Troubled Water

Troubled Water

Troubled Water

Troubled Water – Originaltitel: DeUnsynlige – Regie: Erik Poppe – Drehbuch: Harald Rosenløw Eeg – Kamera: John Christian Rosenlund – Schnitt: Einar Egeland – Musik: Johan Söderqvist – Darsteller: Pål Sverre Valheim Hagen, Trine Dyrholm, Ellen Dorrit Petersen, Fredrik Grøndahl, Trond Espen Seim u.a. – 2008; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Während Agnes in einem Café einen Becher Kakao für ihren kleinen Sohn Isak kauft, rennen zwei Jugendliche mit dem Kinderwagen und dem Jungen darin weg. Sie haben es auf Agnes' am Kinderwagen hängende Tasche abgesehen, aber bei dem Raub kommt Isak ums Leben. Acht Jahre später wird Jan Thomas, der jüngere der beiden Täter, aus der Haft entlassen und fängt als Organist in einer Kirche an. Durch Zufall erkennt Agnes ihn wieder und glaubt nun, den kleinen Sohn der Pastorin beschützen zu müssen ...
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Kritik

Das Besondere an "Troubled Water" ist die Struktur: Erik Poppe erzählt die Geschichte zweimal, zunächst so wie der Täter sie erlebt, dann aus der Sicht der Mutter des Opfers. Die Tat selbst wird in bruchstückhaften Rückblenden gezeigt.
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Als Agnes (Trine Dyrholm) in ein Café in Oslo geht, um für ihren kleinen Sohn Isak (Jon Vågenes Eriksen) einen Becher Kakao zu besorgen, verschüttet sie etwas davon und säubert erst noch im Waschraum ihren weißen Pullover, bevor sie wieder zu dem draußen abgestellten Kinderwagen hinausgeht. Der ist nicht mehr da. Verzweifelt sucht sie nach Isak.

Der kleine Junge sitzt nach wie vor im Kinderwagen, aber der wurde von zwei Jugendlichen fortgeschoben, die es auf den Inhalt der daran hängenden Tasche abgesehen haben. Isak sagt, er kenne einen der beiden Jungen: Jan Thomas Hansen (Pål Sverre Valheim Hagen) wohnt offenbar in der Nachbarschaft, und Isak hat ihn mehrmals gesehen. Während Jan und sein älterer Komplize Agnes‘ Tasche durchsuchen, klettert das Kind aus dem Wagen, läuft die Böschung am Flussufer hinunter und stürzt. Jan hebt das am Kopf blutende, leblos am Boden liegende Kind auf, geht damit ins Wasser und lässt es dann zu den nahen Stromschnellen treiben.

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Im Gefängnis erlernt Jan das Orgelspiel, und als er nach acht Jahren wegen guter Führung vorzeitig entlassen wird, bewirbt er sich unter dem Namen Thomas Hansen für die ausgeschriebene Stelle in einer Kirche in Oslo als Organist. Bei der Pastorin handelt es sich um eine allein erziehende Mutter namens Anna (Ellen Dorrit Petersen). Sie wird Thomas später erzählen, dass sie das Kind während des Studiums bekam. Ihr Freund drängte sie zur Abtreibung, aber sie entschied sich dagegen und brach deshalb nicht nur mit ihm, sondern auch mit ihrer Familie.

Der Gemeindeverwalter (Terje Strømdahl) besorgt Thomas eine kleine Wohnung, und die Pastorin bringt ihm Vorhänge. Wenn Anna verhindert ist, holt Thomas ihren Sohn Jens (Fredrik Grøndahl), der ihn sehr an den Jungen im Fluss erinnert, vom Kindergarten ab. Jens gewöhnt sich rasch an ihn und ist gern mit ihm zusammen. Zwischen Anna und Thomas entwickelt sich eine Liebesbeziehung. Einmal fragt Thomas sie: „Passiert es, dass du Menschen in Gottes Namen vergibst, aber sie selbst verurteilst?“ Er möchte herausfinden, ob sie dazu in der Lage ist, ihm nicht nur als Pastorin, sondern als Mensch zu vergeben. So lange er sich dessen nicht sicher ist, verschweigt er ihr die Wahrheit über sich.

Einer Schulklasse, die mit der Lehrerin die Kirche besichtigt, spielt Thomas den Song „Bridge over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel vor.

Bald erfährt Thomas vom Verwalter, der offenbar inzwischen weiß, dass er im Gefängnis war und auch den Grund kennt, dass die Mutter des toten Jungen nach ihm fragte. Er fährt mit dem Rad zu der Adresse, trifft jedoch nur Agnes‘ Ehemann Jon (Trond Espen Seim) an. Der verlangt von ihm, dass er seine Schuld bekennt und wird wütend, als Thomas beteuert, es habe sich um einen Unfall gehandelt.

Einige Zeit später holt Thomas den Sohn der Pastorin wieder einmal mit dem Fahrrad vom Kindergarten ab. Jens fällt unterwegs ein, dass er etwas vergessen hat. Sie kehren um. Thomas lässt das Kind auf dem Gepäckträger des Fahrrads sitzen, während er ins Gebäude geht, um das Vergessene zu holen. Danach findet er das Rad umgestürzt vor. Jens ist nicht mehr da. Verzweifelt sucht Thomas nach dem Kind.

– – –

Bei der Lehrerin, die mit ihrer Schulklasse die Kirche besichtigte, handelte es sich um Agnes.

Sie und ihr Ehemann Jon haben inzwischen zwei asiatische Mädchen adoptiert: Selma und Malin (Henriette Garcia, Angelou Garcia). Überraschend eröffnet Jon seiner Familie, dass er zwei Jahre lang in Dänemark arbeiten werde. Vor allem Selma sträubt sich gegen den geplanten Umzug. (Erst später findet Agnes heraus, dass Jon einige Wochen zuvor von Jans Freilassung erfuhr und sich daraufhin um eine Versetzung bemühte.)

Nachdem Agnes die ältere der beiden Adoptivtöchter zu einem Schulkonzert gebracht hat, bei dem Selma auftreten soll, fährt sie mit Malin zu der Kirche, in der sie Jan Thomas wiedererkannt hat. Dort findet eine Hochzeit statt, und er spielt auf der Orgel. Als Agnes mit Malin in die Schule zurückkommt, ist Selmas Auftritt bereits vorbei und das Mädchen wirft die Geige frustriert in eine Ecke.

Den Abend verbringt Jon auf Einladung seines zukünftigen Chefs (Bjarne Henriksen) in einem Restaurant. Auch die beiden Frauen sind dabei. Die Dänin Sofia (Bodil Jørgensen) bedauert Agnes, weil diese ihren Sohn verloren hat und es kein Grab gibt, an dem sie ihn beweinen kann, weil die Leiche nie gefunden wurde. Ihr gehe es ähnlich, erzählt sie: Ihr fast erwachsener Sohn ist ein Junkie, und sie sieht ihn so gut wie nie.

Agnes beschattet Jan Thomas und findet heraus, dass er mit der Pastorin und ihrem Sohn zusammen ist. In einem Supermarkt stellt sie sich kurz neben Anna und flüstert ihr zu, sie solle auf ihr Kind aufpassen. Dann schiebt sie den Einkaufswagen, in dem Jens sitzt, unbemerkt in einen anderen Bereich und geht.

Als Agnes die Ablage des Organisten durchsucht, wird sie vom Verwalter ertappt. Sie kann es nicht fassen, dass die Kirche einen Mörder beschäftigt. Aber der Verwalter meint, jeder habe eine zweite Chance verdient, und der Sohn der Pastorin möge Thomas.

Agnes packt im Keller Umzugskisten und bekommt deshalb nicht mit, dass Jan Thomas nach ihr fragt. Als ihr Mann ihm jedoch „Mistkerl“ nachschreit, hört sie das. Erst während der Abschiedsfeier für Freunde, Kollegen, Nachbarn und andere Bekannte, verrät Jon ihr, wer der Besucher war. Da fällt ihr auf, dass Selma nicht da ist. Die Kinder seien unterwegs, um sich ein Eis zu kaufen, sagt jemand. Agnes rennt ihnen nach und holt Selma ins Haus. Sie hat panische Angst um ihre beiden Adoptivtöchter.

Noch einmal geht sie in die Kirche und ruft nach Jan. Der ist nicht da. Von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter erfährt sie, dass er zum Kindergarten fuhr, um Jens abzuholen. Die Pastorin betritt die Kirche. Agnes wirft ihr vor, einen Mörder zu beschäftigen. Dagegen müsse man doch etwas tun, meint sie. Auf diese Weise erfährt Anna von Thomas‘ Vergangenheit. Agnes eilt mit dem Auto zum Kindergarten. Dort sieht sie, wie Jan Thomas das Fahrrad mit Jens auf dem Gepäckträger abstellt und hineingeht. Sie nutzt die Chance und entführt Jens.

Während Jan Thomas und bald auch die Pastorin verzweifelt nach dem Kind suchen, kommt Jon nach Hause. Mama habe Isak zurückgebracht, ruft Malin. Jon begreift, dass seine Frau einen Jungen entführt hat. So ruhig wie möglich fragt er ihn nach seinem Namen und geht dann zum Telefon, um sich die Nummer seiner Mutter geben zu lassen. Weil er dadurch abgelenkt ist, entgeht ihm, dass Agnes das Kind wieder ins Auto zerrt. Gerade als sie losfährt, taucht Jan Thomas auf, reißt die Beifahrertür auf und springt in den Wagen.

Agnes fährt mit ihm und Jens zu der Stelle am Fluss, an der vor acht Jahren ihr Sohn ums Leben kam. Dort hält sie an. Sie will wissen, was damals geschah. Vor Gericht schoben Jan und sein Komplize sich nur gegenseitig die Schuld zu. Jan beteuert noch einmal, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Der Junge sei gestürzt, habe sich am Kopf verletzt und sei tot gewesen. Er habe ihn daraufhin ins Wasser getragen. Agnes glaubt ihm nicht und beschuldigt ihn, ihren Sohn ermordet zu haben.

Während die beiden Erwachsenen heftig streiten, klettert Jens verstört aus dem Auto, läuft die Böschung zum Fluss hinunter und ins Wasser hinein. Die Strömung reißt ihn fort. Jan springt ihm nach, kriegt ihn zu fassen und klammert sich mit ihm zusammen an einen dicht über dem Wasser hängenden Ast. Agnes klettert hin und birgt Jens. Schließlich sitzen alle drei nass und erschöpft am Ufer. Da gesteht Jan die Wahrheit: Er hielt Isak für tot, aber als er ihn ins Wasser trug, blickte ihn der Junge unvermittelt an. Trotzdem ließ er ihn los.

Sie fahren zurück. Jan steigt mit Jens im Arm aus und übergibt den Jungen im Treppenhaus der herbeigeeilten Mutter. Verzweifelt zitiert Jan, was er die Pastorin sagen hörte, beispielsweise dass Gutes aus Bösem entstehen könne und Gott sich bei allem etwas denke. Anna zieht sich jedoch schweigend mit ihrem Sohn zurück. Noch ist sie viel zu verstört, um antworten zu können.

Agnes wird zu Hause von ihrem Mann umarmt. Zögernd kommen auch Selma und Malin zu ihr.

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In seinem Film „Troubled Water“ veranschaulicht der norwegische Filmregisseur, Drehbuchautor und Kameramann Erik Poppe (* 1960) eine komplexe Täter-Opfer-Beziehung. Ist die Mutter eines toten Kindes in der Lage, dem Mann zu verzeihen, von dem sie glaubt, er habe es ermordet? Der Täter wird von seiner Schuld umgetrieben. Zugleich sehnt er sich nach einem Neuanfang, wird jedoch von der Vergangenheit eingeholt. Hat jeder eine zweite Chance verdient? Kann Gutes aus Bösem entstehen?

Erik Poppe entwickelt das Geschehen in der ersten Hälfte von „Troubled Water“ aus der subjektiven Sicht des Täters Jan Thomas. Dann zeigt es uns aus der Sicht der traumatisierten Mutter Agnes. Dabei wiederholen sich einige Szenen, aber wir sehen sie beim zweiten Mal aus einer anderen Perspektive. Wie die Tat ablief, erfahren wir nur im Nachhinein aus bruchstückhaften Rückblenden und schließlich Jans Geständnis. Dass „Troubled Water“ allerdings damit beginnt, wie die beiden Jugendlichen Agnes‘ vor einem Café stehenden Kinderwagen rauben, zerstört dieses von Rückblenden durchbrochene Diptychon. Konsequenter wäre es gewesen, wenn Erik Poppe alle mit der Tat zusammenhängenden Szenen als Rückblenden eingebaut und mit Jans Haftentlassung begonnen hätte. Besonders eindrucksvoll ist die Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit bei der Parallelmontage der verzweifelten Suche nach Jens und Isak.

Die Schnitte erfolgen hart und abrupt. Häufig wird nur für ein paar Sekunden in eine andere Ebene gewechselt. Das entspricht der inneren Zerrissenheit der beiden Hauptfiguren. Im Gegensatz dazu verwendet Erik Poppe hin und wieder unscharfe Nahaufnahmen für weiche Überblendungen.

Erik Poppe zieht dramaturgisch und erzählstrategisch alle Register. Er jagt seine Figuren über das vulkanisches Gelände ihrer inneren Wüsteneien. Jeden Moment kann die Lava hervorgeschleudert werden: als Gewaltausbruch oder als stürmisches Zärtlichkeitsverlangen. „Troubled Water“ ist Melodram und Meditation, multiperspektivische Seelenerforschung und kriminalistische Ermittlung. Den schroff kontrastierenden Seelenlagen gemäß wird das Wasser-Motiv dekliniert: vom „Leben spendenden“ Taufwasser über die tödlichen Wasserwirbel des Flusses bis zum Glaubens-Diskurs. (Rainer Gansera, Süddeutsche Zeitung, 18. März 2010)

„Troubled Water“ ist zu lang; auf einige Nebenfiguren und -handlungen hätte Erik Poppe gut verzichten können.

Dass Jan Thomas bei seinem versuchten Neuanfang den Namen wechselt, leuchtet ein, aber dass er die ganze Zeit mit einem Verband an der rechten Hand herumläuft, der wohl seine psychische Verletzung symbolisieren soll, wirkt ein wenig aufgesetzt, zumal er damit hervorragend Orgel spielt.

Die beiden Hauptfiguren werden von Pål Sverre Valheim Hagen und Trine Dyrholm ausdrucksstark und überzeugend verkörpert.

Der norwegischer Organist, Pianist und Komponist Iver Kleive (* 1949) spielte die Orgelmusik ein.

Mit „Troubled Water“ schloss Erik Poppe eine Oslo-Trilogie ab, zu der auch seine Filme „Schpaaa“ (1998) und „Hawaii, Oslo“ (2004) gehören.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013

Helen Weinzweig - Schwarzes Kleid mit Perlen
Helen Weinzweig hat in "Schwarzes Kleid mit Perlen" bewusst auf jedes Korrektiv zu der subjektiven, unzuverlässigen Perspektive der Ich-Erzählerin verzichtet. Wenn Shirley alias Lola Lebensgeschichten anderer hört, könnte es sich auch um eigene Erinnerungen oder Manifestationen einer Psychose handeln. "Schwarzes Kleid mit Perlen" ist ein origineller, tragikomischer Roman, prall gefüllt mit skurrilen Miniatur-Grotesken.
Schwarzes Kleid mit Perlen