Christian Berkel : Ada

Ada
Ada Originalausgabe Ullstein Buchverlage, Berlin 2020 ISBN 978-3-550-20046-5, 395 Seiten ISBN 978-3-8437-2337-4 (eBook) Taschenbuch ISBN 978-3-548-06496-3
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1954 kehrt die deutsche Jüdin Ursula ("Sala") Nohl mit ihrer neun Jahre alten Tochter Ada aus dem Exil in Argentinien nach Deutschland zurück und findet in Berlin auch Adas Vater Otto Berkel wieder. Adas Fragen bleiben unbeantwortet, weil sich die Eltern über die Vergangenheit ausschweigen. Sie muss ihren Weg selbst finden.
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Kritik

In "Ada", dem zweiten Band einer geplanten autobiografischen Romantrilogie, führt Christian Berkel eine fiktive Ich-Erzählerin ein: seine zwölf Jahre ältere Schwester Ada. Er versteht es, seine ungewöhnliche Familiengeschichte vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Ereignisse lebendig darzustellen.
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Argentinien

Ada wird im Februar 1945 in Leipzig geboren. Als sie zwei Jahre alt ist, wandert die Mutter Ursula („Sala“) Nohl mit ihr nach Argentinien aus. Ihr Vater Otto Hermann Berkel, ein zu diesem Zeitpunkt noch unverheirateter Stabsarzt der Wehrmacht, weigert sich nach seiner Freilassung aus russischer Gefangenschaft im Jahr 1950, ihnen zu folgen. Er heiratet eine andere Frau und fängt als HNO-Facharzt in einem Berliner Krankenhaus zu praktizieren an.

In Buenos Aires wird Sala zunächst von einem argentinischen Ehepaar (German, Mercedes) als Erzieherin für die beiden Kinder eingestellt. Beim nächsten Arbeitgeber erhält sie nur noch eine Anstellung als Putzfrau.

Sie lässt Ada katholisch taufen und schickt sie in eine Klosterschule.

Im Herbst 1954 kehrt die inzwischen 35-jährige Mutter mit ihrer neunjährigen Tochter nach Deutschland zurück.

In Deutschland wurde alles anders. Als Erstes bekam ich von einem Matrosen eine Ohrfeige verpasst, weil ich in Hamburg unerlaubt auf die Landungsbrücke gesprungen war. Mit diesem Klatschen endete meine Kindheit. Alles war verboten in diesem neuen Land, das über Nacht wieder zu meiner Heimat werden sollte, an das ich aber jede Erinnerung verloren hatte.

Die Familie

Fürs Erste werden sie in Berlin von Salas Freundin Mopp aufgenommen, bis sie nach Otto Berkels Scheidung zu ihm nach Charlottenburg ziehen können.

Ottos Mutter Anna war dreimal verheiratet, und aus jeder der drei Ehen gibt es ein Kind: Ottos gleichnamiger Vater fiel drei Monate vor der Geburt des Sohnes im Ersten Weltkrieg. Mit den beiden anderen Ehemännern (Willy, Karl) bekam Anna jeweils eine Tochter (Erna, Inge).

Salas Vater Johannes („Jean“) Nohl zog 1907 mit seinem Lebensgefährten, dem anarchistischen Aktivisten und Schriftsteller Erich Mühsam, in die alternative pazifistische Künstlerkommune am Monte Verità im Tessin. Dort lernte er seine erste Ehefrau kennen, die aus Łódź stammende jüdische Ärztin Iza Prussak. Als Sala, die Tochter des Ehepaars, sechs oder sieben Jahre alt war, brannte Iza mit einem 20 Jahre jüngeren Liebhaber nach Madrid durch und ließ Sala beim Vater zurück.

Unter dem NS-Regime musste Jean wegen seiner gesetzlich verbotenen Homosexualität Zwangsarbeit in den Siemenswerken in Berlin-Spandau verrichten. Nach dem Krieg zog er es vor, nicht in Westberlin oder der Bundesrepublik zu leben, sondern in der DDR, in Leipzig. Der Journalist und Kunsthistoriker war vorübergehend Sekretär des Schriftstellers Theodor Plievier und Lektor des Gustav Kiepenheuer Verlags in Leipzig. In zweiter Ehe ist er seit 1950 mit der Schauspielerin, Bildhauerin und Schriftstellerin Dora Wentscher verheiratet, die 1946 aus dem Exil in Moskau nach Weimar zurückgekehrt war.

Iza kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco, wurde deshalb zum Tod verurteilt und musste fünf Jahre lang im Gefängnis mit ihrer Hinrichtung rechnen.

Schwangerschaften

Otto beendet schließlich seine Tätigkeit in der Klinik, eröffnet eine eigene HNO-Praxis und zieht mit seiner Familie in eine Villa in Berlin-Frohnau.

Dort sind die Berkels regelmäßig Gastgeber eines Freundeskreises, zu dem außer dem Pfarrer Krajewski und dem aus Wien stammenden Onkel Hans Georg („Schorsch“) das Arztehepaar Gerhard und Gertrud Buschatzki, die beiden Augenärzte Achim Pumptow und Wolfgang Däumler sowie Achims Ehefrau Anneliese gehören.

Am 28. Oktober 1957, gut drei Wochen nachdem die Sowjets mit „Sputnik“ den ersten künstlichen Erdsatellit ins All geschossen und im Westen einen Schock ausgelöst haben, bringt Sala einen Sohn zur Welt, der den Spitznamen „Sputnik“ erhält. Ada ist zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt.

Sie wird für einige Zeit zur Schulfarm auf der Insel Scharfenberg im Tegeler See geschickt. Als sie kurz vor ihrem 16. Geburtstag von dort zurückkommt, haben die Eltern ihr Zimmer Sputnik überlassen, und sie muss sich mit einer Abstellkammer im Keller begnügen.

Am 13. August 1961 – dem Tag, an dem mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen wird – lässt sich Ada auf einem Rummelplatz hinter einem Bau- oder Wohnwagen von einem Jungen namens Hajo deflorieren – und wird schwanger.

Zur gleichen Zeit erwartet auch ihre Mutter noch einmal ein Kind.

Weil Sala Berlin aus Furcht vor einer sowjetischen Invasion verlassen und nach Argentinien zurückkehren möchte, verkauft Otto die Villa in Frohnau. Aber die Familie bleibt dann doch in Berlin und mietet ein Haus am Gralsritterweg im selben Ortsteil.

Ada sucht Rat bei ihren freizügigen Großeltern in Weimar, und diese vermitteln ihr einen Termin bei einem älteren Frauenarzt. Von ihm erfährt Ada mehr über ihre Mutter, von der sie bis dahin noch nicht einmal wusste, dass sie Jüdin ist.

Sala war 1938 im Alter von 19 Jahren vor den Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen, aber die Vichy-Regierung sperrte sie 1942 im Internierungslager Gurs nördlich der Pyrenäen ein. Unter den harten Bedingungen starben viele, und Überlebende wurden nach Auschwitz deportiert. Sala gelang die Flucht. Mit gefälschten Papieren auf den Namen Christa Meyerlein arbeitete sie dann als Pflegerin in einem Krankenhaus in Leipzig. Durch die Betreuung einer todkranken Patientin kam sie in Kontakt mit deren Ehemann, einem Medizinprofessor, der in einer anderen Klinik aktiv am Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten mitarbeitete. Er wusste, dass die Hochschwangere Jüdin war und mit einem deutschen Offizier gegen das Verbot der „Rassenschande“ verstoßen hatte. Im Februar 1945 half er ihr bei der Geburt Adas, aber sie musste zwei Bedingungen erfüllen: seine sterbende Frau bis zum letzten Atemzug pflegen und ihm schriftlich bescheinigen, dass er Juden geholfen habe.

Der Arzt hilft nun auch Ada und nimmt auf ihre dringende Bitte hin trotz des gesetzlichen Verbots eine Abtreibung vor.

Nach einigen Tagen kehrt Ada nach Berlin zurück, und niemand erfährt dort etwas von ihrer Schwangerschaft.

Ihre Mutter erleidet am Heiligen Abend 1961 eine Fehlgeburt.

APO

Das Jahr 1962 mit der Kuba-Krise geht vorbei. Ada beginnt nach dem Abitur ein Medizinstudium, wechselt aber nach einem Semester zu Romanistik und Philosophie.

Am 15. September 1965 treten die Rolling Stones auf der Waldbühne in Berlin auf. Ada ist unter den Fans der Beatband, die Absperrungen von Polizisten und Ordnern durchbrechen und ohne Eintrittskarte auf das Gelände vordringen. Dort kommt es zu schweren Krawallen. Die Stones bringen sich nach ein paar Songs in Sicherheit, heizen dadurch aber die Randale weiter an. Die aufgebrachte Menge zertrümmert die Einrichtung und liefert sich Schlachten mit der Polizei. Am Ende zählt man 87 Verletzte.

Ada entkommt dem Getümmel mit Ole, den sie bei der Veranstaltung kennengelernt hat. Sie verbringt die Nacht mit ihm in seinem Zimmer. Als sie es am nächsten Morgen verlässt, trifft sie in der Küche der WG auf seine halbnackten Mitbewohnerinnen und -bewohner.

Nach Hause kommt Ada nur noch zum Wäschewaschen und wenn das Geld knapp wird.

Ole beginnt, mit Haschisch zu dealen und holt Nachschub aus Amsterdam. Als Ada zufällig bei ihm einen Zettel mit der Telefonnummer einer Prostituierten in Amsterdam entdeckt, ermahnen die anderen sie, keine bürgerlichen Besitzansprüche auf Ole zu erheben. Aber als sie ihn mit Heroin erwischt, kehrt sie in ihr Zimmer im Keller des Elternhauses zurück.

Im April 1967 heißt es, die als Teil der außerparlamentarischen Opposition der Studentenbewegung gegründete und als Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie gedachte Kommune I habe ein Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey während seines Berlin-Besuchs geplant. Aber es stellt sich heraus, dass die vorbereiteten farbigen Beutel keinen Sprengstoff, sondern Mehl und Pudding-Pulver enthielten („Pudding-Attentat“).

Am 2. Juni 1967 nimmt Ada an der Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien teil. Während Mohammad Reza Pahlavi und seine Ehefrau Farah eine Aufführung der „Zauberflöte“ in der Deutschen Oper besuchen, liefern sich Polizei und Demonstranten Straßenschlachten. Dabei tötet der Polizist Karl-Heinz Kurras den 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss aus seiner Dienstpistole. Ada glaubt, Benno Ohnesorg und seine Frau Christa zuvor noch gesehen zu haben. Durch den gewaltsamen Tod des Demonstranten wird die APO radikalisiert.

Paris

Im März 1968 ‒ während der Studentenproteste und des Generalstreiks in Paris ‒ besucht Ada dort ihre Großtante Lola und ihren Großonkel Robert. Lola, die mit einem Biophysiker verheiratete jüngere Schwester von Adas Großmutter Iza, arbeitet in Paris als Modedesignerin und betreibt eine Boutique.

Sie erzählt, wie ihr jüdischer Vater ihre Schwester verstieß, als Iza den Goij Jean Nohl heiratete.

Lola und Robert nehmen ihre Besucherin mit in die Synagoge zu einer Bar-Mizwa, aber dort können sie nicht zusammen bleiben, denn Frauen dürfen bei der Zeremonie nur von einer Empore aus zusehen.

Auf der Straße wird Ada von einem Mann angesprochen, den sie aus ihrer Kindheit kennt, denn Hannes besuchte Sala und sie nach ihrer Rückkehr aus Argentinien in Berlin. Ada nimmt an, dass ihre Mutter Liebesbeziehungen sowohl mit Otto als auch mit Hannes hatte und ist sich nicht sicher, welcher der beiden ihr leiblicher Vater ist. Sala telefonierte vor ein paar Tagen mit Hannes, und so erfuhr er von Adas Besuch bei ihrer Großtante Lola in Paris.

Woodstock

Statt von Paris nach Berlin zurückzukehren, leiht Ada sich von Lola Geld und fliegt nach New York. Dort schlägt sie sich mit Gelegenheitsjobs durch.

Im August 1969 fährt Ada nach Bethel/New York. Auf Feldern und Weiden in der Nähe findet vom 15. bis 18. August ein Musik-Festival statt. Weil als Veranstaltungsort zunächst Woodstock geplant war, eine Stadt etwa 70 Kilometer nordöstlich von Bethel, redet man vom Woodstock-Festival. Trotz des schlechten Wetters nehmen schätzungsweise 400 000 Menschen daran teil, und – anders als bei den Rolling Stones vor 20 000 Fans in Berlin – bleibt alles friedlich. Woodstock gilt als Höhepunkt der Hippie-Bewegung und Gegenmodell zu einer Gesellschaft, die für Rassismus, politisch motivierte Morde (John F. Kennedy, Malcolm X, Martin Luther King, Robert F. Kennedy) und den Vietnam-Krieg steht.

Epilog

1984 bricht Ada den Kontakt zu ihrer Familie ab. Spontan lässt sie sich von einem Standesbeamten mit einem ebenso wie sie geschiedenen Mann verheiraten, aber die Ehe scheitert nach wenigen Monaten.

1989 beginnt Ada mit einer Psychotherapie.

Am 9. November 1989 sieht sie ihren jüngeren Bruder als Schauspieler in einer Aufführung des Shakespeare-Stücks „Maß für Maß“ wieder. Aber sie bleibt ihm fern.

Ada verliebt sich in einen gehörlosen Mann namens Heinrich und fängt an, mit Gehörlosen zu arbeiten.

1993 verabredet sich Ada nach neun Jahren erstmals wieder mit ihrer Mutter Sala. Und ein paar Monate später sieht sie auch ihren Vater Otto wieder, in Andalusien, wo die Eltern seit zehn Jahren leben.

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Mit „Ada“ führt der Schauspieler Christian Berkel sein erfolgreiches Romandebüt „Der Apfelbaum“ fort, und es heißt, er plane eine autobiografische Trilogie. „Der Apfelbaum“ beginnt 1932 in Berlin, als sich die 13-jährige Ursula („Sala“) Nohl und der vier Jahre ältere Otto Berkel verlieben. „Ada“ setzt die Geschichte mit Salas Rückkehr aus Argentinien 1954 fort, aber nun führt Christian Berkel eine fiktive Protagonistin und Ich-Erzählerin ein: seine zwölf Jahre ältere Schwester Ada. Der Roman „Ada“ endet mit dem Woodstock-Festival 1969 und einem Ausblick auf die Zeit bis 1993. Als Rahmenhandlung sucht Ada ab 1989 einen Psychotherapeuten auf und erinnert sich an ihre von unbeantworteten Fragen und dem Schweigen der Eltern über die Vergangenheit geprägte Kindheit und Jugend, in der sie versuchte, ihren eigenen Weg zu finden.

Christian Berkel entwickelt die Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte und wirft einen kritischen Blick auf die Nachkriegsjahre und das Aufbegehren der Achtundsechziger-Generation gegen die der Eltern, die ein NS-Regime ebenso wie den Vietnam-Krieg ermöglichte, aber die Vergangenheit ausblendet.

Christian Berkels Vorfahren – vor allem seine Großeltern – waren alles andere als Durchschnittsmenschen, und er versteht es als Autor, die Familiengeschichte farbig darzustellen. Vor allem die Dialoge wirken lebensecht. Da zählen ein paar weniger geglückte Formulierungen nicht weiter. „Ada“ ist eine packende, mitreißende Lektüre.

Den Roman „Ada“ von Christian Berkel gibt es auch als Hörbuch, gelesen vom Autor.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © Ullstein Buchverlage

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.