Harry meint es gut mit dir
Harry meint es gut mit dir
Inhaltsangabe
Kritik
Michel (Laurent Lucas) ist vierunddreißig, lebt mit seiner Familie in Paris und verdient sein Geld mit Französisch-Kursen für Japaner. An einem brütend heißen Sommertag fährt er mit seiner Frau Claire (Mathilde Seigner) und ihren drei quengelnden kleinen Töchtern Sarah, Iris und Jeanne (Laurie Caminata, Lorena Caminata, Victoire de Koster) in einem klappernden Auto ohne Klimaanlage zu dem Ferienhaus, das sie vor fünf Jahren kauften, in dem sie sich jedoch noch nicht erholen können, weil sie sich keine Handwerker leisten können und alle erforderlichen Instandsetzungen selbst vornehmen müssen. Claire und Michel sind überfordert und deshalb gereizt. Das überträgt sich auf die Kinder, und deren nervige Unruhe verschlimmert wiederum die Stresssituation.
Im Waschraum einer Raststätte wird Michel von Harry (Sergi López), einem alten Schulkameraden, den er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, erkannt und angesprochen. Harry ist mit seiner drallen, dummen, gutmütigen Freundin Prune (Sophie Guillemin) auf dem Weg in die Schweiz. Er reist viel, denn er hat Zeit. Arbeiten musste er nie: Zuerst war er von Beruf Sohn, und seit dem Tod seines Vaters lebt er von den geerbten Millionen. Weil Michel und Claire wegen der Kinder so rasch wie möglich in ihr Ferienhaus kommen wollen, schlagen sie Harrys Einladung in ein Restaurant aus. Der zeigt Verständnis und schlägt stattdessen vor, dass er und Prune ins Ferienhaus nachkommen und dort mit seinem Schulfreund und dessen Frau den Abend verbringen. Dazu müssen sie zwar einige Stunden fahren, aber das macht ihnen nichts aus. Michel und Claire bleibt nichts anderes übrig, als darauf einzugehen.
Sobald sie in dem Ferienhaus angekommen sind, ruft Michel seine Eltern (Dominique Rozan, Liliane Rovére) an, zu denen er eigentlich während der Anfahrt einen Abstecher machen wollte. Als sie ihn daran erinnern, dass sie in drei Tagen verreisen, verspricht Michel, sie am übernächsten Tagen mit seiner Familie zu besuchen. Wie immer, versucht er, Konflikte zu vermeiden und es allen recht zu machen.
Entsetzt stellen er und Claire fest, dass das Badezimmer während ihrer Abwesenheit gekachelt wurde, und zwar in einem geschmacklosen Rosa. Offenbar eine gut gemeinte Überraschung seiner Eltern!
Beim Abendessen erzählt Harry unbekümmert von Michels erotischen Abenteuern während der Schulzeit und schwärmt von einem Gedicht und einem Kapitel aus dem SF-Roman „Die fliegenden Affen“, die Michel damals in der Schülerzeitung veröffentlicht hatte. Das Gedicht rezitiert er aus dem Kopf. Claire ist verblüfft, aber Michel wiegelt ab: Es habe sich doch nur um pubertäre Versuche gehandelt.
Mitten in der Nacht begegnen sich Michel und Harry in der Küche. Der Gast ist auf der Suche nach einem rohen Ei, denn – so erklärt er seinem staunenden Freund – er schlürfe seit Jahren nach jedem Orgasmus ein Ei und bewahrte damit seine Potenz. Da werden in Michel längst vergessene Sehnsüchte wach, aber er hat keine Zeit, darüber nachzudenken, denn er muss sich um die kleine Iris kümmern, die Fieber hat und nicht schlafen kann.
Als Harry am nächsten Morgen aufsteht (Prune pflegt bis mittags zu schlafen), ist Michel schon dabei, einen vier Meter tiefen Schacht zuzuschaufeln, damit die Kinder nicht hineinfallen können. Es fehlt noch eine Menge Schutt, bis keine Gefahr mehr besteht.
Claire fährt mit Iris zum Arzt: Das Kind hat eine Ohrenentzündung. Dann ruft sie an, weil sie mit dem Auto liegengeblieben ist. Harry und Michel kommen im Mercedes und kümmern sich darum, dass der defekte Wagen abgeschleppt wird. Claire will noch einkaufen und mit dem Taxi zurückfahren, aber Harry bringt zunächst Michel und Iris ins Ferienhaus, dann holt er Claire vom Verbrauchermarkt ab. Unterwegs hält er bei einem Autohändler und kauft ungeachtet des Protests von Claire einen klimatisierten Geländewagen für die Gastgeber.
Als Michel seinen Eltern wegen des kranken Kindes telefonisch absagt, wollen sie kommen. Da Michel weiß, dass der Kardiologe seinem Vater weite Autofahrten verboten hat, verspricht er, die Eltern am nächsten Tag abzuholen und zurückzubringen.
Während Michel offenbar überall auf Schwierigkeiten stößt, kennt Harry keine unlösbaren Probleme. Dank seines Vermögens kann er es sich erlauben, jederzeit nach Lust und Laune zu handeln. Immer wieder kommt Harry auf Michels Veröffentlichungen in der Schülerzeitung zurück und drängt ihn, den damals begonnenen Roman zu vollenden. Michel müsse sich entfalten, meint er. Er dürfe sich nicht von Claire, den Kindern und seinen Eltern davon abhalten lassen. „Man muss unverhältnismäßig sein, um sich entfalten zu können.“
Im Gegensatz zu Michel kann sich dessen Vater gut an den ehemaligen Schulfreund seines Sohnes erinnern, zum Beispiel daran, wie die beiden einmal bei einem Ballspiel zusammengestoßen waren und er Harry in seiner Zahnarztpraxis einen dabei verlorenen Zahn durch eine Brücke ersetzte. Kurz nach der Ankunft von Michels Eltern verabschieden Harry und Prune sich, denn sie wollen für ein paar Tage in ein nahes Schlosshotel ziehen. „Prune vermisst den Swimmingpool“, erklärt Harry.
Während Prune nachts schläft, schleicht Harry sich aus dem Hotel, setzt sich in einen Lieferwagen, bei dem der Schlüssel steckt, und fährt zu Michels Eltern. „Michel hat ein Problem“, behauptet er. Die beiden alten Leute sollen mitkommen, Michel habe ihn geschickt und werde ihnen alles erklären. Ungeachtet seiner Herzbeschwerden setzt Michels Vater sich ans Steuer und folgt Harry. Der beschleunigt, bis er den Zahnarzt und dessen Frau abgehängt hat. Sie fahren weiter. Plötzlich nähert Harry sich mit aufgeblendeten Scheinwerfern von hinten und rammt mehrmals den Wagen der beiden. In einer Kurve verliert Michels Vater die Kontrolle über den Wagen und rast über den Abgrund hinaus.
Am Morgen erfährt Michel durch einen Anruf vom tödlichen Unfall seiner Eltern. Es ist ihm ein Rätsel, warum sie nachts mit dem Auto unterwegs waren.
Michels schrulliger Bruder Eric (Michel Fau), der zur Bestattung der Eltern anreist, will den Rest der Ferien in Michels Ferienhaus verbringen und bei den Renovierungsarbeiten helfen. Harry nimmt ihn in seinem Wagen mit. Unterwegs holt Eric die Ausgabe der Schülerzeitung hervor, in der Michels Gedicht abgedruckt worden war – er hat das Heft bei den Sachen der Eltern gefunden – und macht sich über das Gedicht lustig. Da hält Harry unvermittelt an. – Claire und Michel wundern sich, dass er allein kommt. Eric habe es sich unterwegs anders überlegt, sei ausgestiegen und wolle per Anhalter nachkommen, erklärt Harry. Claire greift zum Telefon und wählt Erics Handynummer. Daran hat Harry nicht gedacht. Er läuft zum Wagen, öffnet den Kofferraum, in der Erics Leiche liegt, nimmt das Handy aus dessen Jackentasche und zertrümmert es. Eines der Mädchen sieht ihm dabei verwundert zu.
Wieder verbringen Harry und Prune ein paar Tage in dem Schlosshotel. In der ersten Nacht fährt Harry in den Wald und versteckt dort die Leiche.
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Als Claire ihren Mann dabei ertappt, dass er nächtelang in dem rosa gekachelten Bad auf der zugeklappten Toilette sitzt und ein weiteres Romankapitel zu schreiben versucht, fährt sie mit den Kindern zum Hotel, wirft Harry vor, einen schlechten Einfluss auf Michel zu haben und fordert ihn auf, von weiteren Besuchen abzusehen.
Trotzdem kommen Harry und Prune erneut vorbei. Während Prune im Ferienhaus übernachten will, fährt Harry spätabends wieder fort.
Wieder sitzt Michel im Bad und schreibt. Plötzlich hört er ein Geräusch und sieht in der Küche nach: Harry ist zurückgekommen und sucht nach einer Plastiktüte. Michel will ihn davon abhalten, Prune zu wecken und folgt ihm hinauf in das Schlafzimmer. Harry stülpt ihr die Plastiktüte über den Kopf. „Damit nichts schmutzig wird“, erklärt er Michel. Als er Prune hochnimmt, bleibt ein blutiges Kopfkissen zurück. Prune ist tot. Völlig verstört folgt Michel Harrys Aufforderung und hilft ihm, die Leiche über die Treppe hinunterzutragen und in den noch immer offenen Schacht zu werfen. Dann nimmt Harry zwei scharfe Messer aus einer Küchenschublade, drückt eines davon Michel in die Hand und sagt: „Kümmere dich um Claire. Ich übernehme die Mädchen.“ Michel bleibt wie angewurzelt stehen. Da beschwert sich Harry: „Oder soll ich alles allein machen?“ In diesem Augenblick sticht Michel zu. Er wirft Harrys Leiche und das blutige Kopfkissen in den Schacht, den er noch in der Nacht zuschaufelt.
Am Morgen erklärt er Claire, er habe nicht schlafen können und deshalb im Freien gearbeitet. Harry sei noch einmal zurückgekommen und dann mit Prune weggefahren. Das Kopfkissen habe er den beiden mitgegeben, weil Prune im Auto schlafen wollte. Claire gesteht ihrem Mann, sein Manuskript im Bad gefunden und gelesen zu haben, und sie ermutigt ihn, weiterzuschreiben.
Bei der Rückfahrt im klimatisierten Geländewagen leidet keiner der Insassen unter der Hitze. Entspannt sitzt Michel hinter dem Steuer, während Claire und die Kinder ruhig schlafen.
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„Harry meint es gut mit dir“ beginnt wie ein harmloses Familien- oder Beziehungsdrama. Ganz allmählich stellt sich heraus, dass der hilfsbereite und freigebige Harry, der sich mit seiner Freundin bei der gestressten Familie eines früheren Schulfreundes einnistet, ein Psychoapth ist, der nicht zwischen Gut und Böse unterscheidet. Er schwärmt von Michels schriftstellerischer Begabung, will nicht zulassen, dass dessen Talent brach liegt und versucht, ihm deshalb alle vermeintlichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, auch wenn er dabei über Leichen gehen muss. Harry meint es gut, aber er verwechselt Zuneigung und Vereinnahmung – wie Michels Eltern, die ihren Sohn mit einem heimlich gekachelten Bad überraschen und bei aller Liebe darauf achten, nicht die Kontrolle über ihn zu verlieren.
„Immer Ärger mit Harry“ lautet der Titel einer schwarzen Komödie von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1956. An den Altmeister erinnert auch die subtil durch Andeutungen aufgebaute Spannung in „Harry meint es gut mit dir“. Dass sich hinter einer bürgerlichen Fassade ein menschlicher Abgrund auftut, das verbindet Dominik Molls zweiten Kinofilm mit den Werken seines Landsmanns Claude Chabrol.
Der Drehbuchautor Gilles Marchand debütierte 2003 als Regisseur mit dem Film „Wer tötete Bambi?“.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Dominik Moll: Lemming