Das weiße Rauschen

Das weiße Rauschen

Das weiße Rauschen

Originaltitel: Das weiße Rauschen - Regie: Hans Weingartner - Drehbuch: Hans Weingartner, Toby Amann, Matthias Schellenberg und Katrin Blum - Kamera: Hans Weingartner, Toby Amann, Matthias Schellenberg - Schnitt: Dirk Oetelshoven, Andreas Wodraschke und Hans Weingartner - Musik: Marek Goldowski - Darsteller: Daniel Brühl, Anabelle Lachatte, Patrick Joswig, Michael Schütz, Ilse Strambowski, Katharina Schüttler, Karl Dangullier u.a. - 2001; 110 Minuten

Inhaltsangabe

Nach dem Konsum psychedelischer Pilze beginnt ein 21-Jähriger quälende Stimmen zu hören und fühlt sich verfolgt. Paranoide Schizophrenie lautet die Diagnose. Die Medikamente, die seine Stimmen in den Hintergrund drängen, ihn aber auch müde machen, setzt er schließlich ab und beginnt nach einem Selbstmordversuch allein gegen die Psychose anzukämpfen.

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Kritik

Hans Weingartner versucht in "Das weiße Rauschen", eine Psychose wie die Schizophrenie nicht "von außen" zu zeigen, sondern die Empfindungen und Gedanken des Betroffenen nachvollziehbar zu machen. Dabei vermeidet er Sentimentalitäten und konzentriert sich wie ein Dokumentarfilmer auf sein Thema.
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Inhalt:

Die Mutter von Lukas (Daniel Brühl) und Kati (Anabelle Lachatte) erhängte sich nach mehreren Aufenthalten in Nervenheilanstalten. Die Kinder waren damals noch klein, und man hat sowohl die Krankheit als auch den Selbstmord vor ihnen verheimlicht. Nach dem Abitur zieht Lukas aus der Provinz, wo er bei den Großeltern aufwuchs, nach Köln, um dort zu studieren. In der Wohngemeinschaft, in der seine Schwester mit ihrem Freund Jochen (Patrick Joswig) lebt, ist ein Zimmer für ihn frei. Die Zugfahrt empfindet er als Befreiung und das Großstadtleben als Abenteuer. Gleich nach der Ankunft verirrt er sich auf dem Bahnhof und findet den Ausgang nicht. Dann kommt endlich Kati mit dem Auto. Staunend sieht er sich um. Jetzt fängt das Leben an!

In der Universität findet er sich nicht zurecht, wird von Zimmer zu Zimmer geschickt und gibt schließlich den Versuch auf, sich einzuschreiben. Der Stress ist zu groß.

Auf einer Party lernt er ein Mädchen (Katharina Schüttler) kennen, das gerade aus der Provinz nach Köln gekommen ist, wie er, und Lukas freut sich riesig, als es seinen Vorschlag annimmt, mit ihm in den Film „Taxi Driver“ von Martin Scorsese zu gehen. Die Kassiererin (Ilse Strambowski) weist ihn darauf hin, dass dieser Film erst nächste Woche auf dem Programm steht. Er kann nicht glauben, dass er sich getäuscht hat, tobt und beschimpft die Frau. Seine Begleiterin ist entsetzt über sein Verhalten und läuft fort.

Durch Kati und Jochen lernt Lukas Drogen kennen. Nach der Einnahme psychedelischer Pilze auf einer Waldlichtung hört er während der Rückfahrt plötzlich ein Stimmengewirr, und die Fahrtgeräusche sind für ihn unerträglich laut. Jochen, der viel Erfahrung mit Drogen hat, beruhigt ihn: Solche Nebenwirkungen kämen schon mal vor, das gehe rasch vorbei.

Aber die Stimmen kehren wieder. Er hört Fremde, Bekannte und Freunde, die unaufhörlich auf ihn einreden, ihn beschimpfen, für den frühen Tod seiner Mutter verantwortlich machen, als Versager verspotten und zum Selbstmord auffordern. Stundenlang sperrt er sich in der Dusche der WG ein, damit das Rauschen des Wassers das quälende Stimmengewirr übertönt.

Lukas versucht die Stimmen aufzunehmen und im Computer zu analysieren, er führt Protokoll über das Gehörte, schleicht durch den Korridor, um herauszufinden, woher die Stimmen kommen, schlägt Löcher in eine Wand, reißt Elektrokabel heraus und sucht in der Steckdose. Nach einem Sprung aus dem Fenster wird er in ein Krankenhaus eingeliefert. Seine Verletzungen sind geringfügig, aber die Ärzte diagnostizieren eine paranoide Schizophrenie. Einer von hundert Menschen erkranke daran, erklärt der Psychiater (Michael Schütz) Kati. Lukas muss wochenlang in der Nervenheilanstalt bleiben.

Nach seiner Entlassung erklärt er Jochen, dass die Stimmen jetzt nur noch leise im Hintergrund zu vernehmen sind. Damit es nicht wieder schlimmer wird, nimmt er laufend Haldol-Tabletten. Jochen rät ihm, das müde machende Medikament abzusetzen. Lukas findet Arbeit – ausgerechnet in einer Werkstatt für Schaufensterpuppen, wo er sich in einem Wald von Puppen bewegt und auch schon mal einer den Kopf absägen muss.

Einige Zeit geht es einigermaßen gut. Dann spült Lukas die restlichen Tabletten in die Toilette. Die Stimmen werden wieder lauter, und er glaubt sich überall von Verfolgern beobachtet: die Frau am Kiosk, das verdächtige Auto, die Satellitenschüsseln auf dem Nachbarhaus. Misstrauisch belauert er seine Umwelt. Reden Kati und Jochen über ihn? Täuscht sie ihre schwesterliche Liebe nur vor? Ist Jochen so gutmütig, wie er sich gibt? Nachdem sich Lukas mit ihr und Jochen ohne erkennbaren Anlass geprügelt hat, verbarrikadiert er sich in seinem Zimmer und dreht die Stereoanlage voll auf – bis er es nicht mehr aushält, zur Rheinbrücke am Hauptbahnhof läuft und in die Tiefe springt.

Aussteiger ziehen ihn aus dem Wasser und nehmen ihn mit nach Spanien. Einige Tage fühlt er sich besser und gewinnt vor allem das Zutrauen eines der Kinder. Aber auch unter den toleranten und unangepassten jungen Leuten gilt er als Außenseiter. Am Atlantikstrand bleibt er allein zurück und blickt auf die Brandung.

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Hans Weingartner versucht in „Das weiße Rauschen“, eine Psychose wie die Schizophrenie nicht „von außen“ zu zeigen, sondern die Empfindungen und Gedanken des Betroffenen nachvollziehbar zu machen. Dabei vermeidet er Sentimentalitäten und konzentriert sich wie ein Dokumentarfilmer auf sein Thema.

Gleich zu Beginn erleben wir beim Blick aus dem Zugfenster die vorbeirasende Landschaft und unsere Hilflosigkeit, die einzelnen Eindrücke zu erfassen. Gefilmt wurde mit einer Handkamera und ohne Scheinwerferlicht. Wie in Amateurfilmen wird hektisch geschwenkt; Helligkeit und Farbsättigung wechseln ständig; nicht immer ist die Schärfe richtig eingestellt. Aber gerade die miserable Bildqualität erzeugt zusammen mit den banalen Dialogen eine bedrückende Authentizität. Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Mitunter bewegt sich die Kamera am Boden, oder sie zeigt Lukas in seinem kleinen Zimmer wie ein gefangenes Tier von oben. Man sollte „Das weiße Rauschen“ in einem Kino mit einer modernen Tonanlage erleben, denn es kommt besonders auf die unerträglich lauten Geräusche und den verstörenden Klangteppich der aus verschiedenen Ecken des Raumes zu hörenden Stimmen an.

Hans Weingartner war Kanuführer und Skilehrer, studierte Physik und Neurochirurgie und beschäftigte sich mit der Gehirnforschung, bevor er zur Kunsthochschule für Medien in Köln wechselte. „Das weiße Rauschen“ ist seine Abschlussarbeit. Er erhielt dafür in Saarbrücken den Max-Ophüls-Preis.

Daniel Brühl wurde für seine Rolle in „Das weiße Rauschen“ mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet, aber auch Anabelle Lachatte und die übrigen Darsteller spielen außergewöhnlich glaubwürdig und erhöhen offenbar auch durch Improvisationen den pseudodokumentarischen Charakter des Films.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002

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