Sigmund Rascher: Menschenversuche


Die grausamen Kälte- und Höhenflug-Versuchsreihen, die Norbert Zähringer in seinem Roman „Als ich schlief“ schildert, hat er sich nicht ausgedacht, sondern sie wurden während des Zweiten Weltkriegs tatsächlich durchgeführt. Dr. Sigmund Rascher (1909 – 1945) experimentierte 1941 zunächst im Konzentrationslager Dachau mit Unterdruckkammern, in denen er die in Flughöhe herrschenden Luft- und Druckverhältnisse simulieren konnte. Dabei starben mindestens siebzig von zweihundert Versuchspersonen.

[Beim dritten Versuch] handelte es sich um einen Dauerversuch ohne Sauerstoff in 12 km Höhe bei einem 37-jährigen Juden in gutem Allgemeinzustand. Die Atmung hielt bis 30 Minuten an. Bei 4 Minuten begann VP zu schwitzen und mit dem Kopf zu wackeln. Bei 5 Minuten traten Krämpfe auf, zwischen 6 und 10 Minuten wurde die Atmung schneller, VP bewusstlos, von 11 Minuten bis 30 Minuten verlangsamte sich die Atmung bis 3 Atemzüge pro Minute, um dann ganz aufzuhören […] (Sigmund Rascher, hier zitiert nach: William L. Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, Seite 900)

Ich habe persönlich durch das Beobachtungsfenster der Unterdruckkammer zugesehen, in der Häftlinge im Vakuum aushalten mussten, bis ihre Lungen rissen. Sie wurden wahnsinnig und rissen sich die Haare aus, im Bemühen, sich von dem Druck zu befreien. Sie zerkratzten mit den Fingernägeln Kopf und Gesicht; im Wahnsinn versuchten sie sich zu verstümmeln. Um den Druck von ihrem Trommelfell zu beseitigen schrien sie und hämmerten mit Fäusten und Kopf gegen die Wand. Diese Fälle endeten gewöhnlich mit dem Tod der Versuchsperson. (Anton Pacholegg, hier zitiert nach: William L. Shirer, a. a. O., Seite 900f)

Nachdem Heinrich Himmler im Mai 1942 dem „Führer“ über die von Sigmund Rascher in Dachau durchgeführten Menschenversuche berichtet hatte, entschied Hitler „dass grundsätzlich, wenn es um das Staatswohl geht, der Menschenversuch zuzulassen ist“. (Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Lexikon zur Zeitgeschichte, München 1990, Seite 143)

Im August 1942 begann Sigmund Rascher mit Unterkühlungsversuchen. Heinrich Himmler kam am 13. November 1942 persönlich nach Dachau, um sich über die Ergebnisse unterrichten zu lassen.

Nicht einmal das Aufwärmen eines Unterkühlten mit dem nackten Körper einer Frau ist eine Ausgeburt der Fantasie des Schriftstellers Norbert Zähringer: Am 12. Februar 1943 konstatierte Sigmund Rascher in einem detaillierten Bericht, die „animalische Wärme“ eines nackten weiblichen Körpers und die Erregung durch einen erwarteten Koitus beschleunige bei den männlichen Versuchspersonen die Wiederherstellung der normalen Körpertemperatur erheblich.

Im Mai 1944 wurden Sigmund Rascher und seine Frau Karoline verhaftet, nicht wegen der grausamen Menschenversuche, sondern weil sie drei aus Waisenhäusern verschleppte Kinder als ihre eigenen ausgegeben hatten. Die Amerikaner fanden Raschers Leiche im April 1945 im KZ Buchenwald. Auf Befehl Heinrich Himmlers sollen Rascher erschossen und seine Frau gehenkt worden sein.

Ende der Achtzigerjahre wollten einige amerikanische Mediziner die Menschenexperimente von Sigmund Rascher studieren, weil sie sich davon Erkenntnisse für die Luft- und Raumfahrtmedizin versprachen. (Wolfgang Benz, a. a. O., Seite 145)

Literatur über Menschenversuche im „Dritten Reich“

  • Wolfgang Benz und Barbara Distel (Hg.): Medizin im NS-Staat. Täter, Opfer, Handlanger
  • Alexander Mitscherlich und Fred Mielke (Hg.): Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente der Nürnberger Ärzteprozesse

© Dieter Wunderlich 2006

Norbert Zähringer: Als ich schlief

Frauke Volkland - Eisvogelblau
Frauke Volkland betont die Prägung der Gegenwart durch die Vergangenheit und verknüpft die Handlung mit historischen Ereignissen im Dreissigjährigen Krieg.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.