Der Nachtportier
Der Nachtportier
Inhaltsangabe
Kritik
1943 wurde die fünfzehnjährige Wienerin Lucia (Charlotte Rampling) in ein nationalsozialistisches Konzentrationslager gesperrt, weil ihr Vater ein sozialistischer Politiker war. Dort fiel sie dem SS-Offizier Maximilian („Max“) Theo Aidorfer (Dirk Bogarde) auf, der sich gern als Arzt ausgab und nackte weibliche Gefangene filmte. Die wehrlose junge Frau faszinierte ihn, und er zwang sie, ihm sexuell zu dienen. Während Lucia sich seinen Launen schweigsam fügte, wechselte sein Verhalten zwischen Brutalität und Zärtlichkeit, und nachdem Lucia sich über einen zudringlichen Kapo beklagt hatte, überreichte Max ihr dessen Kopf in einem Geschenkkarton.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Max als Nachtportier in einem guten Hotel in Wien. Er könne nur nachts tätig sein, erklärt er einmal, denn bei Tageslicht schäme er sich über seine Vergangenheit. Um sich von seinen Schuldgefühlen abzulenken, erfüllt er eifrig die Wünsche der Gäste. Beispielsweise besorgt er der alternden Gräfin Erika von Stein (Isa Miranda) einen jungen Mann fürs Bett. Zu den Gästen gehören auch einige Herren, die im „Dritten Reich“ ebenfalls zur SS gehört hatten. Unter der Führung von Dr. Hans Vogler (Gabriele Ferzetti) treffen sie sich regelmäßig zu Besprechungen, deren Ziel es ist, dass weder Dokumente noch Zeugen gegen einen von ihnen auftauchen. Klaus (Philippe Leroy) erweist sich dabei als ebenso erfolgreicher wie skrupelloser Detektiv.
1957 kommt der amerikanische Musiker Atherton (Marino Masé) nach Wien, um in der Volksoper „Die Zauberflöte“ zu dirigieren. In dem Hotel, in dem Max als Nachtportier beschäftigt ist, hat er für sich und seine Ehefrau Lucia ein Zimmer reserviert. Max und Lucia erkennen sich auf den ersten Blick wieder. Beide werden daraufhin von quälenden Erinnerungen heimgesucht. Lucia ist verstört; sie tut zunächst alles, um Max nicht mehr zu begegnen und will vorzeitig abreisen. Sie könnte zur Polizei zu gehen und ihren Peiniger anzeigen, aber sie tut es nicht, und als ihr Mann zu weiteren Gastauftritten in Frankfurt am Main und Berlin abreist, bleibt sie in Wien zurück.
Nachts kommt Max zu ihr ins Zimmer. Warum sie hier sei, fragt er aufgebracht und verprügelt sie. Lucia schreit und versucht, ihm zu entkommen; dann verführt sie ihn. Max sträubt sich zunächst dagegen, doch schließlich fällt er auf dem Fußboden über sie her.
Seinen Kameraden verschweigt Max bei der nächsten Zusammenkunft, dass eine Zeugin noch lebt und er die sadomasochistische Beziehung mit ihr wieder aufgenommen hat. Der frühere Faschistenoffizier Mario (Ugo Cardea), der inzwischen mit seiner österreichischen Ehefrau Greta (Hilda Gunther) ein Restaurant in Wien betreibt, hat Lucia jedoch gesehen und Klaus vor einer möglichen Belastungszeugin gewarnt. Bevor Klaus erfährt, um wen es sich handelt, fährt Max mit Mario zum Angeln und ertränkt ihn.
Es dauert nicht lang, bis Klaus herausfindet, wer Mario umgebracht hat und dass Max sich in einem der Hotelzimmer mit der Ehefrau des Dirigenten Atherton trifft.
Nach ein paar Tagen zieht Lucia zu Max in dessen Wohnung.
Einmal sperrt sie sich im Badezimmer ein und zertrümmert eine kleine Flasche, bevor sie wieder aufschließt und zusieht, wie Max barfuß in die Glasscherben tritt. Als sie seinen verletzten Fuß in die Hand nimmt, drückt er sie damit ebenfalls in die Splitter.
Atherton meldet seine Frau als vermisst, und die Polizei sucht nach ihr.
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Anfangs versieht Max noch seinen Dienst als Nachtportier, aber dann verlässt er die Wohnung nicht mehr, sondern verbarrikadiert sich darin mit Lucia. Vom Fenster aus sieht er, dass ihn seine früheren Kameraden beschatten, und als er einmal auf den Balkon tritt, schießen sie auf ihn. Nach zehn Tagen zieht Max den Schrank von der Wohnungtür weg und bittet die Nachbarin (Nora Ricci) verzweifelt, ein paar Lebensmittel für ihn zu kaufen, aber da taucht einer der früheren SS-Offiziere (Nino Bignamini) auf, und Max rennt in seine Wohnung zurück. Schließlich kann Max nicht mehr mit ansehen, wie Lucia halb verhungert im Bett liegt: Obwohl er weiß, dass Klaus und Bert (Amedeo Amodio) hinter ihnen her sind, verlässt er mit Lucia das Haus. Auf einer Donaubrücke werden die beiden aus dem Hinterhalt erschossen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Mit ihrem Film „Der Nachtportier“ über die sadomasochistische amour fou zwischen einem SS-Schergen und einem KZ-Opfer löste die italienische Regisseurin Liliana Cavani einen Skandal aus. Man warf ihr vor, die „Faszination des Bösen“ auf einen sexualpathologischen Aspekt reduziert und den nationalsozialistischen Terror als eye catcher missbraucht zu haben. Diese Ansicht teile ich nicht.
Obwohl sich Liliana Cavani als Regisseurin einer Fernsehdokumentation mit dem „Dritten Reich“ auseinandergesetzt hatte, ging es ihr in „Der Nachtportier“ offenbar nicht um eine authentische Darstellung der Verhältnisse in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager. Stattdessen zeigt sie etwas anderes: Der Irrsinn endete nicht mit dem Untergang des „Dritten Reichs“! Auch wenn die physischen Verletzungen nach dem Zweiten Weltkrieg irgendwann verheilt waren und die Opfer inzwischen ein normales Leben zu führen schienen, konnten die psychischen Traumatisierungen jederzeit wieder aufbrechen. Liliana Cavani beschäftigt sich in „Der Nachtportier“ nicht nur mit dem Schicksal eines Opfers, sondern auch mit dem eines Täters, eines schwachen Mannes, der im Konzentrationslager seine funktionale Machtstellung ausnutzt und sich an einer wehrlosen jungen Frau vergreift, der später von seiner Schuld nahezu erdrückt wird und schließlich der von ihm früher gequälten Frau bei einem zufälligen Wiedersehen erneut verfällt. Zwölf Jahre nach dem Krieg zerbrechen sowohl das Opfer als auch der Täter an ihrer im Konzentrationslager erlittenen psychischen Deformierung.
„Der Nachtportier“ ist ein atmosphärisch dichtes, verstörendes und von Dirk Bogarde und Charlotte Rampling sehr überzeugend gespieltes Filmkunstwerk.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Kino- und Fernsehfilme über das „Dritte Reich“
Liliana Cavani (kurze Biografie / Filmografie)
Liliana Cavani: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund