4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage
4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage
Inhaltsangabe
Kritik
Gabriela („Gabita“) Dragut (Laura Vasiliu), eine zweiundzwanzigjährige Studentin am Polytechnikum in Bukarest, wird 1987 ungewollt schwanger. Obwohl Abtreibungen unter dem rumänischen Staatspräsidenten Nicolae Ceausescu mit Gefängnisstrafen geahndet werden, beschließt Gabita, das Kind wegmachen zu lassen. Dabei hilft ihr Otilia (Anamaria Marinca), die Mitbewohnerin ihres Zimmers im Studentenwohnheim, die ihr an Tatkraft und Organisationstalent überlegen ist. Während Gabita auf dem Bett sitzen bleibt und sich die Beine rasiert, kauft Otilia vor dem Aufbruch noch Seife und Zigaretten.
Sie trifft sich kurz mit ihrem Freund Adi Radu (Alexandru Potocean), der gerade auf den Beginn einer Chemie-Prüfung wartet und ihr, wie versprochen, 200 Lei borgt, einen Teil des für die illegale Abtreibung fälligen Betrags. Adi erwartet von Otilia, dass sie am Abend an der Geburtstagsfeier seiner Mutter Gina (Luminita Gheorghiu) teilnimmt. Als Otilia ihm erklärt, sie könne nicht kommen, fragt er nach dem Grund, und als sie ihn auf eine spätere Erklärung zu vertrösten versucht, streitet er mit Otilia, bis sie einlenkt und verspricht, nicht nur pünktlich da zu sein, sondern auch noch Blumen zu kaufen, die er seiner Mutter dann schenken kann.
Außerdem kümmert Otilia sich um das Hotelzimmer, in dem die Abtreibung durchgeführt werden soll. Weil im Unireal Hotel, in dem Gabita angeblich anrief, keine Reservierung vorliegt und das Haus ausgebucht ist, nimmt Otilia in einem anderen Hotel ein Zimmer, das sie für drei Nächte im Voraus bar bezahlen muss. Danach geht sie zu dem verabredeten Treffen mit dem Engelmacher Viarel (Vlad Ivanov), der sich mit „Herr Bebe“ ansprechen lässt. Seinen Namen bekamen Gabita und Otilia von einer Bekannten namens Ramona. Viarel zeigt sich verärgert darüber, dass Gabita nicht selbst gekommen ist und Otilia ein Zimmer in einem anderen als dem von ihm angegebenen gebucht hat. Auf dem Weg zum Hotel, wo Gabita bereits wartet, fährt er noch bei seiner dementen Mutter (Eugenia Bosânceanu) vorbei und herrscht sie an, im Haus zu bleiben und nicht ans Telefon zu gehen. Die Rezeptionistin beschwert sich darüber, dass Otilia den Besucher nicht angemeldet hat und besteht darauf, dass er während seines Besuchs im Hotel seinen Ausweis bei ihr hinterlegt.
Mürrisch untersucht er Gabita und stellt fest, dass sie nicht im zweiten Monat ist, wie sie am Telefon behauptete, sondern bereits im vierten. Von Ramona erfuhren Gabita und Otilia, dass die Abtreibung voraussichtlich 3000 Lei kosten werde. Sie bekamen allerdings nur 2000 zusammen, und davon fehlen bereits 180, die Otilia für das Zimmer bezahlen musste. Viarel tut so, als wolle er Gabita nur helfen und behauptet, es komme ihm nicht auf Geld an. Erst allmählich begreifen die Mädchen, dass er stattdessen vor dem Eingriff mit ihnen beiden Sex haben will. Weil sie keinen anderen Ausweg sehen, lassen sie sich nacheinander auf die Erniedrigung ein.
Während Viarel dann im Bad ist, entnimmt Otilia seinem Aktenkoffer ein Schnappmesser und versteckt es.
Gabita folgt Viarels Anweisungen und legt sich mit nacktem Unterkörper und gespreizten Beinen aufs Bett. Er reibt eine mitgebrachte Sonde mit Alkohol ab, führt sie in ihre Vagina ein und spritzt durch den Schlauch ein Abtreibungsmittel in ihren Uterus. Bevor Viarel die beiden jungen Frauen verlässt, schärft er Gabita ein, bis zum Abortus bewegungslos auf dem Rücken liegen zu bleiben. Es könne ein paar Stunden, aber auch zwei oder drei Tage dauern. Falls sie nach einem Krankenwagen rufe, seien sie und er schon so gut wie im Gefängnis. Den Fetus soll Otilia dann in einen Müllschlucker werfen, möglichst weit oben in einem Hochhaus.
Otilia, die aufgebracht darüber ist, dass sie sich wegen der Unachtsamkeit ihrer Mitbewohnerin einem widerlichen Kerl hingeben musste, erklärt Gabita, sie müsse zu Gina Radus Geburtstagsfeier, werde aber in einer Stunde zurück sein und ihr weiter beistehen. Damit während ihrer Abwesenheit niemand das Zimmer betreten kann, sperrt sie es von außen ab. Die Rezeptionistin gibt ihr den Ausweis mit, den Viarel liegen ließ.
Adi stellt erbost fest, dass Otilia nicht nur zu spät kommt, sondern auch noch die Blumen vergessen hat. Adis Vater Gregorij (Adi Carauleanu) fordert sie auf, sich zu ihm und den Gästen an den Tisch zu setzen, aber Otilia sagt kaum ein Wort und erträgt die belanglose Unterhaltung kaum. Einmal klingelt nebenan das Telefon, aber niemand hebt ab, und als sie selbst im Hotel anrufen möchte, telefoniert gerade ein anderer Gast. Endlich geht Adi mit Otilia auf sein Zimmer. Dort will er wissen, was mit ihr los ist. Sie sagt ihm, dass sie gerade dabei sei, Gabita bei einer Abtreibung zu helfen. Adi missfällt das. Obwohl er seine Freundin liebt, spürt er aufgrund seiner männlichen Egozentrik nicht, was sie gerade durchmacht.
Endlich kann sie das Telefon benutzen, aber Gabita hebt nicht ab.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Besorgt eilt Otilia durch die Dunkelheit zurück zum Hotel. Vor dem Eingang steht ein Krankenwagen. Aber die Sanitäter sind nicht bei Gabita. Otilia findet sie schlafend im Bett vor. Der tote Fetus liegt im Bad auf dem Boden. Entsetzt weicht Otilia zurück, aber dann nimmt sie sich zusammen, packt den Fetus in eine Tasche und bricht auf, um ihn wegzubringen. Gabita bittet sie darum, ihn nicht in einen Müllschlucker zu werfen, sondern ihn zu begraben. Otilia irrt durch die Nacht. Als sie eine Mülltonne öffnet, wird sie von einem Hund angekläfft und sie schreckt zurück. In einem verwahrlosten Viertel flüchtet sie vor Geräuschen, die ihr Angst machen in ein Treppenhaus. Dort legt sie die Tasche samt Inhalt in einen Mülleimer. Dann kehrt sie zum Hotel zurück.
Im Saal neben dem Eingang findet an diesem Abend eine Hochzeitsfeier statt, und es kam zu einer Prügelei mit Verletzten.
Gabita ist nicht im Zimmer. Sie sitzt allein im Hotelrestaurant. „Ich hatte Hunger“, flüstert sie, als Otilia sie zur Rede stellt und sich zu ihr setzt. Ob Otilia den Fetus begraben habe, erkundigt sie sich, doch sie bekommt keine Antwort. „Wir sollten nie wieder darüber sprechen“, rät Otilia, und Gabita nickt. Dann vertieft sie sich in die Speisekarte, die der Kellner Otilia hinlegte, nachdem er Gabita das bestellte Essen serviert hatte.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Unter dem rumänischen Staatspräsidenten Nicolae Ceausescu waren Verhütungsmittel und Abtreibungen durch das zum Gesetz erhobene Dekret 770 aus dem Jahr 1966 verboten. Wer beim Schwangerschaftsabbruch ertappt wurde, musste mit einer jahrelangen Haftstrafe rechnen. Wurde eine Frau, bei der es durch die Abtreibung zu Komplikationen kam, in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht, kam es vor, dass die sogleich alarmierte Polizei die medizinische Versorgung verzögerte, bis die Patientin die Namen ihrer Helfer angab.
Auch wenn sich die Handlung um eine Abtreibung dreht, geht es in „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ nicht um das Für und Wider von Schwangerschaftsabbrüchen. Cristian Mungiu veranschaulicht stattdessen an einem konkreten Beispiel das gesellschaftliche Klima unter einem totalitären Regime. Ohne anklagend den Zeigefinger zu heben, ohne überhaupt auf politische Zusammenhänge explizit einzugehen, zeigt der Film, wie der Alltag von Abhängigkeit und Korruption, Repression, Angst und Erniedrigung geprägt war.
Das Schlimmste, was das Regime in uns bewirkt hat, war die Beeinflussung unseres Denkens dahin, dass wir bei Entscheidungen die moralische Dimension nicht erwägen. Das ist eine unterschwellige, schädliche Vereinnahmung. Ich brauchte Jahre, um mir bewusst zu werden, dass der Kampf gegen den Kommunismus nicht nur ein Kampf um die Freiheit selbst war, sondern auch um frei denken zu lernen. (Cristian Mungiu in einem Interview)
Die Männer in „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ sind keine Vorbilder. Verhütung und Schwangerschaft überlassen sie den Frauen. Adi ist ein Egozentriker ohne Verständnis für die Frau, die er liebt. Viarel herrscht seine Mutter respektlos an, nutzt die Notlage von jungen Frauen skrupellos aus, genießt seine Macht und stilisiert sich dabei noch als altruistischer Wohltäter.
Die beiden Hauptfiguren sind grundverschieden: Gabita ist antriebslos und unselbstständig, unzuverlässig und verlogen. Otilia handelt dagegen entschlossen und mutig, verfügt über Tatkraft und Organisationstalent. Aus ihrer Perspektive wird die Handlung erzählt.
Wie in einem Thriller baut Cristian Mungiu Spannung auf. Dabei scheut er sich nicht, den Zuschauer zum Beispiel durch ein Messer und einen an der Rezeption vergessenen Ausweis an der Nase herumzuführen.
Abgesehen von einigen Versatzstücken aus dem Thriller-Genre spart Cristian Mungiu alles aus, was einen Film üblicherweise sehenswert macht. „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ ist karg, spröd und nüchtern, naturalistisch und wirkt beinahe dokumentarisch. Auf eine Musikuntermalung hat Cristian Mungiu ganz verzichtet. Umso wichtiger sind die Geräusche. Die Farbigkeit ist reduziert. Kunstlicht wird nur minimal eingesetzt. Um auch im übertragenen Sinn Distanz zu wahren, bleibt die Kamera immer ein Stück weit weg von den Gesichtern. Bei vielen Szenen – beispielsweise bei der Geburtstagsfeier von Gina Radu – handelt es sich um Plansequenzen, also um in Echtzeit und ohne Schnitt gedrehte Takes. Obwohl mit einer Handkamera gefilmt wird, verharrt diese immer wieder lange Zeit in einer bestimmten Position, schwenkt Figuren, die das Bild verlassen, nicht nach und zoomt auch nicht in den Weitwinkelbereich, wenn von den am Tisch sitzenden Geburtstagsgästen links und rechts nur die Hände zu sehen sind. Das evoziert eine klaustrophobe Atmosphäre und verstärkt die Beklemmung. Minimalistisch ist auch die Handlung, die sich in ein paar Stunden an wenigen Schauplätzen abspielt.
Viele Zuschauer nehmen an, die Darsteller seien Laien, denen ich zu improvisieren erlaubt habe. Sie sind erfahrene Schauspieler, und es gibt im Film kein Wort, das nicht im Drehbuch steht. (Cristian Mungiu)
Die Dreharbeiten begannen im Januar 2007 am Stadtrand von Bukarest und dauerten zweiunddreißig Tage.
Nach der Premiere am 17. Mai 2007 bei den 60. Filmfestspielen von Cannes wurde „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ mit einer „Goldenen Palme“ ausgezeichnet.
Weil es in Rumänien zu diesem Zeitpunkt nicht einmal fünfzig Kinos gab und diese Hollywood-Streifen vorbehalten waren, lieh Cristian Mungiu sich in Deutschland eine mobile Projektionsanlage und ging damit auf Tournee durch fünfzehn rumänische Städte.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010