Ana Carolina Reston


Ana Carolina Reston Macan wurde am 29. Mai 1985 in Jundiai, einem Vorort von São Paulo, als Tochter einer Mittelklassefamilie geboren und wuchs in einem Bungalow mit Swimming Pool am Stadtrand auf. Im Alter von dreizehn Jahren gewann sie Anfang 1999 einen örtlichen Schönheitswettbewerb. Vier Tage später erhielt sie das erste Angebot als Model.

Zu dieser Zeit war das brasilianische Topmodel Gisele Bündchen das Idol vieler junger Brasilianerinnen. Bei Nachwuchswettbewerben meldeten sich Hunderttausende, die darauf hofften, mit einer Karriere als Model den sozialen Aufstieg zu schaffen. »Bei Ana ging es anfangs nur um Spaß«, wird die Mutter Miriam Reston später in einem »Stern«-Interview behaupten. »Geld hatten wir genug.« Das Mädchen sei gern vor der Kamera gestanden, denn da habe es sich als wichtig empfunden.

2002 überfiel eine bewaffnete Bande das Elternhaus von Ana Carolina Reston Macan und raubte das Gold, mit dem die Familie die Zukunft hatte sichern wollen. Vier Kilogramm sollen es gewesen sein. Der Anfang der Neunzigerjahre an Alzheimer und Parkinson erkrankte Vater Narciso Macan konnte keinen Beruf mehr ausüben, und die Mutter, die selbstgemachten Schmuck verkaufte, erklärte

Ana und deren Bruder, sie müssten sich fortan einschränken.

Zum Glück stand Ana Carolina Reston inzwischen bei der brasilianischen Model-Agentur »Ford« unter Vertrag und konnte zum Familieneinkommen beitragen. Um rechtzeitig zu Fotoshootings zu kommen, trug sie mitunter noch die Schuluniform, wenn sie mit dem Bus nach São Paulo fuhr. Weil die Ärzte damit rechneten, dass sie nicht größer als 1,68 Meter werden würde – zu wenig für eine erfolgreiche Model-Karriere –, schreckte Ana Carolina Reston nicht davor zurück, sich neun Monate lang Hormone verschreiben zu lassen – und erreichte mit achtzehn Jahren eine Körpergröße von 1,74 Meter.

Im Winter 2003/2004 wurde sie von der Agentur »Elite« für drei Monate nach Guangzhou vermittelt. In der chinesischen Stadt, 180 Kilometer nördlich von Hongkong, teilte sich Ana Carolina Reston ein Apartment mit anderen Models. Anfangs verdiente sie bis zu 800 Dollar am Tag, doch dann ging die Anzahl die Buchungen zurück. Aufgrund der Kommentare, die sie hörte, glaubte sie, abnehmen zu müssen – und hungerte sich innerhalb von zwei Monaten von 52 auf 47 Kilogramm herunter. »Sie hat aufgehört, richtig zu essen«, erzählt später eine Kollegin.

Im Unterschied zu vielen Konkurrentinnen verdiente Ana Carolina Reston in China wenigstens so viel, dass sie von ihren Gagen die Reise und den Aufenthalt bezahlen konnte. Sie hatte sich jedoch mehr erhofft und war enttäuscht, als sie aus Guangzhou zurückkehrte. In der Hoffnung auf Erfolg schluckte sie Schlankmacher, ernährte sich aus Sorge um ihre Figur fast nur noch von Äpfeln und Tomaten, und wenn sie doch einmal etwas anderes aß, erbrach sie sich danach heimlich.

Gegen den Rat ihrer Agentur kündigte Ana Carolina Reston im August 2005 ihren Vertrag und nahm ein Engagement in Mexiko an. Doch wie von den Experten bei »Elite« befürchtet, entsprach das brasilianische Model mit den Maßen 84-59-85 nicht den Vorstellungen der Mexikaner, die noch nicht dem Schlankheitswahn verfallen waren und üppigere Kurven bevorzugten. »Toilettenpapier und Zucker klaue ich bei McDonalds«, schrieb Ana ihrer Mutter.

Die brasilianische Agentur »L’Equipe«, die ihr den Rückflug bezahlte und sie unter Vertrag nahm, schickte Ana Carolina Reston nach Japan, wo sie in Osaka für einen Katalog von Giorgio Armani posieren sollte. Plötzlich erbrach sie Blut. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte eine Anorexie und äußerten die Vermutung, dass die nur noch 42 Kilogramm schwere Patientin Spülmittel oder Salzwasser getrunken hatte, um sich zu übergeben.

Sobald sie dazu in der Lage war, flog Ana Carolina Reston nach São Paulo zurück. Ihre Mutter holte sie vom Flughafen ab und konsultierte später mit ihr den Gerontologen, der Anas Vater behandelte. Der Arzt empfahl Ana Carolina eine Psychotherapie, aber darauf ließ sie sich nicht ein. Stattdessen erholte sie sich bei Verwandten an der Küste und nahm innerhalb einiger Wochen vier Kilogramm zu.

Danach zog Ana Carolina Reston zu einer Cousine in São Paulo, wo sie sich in den ein Jahr jüngeren Dressman Bruno Setti verliebte. Sie spielte mit dem Gedanken, Ozeanografie zu studieren. Zuvor wollte sie noch mehr Geld verdienen, und weil die Model-Gagen nicht reichten, trug sie beispielsweise Werbezettel für Nachtklubs aus.

Am 2. August 2006 brach das zweiundzwanzigjährige Model Luisel Ramos aus Uruguay, das wie Ana Carolina Reston magersüchtig war, in Montevideo tot auf dem Laufsteg zusammen. Daraufhin schlossen die Veranstalter der Modewoche »Pasarela Cibeles« im September 2006 in Madrid unter starkem Medienecho alle Models mit einem Body Mass Index von weniger als 18 von den Defilees aus. Andere Veranstalter folgten dem Beispiel. Sie wollten dem von »Twiggy« Mitte der Sechzigerjahre eingeführten Schlankheitswahn ein Ende machen.

Ana Carolina Reston hätte nach diesem Maßstab bei 1,74 Meter Körpergröße mindestens 55 Kilogramm wiegen müssen. Davon war sie weit entfernt. Inzwischen litt sie unter Nierenschmerzen. Dagegen ließ sie sich Tabletten verschreiben. Ihre Cousine kritisierte sie, doch statt auf deren Rat zu hören, zog Ana Carolina Reston zu einer Freundin in São Paulo. Bald machten ihr nicht nur Schmerzen, sondern auch Herzrasen, Schweißausbrüche und Schlaflosigkeit zu schaffen. »Ich fühle mich seltsam und zerbrechlich«, schrieb sie in einem Brief. »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«

Nach einem Shooting am 17. Oktober 2006 für das Internet-Modemagazin »Gloria Kalil« musste sich die Einundzanzigjährige bei ihrer Freundin ins Bett legen. Verzweifelt rief sie ihre Mutter an, die jedoch ihren kranken Mann nicht allein zu Hause lassen konnte. Am 19. Oktober hätte Ana Carolina Reston den nächsten Termin gehabt, aber sie musste ihn absagen. Vier Tage später hielt sie die Schmerzen nicht mehr aus und ließ sich von einer Nachbarin ihrer Freundin ins Samaritano Hospital bringen. Am 25. Oktober wurde sie ins Krankenhaus für städtische Angestellte verlegt, wo man sie künstlich beatmete und ihr Bluttransfusionen verabreichte. Sie wog nur noch 40 Kilogramm.

Drei Wochen lang lag Ana Carolina Reston auf der Intensivstation. Am 14. November 2006 starb die Einundzwanzigjährige an mehrfachem Organversagen infolge ihrer Anorexie.

In der Öffentlichkeit und in der Modewelt heizten die Todesfälle magersüchtiger Models – am 13. Februar 2007 starb auch noch Eliana Ramos, die achtzehnjährige Schwester von Luisel Ramos – die Debatte über den Schlankheitswahn an. Kritiker warfen den Modeschöpfern und den Fotografen der Magazine vor, durch extrem schlanke Models in den Medien eine für gesunde Frauen unerreichbare Leitvorstellung zu erzeugen – und damit viele junge Frauen in eine Essstörung zu treiben.

Rechtzeitig zur Mailänder Modewoche im September 2007 sorgte der durch seine umstrittenen »Benetton«-Plakate berühmte Mode-Fotograf Oliviero Toscani mit dem Schockfoto einer Nackten für Schlagzeilen: Im Auftrag der Modemarke »No.l.ita« fotografierte er die siebenundzwanzigjährige französische Schauspielerin Isabelle Caro, die seit ihrer Pubertät unter Bulimie litt und zum Zeitpunkt der Aufnahmen bei 1,65 Meter Körpergröße 31 Kilogramm wog. Der Fotograf und die ausgemergelte Frau wollten mit dem hässlichen Nacktfoto auf die verheerende Krankheit aufmerksam machen.

© Dieter Wunderlich 2007

Magersucht, Anorexie
Bulimie

John Grisham - Der Gerechte
John Grisham verknüpft in dem Justizroman eine Reihe verschiedener Gerichtsfälle durch eine unge­wöhn­liche Hauptfigur. Lesenswert ist "Der Gerechte" wegen der kenntnis­reichen, in anschaulich erzählten Geschichten verpackten Kritik an der Rechtsprechung.
Der Gerechte