Stoker

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Stoker. Die Unschuld endet – Originaltitel: Stoker – Regie: Park Chan-wook – Drehbuch: Wentworth Miller – Kamera: Chung Chung-hoon – Schnitt: Nicolas De Toth – Musik: Clint Mansell – Darsteller: Mia Wasikowska, Matthew Goode, Nicole Kidman, Dermot Mulroney, Jacki Weaver, Lucas Till, Alden Ehrenreich, Phyllis Somerville, Ralph Brown u.a. – 2013; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Am 18. Geburtstag der Schülerin India Stoker stirbt ihr geliebter Vater Richard. Ein Verkehrsunfall. Bei der Trauerfeier taucht Richards jüngerer Bruder Charles auf, von dessen Existenz India bisher nichts wusste. Angeblich war er viel auf Reisen. Jetzt will er erst einmal eine Weile bei India und ihrer Mutter Evie bleiben. Ebenso misstrauisch wie neugierig begegnet India ihrem charmanten Onkel, und seine väterlichen Bemühungen unterläuft sie. Bald ahnt sie, dass es sich um einen Mörder handelt ...
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Kritik

Wichtiger als die Handlung oder der Inhalt ist in dem Thriller "Stoker. Die Unschuld endet" von Park Chan-wook die Optik. Nicht Dialoge, sondern magische Bildfolgen tragen den hervorragend inszenierten Film.
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Der Architekt Richard Stoker (Dermot Mulroney) wohnt mit seiner Ehefrau Evelyn (Nicole Kidman) und der Tochter India (Mia Wasikowska) auf einem Landsitz in den USA. Häufig geht er mit India auf die Jagd, und die von ihr erlegten Tiere lässt er ausstopfen. Einmal sagte er zu ihr, man müsse Schlimmes tun, um noch Schlimmeres zu verhindern. 2012, an Indias 18. Geburtstag, stirbt Richard Stoker bei einem Autounfall.

Bei der Trauerfeier taucht unerwartet Richards jüngerer Bruder Charles Stoker (Matthew Goode) auf. India wusste bisher gar nichts von der Existenz dieses Onkels, und sie begegnet ihm ebenso misstrauisch wie neugierig. Angeblich war er viel auf Reisen. Jetzt will er erst einmal eine Weile bei Evie und India bleiben. Die depressive Witwe, die es nicht geschafft hat, eine enge Beziehung mit ihrer introvertierten Tochter aufzubauen, erhofft sich von ihrem charmanten Schwager ein Ende ihrer Einsamkeit und freut sich, als er einen Ausflug in seinem Cabriolet vorschlägt. India zieht es vor, zu Hause zu bleiben, und die zwei Packungen Vanille- bzw. Schokoladeneis, die er ihr von dem Ausflug mitbringt, legt sie in die Gefriertruhe im Keller.

Weil Charlie kaum Kleidung zum Wechseln bei sich hat, trägt er Sachen seines toten Bruders.

Als India an einem der nächsten Tage das Haus verlässt, eilt Charlie ihr mit einem Schirm nach, hält ihn ihr hin und meint, es würde gleich zu regnen anfangen. Trotzig geht sie weiter, ohne den Schirm zu nehmen. Bis auf die Haut durchnässt kommt sie zurück. Evie sitzt mit Charlie am Flügel. Es ist unübersehbar, dass sie sich an ihren Schwager heranmacht, aber sie erklärt ihrer Tochter, sie habe ihm gerade eine allererste Klavierstunde gegeben.

Kurz nach einer Auseinandersetzung Charlies mit der Haushälterin Mrs McGarrick (Phyllis Somerville) verschwindet diese spurlos.

Evies Tante Gwendolyn („Gin“) Stoker (Jacki Weaver) kommt einige Zeit nach der Beerdigung ihres Neffen angereist, um ihrer Nichte und deren Tochter beizustehen. Ihr missfällt, dass Evie mit ihrem Schwager unter einem Dach wohnt. Nach dem Abendessen fährt sie mit einem Taxi los, weist den Fahrer jedoch unterwegs an, sie statt in ihr Hotel in ein anderes zu bringen, denn sie fürchtet sich vor Charlie Stoker. Weil sie ihr Handy verloren hat, versucht sie Evie von einer Telefonzelle aus anzurufen und vor ihm zu warnen. Aber Charlie, der ihr das zurückgelassene Handy bringen wollte, sie in ihrem Hotel nicht antraf und sich deshalb beim Taxiunternehmen erkundigte, wohin sie gebracht wurde, kommt zu der Telefonzelle, zieht den Gürtel aus seiner Hose und erdrosselt sie.

India hat nun doch Lust auf das Eis, das der Onkel ihr mitbrachte. In der Gefriertruhe liegt Mrs McGarricks Leiche. Statt die Polizei zu alarmieren, setzt India sich in eine Ecke und verschlingt eine große Portion Vanille- und Schokoladeneis.

Schon einmal versuchte Charlie, seine Nichte von der Schule abzuholen. Sie sah ihn zwar, fuhr jedoch mit dem Schulbus nach Hause und ging das letzte Stück zu Fuß vor seinem Cabriolet her. Wieder steht er mit seinem Wagen vor dem Ausgang des Schulhofes. India geht zu Fuß los, aber nach wenigen Metern versperrt ihr eine Gruppe von Mitschülern den Weg und mobbt sie mit sexistischen Sprüchen. Furchtlos nähert sie sich dem Anführer Chris Pitts (Lucas Till), und als er sie anzufassen versucht, rammt sie ihm einen gespitzten Bleistift in die Hand. Daraufhin ziehen sich die Jungen bis auf einen zurück, der sich nicht an den Mobbing beteiligte: Whip Taylor (Alden Ehrenreich). Aber India beachtet ihn nicht und setzt ihren Weg fort. Zu Hause spitzt sie den blutigen Bleistift neu.

Während sie am Flügel spielt, setzt der Onkel sich zu ihr, und es stellt sich heraus, dass er gar kein Anfänger ist, wie Evie glaubte. India und Charlie spielen vierhändig.


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Am Abend tanzt Evie mit ihrem Schwager, und die beiden küssen sich. Charlie entgeht nicht, dass India sie beobachtet und dann aufgewühlt wegläuft.

Auf einem Parkplatz trifft sie Whip Taylor. Der verabschiedet sich daraufhin von seinen beiden Begleitern und geht mit India in den Wald. Sie lässt sich von ihm küssen und presst seine linke Hand auf ihre Brust. Plötzlich beißt sie ihn heftig in die Zunge. Daraufhin wirft er sie zu Boden und will sie vergewaltigen, aber da taucht Charlie auf, schlingt seinen Gürtel um Whips Hals und bricht ihm mit einem Ruck das Genick. Hasserfüllt tritt India auf den am Boden liegenden Toten ein. Dann hilft sie ihrem Onkel, die Leiche in den Garten zu schleifen und sie dort zu vergraben.

Als India Gins Telefonnummer wählt, hört sie das Handy dumpf im Garten klingeln und begreift, dass dort auch ihre Tante verscharrt ist.

Daraufhin geht sie unter die Dusche und masturbiert, während sie sich daran erinnert, wie Charlie ihren Mitschüler tötete.

Der Schlüssel, den India an einem Halsband trägt, passt zum Schreibtisch im Arbeitszimmer ihres Vaters. In einer Schublade findet sie außer einer Pistole eine Handvoll Fotos und ein Bündel Briefe. Auf den Fotos sind drei kleine Jungen abgebildet, deren Namen auf der Rückseite stehen: Richard, Charlie und Jonathan (Tyler von Tagen, Thomas A. Covert, Jaxon Johnson / Paxton Johnson). Sie waren also zu dritt. Die Briefe stammen von Charlie und sind alle an India adressiert. Offenbar hat ihr Vater sie abgefangen. Auf den Kuverts ist jeweils die Adresse einer psychiatrischen Klinik angegeben.

Bei der nächsten Begegnung mit Charlie fällt India auf, dass die Sonnenbrille, die er trägt, exakt so aussieht wie die, die ihr Vater im Handschuhfach seines Wagens hatte. Sie stellt ihn zur Rede, und er gesteht ihr die Wahrheit: Als Kind war er eifersüchtig auf Jonathan, weil Richard sich mehr mit dem jüngsten Bruder als mit ihm abgab. Er tötete Jonathan auf einem Spielplatz. Deshalb wurde er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. An Indias 18. Geburtstag kam er frei, und Richard holte ihn ab, aber nicht, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Im Gegenteil: Charlie sollte sich von seiner Familie fernhalten. Als Gegenleistung hatte ihm Richard ein Apartment in New York besorgt. Außerdem schenkte er ihm ein Cabriolet und etwas Geld. Charlie wollte jedoch endlich seine Nichte India sehen. Mit einem großen Stein erschlug er Richard in dessen Auto und täuschte dann einen Verkehrsunfall vor.

Von ihrem Vater bekam India zu jedem Geburtstag ein paar Turnschuhe. Charlie schenkt ihr nun nachträglich zum 18. Geburtstag High Heels.

Da klingelt es. Sheriff Howard (Ralph Brown) ermittelt im Fall des vermissten Schülers Whip Taylor. India und Charlie geben sich für die Tatzeit gegenseitig ein Alibi. Der Sheriff fragt auch nach der verschwundenen Haushälterin Mrs McGarrick, aber India und Charlie tun so, als wüssten sie nichts.

Charlie schlägt seiner Nichte vor, mit ihm nach New York zu ziehen. Da kommt Evie dazu und sieht die hochhackigen Schuhe an den Füßen ihrer Tochter. Sie will nicht zulassen, dass India mit Charlie zusammen weggeht. Inzwischen hat sie aus einigen Indizien die Schlussfolgerung gezogen, dass er Robert und Tante Gin ermordete. Sie schlägt ihm vor, sie statt ihre Tochter zu nehmen, küsst ihn und zieht ihm dabei den Gürtel aus der Hose. Er wirft sie auf den Boden, schlingt den Gürtel um ihren Hals und ruft India: Seine Nichte soll zusehen, wie er ihre Mutter erdrosselt.

India hat jedoch die Pistole in der Hand, die sie im Schreibtisch ihres Vaters fand. Damit erschießt sie Charlie.

Die Leiche vergräbt sie im Garten.

Dann rast sie mit dem Cabriolet des Toten los. Weil sie weit schneller als erlaubt fährt, hält Sheriff Howard sie an. India redet freundlich mit ihm, als er sich zu ihr beugt, aber plötzlich rammt sie ihm eine Gartenschere, die auf dem Beifahrersitz lag, in den Hals. Er presst die Hand auf die aufgerissene Halsschlagader und taumelt über die Straße ins Maisfeld. India legt mit einem Gewehr auf ihn an und tötet ihn.

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„Stoker. Die Unschuld endet“ ist ein Psychothriller mit Elementen aus den Genres Horror, Mystery und Coming of Age. Eine 18-Jährige, die sich an der Schwelle zum Erwachsensein befindet, spürt die erotische Faszination, die von ihrem ebenso charmanten wie gewalttätigen Onkel ausgeht.

Seit Brian De Palma mit seiner „Carrie“ hat sich keiner mehr getraut, den tumultartigen Übergang vom Mädchen zur Frau so hochsymbolisch nach außen zu stülpen. (Tobias Kniebe, Süddeutsche Zeitung, 8. Mai 2013)

Der Plot, der mit einer Handvoll Figuren auskommt und sich auf engem Raum abspielt, weist deutliche Parallelen zu „Im Schatten des Zweifels“ auf. Der Onkel heißt sogar Charlie, wie in diesem Thriller von Alfred Hitchcock. Park Chan-wook versteht „Stoker. Die Unschuld endet“ denn auch als Hommage an den Großmeister, auf den er obendrein mit einer Duschszene anspielt („Psycho“).

Wichtiger als die Handlung sind in „Stoker. Die Unschuld endet“ die sorgfältig gestalteten Bilder, die Bewegungen der Kamera und die teilweise hektischen, aber immer rhythmisch exakt komponierten Schnittfolgen.

Einmal zum Beispiel driftet India mit einem Jungen, zu dem sie sich hingezogen fühlt, nachts über einen Kinderspielplatz. Und Park Chan Wook nutzt diese standardisierte Drehscheibe, die in jedem Park um die Ecke zu finden ist, zu einer wahrhaft magischen Verschiebung der Perspektive: Auf einmal schwebt seine Heldin durch die Nacht, schwerelos, unfassbar, nicht mehr zu besitzen, Fee und Hexe zugleich. Wer derart ansatzlos die Realität überwinden kann, mit den denkbar einfachsten Mitteln – der wird schon zu Recht als Meister verehrt. (Tobias Kniebe, a. a. O.)

Nicht Dialoge, sondern magische Bildfolgen tragen die Handlung. Und dabei korrespondiert die Form mit dem Inhalt.

Parks Werke waren immer auch Meditationen über den freien Willen, das Böse, den Tod. Diese spirituelle Dimension fehlt „Stoker“. Im besten Fall geht es hier um die amerikanische Faszination für Gewalt. (Oliver Kaever, Der Spiegel, 6. Mai 2013)

Oliver Kaever bemängelt wohl zu Recht, dass es „Stoker. Die Unschuld endet“ an tiefer Bedeutung mangelt, aber wenn er den Thriller als „blendenden Budenzauber“ abtut, übertreibt er doch sehr.

Als Zuschauer glaubt man, in einem düsteren, beklemmenden Traum zu sein, der allmählich zum Albtraum wird. Statt Zusammenhänge zu erklären, setzt Park Chan-wook auf Metaphern. Da huscht beispielsweise eine Spinne über den Parkettboden, und obwohl India an einer Berührungsphobie leidet, lässt sie es zu, dass die Spinne an ihrem Bein hinauf und unter ihren Rock krabbelt.

Die Spinne, die an der Innenseite von Indias Schenkeln entlangkrabbelt und unterm Rock verschwindet; die geheimnisvollen Steine im Garten; die Schuhe, der Zug, die Kühltruhe: Park bleibt in „Stoker“ seinem Markenzeichen, dem metaphernschweren Bildkunstwerk, treu. Die Geschichte entwickelt sich als Kammerspiel in einer viktorianischen Villa und wirkt damit der Wirklichkeit und Gegenwart genauso enthoben wie viele seiner koreanischen Spielfilme. (Oliver Kaever, a. a. O.)

Auf elegante Weise versieht Park Chan-wook seinen Film „Stoker. Die Unschuld endet“ mit einem Rahmen: Er nimmt die letzte Szene am Anfang vorweg, aber so, dass wir als Zuschauer erst einmal nicht verstehen, was da passiert.

Mit „Stoker. Die Unschuld endet“ debütierte der koreanische Regisseur Park Chan-wook in Hollywood – und zwar mit einer herausragenden Inszenierung.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.