Giorgio Bassani : Die Gärten der Finzi-Contini

Die Gärten der Finzi-Contini
Manuskript: 1958 – 1961 Originalausgabe: Il giardino dei Finzi-Contini Giulio Einaudi Editore, Turin 1962 Die Gärten der Finzi-Contini Übersetzung: Herbert Schlüter Piper Verlag, München 1963 durchgesehene Neuausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008 ISBN: 978-3-8031-3586-6, 317 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Schon als Kind verliebt sich der 1917 in Ferrara geborene Erzähler in die ein Jahr ältere Micòl Finzi-Contini, die er allerdings nur in der Synagoge sieht. Erst 1938 wird er von Micòls Bruder zum Tennisspielen in die von einer hohen Mauer geschützten Gärten der Finzi-Contini eingeladen. Schüchtern umwirbt der Student die junge Frau. Als er sie küsst, versucht sie ihm klarzumachen, dass eine ernsthafte Liebesbeziehung für sie nicht in Frage kommt ...
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Kritik

Giorgio Bassani schreibt unspektakulär, subtil und sensibel. Obwohl seine Sprache sachlich und unsentimental bleibt, ist der Roman "Die Gärten der Finzi-Contini" ergreifend, nicht zuletzt, weil Bassani ein Meister der zarten Andeutungen und der nuancierten Figurenführung ist.
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Die Besichtigung etruskischer Gräber während eines Wochenendausflugs mit Freunden im April 1957 erinnert den jüdischen Erzähler an das geschmacklose Grabmal der ebenfalls jüdischen Familie Finzi-Contini in seiner Heimatstadt Ferrara.

Wie noch nie krampfte sich mir das Herz zusammen bei dem Gedanken, dass in dieser Gruft […] nur einer von all den Finzi-Contini, die ich gekannt und geliebt hatte, Ruhe gefunden hatte. Nur Alberto, der älteste Sohn, gestorben 1942 an einem Lymphogranulom, ist dort beigesetzt worden. Während keiner weiß, ob Micòl, die Zweitgeborene, ihr Vater, Professor Ermano, ihre Mutter Olga und deren gelähmte uralte Mutter, Signora Olga, die alle im Herbst 1943 nach Deutschland deportiert wurden, überhaupt ein Grab gefunden haben. (Seite 15)

Das Familiengrab hatte Moisè Finzi-Contini nach der Auflösung des Juden-Gettos in Ferrara errichten lassen. Er wurde dort 1863 beigesetzt. Seine Ehefrau Allegrina Camaioli folgte ihm zwölf Jahre später ins Grab. Ihr Sohn, der Ingenieur Menotti Finzi-Contini, war mit Josette Artom verheiratet. Die beiden bekamen 1865 einen Sohn, den sie Ermanno nannten. Sie starben 1877 bzw. 1898. Ermanno Finzi-Contini vermählte sich mit der sehr viel jüngeren Olga Herrera, die drei Kinder gebar: Guido (1908), Alberto (1915) und Micòl (1916). Vielleicht, weil Guido im Alter von sechs Jahren an spinaler Kinderlähmung gestorben war, befürchtete Olga Finzi-Contini, ihre beiden anderen Kinder könnten sich auf einer öffentlichen Schule mit einer Krankheit infizieren, und sie drängte deshalb ihren Mann, Alberto und Micòl von Privatlehrern unterrichten zu lassen.

Der Erzähler verliebte sich schon als Kind in die ein Jahr ältere Micòl Finzi-Contini, die er jedoch nur in der Synagoge sah, denn die wohlhabende Familie bewohnte ein von einer hohen Mauer umgebenes Anwesen. Schließlich kamen die Finzi-Contini auch nicht mehr in die Synagoge, denn der Professor hatte von der jüdischen Gemeinde in Ferrara die Erlaubnis bekommen, die kleine, nur noch als Möbellager benutzte Spanische Synage auf seine Kosten renovieren und nutzen zu dürfen.

Die ersten Worte wechselten Micòl und der Erzähler im Juni 1929. An diesem Tag hatte der Gymnasiast gerade erfahren, dass er das Fach Mathematik wiederholen müsse. Deshalb wagte er sich nicht nach Hause und trug sich vage mit Selbstmordabsichten. Als er in die Nähe des Grundstücks der Finzi-Contini kam, stand Micòl auf einer Leiter, die sie im Garten gegen die Mauer gelehnt hatte und rief den Zwölfjährigen an. Sie zeigte ihm, wie er über die Mauer hätte klettern können, aber das wagte er nicht.

In die Gärten der Finzi-Contini gelangte er erst neun Jahre später, als er bereits an der Philosophisch-Philologischen Fakultät der Universität Bologna studierte. 1938, zwei Monate vor dem Erlass der Rassengesetze, rief Alberto ihn während der Semesterferien an und lud ihn zusammen mit ein paar anderen jungen Leuten zum Tennisspielen auf dem Grundstück der Finzi-Contini ein. Juden waren nämlich gerade durch einen Brief des Vizepräsidenten Marchese Ippolito Barbicinti aus dem Tennisclub „Eleonora d’Este“ ausgeschlossen worden. Alberto und Micòl, dem Erzähler, Giampiero Malnate, Bruno Lattes, Adriana Trentini, Carletto Sani, Tonio Collevatti, Désirée Baggioli und Claudio Montemezzo trafen sich von da beinahe täglich zum Tennisspielen – bis der faschistische Rechtsanwalt Geremia Tabet, ein Ritter vom Heiligen Grab, dagegen protestierte.

Eines Tages setzte sich Micòl mit dem Erzähler in eine alte Kutsche, die mehr oder weniger nutzlos auf dem Anwesen herumstand, seit Ermanno Finzi-Contini ein Auto besaß, und die beiden redeten längere Zeit miteinander. Kurz darauf kehrte Micòl überstürzt an den Campus in Venedig zurück.

Als man den Erzähler, der wegen seiner jüdischen Herkunft bereits von den Vorlesungen ausgeschlossen, aber zu den Prüfungen noch zugelassen war, nicht mehr in die öffentliche Bibliothek ließ, stellte ihm Ermanno Finzi-Contini seine zwanzigtausend Bände umfassende Privatbibliothek zur Verfügung. Der Professor schlug dem Studenten vor, sich in seiner Abschlussarbeit mit dem Dichter Giosuè Carducci (1835 – 1907) zu beschäftigen, von dem er Briefe aufbewahrte, aber der junge Mann hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein anderes Thema angemeldet. – Von da an arbeitete er jeden Vormittag in der Bibliothek der Finzi-Contini, und am Nachmittag traf er sich mit Alberto.

Der Vater des Erzählers hatte sich zwar im Ersten Weltkrieg freiwillig zur italienischen Armee gemeldet und war 1919 den Fasci Italiani di Combattimento beigetreten, aber 1938 schloss ihn die faschistische Partei aus und kurz darauf beendete auch der Klub der Kaufleute seine Mitgliedschaft. Weil Juden aufgrund der Rassengesetze keine „arischen“ Dienstboten mehr haben durften, musste die Familie die Dienstmädchen Elisa und Mariuccia entlassen und dafür die sechzig Jahre alte Jüdin Ricca Cohen aus dem Seniorenheim einstellen.

Als Micòl nach ihrem Examen aus Venedig zurückkam, küsste der Erzähler sie bei der Begrüßung vor Aufregung auf den Mund. Das kam auch für ihn ganz unerwartet, und er entschudligte sich. In den Tagen und Wochen danach wunderte er sich, weil Micòl häufig nicht zu sprechen war, wenn er anrief. Einmal, als er Alberto besuchte und sie wegen einer fiebrigen Erkältung im Bett lag, rief sie ihn zu sich. Plötzlich küsste er sie wieder und legte sich auf sie, aber sie bat ihn, sich wieder zu erheben und erklärte ihm, eine Liebesbeziehung könne es zwischen ihnen nicht geben, denn das käme ihr nach der langen Freundschaft wie ein Inzest mit ihrem Bruder vor. Der Einundzwanzigjährige sehnte sich jedoch nicht nach ihrer Freundschaft und Wertschätzung, sondern nach ihrer Liebe. Einige Zeit später ergriff er verzweifelt ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen und Tränen. Da forderte ihn Micòl auf, sich nicht so kindisch zu benehmen und bat ihn, nicht länger jeden Tag vorbeizukommen, sondern nur noch höchstens zweimal in der Woche.

Er schloss sich daraufhin dem sechsundzwanzigjährigen Chemiker Giampiero Malnate enger an, der ebenfalls zu Albertos Freunden und Tennispartnern zählte.

Einige Wochen nach dem am 29. Juni 1939 bestandenen Examen kam der Erzähler nachts aus einem Bordell nach Hause. Sein unter Schlaflosigkeit leidender Vater war noch wach und ahnte, woher er kam. Er wusste auch, dass sein Sohn in Micòl verliebt war und riet ihm, sich von den Finzi-Contini und von Giampiero Malnate fernzuhalten, um möglichst rasch über den Liebeskummer hinwegzukommen.

Der junge Mann befolgte den Rat seines Vaters. Nur einmal konnte er nicht widerstehen, unbemerkt über die Mauer in die Gärten der Finzi-Contini zu klettern und durch das Anwesen zu streifen. Von der an der Mauer lehnenden Leiter nahm er an, dass Micòl sie für Giampiero Malnate aufgestellt hatte. Die beiden hatten vermutlich eine Affäre miteinander.

Er sah weder Giampiero Malnate noch ein Mitglied der Familie Finzi-Contini jemals wieder. Alberto starb 1942 an einem Lymphogranulom. Micòl, ihre Eltern und die Großmutter, Signora Olga, wurden im September 1943 von den Faschisten der Republik von Salò festgenommen, im November ins Konzentrationslager von Fòssoli bei Capri gebracht und von dort ins Deutsche Reich verschleppt, wo sich ihre Spur verlor. Vermutlich kamen sie in Auschwitz oder einem der anderen Vernichtungslager ums Leben. Giampiero Malnate wurde 1941 zum Kriegsdienst eingezogen und an die russische Front abkommandiert, von der er nicht zurückkehrte.

In der 1944 durch einen Luftangriff stark beschädigten Villa der Finzi-Contini leben inzwischen etwa fünfzig Familien, deren Wohnungen während des Krieges zerstört worden waren.

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In seinem Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ erzählt Giorgio Bassani vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse unter dem Regime von Benito Mussolini von der unerfüllten ersten Liebe eines jungen Juden in Ferrara. Seine ein Jahr ältere, ebenfalls jüdische Freundin verweigert sich 1938/39 einer ernsthaften Liebesbeziehung mit ihm, weil sie ahnt, dass sie aufgrund der Judenverfolgung keine Zukunft haben würde.

Die Verknüpfung einzelner Schicksale mit dem Holocaust wirkt in keiner Weise konstruiert oder aufgesetzt. Giorgio Bassani schreibt unspektakulär, subtil und sensibel. Obwohl seine Sprache sachlich und unsentimental bleibt, ist die Geschichte ergreifend, nicht zuletzt, weil er ein Meister der zarten Andeutungen und der nuancierten Figurenführung ist.

Die hinter einer hohen Mauer geschützten Gärten der Finzi-Contini sind als Metapher zu verstehen.

Die eigentliche, von einem Ich-Erzähler vorgetragene Geschichte hat Giorgio Bassani in eine kleine Rahmenhandlung eingebettet (Prolog, Epilog).

Für seinen Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ erhielt Giorgio Bassani den Premio Viareggio.

Vittorio De Sica (1902 – 1974) adaptierte den Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ fürs Kino. Der Film „Der Garten der Finzi-Contini“ wurde mit einem „Oscar“ ausgezeichnet.

Der Garten der Finzi-Contini – Originaltitel: Il giardino dei Finzi-Contini – Regie: Vittorio De Sica – Drehbuch: Vittorio Bonicelli, Ugo Pirro u. a. nach dem Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ von Giorgio Bassani – Kamera: Ennio Guarnieri – Schnitt: Adriana Novelli – Musik: Manuel De Sica – Darsteller: Lino Capolicchio, Dominique Sanda, Fabio Testi, Romolo Valli, Helmut Berger, Camillo Cesarei, Inna Alexeievna, Katina Morisani, Barbara Pilavin, Raffaele Curi, Cinzia Bruno, Alessandro D’Alatri u. a. – 1970; 105 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach

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