Henrik Ibsen : Nora

Nora
Manuskript: 2. Mai - 3. August 1879 Erstausgabe: Kopenhagen 1879 Uraufführung: Oslo 1880 Nora oder Ein Puppenheim Schauspiel Übersetzung: Richard Linder Deutsche Erstaufführung: München 1880
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In "Nora oder Ein Puppenheim" geht es um die Abhängigkeit der Frauen im 19. Jahrhundert zuerst von ihren Vätern und später von ihren Ehemännern. Die vorherrschende Meinung, nur Männer könnten vernünftig und verantwortungsbewusst handeln, führte dazu, dass Väter ihre Töchter und Ehemänner ihre Frauen bevormundeten und mit ihnen wie mit Puppen spielten.
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Kritik

Mit dem Schauspiel "Nora" versuchte Henrik Ibsen, den Frauen bewusst zu machen, welche Rolle sie aufgrund der gesellschaftlichen Erwartung spielen. Er wollte sie aufrütteln, damit sie anfingen, sich auf ihre eigene Persönlichkeit zu besinnen und sich zu emanzipieren.
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Der Advokat Torvald Helmer ist seit acht Jahren mit Nora verheiratet und hat mit ihr drei Kinder. Es ist Weihnachten. Nora nascht heimlich Makronen und verstößt damit gegen ein Verbot ihres Mannes, der ihr erklärte, dass Süßigkeiten schlecht für die Zähne sind. Weil Helmer am Neujahrstag zum Bankdirektor avanciert, freut Nora sich, endlich nicht mehr sparen zu müssen. Ihr Mann ermahnt sie, vernünftig zu bleiben: Sein erstes Gehalt in der neuen Position werde er erst in einem Vierteljahr erhalten. Falls ihm vorher etwas zustoße, dürfe sie keinesfalls mit Schulden dastehen. Im Spaß klagt er: „Mein Zeisig ist ein allerliebstes Geschöpf, aber er braucht eine Menge Geld. Es ist kaum zu glauben, wie teuer einem solch Vögelchen kommt.“

Noras frühere Freundin Christine Linde kommt zu Besuch. Die beiden Damen haben sich seit neun oder zehn Jahren nicht mehr gesehen. Christine heiratete vor acht Jahren einen wohlhabenden Mann, den sie nicht liebte, weil sie sein Geld brauchte, um für ihre bettlägerige Mutter und ihre beiden jüngeren Brüder sorgen zu können. Aber die Geschäfte ihres Mannes waren riskant, und bei seinem Tod vor drei Jahren hinterließ er nichts. Sie musste pausenlos arbeiten, um sich und ihre Angehörigen durchzubringen. Inzwischen starb die Mutter, und die Brüder sind groß genug, um selbst für sich sorgen zu können. Da müsse sie sehr erleichtert sein, meint Nora, aber ihre Freundin empfindet nur die Leere: „Niemand haben, dem man sein Leben widmen kann – !“

Helmer gab seine Stelle im Ministerium nach der Eheschließung auf, um sich eine besser bezahlte zu suchen. Im ersten Jahr überanstrengte er sich so, dass die Ärzte um sein Leben fürchteten und dringend zu einer Erholungsreise in den Süden rieten. Gleich nach der Geburt des ersten Kindes fuhr die Familie deshalb für ein Jahr nach Italien.Noch heute glaubt Helmer, dass Noras Vater die teure Reise bezahlt habe. Tatsächlich nahm Nora bei Rechtsanwalt Krogstad ein Darlehen auf. Den Schuldschein sollte ihr Vater als Bürge abzeichnen. Aber der lag auf dem Sterbebett, und Nora wollte nicht, dass er sich Sorgen um die Gesundheit ihres Mannes machte. Deshalb fälschte sie die Unterschrift. Krogstad merkte es am Datum: am 2. Oktober war Noras Vater bereits seit drei Tagen tot. Sie ist sich keiner Schuld bewusst, denn sie habe das Beste für ihren Mann und ihren Vater gewollt, aber der Anwalt erklärt ihr: „Die Gesetze fragen wenig nach den Beweggründen.“ Er versucht Nora zu erpressen. Sie soll ihren Mann davon abbringen, Krogstad zu entlassen, der als Bürokraft in der Bank beschäftigt ist. Helmer geht jedoch nicht auf Noras Bitten ein, denn Krogstad soll vor eineinhalb Jahren aus irgendeinem Grund eine Unterschrift gefälscht haben. Wenn er wenigstens die Tat nicht geleugnet und eine Strafe dafür verbüßt hätte, meint Helmer. Er stellt Christine Linde als Ersatz für Krogstad ein.

So kommt es, dass Krogstad einen Brief schreibt, in dem er Helmer über die Urkundenfälschung Noras informiert. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Helmer den Briefkasten leert.

Krogstad hatte vor Jahren um Christine Linde geworben. Die aber wies ihn ab, weil sein Verdienst nicht ausgereicht hätte, um ihre Mutter und ihre beiden Brüder mit zu ernähren. Jetzt erst gesteht sie Krogstad, warum sie sich damals so verhielt. Und weiter: „Ich brauche jemanden, für den ich leben kann, und Ihre Kinder brauchen eine Mutter. Wir beide sind für einander notwendig, Krogstad, ich hab‘ Vertrauen zu dem guten Kern in Ihnen; – ich wage alles, zusammen mit Ihnen.“ Damit macht sie Krogstad so glücklich, dass er seinen Brief ungeöffnet von Helmer zurückverlangen will. Christine bringt ihn davon ab: Sie ist überzeugt, dass es zwischen Nora und Torvald Helmer nicht bei den Heimlichkeiten bleiben kann und es zu einer Aussprache kommen muss.

Nach einem weihnachtlichen Fest liest Helmer den Brief und schimpft: „O, welch ein entsetzliches Erwachen! Diese ganzen acht Jahre hindurch – sie, die meine Freude und mein Stolz war – eine Heuchlerin, eine Lügnerin – ja noch Schlimmeres, Schlimmeres – eine Verbrecherin! […] Alle die leichtsinnigen Grundsätze deines Vaters – schweig! Deines Vaters leichtsinnige Grundsätze – du hast sie alle geerbt. Keine Religion, keine Moral, kein Pflichtgefühl – […] Mein ganzes Glück hast du vernichtet. Die ganze Zukunft hast du mir verdorben. […] Und so jämmerlich muss ich sinken und zugrunde gehen eines leichtsinnigen Weibes wegen!“

Er hält Nora zurück, die vorhatte, sich zu ertränken, denn er will alles vertuschen. Sie soll im Haus bleiben und nach außen so tun, als sei nichts geschehen: Es gilt „nicht mehr das Glück, es gilt nur noch, die Trümmer, die Reste, den Schein zu retten“.

Da wird ein weiteres Schreiben von Krogstad abgegeben. Helmer nimmt den Schuldschein Noras heraus und liest den Begleitbrief. Dann jubelt er: „Ich bin gerettet! Nora, ich bin gerettet!“ Leise fragt Nora: „Und ich?“ – „Du natürlich auch; wir sind beide gerettet.“ In bester Stimmung wirft Helmer den Schuldschein ins Feuer, vergibt ihr und glaubt, damit sei alles wieder wie zuvor. „Nur die Mittel verstandest du nicht zu beurteilen. Aber glaubst du, ich liebte dich weniger, weil du nicht selbstständig zu handeln vermagst? Nein, nein; stütze dich nur auf mich; ich werde dir raten und dich leiten. Ich müsste ja kein Mann sein, wenn nicht gerade diese weibliche Hilflosigkeit dich für mich besonders anziehend machte.“

Über Helmers egoistische Haltung ist Nora tief enttäuscht. Sie merkt jetzt, dass es ihm nur um seine Ehre und seine Karriere ging und er sie ebenso wenig liebte wie ihr Vater. Ihr wird bewusst, dass sie nie als Partnerin anerkannt wurde. „Es machte euch nur Spaß, in mich verliebt zu sein.“ – „Unser Heim war nichts andres als eine Spielstube. Zu Hause, bei Papa, wurde ich wie eine kleine Puppe behandelt, hier wie eine große. Und die Kinder wiederum waren meine Puppen. Ich war recht vergnügt, wenn du mit mir spieltest, so wie die Kinder vergnügt waren, wenn ich mit ihnen spielte. Das war unsere Ehe, Torvald.“

Nun besteht sie darauf, ihren Mann und die Kinder zu verlassen, um allein zu sein und mit sich ins Reine zu kommen. Sie hinterfragt jetzt die gesellschaftliche Moral und die vorgegebenen Rollenerwartungen: „Ich muss herauskriegen, wer Recht hat, die Gesellschaft oder ich.“

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In Ibsens Drama „Nora oder Ein Puppenheim“ haben die entscheidenden Ereignisse in der Vergangenheit stattgefunden. In den drei Akten werden sie nach und nach aufgedeckt. Dabei führt Henrik Ibsen die Handlung geschickt auf die Auseinandersetzung des Ehepaars am Ende hin. Weniger gelungen ist die psychologische Entwicklung der Hauptfigur, die mehr oder weniger ohne Übergang vom Kind zur Frau wird.

Mit seinem Schauspiel entlarvt Henrik Ibsen die verlogene Moral, der es nicht auf die individuellen Beweggründe ankommt.

„Nora oder Ein Puppenheim“ handelt von der Abhängigkeit der Frauen im 19. Jahrhundert – zuerst von ihren Vätern und später von ihren Ehemännern. Die vorherrschende Meinung, nur Männer könnten vernünftig und verantwortungsbewusst handeln, führte dazu, dass Väter ihre Töchter und Ehemänner ihre Frauen bevormundeten und mit ihnen wie mit Puppen spielten.

Ein Mann und eine Frau, die eine Familie gegründet haben, leben nebeneinander und haben sich unbewusst so arrangiert, dass die Frau sich anpasst, das (sexuelle) Spielzeug des Mannes ist und dafür verwöhnt wird bzw. Geld eintauscht.

Henrik Ibsen versucht, den Frauen bewusst zu machen, welche Rolle sie aufgrund der gesellschaftlichen Erwartung spielen. Sie sollen aufgerüttelt werden, damit sie anfangen, sich auf ihre eigene Persönlichkeit zu besinnen und sich zu emanzipieren.

Eine Frau, die Mann und Kinder verlässt: Das löste vor allem in Deutschland heftige Entrüstung aus. Henrik Ibsen fühlte sich gezwungen, für eine deutsche Aufführung den Schluss so zu ändern, dass Nora zurückkehrt.

Symbol der Hoffnung ist ein anderes Paar: Krogstad und Christine Linde.

Harald Braun verfilmte „Nora oder Ein Puppenheim“ 1944 mit Luise Ullrich und Viktor Staal. Eine weitere Verfilmung stammt aus dem Jahr 1972; Joseph Losey drehte sie mit Jane Fonda, David Warner und Trevor Howard.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © Verlag Felix Bloch Erben, Berlin

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