En garde

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En garde

Originaltitel: En garde - Regie: Ayse Polat - Drehbuch: Ayse Polat - Kamera: Tina Mersmann - Schnitt: Thilo Mengler - Darsteller: Maria Kwiatkowsky, Pinar Erincin, Luk Piyes, Antje Westermann, Geno Lechner, Julia Mahnecke, Jytte-Merle Böhrnsen, Teresa Harder u.a. - 2004; 90 Minuten

Inhaltsangabe

Mit 16 kommt Alice in ein Erziehungsheim. Zögernd lässt sich die verschlossene Außenseiterin auf die Freundschaft ein, die ihr von der extravertierten kurdischen Asylantin Berivan aufgedrängt wird. Als Berivan den lebenslustigen Türken Ilir kennen lernt und dessen Freundin wird, empfindet Alice das als schmerzhaften Verlust und rächt sich an Berivan ...
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Kritik

In "En garde" porträtiert Ayse Polat eine 16-Jährige, die sich durch eine fragile Freundschaft aus ihrer Selbstisolierung und ihren inneren Zwängen befreit. Die beiden Mädchen werden von Maria Kwiatkowsky und Pinar Erincin glaubwürdig dargestellt.
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Alice Kowalski (Maria Kwiatkowsky) wuchs bei ihrer Großmutter auf. Nach deren Tod nimmt Frau Kowalski (Antje Westermann) – Alices Mutter – zwar den Hund der Verstorbenen bei sich auf, aber mit ihrer sechzehnjährigen Tochter kann sie noch immer nichts anfangen. Sie war selbst gerade sechzehn gewesen, als sie das ungewollte Kind bekommen hatte. Von der Großmutter erfuhr Alice, ihre Mutter sei betrunken gewesen und in der Toilette einer Disko geschwängert worden. Frau Kowalski erklärt ihrer Tochter, sie habe damals von ihrer verhassten Mutter fort gewollt und sich deshalb mit allen möglichen Männern herumgetrieben, in der Hoffnung, dass einer sich in sie verlieben würde. Aber daraus wurde nichts. Jetzt betreibt sie einen Maniküre-Salon.

Frau Kowalski bringt Alice in ein katholisches Erziehungsheim. Willenlos, gleichgültig und mit hängenden Schultern trottet Alice vom Parkplatz bis zum Eingang hinter ihrer Mutter her.

Alice kommt zu Martha (Julia Mahnecke) und Josefine (Jytte-Merle Böhrnsen) aufs Zimmer. Die beiden nehmen ihr als Erstes den Schrankschlüssel ab und verlangen von Alice einen Walkman und die Zusage, ihnen regelmäßig ihr Taschengeld zu überlassen.

Weil Alice plötzlich jedes Geräusch quälend laut empfindet, fährt Schwester Clara (Geno Lechner) mit ihr zur HNO-Ärztin, die eine psychosomatisch bedingte Hyperakusis diagnostiziert und Alice rät, sich mit Ohrstöpseln gegen Lärm zu schützen. Weil Schwester Clara anschließend mit der Heimbewohnerin Berivan (Pinar Erincin), einer Asylantin, zur Behörde muss, ist auch das kurdische Mädchen mit im Bus und erfährt von Alices Erkrankung. Die extravertierte Berivan bestürmt die verschlossene Alice mit ihrer Freundschaft, aber Alice lässt sich nur zögernd darauf ein.

Um ihren Schrankschlüssel wiederzubekommen, lenkt Alice ihre neue Freundin ab und stiehlt deren Walkman. Wütend verlangt Berivan ihn von ihr zurück und vergisst dabei die Zigarette, die sie verbotenerweise im Fernsehraum geraucht hat. Alice nimmt die brennende Zigarette, steckt damit die beiden Japan-Ballons an und schaut zu, wie das Zimmer in Brand gerät.

Schwester Clara forscht nach der Ursache des Feuers. Alice sagt zwar zunächst, sie habe eines der Mädchen im Fernsehraum rauchen gesehen, aber dann verrät sie doch keinen Namen und behauptet, es sei zu dunkel gewesen, um jemand zu erkennen.

Berivan bedankt sich bei Alice dafür, dass diese sie nicht verriet und verzichtet dafür auf die Rückgabe des Walkman.

Beim Fechtunterricht lernen Berivan und Alice, was „en garde“ bedeutet.

Schwester Clara, eine frustrierte Frau, die ihre Sinnlichkeit verdrängt und sich in den katholischen Glauben geflüchtet hat, erkennt in Alice eine Seelenverwandte, aber sie ist nicht fähig, dem Mädchen Liebe entgegenzubringen. Sie warnt Alice davor, sich ganz und gar auf die Freundschaft Berivans zu beschränken und die anderen Mädchen links liegen zu lassen. Berivans Asylantrag ist noch nicht genehmigt; es könnte also sein, dass sie von heute auf morgen das Land verlassen muss. Berivan weiß, dass die Behörden sie abschieben würden, wenn sie herausfänden, dass sie während ihrer Flucht rumänischen Boden betreten hatte. Sie erzählt es zwar ihrer Freundin Alice, nimmt ihr aber den Schwur ab, das Geheimnis zu bewahren.

Einmal verlaufen Alice und Berivan sich auf dem Weg von der Schule zum Heim. Zufällig treffen sie den jungen Türken Ilir (Luk Piyes), der als Kind mit Alice befreundet gewesen war. Inzwischen hat er ein Café eingerichtet und fährt außerdem Pizzen aus. Ilir nimmt die beiden Mädchen in seinem Wagen mit. Nachdem sie in der Nähe des Heims ausgestiegen sind, merkt Berivan, dass sie ihren Beutel mit Geld, Ausweisen und Erinnerungsfotos im Auto vergaß. Weil Alice sich nicht mehr an den Namen ihres früheren Spielgefährten erinnert, sucht sie ihre Mutter im Maniküre-Salon auf und fragt sie nach dem Namen des Jungen. Frau Kowalski hält den unangekündigten Besuch und die Frage für Zumutungen. Anstelle eines lieben Wortes für ihre Tochter klebt sie ihr lange rote Nägel auf – die Alice wieder herunterreißt, sobald sie mit Berivan allein ist.

Als die Freundinnen ins Heim zurückkommen, liegt Berivans Beutel in deren Zimmer. Ilir hat ihn vorbeigebracht. Um sich zu bedanken, suchen Alice und Berivan ihn in seinem Café auf. Ilir geht mit ihnen in ein chinesisches Restaurant. Die beiden fröhlichen Menschen Ilir und Berivan finden rasch Gefallen aneinander. Einige Zeit später fahren sie zusammen eine Runde auf dem Moped, während Alice in dem Café auf sie warten soll. Stattdessen geht Alice ins Heim zurück und verpetzt Berivan, die irgendeine Lüge erzählt, um ihre Verspätung zu rechtfertigen. Nachdem Alice beobachtete, wie Ilir und Berivan sich küssten, sticht sie ihrer Freundin beim Florettfechten plötzlich mitten in die Gesichtsmaske. Berivan wird zwar nicht verletzt, erschrickt jedoch und kündigt Alice die Freundschaft auf.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Um Berivan zur Versöhnung zu zwingen, droht Alice ihr, Schwester Clara zu verraten, dass sie heimlich im Fernsehraum rauchte und rumänischen Boden betreten hatte. Statt darauf einzugehen, drückt Berivan Alice den Kopf auf die Spüle und hämmert neben ihr mit einer Schöpfkelle auf den Stahl. Zufällg hörte die Heimbewohnerin Ines, was Alice sagte und verrät es Schwester Clara. Die stellt Alice und Berivan zur Rede. Alice bezichtigt Ines der Lüge, nimmt die Schuld für den Zimmerbrand auf sich und drängt Berivan, sich zu verteidigen. Es kommt zu einem Gerangel, bei dem Clara mit dem Hinterkopf gegen eine Kante der Spüle schlägt und tot zu Boden sinkt. Bevor die Leiche entdeckt wird, schreibt Alice in ihrem Zimmer endlich die von Schwester Clara am ersten Tag erbetene Liste der Dinge, die sie mag und die sie nicht mag. Das Blatt Papier legt sie der Toten zwischen die Hände.

Beim Verhör behauptet sie, am Abend zu Schwester Clara ins Büro gegangen zu sein, um ihr die fertige Liste zu übergeben. Die Erzieherin habe sie kritisiert und ihr angekündigt, dass man sie in ein anderes Heim verlegen werde. In ihrer Wut habe sie zwar Schwester Clara zurückgestoßen, sie aber nicht töten wollen.

Das Gericht wertet Schwester Claras Tod als Unfall, verschont Alice von einer Verurteilung und verfügt lediglich ihre Überstellung in ein anderes Heim. Im Korridor des Justizgebäudes trifft Alice auf Berivan. Die Asylantin darf bis auf weiteres in Deutschland bleiben, wird allerdings in einer anderen Stadt untergebracht.

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In „En garde“ – ihrem zweiten abendfüllenden Kinofilm (der erste trägt den Titel „Auslandstournee“) – porträtiert die deutsch-kurdische Regisseurin Ayse Polat eine sechzehnjährige Heimbewohnerin, die am liebsten nicht wahrgenommen werden möchte und sich durch die fragile Freundschaft mit einer gleichaltrigen Asylantin aus ihrer Selbstisolierung sowie von ihren inneren Zwängen befreit. Zugleich geht es in „En garde“ um Vertrauen und Vertrauensverlust sowie um das Erwachsenwerden. Die Idee für den Film „En garde“ sei durch ihre Begegnung mit „Sozialwaisen“ und Flüchtlingskindern in Heimen, Jugendwohngruppen und in einem internationalen Kulturzentrum entstanden, erläutert Ayse Polat.

Mir fiel auf, dass Freundschaften für sie heilig sind, da sie ihre Familien ersetzen,die sie – unfreiwillig oder freiwillig – verloren haben. Auf der einen Seite finden sie Halt und Geborgenheit in der Freundschaft, aber gleichzeitig überschattet die Angst vor einem erneuten Verlassen-Werden jede Beziehung.

Die Protagonistin Alice sagt einmal:

Das Tolle am Fechten ist: Der Ablauf ist klar. Man stellt sich gegenüber, „en garde!“, und los. Manchmal gibt man sich dem Spiel hin und verliert sich darin. Dann vergisst man sich. Man vergisst die Zeit und die Angst. Das sind die schönsten Momente.

Ayse Polat hat die Handlung in einen Rahmen eingebettet und erzählt sie in Form von Rückblenden: Alice – die das Geschehen auch sarkastisch aus dem Off kommentiert – berichtet ihrer Verteidigerin (Teresa Harder) vor dem Gerichtsprozess, was geschah. Gleich zu Beginn sagt sie: „Ich wollte nicht, dass sie stirbt!“ Das schafft von Anfang an Suspense.

Über die Optik ihres Films sagt Ayse Polat:

Meinem Kameramann Patrick Orth und mir war die Wachheit wichtig, Helligkeit. Die Frage war, wie man das extreme Hören von Alice visualisiert. Die Bilder sollten eine gewisse übernatürliche Schärfe bekommen […] Die Stimmung sollte auch keinesfalls düster sein, wie es das Klischee der „Heimfilme“ vielleicht verlangt. Der Zuschauer sollte sich unbewusst an das Gefühl erinnern, das man hat, wenn man im Sommer in der Hitze steht, wenn die Helligkeit störend ist, weh tut. Zudem wollte ich möglichst nahe ran an die Figuren, ohne dass es zum modischen Gebrauch der Handkamera kommt.

Beim 57. Internationalen Filmfestival im August 2004 in Locarno wurde Ayse Polat für „En garde“ mit dem „Silbernen Leoparden“ ausgezeichnet. Der Preis für die beste Hauptdarstellerin ging zu gleichen Teilen an die beiden Nachwuchsschauspielerinnen Maria Kwiatkowsky und Pinar Erincin.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

Frauke Buchholz - Blutrodeo
Frauke Buchholz bietet mit dem Kriminalroman "Blutrodeo" eine farbig und lebendig erzählte spannende Geschichte mit viel Lokalkolorit. Sie verknüpft damit auch ihre Kritik an der Ölindustrie in Kanada, die das den First Nations heilige Land verwüstet.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.