Die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut"

13. Oktober 1977: Die Lufthansa-Maschine „Landshut“, eine Boeing 737, wurde auf dem Flug LH 181 von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main von einem Kommando palästinensischer Terroristen über Marseille entführt, das sich „Martyr Halimeh“ nannte.

Anführer war der dreiundzwanzigjährige „Captain Martyr Mahmud“ (eigentlich: Zohair Youssif Akache). Zu dem in Beirut geborenen Palästinenser gehörten der Libanese Nabil Harb alias Riza Abbasi und zwei junge Frauen: Suhaila Sayeh alias Soraya Ansari (später: Souhaila Sami Andrawes Sayeh) aus Israel und Captain Mahmuds Verlobte Hind Alameh alias Shanaz Gholoun, eine Christin aus dem Libanon. An Bord der „Landshut“ befanden sich außer den Entführern 82 Passagiere, der Kapitän Jürgen Schumann, der Kopilot Jürgen Vietor und drei Flugbegleiterinnen, darunter die dreiundzwanzigjährige Gabriele Dillmann (heute: Gabriele von Lutzau).

Die Terroristen erzwangen eine Landung der „Landshut“ in Rom-Fiumicino. Sie verlangten die Freilassung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und acht weiterer RAF-Mitglieder aus der Haft, die Freilassung von zwei Palästinensern aus türkischen Gefängnissen und 15 Millionen Dollar. Falls diese Forderungen nicht bis 16. Oktober erfüllt würden, so die Entführer, werde man sowohl Hanns Martin Schleyer als auch die Passagiere und Besatzungsmitglieder der „Landshut“ töten.

Nach dem Auftanken in Rom flog die „Landshut“ nach Larnaka auf Zypern. Die GSG 9 flog nach Ankara und später nach Kreta, um möglichst rasch vor Ort zu sein, sobald sich eine Gelegenheit für einen Zugriff bot.

Die „Grenzschutzgruppe 9“ war nach dem Attentat bei den Olympischen Spielen in München 1972 von Ulrich K. Wegener, einem Offizier des Bundesgrenzschutzes, im Auftrag des Bundesinnenministers Hans-Dietrich Genscher aufgestellt worden. Es handelt sich um eine Spezialeinheit gegen Terroristen im In- und Ausland. (Seit der Bundesgrenzschutz in der Bundespolizei aufging, heißt die Einheit „GSG 9 der Bundespolizei“.)

14. Oktober 1977: Nachdem die „Landshut“ in Damaskus, Bagdad und Kuwait nicht hatte landen dürfen, flog sie nach Bahrain und weiter nach Dubai.

Bundeskanzler Helmut Schmidt entsandte Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski als Verhandlungsführer in den Mittleren Osten.

16. Oktober 1977: In Dubai gelang es Flugkapitän Jürgen Schumann, in einer Funkmeldung eine versteckte Information über die Anzahl der Entführer unterzubringen. Durch eine unbedachte Interview-Äußerung von Muhammad ibn Raschid Al Maktum, des Verteidigungsministers von Dubai, erfuhren die Terroristen davon. Captain Mahmud ließ Jürgen Schumann daraufhin im Korridor niederknien und drohte, ihn zu erschießen.

Nach dem erzwungenen Auftanken der „Landshut“ dirigierten die Entführer die Maschine nach Aden. Die Regierung der „Demokratischen Volksrepublik Jemen“ verweigerte die Landeerlaubnis und ließ die Landebahnen blockieren. Als das Kerosin zur Neige ging und das Flugzeug abzustürzen drohte, landeten Schumann und Vietor auf dem Sand neben der Betonpiste. Um das möglicherweise beschädigte Fahrwerk zu inspizieren, verließ Jürgen Schumann mit Erlaubnis der Terroristen die Maschine. Tatsächlich ließ er sich von jemenitischen Soldaten, die die „Landshut“ umstellt hatten, zu deren Kommandeur Scheich Ahmed Mansur bringen und drängte ihn, die Lufthansa-Maschine nicht wieder starten zu lassen, aber der Jemen wollte das entführte Flugzeug so rasch wie möglich loswerden. Obwohl Jürgen Schumann mit Konsequenzen rechnen musste, kehrte er zurück. Captain Mahmud tötete den Siebenunddreißigjährigen vor den Augen der Passagiere mit einem Kopfschuss, ohne ihm Gelegenheit für eine Erklärung zu geben.

17. Oktober 1977: Die „Landshut“ wurde erneut aufgetankt. Jürgen Vietor flog die Maschine nach Mogadischu. Die Entführer hatten die somalische Hauptstadt als Ziel gewählt, weil sie annahmen, die Regierung sympathisiere mit den Palästinensern.

In Mogadischu wurde die Leiche von Jürgen Schumann über eine Notrutsche aus dem Flugzeug entfernt.

Hans-Jürgen Wischnewski und die GSG 9 traf in Mogadischu ein. Angeblich hatte Wischnewski 25 Millionen Dollar bei sich, um die somalische Regierung notfalls mit Geld für eine Kooperation gewinnen zu können.

Die Arme des KGB reichten weit in diese Länder, zu denen im August 1977 auch Somalia gehörte. Nur die Lossagung Somalias von Moskau im September und hohe Geldflüsse aus Bonn machten die Einreise der GSG 9 nach Mogadischu und die Befreiung der Geiseln der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ überhaupt möglich. (Corinna Ponto in Julia Albrecht und Corinna Ponto: Patentöchter. Im Schatten der RAF. Ein Dialog, Seite 191)

Die Terroristen, die ihr Ultimatum mehrmals verlängert hatten, verlangten nun die Freilassung der RAF-Häftlinge bis 15 Uhr MEZ. Um Zeit für die Vorbereitungen einer Stürmung des Flugzeugs durch die GSG 9 zu gewinnen, gingen die Unterhändler zum Schein auf die Forderungen ein, erklärten aber, dass es unmöglich sei, die Häftlinge aus Stuttgart-Stammheim innerhalb der vorgegebenen Zeit nach Somalia zu bringen. Daraufhin verlängerte Captain Mahmud das Ultimatum bis 18. Oktober, 1.30 Uhr MEZ.

Die Entführer bereiteten die Sprengung der „Landshut“ vor und begossen die Passagiere mit Alkohol.

Angeblich wurde Siad Barre, der Staatspräsident Somalias, von deutschen Unterhändlern mit Lügen dazu gebracht, einer deutsch-somalischen Befreiungsaktion zuzustimmen. Somalische Soldaten, die zunächst die Erstürmung eines Flugzeugs geübt hatten, sicherten dann aber nur das Flughafengelände.

18. Oktober 1977: Während sich zwei der Entführer im Cockpit der „Landshut“ befanden, zündeten zwei Angehörige einer Spezialeinheit der britischen Armee (Special Air Service, SAS) um 0.05 Uhr MEZ Blendgranaten, und sechs von Oberstleutnant Ulrich Wegener geführte Trupps der GSG 9 stürmten die „Landshut“. Die „Operation Feuerzauber“ dauerte sieben Minuten. Dabei kamen alle Terroristen bis auf Suhaila Sayeh alias Soraya Ansari ums Leben. Wabil Harb hatte vor dem Tod noch zwei seiner sechs Handgranaten zünden können. Die Stewardess Gabriele Dillmann und ein Mann der GSG 9 wurden verletzt.

Hans-Jürgen Wischnewski meldete Bundeskanzler Helmut Schmidt den erfolgreichen Abschluss der Aktion.

Ulrich Wegener (* 1929) gab 1979 das Kommando über die GSG 9 ab und wurde Kommandeur des Grenzschutzkommandos West. Der weltbekannte Experte war als Berater beim Aufbau mehrerer ausländischer Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung beteiligt. Er lebt in der Nähe von Bonn.

Die Stewardess Gabriele Dillmann (* 1954) wurde als „Engel von Mogadischu“ bezeichnet und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, weil sie während der Flugzeugentführung versucht hatte, die Geiseln zu beruhigen. Später heiratete sie den Lufthansa-Piloten Rüdeger von Lutzau. Seit den Neunzigerjahren arbeitet Gabriele von Lutzau als Bildhauerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Michelstadt.

Souhaila Sami Andrawes Sayeh (* 1953), die während der „Operation Feuerzauber“ in einer Toilette der „Landshut“ war und schwer verletzt überlebt hatte, wurde am 25. April 1978 in Somalia zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, aber zwei Jahre später abgeschoben. 1991 zog sie mit ihrem Ehemann und ihrer kleinen Tochter nach Norwegen. Durch Hinweise deutscher Fahnder konnte sie 1994 aufgespürt und am 13. Oktober – dem 17. Jahrestag der Entführung der „Landshut“ – in Oslo festgenommen werden. Norwegen lieferte sie im November 1995 an Deutschland aus. Hier wurde sie im Jahr darauf zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Auf ihren Wunsch überführte man sie 1997 zur Verbüßung der Reststrafe nach Norwegen. Aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes kam sie 1999 vorzeitig frei. Seither lebt sie wieder mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in Oslo.

Seit 2007 gibt es bei der Lufthansa wieder eine „Landshut“; es handelt sich um einen Airbus A330.

Roland Suso Richter drehte 2008 den Spielfilm „Mogadischu“ über die Flugzeugentführung der „Landshut“.

Die „Landshut“ wurde bis 1985 von der Lufthansa eingesetzt. Dann wechselte die Maschine mehrmals den Besitzer. Zuletzt gehörte sie einer brasilianischen Fluggesellschaft, der TAF Linhas Aereas. Aufgrund eines schweren Defekts zog man das inzwischen achtunddreißig Jahre alte Flugzeug am 14. Januar 2008 in Fortaleza aus dem Betrieb. Im September 2017 wurde das zerlegte Wrack in einer „Antonow“ und einer „Iljuschin“ nach Friedrichshafen geflogen, wo die restaurierte „Landshut“ von 2019 an in einer eigens errichteten Halle des Dornier-Museums ausgestellt werden soll.

© Dieter Wunderlich 2008 / 2011 / 2017

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