzig, schluckt Beruhigungsmittel, bevor sie ihre Unterrichtsstunde beginnt. Anders übersteht sie die Konfrontation mit der Klasse nicht. Die fast ausschließlich aus Einwandererfamilien stammenden Schüler begehren fortwährend gegen sie auf, widersprechen ihr nicht nur aggressiv, sondern schüchtern sie auch ein, beschimpfen und bedrohen sie. Gegen den Rat des Rektors (Jackie Berroyer) trägt Sonia einen Rock. Dass sie sich damit zu ihrer Weiblichkeit bekennt, empfinden die männlichen Schüler als Provokation. Eine Lehrerin ist für sie keine Respektperson, und eine Frau, die einen Rock trägt, setzen sie mit einer Prostituierten gleich.

Im Theatersaal, wo Sonia an diesem Vormittag mit der Klasse ein Stück von Molière besprechen will, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihr und dem dunkelhäutigen Schüler Mouss (Yann Ebonge). Sie will mit ihm zum Rektor, aber das lässt er sich nicht gefallen. Eine Pistole fällt aus seinem Rucksack. Ohne lang nachzudenken, hebt Sonia die Waffe vom Boden auf. In dem Gerangel löst sich ein Schuss. Mouss wird leicht am Bein verletzt. Einige Schüler fliehen schreiend aus dem Saal. Dann sperrt Sonia die schalldichte Türe ab.

Sie zwingt die verbliebenen sechs Schüler und drei Schülerinnen, sich auf den Boden zu legen und ihre Taschen zu leeren. Dann setzt sie ihren Unterricht fort – erstmals ohne Störungen aus der Klasse.

Inzwischen alarmiert der Schulleiter die Polizei. Labouret (Denis Podalydès) leitet den Einsatz. Aufgrund der Aussagen der aus dem Theatersaal entkommenen Schüler wird angenommen, dass sich ein mit einer Pistole bewaffneter Jugendlicher seine Mitschüler und die Lehrerin als Geiseln genommen und sich im Theatersaal verschanzt hat. Labouret ruft Sonia auf ihrem Handy an und erklärt ihr, dass vor der Tür Spezialkräfte bereitstehen. Aufgeregt stammelt sie, Mouss sei der Geiselnehmer.

Die Polizei vernimmt Mouss‘ Mutter (Marimam Kaba). Die lässt nichts auf ihren Sohn kommen und beschreibt ihn als anständigen jungen Mann, der keine Schimpfwörter benutzt und keine Waffe anrühren würde.

Sonias Ehemann François Bergerac (Stéphan Guérin-Tillié) stürmt besorgt in die Schule und muss von der Polizei beruhigt werden.

Währenddessen versucht Sonia, den männlichen Schülern klarzumachen, dass deren Moral falsch und verlogen ist. Sie wirft ihnen vor, sie als Nutte beschimpft zu haben, nur weil sie einen Rock trägt. Auf ihre Frage, wer von den Jungen noch keine sexuellen Erfahrungen habe, meldet sich keiner, aber alle drei anwesenden Mädchen behaupten, noch Jungfrauen zu sein. Bevor Sonia diese Diskrepanz ausdiskutieren kann, veranlassen antisemitische Tiraden eines arabischen Schülers sie dazu, zum Thema Rassismus zu wechseln. Außerdem ermahnt sie die Jugendlichen, ihre Eltern seien nach Frankreich gekommen, um ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen; sie müssten diese Chance nutzen.

Labouret ruft auf Mouss‘ Handy an, und als die Verbindung zustandekommt, redet er gleich davon, dass man die Angelegenheit unter Männern klären müsse, mit „Tussen“ habe das keinen Zweck. Verärgert bricht Sonia, die das Handy in der Hand hält, das Gespräch ab.

Einige Männer der Spezialeinheit dringen über Lüftungsschächte bis unter die Bühne des Theatersaals vor, bohren ein kleines Loch ins Holz und stecken eine Minikamera hindurch. Auf einem Monitor können Labouret und die inzwischen eingetroffene Innenministerin (Nathalie Besançon) sehen, was im Theatersaal los ist. Sie sind schockiert, als sie erkennen, dass nicht ein Schüler, sondern die Lehrerin die Pistole in der Hand hat.

Weil die Übertragung von der Kamera zum Monitor nach kurzer Zeit vorübergehend zusammenbricht, entgeht den Einsatzkräften, dass Sonia von Mouss niedergerungen wird und daraufhin die muslimische Schülerin Nawel (Sonia Amori), die 1994 die Vergewaltigung ihrer Mutter mit ansehen musste, die Pistole nimmt. Nach einer Weile will sie die Waffe der Lehrerin zurückgeben, aber Sonia kauert verstört am Boden und weiß nicht, wie es weitergehen soll.

Ihre Kollegin Cécile (Anne Girouard), mit der sie befreundet ist, ruft an, warnt sie vor den Polizisten unter der Bühne und rät ihr, sich zu ergeben. Da springt Sonia auf, packt die Waffe und übernimmt wieder die Führung. Sie ruft Labouret an und droht damit, in zwei Minuten in den Bühnenboden zu schießen. Eilig werden die Männer abgezogen, und Sonia gibt tatsächlich zwei Schüsse ab. Nawel entdeckt die Minikamera und reißt sie heraus.

Sonia verlangt, dass der Kultusminister im Fernsehen eine Erklärung abgibt und einen „Tag des Rocks“ einführt. Wenigstens einmal im Jahr sollen alle Lehrerinnen und Schülerinnen im Rock zum Unterricht kommen, damit klar wird, dass man keine Prostituierte ist, nur weil man einen Rock trägt.

Während Labouret die Geiselnahme durch Verhandlungen beenden will, drängt sein Vorgesetzter Bechet (Yann Collette) die Ministerin, ihn zum Zugriff zu authorisieren. Er verrät ihr sogar, dass Labouret durch persönliche Probleme abgelenkt sei: Seine Frau hat ihn vor wenigen Stunden verlassen und ihren Sohn mitgenommen. Die Ministerin gibt Labouret jedoch noch etwas Zeit.

Er überredet Sonia, ihn in den Theatersaal zu lassen und zieht sich bis auf die Unterhose aus, damit sie sicher sein kann, dass er keine Waffe dabei hat. Die Schüler lachen über ihn, aber Sonia bringt sie zum Schweigen. Weil Labouret der Ministerin einen Erfolg vorweisen muss, um weitermachen zu können, lügt er, die Mutter des Schülers Adiy (Fily Doumbia) habe durch die Aufregung einen Herzinfarkt erlitten, liege im Sterben und wolle ihren Sohn ein letztes Mal sehen. Bestürzt lässt Sonia zu, dass Adiy mit dem Polizisten den Saal verlässt.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Nawel entdeckt auf Mouss‘ Handy ein Video, auf dem zu sehen ist, wie ihre Mitschülerin Farida (Sarah Douali) vergewaltigt wird. Offenbar hat Mouss dabei zugesehen und gefilmt. Sonia bringt Farida dazu, die Namen der Männer aufzuschreiben, die sie vergewaltigten. Dann schickt sie das Video als MMS an Labouret und gleichzeitig an die wichtigsten Fernsehsender, nennt dabei auch die Namen der Täter und behauptet, Mouss habe sie verraten. Die Innenministerin, die eine schlechte Presse befürchtet, ordnet an, die drei Beschuldigten sofort zu verhaften.

Inzwischen sind Sonias arabische Eltern eingetroffen. Über Telefon versichert der Vater (Benaïssa Ahaouari) seiner Tochter, er liebe sie, werde in Zukunft ihren nicht muslimischen Mann akzeptieren und sie nicht mehr kritisieren, wenn sie einen Rock tragen wolle. Erst durch das Telefongespräch erfahren die Schüler, dass ihre Lehrerin ebenfalls aus einer Immigrantenfamilie stammt.

Bevor Sonia die Geiseln freilässt, will sie einem Fernsehjournalisten erklären, was an den Schulen los ist. Labouret geht darauf ein, doch als es an der Tür klopft, reißt plötzlich Mehmet (Khalid Berkouz) die Pistole an sich und zwingt Sonia, Labouret seine Forderung übers Handy mitzuteilen: Er verlangt Geld und für sich und seine Familie ein Flugzeug nach Australien. Aufgrund der Wendung übernimmt Bechet das Kommando und ordnet einen sofortigen Zugriff an. Inzwischen erschießt Mehmet einen Mitschüler, der ihm klarzumachen versuchte, dass er keine Chance habe, nach Australien zu kommen. Entsetzt ruft Sonia Labouret erneut an und behauptet, gerade einen der Schüler getötet zu haben. Dann lässt sie die beiden vor der Tür wartenden Männer in den Theatersaal. Sie sind in Unterhosen; einer hat eine Fernsehkamera auf der Schulter und filmt. Sonia ist zu erschöpft, niedergeschlagen und verstört, um zu reden. Der vermeintliche Reporter packt plötzlich Mehmet, entreißt ihm die Pistole, und sein Kollege – ebenfalls ein Polizist – erschießt Sonia mit der entsprechend umgebauten Kamera.

Bei Sonias Beerdigung tragen die Frauen Röcke.

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„Heute trage ich Rock!“ ist ein Sozialdrama mit satirischen Zügen von Jean-Paul Lilienfeld. Der Drehbuchautor und Regisseur wuchs selbst in der Banlieu auf und kennt die Verhältnisse dort. Auch die Laiendarsteller für seinen Film „Heute trage ich Rock!“ fand er unter Jugendlichen in Pariser Vorstädten. Der von ihnen gesprochene Migranten-Slang wurde auch in der deutschen Synchronisation entsprechend umgesetzt. Ohne Schuldzuweisungen zeigt Jean-Paul Lilienfeld, was an Schulen mit hohem Migrantenanteil los ist. Die tragische Handlung, die im Wesentlichen in einem einzigen Raum abläuft, ist zwar nicht durchgängig realistisch, aber die Inszenierung von Jean-Paul Lilienfeld lässt sie so wirken, als sei sie authentisch. Die Zuschauer werden auch durch die klaustrophobe Atmosphäre, die ständige Gewaltbereitschaft und einige unerwartete Wendungen gefesselt und aufgerüttelt.

Heute trage ich Rock! ist sozusagen das militante Gegenmodell von Laurent Cantets Die Klasse. Die Zeit der diplomatischen Verhandlungen ist vorbei, aus den schwelenden Feindseligkeiten ist ein offener Guerillakrieg geworden, in dem sich die Kräfteverhältnisse unter Schülern und Lehrern unablässig verändern. Nach fünf Jahren ist Isabelle Adjani für diese provozierende Versuchsanordnung vor die Kamera zurückgekehrt, und sie macht die gefährliche Mischung aus Frustration und Wut, aus Nervosität und Resignation, aus Erschöpfung und Angst spürbar, die den zermürbenden Alltag dieser Lehrerin zur täglichen Hölle macht und längst auch ihr Privatleben zerstört hat. (Anke Sternborg, Süddeutsche Zeitung, 20. März 2009)

Die französische Theater- und Filmschauspielerin Isabelle Adjani (* 1955), die Tochter eines aus Algerien stammenden Vaters und einer deutschen Mutter, engagiert sich für die Rechte in Frankreich lebender Immigranten ebenso wie gegen jede Art von Fundamentalismus und Rassismus. „Heute trage ich Rock!“ war nach einer Pause von fünf Jahren der erste Film, in dem Isabelle Adjani mitwirkte.

Rollen – Darsteller – deutsche Synchronsprecher in „Heute trage ich Rock!“
(Buch und Regie: Beate Klöckner):

  • Sonia Bergerac – Isabelle Adjani – Christin Marquitan
  • Labouret – Denis Podalydès – Gunnar Helm
  • Bechet – Yann Collette – Peter Reinhardt
  • Innenministerin – Nathalie Besançon – Silke Matthias
  • Mehmet – Khalid Berkouz – Julian Haggege
  • Mouss – Yann Ebonge – Jan David Rönfeldt
  • Nawel – Sonia Amori – Kristina Tietz
  • Sébastien – Kévin Azaïs – Julius Jellinek
  • Jérôme – Salim Boughidene – Ismet Kalmac
  • Farida – Sarah Douali – Britta Steffenhagen
  • Akim – Hassan Mezhoud – Mahmout Mohammed
  • Farid – Karim Zakraoui – Jesko Wirthgen
  • Khadija – Mélèze Bouzid – Marie Schramm
  • Frédéric – Marc Citti – Olaf Reichmann
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Inhaltsangabe und Filmkritik: © Dieter Wunderlich 2009

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