Solino

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Solino

Originaltitel: Solino - Regie: Fatih Akin - Drehbuch: Ruth Toma - Kamera: Rainer Klausmann - Schnitt: Andrew Bird - Musik: Jánnos Eolou - Darsteller: Barnaby Metschurat, Moritz Bleibtreu, Antonella Attili, Gigi Savoia, Patrycia Ziolkowska, Tiziana Lodato, Vincent Schiavelli, Hermann Lause, Nicola Cutrignelli, Michele Ranieri, Vivian Fritz u.a. - 2001; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Ein italienisches Ehepaar zieht in den Sechzigerjahren mit den beiden Söhnen ins Ruhrgebiet und träumt von einem besseren Leben. Weil der Vater bald keine Lust mehr hat, im Kohlebergwerk zu schuften, eröffnet die Familie eine Pizzeria für Gastarbeiter. Aber der Erfolg ist nicht von langer Dauer ...
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Kritik

In dem neorealistischen Film "Solino" mit teils romantischen, teils tragikomischen Episoden geht es um die Entwurzelung von Menschen, den Zusammenprall von Kulturen und vor allem um eine Familientragödie.
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Solino, ein Dorf in Apulien, 1964: Kinder steigen durch das Dach einer Scheune, um darin Vögel zu fangen. Der Bauer erwischt einen der Eindringlinge. Er und ein Polizist bringen Gigi (Nicola Cutrignelli) zu seinen Eltern Rosa und Romano Amato (Antonella Attili, Gigi Savoia), die mit Verwandten am Sterbebett von Rosas Vater stehen. Der Bauer verlangt Schadenersatz für die kaputten Dachziegeln. Als Rosa sich nach einem kurzen Streit ihres Mannes mit dem aufgebrachten Bauern wieder ihrem Vater zuwendet, liegt dieser mit weit geöffneten Augen auf dem Rücken: er ist tot.

Romano Amato hat von dem Wirtschaftswunder in Deutschland gehört und setzt darauf seine Hoffnungen. Solange Rosas alter Vater lebte, war nichts zu machen, aber jetzt kann sie den Umzug nicht mehr ablehnen.

Franco (Francesco Fiannaca), ein schon früher nach Deutschland ausgewanderter Freund Romanos, besorgt ihnen in Duisburg eine Wohnung und holt sie vom Bahnhof ab. Sie liegt im zweiten Stock eines heruntergekommenen Mietshauses; eine Toilette gibt es nur im Treppenhaus.

Während Rosa unter den Augen eines misstrauischen Obst- und Gemüsehändlers die ausgelegte Ware betrachtet und mit den Fingern prüft, sich über unbekanntes Gemüse wie Rettiche und Schwarzwurzeln wundert und Gigi zeigt, wie klein die Zwiebeln sind, klaut dessen älterer Bruder Giancarlo (Michele Ranieri) unbemerkt ein paar Äpfel.

Das Wetter ist kalt und regnerisch, die Sprache und das Verhalten der Deutschen sind fremd, Obst und Gemüse mickrig, Oregano, Artischocken und Auberginen gibt es überhaupt nicht. Nur der kleine Gigi scheint sich in die trostlos erscheinende Umgebung einzugewöhnen.

Nach kurzer Zeit hat Romano keine Lust mehr hat, sich noch länger im Kohlebergwerk die Hände schmutzig zu machen. Wütend packt Rosa ihren Koffer. Sie kam nur mit, weil Romano von der gut bezahlten Arbeit im Ruhrgebiet schwärmte. Jetzt will sie zurück nach Solino. Aber Romano redet auf sie ein, erklärt ihr, er könne nicht zurück, ohne sich zu blamieren, und er brauche sie an seiner Seite.

Während Romano sich von Gigi mit Hilfe eines Wörterbuchs Stellenangebote in der Zeitung übersetzen lässt, bemerkt Rosa die leer stehende Eisdiele auf der anderen Straßenseite und fragt Gigi, was das Schild im Fenster bedeutet: „Zu vermieten“. Da hat sie eine Idee: Viele der italienischen Gastarbeiter sind allein hier. Sie würde für die Männer kochen. Dazu müssten sie nur die freien Räume mieten. Bei der Besichtigung weist Romano auf die runden Tische hin: „Das ist eine Eisdiele. Die hat runde Tische. Hast du schon einmal eine Pizzeria mit runden Tischen gesehen? Eine Pizzeria hat quadratische Tische!“ Aber Rosa lässt sich nicht entmutigen: „Dann wird dies die erste Pizzeria mit runden Tischen!“ Der Vermieter nützt rasch noch die Sprachschwierigkeiten aus und erhöht den Mietpreis von 400 auf 600 Mark.

Romano schlägt vor, die Pizzeria „Bei Romano“ zu nennen, aber Rosa, die nach wie vor wehmütig an ihr Heimatdorf denkt, bevorzugt „Solino“.

Von nun an steht sie den ganzen Tag über in der Küche im Keller und kocht Pasta für die Gäste im „Solino“. Romano schimpft über die großen Portionen, die zu wenig Gewinn brächten. Aber dann kauft er einen Fernseher für die Gaststube, angeblich, um das Geschäft zu fördern, tatsächlich aber, weil er selbst Boxkampf-Übertragungen sehen möchte.

Gigi hat sich mit Herrn Klasen (Hermann Lause) angefreundet, dem Inhaber eines benachbarten Fotogeschäfts. Als Giancarlo Gigis Spielzeug mit Bildern von Solinos zerstört, nimmt Herr Klasen eines der Mini-Dias heraus und zeigt Gigi in der Dunkelkammer, wie Papierabzüge hergestellt werden. Allerdings hat er nur für Filmnegative geeignetes Fotopapier zur Verfügung, deshalb sind auf der Abbildung hell und dunkel vertauscht.

Eines Tages traut Rosa ihren Augen nicht: Von der Kellertreppe aus sieht sie lauter Männer in SS-Uniformen im Lokal. Fangen die Deutschen schon wieder damit an? Sie flieht durch den Hinterausgang. Romano hält sie auf der Straße auf und erklärt ihr, dass es sich um den italienischen Regisseur Baldi (Vincent Schiavelli) mit seiner Crew handelt, die in Duisburg einen Film drehen und sich im „Solino“ verköstigen lassen.

Während des Essens schimpft Baldi, weil für eine geplante Kamerafahrt nicht ausreichend Schienen zur Verfügung stehen. Gigi mischt sich ein und bringt Baldi mit seiner Spielzeugeisenbahn auf die Idee, hinter dem Kamerawagen die Schienen wegzunehmen und vorne anzustückeln.

Nach ein paar Tagen fehlt die Strass-Haarspange einer Darstellerin. Sie ist weder wertvoll noch entscheidend für den Film, weil sie aber bei bereits abgedrehten Szenen zu sehen ist, kommt es darauf an, sie wieder zu finden. Sonst muss ein ganzer Drehtag wiederholt werden. Weil Gigi sich dauernd bei den Filmleuten aufhält, wird er verdächtigt, die Haarspange genommen zu haben, obwohl er das Gegenteil beteuert.

Gigi weiß nicht, dass Giancarlo die Strass-Spange gestohlen hat, um damit ihrer gemeinsamen kleinen Freundin Jo zu imponieren.

Duisburg 1974. Die Tische im „Solino“ sind immer voll gesetzt. Romano wünscht, dass einer seiner Söhne die Hotelfachschule besucht und eine weitere Pizzeria im Ruhrgebiet eröffnet. Das könnte der Beginn einer Kette werden! Giancarlo (ab jetzt: Moritz Bleibtreu) hält er für ungeeignet; also setzt er seine Erwartungen in Gigi (ab jetzt: Barnaby Metschurat), doch der möchte stattdessen Filme drehen.

Während Gigi zu einem verträumten jungen Mann geworden ist, treibt sein mürrischer älterer Bruder sich mit zwielichtigen Typen herum.

Rosa wird die Arbeit allmählich zu viel. Von Tag zu Tag fühlt sie sich erschöpfter. Schließlich läuft sie durch die volle Gaststube davon, hinüber zur Wohnung. Romano folgt ihr. Als sie die Tür öffnen, treffen sie auf Giancarlo, Gigi, Jo (ab jetzt: Patrycia Ziolkowska) und ein Dutzend weiterer junger Leute, die eine Party feiern. Wütend darüber, dass seine Söhne ihm auch noch den besten Wein gestohlen haben, wirft er die beiden hinaus.

Zu dritt mieten Gigi, Giancarlo und Jo eine Wohnung.

Dort taucht eines Tages Rosa auf. Allein schafft sie es nicht mehr, und Romano weigert sich, eine Küchenhilfe einzustellen. Deshalb bittet sie ihre Söhne um Hilfe. Giancarlo bedauert: Er habe inzwischen eine Stelle in einer Autowerkstatt. Also kommt es wieder einmal auf Gigi an. Und der ist bereit, in der Pizzeria mitzuarbeiten.

Im Schaufenster von Herrn Klasen sieht er eine Filmkamera, die gerade erst auf den Markt gekommen ist. Um sie kaufen zu können, bittet er seinen Vater, ihm Geld zu geben, schließlich habe er dafür auch gearbeitet. Aber Romano weigert sich und behauptet, die Pizzeria sei ein Familienbetrieb. Frustriert läuft Gigi davon. Rosa steckt ihm noch rasch einen Zehnmarkschein zu. Aber die Kamera kostet 590 Mark!

Giancarlo überredet Gigi zu einem Einbruch in das Fotogeschäft: „Wenn du etwas wirklich willst, musst du es dir eben nehmen!“ Giancarlo bricht das Gitter vor der Eingangstür auf, schiebt es ein Stück hoch und schlägt die Scheibe ein. Gigi kriecht hinein und will mit der Kamera wieder ins Freie. Aber Giancarlo schickt ihn zurück: Er soll auch die Kasse leeren. Gigi sträubt sich. Da hält ein Polizeiauto. Giancarlo lässt das Gitter aus und läuft davon. Gigi sitzt in der Falle.

Am nächsten Morgen holt Romano ihn aus der Zelle im Polizeirevier und prügelt auf ihn ein. Giancarlo hat die Kamera inzwischen einem Hehler verkauft und gibt seinem Bruder die Hälfte des Erlöses. Der ist enttäuscht, denn es kam ihm doch nur auf die Kamera an. Er geht zu Herrn Klasen, entschuldigt sich und gibt ihm das Geld. Herr Klasen kann sich vorstellen, wer Gigi zu dem Einbruch angestiftet hat, und da er dessen Leidenschaft fürs Filmen versteht, schenkt er ihm eine alte Filmkamera.

Damit dreht Gigi einen Dokumentarfilm über das Ruhrgebiet, in dem Jo über ihren Vater berichtet, der im Bergwerk arbeitete. Der Film wird für die Ruhrfestspiele vorgeschlagen. Arm in Arm präsentieren sich Gigi und Giancarlo einem Reporter. Das Bild entdeckt Rosa an der Bushaltestelle in der Zeitung eines neben ihr Wartenden. Aufgeregt eilt sie nach Hause — und ertappt Romano mit einer Blondine (Vivian Fritz) in flagranti.

Schluchzend kommt Rosa zu ihren Söhnen. Gigi überlässt ihr sein Bett.

Weil sie sich so erschöpft fühlt, konsultiert er ein paar Tage mit ihr einen Arzt. Der diagnostiziert eine Art von Leukämie. Unheilbar. Es gibt Patienten, die damit zwanzig Jahre lang leben; andere sterben innerhalb kurzer Zeit. Rosa versteht zwar nicht, was der Arzt sagt, und Gigi behauptet, die Diagnose stehe noch nicht fest, aber sie möchte auf jeden Fall zurück nach Solino.

Gigi begleitet sie. Beim Abschied versichert Giancarlo, zu respektieren, dass Jo die Freundin seines Bruders ist. Gigi hat zwar Jo versprochen, gleich wieder zurück zu kommen, aber er bringt es nicht übers Herz, seine kranke Mutter allein zu lassen. Die Karte, die er Jo schreibt, wird von Giancarlo zerrissen.

Telefonisch erfährt er, dass sein Film bei den Ruhrfestspielen gezeigt werden soll. Da möchte er natürlich dabei sein. Giancarlo sagt zu, rechtzeitig nach Solino zu kommen und sich um die Mutter zu kümmern. Gigi will ihn am Bahnhof abholen — aber Giancarlo ist nicht im Zug.

Giancarlo besucht mit Jo die Ruhrfestspiele. Gigis Film erhält den ersten Preis! Der Conférencier fragt, ob der Filmemacher im Saal sei, und Jo ermutigt Giancarlo, die Trophäe für seinen Bruder in Empfang zu nehmen. Er geht zur Bühne und wird zunehmend selbstsicherer. Ohne darauf hinzuweisen, dass der Film nicht von ihm ist, nimmt er den Applaus und den Preis in Empfang. Danach gibt er auch noch Interviews.

Gigi liest davon in einer deutschen Zeitung, die er sich in Solino besorgt. Wütend fährt er nach Duisburg — und ertappt Jo mit Giancarlo im Bett. Die beiden Männer prügeln sich. Danach meint Gigi, nun sei die Reihe an Giancarlo, sich endlich auch einmal um die Mutter zu kümmern. Aber der ist nicht bereit, nach Solino zu fahren. Gigi sucht seinen Vater auf. Der zeigt auf das volle Lokal und bedauert, nicht abkömmlich zu sein. Außerdem wolle ihn Rosa wohl sowieso nicht sehen. Gigi bleibt nichts anderes übrig, als selbst nach Solino zurückzukehren.

Zusammen mit Ada (Tiziana Lodato) — seiner und Giancarlos engster Freundin aus Kindertagen — richtet er das Freilichtkino in Solino wieder her.

Solino 1984. Gigi und Ada heiraten. Sie haben bereits zwei Kinder. Rosa tanzt ausgelassen: sie fühlt sich gut.

Gigi lud seinen Vater telefonisch zur Hochzeit ein, aber Romano behauptete, wegen der Pizzeria nicht kommen zu können, er müsse sich um den Betrieb kümmern. Tatsächlich wagt Romano sich wegen der Blamage nicht in sein Heimatdorf zurück. Er steht nämlich in seiner Gaststätte vor leeren Tischen. Seit nicht mehr Rosa die Pasta zubereitet, sondern Gastarbeiter aus arabischen Ländern in der Küche stehen, bleiben die Gäste aus.

Obwohl er sich über die Einladung seines Bruders nach zehn Jahren Schweigen wunderte, nahm Giancarlo sie an. Beim Weg vom Bahnhof zur Wohnung erlebte er, wie Gigi von allen gegrüßt, er selbst jedoch von niemand erkannt wurde. Gigi ist hier offenbar wieder zu Hause, während Giancarlo sich weder in Italien noch in Deutschland heimisch fühlt. Jo zog vor zehn Jahren, gleich nach Gigis endgültiger Abreise aus Duisburg, nach Berlin. Und Ada, die gemeinsame Freundin aus den Kindertagen, ist jetzt Gigis Frau. Im wieder hergerichteten Freilichtkino von Solino erlebt er, wie Gigis neuer Kurzfilm bejubelt wird.

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„Solino“ ist der erste Film Fatih Akins, dessen Drehbuch nicht von ihm stammt. Ruth Toma verfasste es, und obwohl sie betont, dass die Geschichte fiktiv ist, hat sie sich von der Biografie ihres italienischen Ehemanns inspirieren lassen: Dessen Eltern kamen zu Beginn der Sechzigerjahre nach Deutschland und eröffneten in Oberhausen die erste Pizzeria.

„Solino“ erzählt vom Aufstieg und Zerbrechen einer italienischen Einwandererfamilie zwischen 1964 und 1984. Das Schicksal der fiktiven Familie Amato steht exemplarisch für das der Gastarbeiter. Fatih Akin, selbst Sohn einer türkischen Einwandererfamilie, wählte bewusst Menschen einer anderen Nation, um weniger befangen zu sein. In einem Interview mit Dieter Oßwald sagte er: „… und ich wollte vor allem eine universelle Geschichte erzählen. Wobei es durchaus Ähnlichkeiten dieser beiden Kulturen gibt. In beiden Ländern ist die Mutter der heimliche Chef der Familie, während die Männer nur nach außen gern dominieren. Auch die starke Rolle der Religion im Alltag ist vergleichbar, ob nun katholisch oder islamisch ist dabei nicht so wichtig.“

In „Solino“ geht es um die Entwurzelung von Menschen, den Zusammenprall von Kulturen, den Niedergang des Kohlenpotts und vor allem um eine Familientragödie. Der gutmütige Gigi wird jahrzehntelang übervorteilt, nicht zuletzt, weil er sich in die Pflicht nehmen lässt. Sein ebenso neidischer wie durchtriebener älterer Bruder dagegen, der durch seine Skrupellosigkeit immer wieder über ihn triumphiert, steht schließlich vor einem Scherbenhaufen, während Gigi mit sich im Reinen ist, eine Familie hat und von den Dorfbewohnern gemocht wird.

Mit „Solino“ hat Fatih Akin erneut bewiesen, wie gut er Geschichten erzählen und Stimmungen erzeugen kann. Der neorealistische Film mit teils romantischen, teils tragikomischen Episoden wurde bis in die Details sorgfältig inszeniert. Zum Gelingen des hervorragenden Films haben natürlich auch die Darsteller maßgeblich beigetragen, allen voran Antonella Attili, Moritz Bleibtreu und Barnaby Metschurat.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

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