Deutscher Herbst


5. September 1977: Um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe freizupressen („Big Raushole“), entführten RAF-Mitglieder der zweiten Generation Hanns Martin Schleyer, den Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Dabei ging das aus Sieglinde Hofmann, Peter-Jürgen Boock, Willi-Peter Stoll, Stefan Wisniewski und möglicherweise einer fünften Person bestehende „Kommando Siegfried Hausner“ mit brutaler Gewalt vor. Innerhalb von eineinhalb Minuten fielen mindestens 119 Schüsse. Sowohl der Fahrer Heinz Marcisz als auch die Polizisten Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer kamen dabei ums Leben.

Die Entführer brachten Hanns Martin Schleyer in eine Wohnung, die sie in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar angemietet hatten und sperrten ihn in einen dafür vorbereiteten Wandschrank.

Bundeskanzler Helmut Schmidt und der Krisenstab wollten demonstrieren, dass der Staat nicht erpressbar war und versuchten Zeit zu gewinnen, in der Hoffnung, die Polizei werde rechtzeitig das Versteck finden, in dem Hanns Martin Schleyer festgehalten wurde. Horst Herold, der Leiter des Bundeskriminalamts, ordnete die erste Rasterfahndung in der Bundesrepublik an. Die Polizeistation Liblar meldete die Adresse dem Krisenstab, aber die Nachricht ging in der Flut von Hinweisen unter.

Hanns Martin Schleyer beklagte sich in Videobotschaften über die Haltung der Regierung und die Erfolglosigkeit Horst Herolds: »Ich bin nicht bereit, lautlos aus diesem Leben abzutreten, um die Fehler der Regierung und die Unzulänglichkeit des hochgejubelten Chefs des Bundeskriminalamtes zu decken.«

Die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt und Peter-Jürgen Boock sollen sich in Bagdad mit muslimischen Terroristen getroffen und sie um Unterstützung gebeten haben. Ihr Gesprächspartner Wadi Haddad, der Chef der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), stand angeblich auch mit dem KGB in Verbindung.

13. Oktober 1977: Die Lufthansa-Maschine „Landshut“, eine Boeing 737, wurde auf dem Flug LH 181 von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main von einem aus zwei Männern und zwei Frauen bestehenden Kommando palästinensischer Terroristen über Marseille entführt, das sich „Martyr Halimeh“ nannte. An Bord der „Landshut“ befanden sich außer den Entführern 82 Passagiere, der Kapitän Jürgen Schumann, der Kopilot Jürgen Vietor und drei Flugbegleiterinnen. [Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“]

Die Terroristen erzwangen eine Landung der „Landshut“ in Rom-Fiumicino. Sie verlangten die Freilassung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und acht weiterer RAF-Mitglieder aus der Haft, die Freilassung von zwei Palästinensern aus türkischen Gefängnissen und 15 Millionen Dollar. Falls diese Forderungen nicht bis 16. Oktober erfüllt würden, so die Entführer, werde man sowohl Hanns Martin Schleyer als auch die Passagiere und Besatzungsmitglieder der „Landshut“ töten.

Nach dem Auftanken in Rom flog die „Landshut“ nach Zypern. Von da an folgte die GSG 9 dem entführten Flugzeug.

Die „Grenzschutzgruppe 9“ war nach dem Attentat bei den Olympischen Spielen in München 1972 von Ulrich K. Wegener, einem Offizier des Bundesgrenzschutzes, im Auftrag des Bundesinnenministers Hans-Dietrich Genscher aufgestellt worden. Es handelt sich um eine Spezialeinheit gegen Terroristen im In- und Ausland. (Seit der Bundesgrenzschutz in der Bundespolizei aufging, heißt die Einheit „GSG 9 der Bundespolizei“.)

17. Oktober 1977: Nachdem Flugkapitän Jürgen Schumann von dem Anführer der Terroristen erschossen worden war, flog Jürgen Vietor die „Landshut“ nach Mogadischu.

18. Oktober 1977: Die GSG 9 stürmte die „Landshut“. Die „Operation Feuerzauber“ dauerte sieben Minuten. Dabei kamen alle Terroristen bis auf eine junge Frau ums Leben. Von den Passagieren wurde niemand verletzt. [Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“]

Nur wenige Stunden nach dem Eintreffen der Nachricht von der gelungenen Geiselbefreiung in der somalischen Hauptstadt verabredeten die RAF-Häftlinge in Stammheim ihren Selbstmord. Gudrun Ensslin erhängte sich mit einem Lautsprecherkabel in ihrer Zelle, während Andreas Baader und Jan-Carl Raspe sich erschossen. (Die Pistolen waren möglicherweise von Anwälten in die Haftanstalt geschmuggelt worden.) Irmgard Möller stach sich mit dem Messer ihres Essbestecks mehrmals in die Brust, aber die Verletzungen waren nicht lebensgefährlich.

19. Oktober 1977: Hanns Martin Schleyers Leiche wurde im Kofferraum eines in Mühlhausen geparkten Autos gefunden.

Louis Begley - Ehrensachen
In seinem Roman "Ehrensachen" ignoriert Louis Begley dramaturgische Regeln und setzt stattdessen auf einen Ich-Erzähler, der vorwiegend beschreibt und Gespräche wiedergibt, statt das Geschehen zu inszenieren.
Ehrensachen