Das Münchner Abkommen, 1938


Durch den „Anschluss“ Österreichs im März 1938 verlängerte sich die deutsch-tschechoslowakische Grenze weit nach Osten. Um die Tschechoslowakei unter Druck zu setzen, verlangte Hitler am 28. März von Konrad Henlein, dem Führer der Sudetendeutschen Partei, unannehmbare Autonomie-Forderungen zu stellen. Daraufhin verabschiedete die SdP am 24. April das Karlsbader Programm.

Als Hitler in der Sudetenkrise mit einem Krieg gegen die Tschechoslowakei drohte, sprach der britische Premierminister Arthur Neville Chamberlain am 15. September auf dem Obersalzberg mit ihm, um den Überfall abzuwenden. Eine Woche später, am 22. September, traf er sich in Bad Godesberg erneut mit Hitler und akzeptierte dessen Forderung nach einer Abtretung der vorwiegend von Sudetendeutschen bewohnten Gebiete an das Deutsche Reich.

Aber Hitler war nicht an einer einvernehmlichen Lösung interessiert. Stattdessen kündigte er einen Beginn des Krieges noch im September an. Daraufhin wandten sich britische Diplomaten an den italienischen Diktator Benito Mussolini und baten ihn, mäßigend auf seinen deutschen Kollegen einzuwirken.

Am 29. September 1938 eilten die Regierungschefs aus Großbritannien, Frankreich und Italien – Neville Chamberlain, Édouard Daladier und Benito Mussolini – nach München, um sich dort mit Hitler zu besprechen. Ohne die betroffene Regierung auch nur zu konsultieren, einigten sich die vier Mächte auf Gebietsabtrennungen der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich. Das in der Nacht auf den 30. September im „Führerbau“ unterzeichnete Münchner Abkommen verlangte von der Regierung in Prag den Verzicht auf die überwiegend von Sudetendeutschen bewohnten Grenzregionen Böhmens. Die Einzelheiten sollten noch von einem Ausschuss geregelt werden.

Ein paar Stunden nach der Unterzeichnung wurde die Regierung in Prag über die Abmachungen unterrichtet. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich dem Diktat zu unterwerfen, weil die Tschechoslowakei andernfalls vermutlich nicht nur von Deutschland, sondern auch von Ungarn und Polen angegriffen worden wäre.

Am 1. Oktober 1938 wurde der „Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete“ veröffentlicht, und die Wehrmacht marschierte vom 1. bis 10. Oktober ins Sudetenland ein. Es wurde dem Deutschen Reich zugeschlagen, und die neuen Grenzen legte man am 20. Oktober in einer deutsch-tschechoslowakischen Vereinbarung fest.

Staatspräsident Edvard Beneš war am 5. Oktober zurückgetreten und hielt sich nun in London auf. Sein Nachfolger hieß Emil Hácha.

Polen und Ungarn nutzten die Gelegenheit, ihrerseits Gebiete der Tschechoslowakei zu besetzen.

Hitler hatte bereits am 5. November 1937 in einem mehrstündigen Monolog vor dem Reichsaußenminister Konstantin von Neurath und den wichtigsten Repräsentanten der Wehrmacht klar zum Ausdruck gebracht, dass er einen Angriffskrieg vorbereitete, um den „Lebensraum“ des deutschen Volkes zu erweitern. (Wir kennen den Inhalt der Rede durch ein von Oberst Friedrich Hoßbach aus eigenem Antrieb nachträglich anhand von Notizen verfasstes Protokoll.) Zwar rechnete Hitler mit dem Risiko eines militärischen Eingreifens der Franzosen und Briten im Fall von gewaltsamen Erweiterungen des deutschen Staatsgebietes, aber er glaubte, sich mit der Regierung in London einigen zu können, und meinte, das würde Frankreich von einem Kriegseintritt abhalten.

Eigentlich wollte er die Sudetenkrise zuspitzen und Krieg führen, aber die von Neville Chamberlain betriebene Appeasement-Politik durchkreuzte seinen Plan. Notgedrungen musste er sich im Münchner Abkommen mit dem Sudetenland begnügen, statt gleich die ganze Tschechoslowakei zu erobern.

Die Erleichterung der Bevölkerung über das Münchner Abkommen vereitelte aber auch Putschpläne gegen Hitler („Septemberverschwörung“). Der Offizier Hans Oster, der seit Ende September 1938 die Zentralabteilung der Abwehr leitete, wollte im Fall eines Angriffskrieges die zu erwartende Unruhe nutzen, um Hitler zu beseitigen. Weil die Wehrmacht nach eigener Einschätzung 1938 noch nicht in der Lage gewesen wäre, an zwei Fronten erfolgreich Krieg zu führen, hätten sich Militärs wie Wilhelm Canaris, Ludwig Beck und Erwin von Witzleben an dem Staatsstreich beteiligt. (Der Generalstabschef Beck war am 18. August 1938 aus Protest gegen die Kriegstreiberei zurückgetreten.) Die Verschwörer, zu denen auch der Staatssekretär Ernst von Weizsäcker gehörte, standen in Kontakt mit der Widerstandsgruppe um den ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler. Als Frankreich und Großbritannien mit dem Münchner Abkommen erreichten, dass Hitler sich zunächst mit einer vertraglichen Gebietsabtrennung begnügte, brachen die Putschpläne in sich zusammen.

Hitler soll sich über das Münchner Abkommen geärgert haben. Dabei war es nicht zuletzt unter militärischen Gesichtspunkten vorteilhaft für ihn, denn die starken tschechoslowakischen Grenzbefestigungen befanden sich in den ans Deutsche Reich übergebenen Gebieten.

Am 15./16. März 1939 brach Hitler das Münchner Abkommen und annektierte die sogenannte „Rest-Tschechei“. Daraus machte er völkerrechtswidrig das „Protektorat Böhmen und Mähren“. Die Slowakei galt seit 14. März als eigener Staat.


Robert Harris schrieb über die Verhandlungen von Neville Chamberlain, Édouard Daladier und Benito Mussolini mit Hitler am 29./30. September 1938 den Roman „München“.

© Dieter Wunderlich 2017

Robert Harris: München

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