Sass. Die Meisterdiebe
Sass. Die Meisterdiebe
Inhaltsangabe
Kritik
Franz und Erich Sass, die beiden Söhne einer Arbeiterfamilie in Berlin-Moabit, richten in der ersten Hälfte der Zwanzigerjahre eine Autowerkstatt ein. Obwohl der Betrieb nicht gut läuft und keinen Gewinn abwirft, besteht der sture, uneinsichtige Gerichtsvollzieher (Dieter Okras) auf der sofortigen Nachzahlung der Umsatzsteuer für das abgelaufene Jahr und lässt auch nicht mit sich reden.
Voller Zorn brechen die Sass-Brüder im Landesfinanzamt Berlin ein und statt den Tresor aufzubrechen, schweißen sie ihn mit einem Schneidbrenner auf. Als ein von Kriminalsekretär Fabich (Henry Hübchen) geführtes Polizeikommando anrückt, fliehen sie, lassen in der Aufregung einen Geldsack mit 74 000 Mark zurück und nehmen nur einen mit 900 Mark mit. Kaum sind sie wieder zu Hause bei ihren ahnungslosen Eltern (Otto Sander, Karin Baal), taucht dort Fabich mit ein paar Polizisten auf, lässt die Wohnung durchsuchen und nimmt die beiden Brüder zum Verhör mit aufs Revier. Der Schneidbrenner, mit dem der Tresor aufgeschweißt wurde, sei ihnen am Tag zuvor aus der Werkstatt gestohlen worden, behaupten Franz und Erich Sass. Fabich ist zwar überzeugt, dass er die Einbrecher vor sich hat, kann ihnen aber nichts nachweisen und muss sie wieder laufen lassen.
Erich trägt die Schuhe seines älteren Bruders auf, die ursprünglich ihrem Vater gehörten: Obwohl sie Tag und Nacht schuften, können sie sich nicht einmal ein neues Paar Schuhe leisten. Weil Franz nicht wie seine Eltern und all die anderen Arbeiterfamilien in Moabit enden möchte – „arbeitslos, arm, krank“ –, überredet er Erich nach dem Einbruch im Finanzamt dazu, Banken auszurauben. Beim Kriminaltechnischen Institut staunt der Experte Johannsen (Rüdiger Vogler) über eine Erfindung zur Bündelung der Schneidbrennerflamme. Damit kann ein Tresor fünfmal so schnell aufgeschweißt werden wie mit einem gewöhnlichen Gerät. Erich hat noch mehr solcher Ideen und experimentiert auch mit Säuren, die Stahlplatten rasch und geräuschlos durchfressen.
Gerüchte über die erfolgreichen Einbrecher machen auch in der Unterwelt die Runde. Eines Tages taucht „Muskel-„Adolf (Martin Feifel) mit einigen Kumpanen in der Werkstatt der Gebrüder Sass auf und verlangt Schutzgeld von ihnen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, schlagen sie die beiden zusammen und brechen Erich vor den Augen seines Bruders einen Finger.
Die Sass-Brüder lassen sich nicht einschüchtern. Unbekümmert zeigen sie ihren neuen Reichtum. Als am 21. Mai 1927 die Nachricht eintrifft, dass Charles A. Lindbergh nach dem ersten Alleinflug über den Atlantik in Paris gelandet ist, amüsieren sie sich gerade in einem teuren Nachtlokal. Während Erich in einem Edelbordell seine Jugendfreundin Gertrude (Julia Richter) wiedersieht, die dort unter dem Namen „Veronique“ beschäftigt ist, und sich von ihr zeigen lässt, wie man Liebe macht, lernt sein Bruder Sonja Weiss (Jeanette Hain) kennen, die extravagante Ehefrau von Leon Weiss (Miguel Herz-Kestranek), einem Vorstandsmitglied der Diskonto-Bank am Wittenbergplatz. Nach einem gelungene Einbruch freuen die Brüder sich wie Kinder, stecken nachts Geldscheine in Briefkästen und verteilen auf der Straße Banknoten an Obdachlose. Auf diese Weise werden sie im Berliner Arbeiterviertel Moabit zu Volkshelden. Ihrem Vater, der Mitglied der Kommunistischen Partei ist, missfällt jedoch der Lebensstil seiner Söhne. Als Erich mit einem nagelneuen Mercedes-Cabriolet nach Hause kommt, wirft er Franz vor, er habe seinen jüngeren Bruder von einer Karriere als Konstrukteur abgehalten und ihn zum Dieb gemacht.
Eines Nachts, als Franz und Erich von ihren Vergnügungen nach Hause kommen, liegt ihr Vater blutüberströmt im Treppenhaus. Adolf und seine Kumpane haben ihn brutal zusammenschlagen und mit Messerstichen getötet. Franz und Erich verstehen die Warnung, aber statt klein beizugeben, gehen sie zu Adolf. Franz fordert ihn zum Duell heraus. Aber vorher – sagt er –, wolle er mit der Bande zusammen die Dresdner Bank ausrauben, denn die drei Tonnen Gold, die dort lagern, könnten er und sein Bruder nicht allein heraustragen. Während die Vorbereitungen laufen, verrät Gertrude den Plan der Polizei, die zur Tatzeit mit einem Großaufgebot zur Dresdner Bank rast. Franz und Erich Sass betäuben Adolf mit Chloroform und lassen ihn vor dem offenen Tresor liegen, bevor sie sich rechtzeitig aus dem Staub machen. Die meisten Bandenmitglieder werden beim Schusswechsel mit der Polizei getötet.
Ein Jahr machen Franz und Erwin Sass Urlaub in Venedig. Dann bekommen sie Besuch von Sonja und ihrem toleranten Ehemann, der aufgrund seiner jüdischen Abstammung und seiner politischen Einstellung inzwischen entlassen wurde. Um sich zu rächen, verrät er den Sass-Brüdern, dass in der Bank Wahlkampfgelder der NSDAP in Höhe von acht Millionen Mark zu holen sind.
Als Franz und Ernst Sass wieder in Berlin auftauchen, lässt Fabich sie rund um die Uhr von 232 Helfern observieren. Es dauert nicht lang, bis er ahnt, was die sie vorhaben. Er passt Franz ab, lädt ihn auf eine Tasse Kaffee ein und warnt ihn davor, sich durch den Raub der Wahlkampfgelder mit der NSADAP anzulegen. Daraufhin will Franz seinen Bruder überreden, den Plan aufzugeben: „Der Traum kann uns das Leben kosten!“ Als jedoch Leon Weiss auf offener Straße von einem fanatischen Antisemiten erschossen wird und Sonja sich aus Schuldgefühl von Franz trennt, machen Franz und Erich weiter: Sich gegenseitig abwechselnd, graben sie rund um die Uhr einen Tunnel von der Kanalisation zum Tresorraum der Diskonto-Bank. Dort hat Fabich einen Polizeibeamten sitzen. Als er die Schürfgeräusche hört, schlägt er Alarm. Die Sass-Brüder bräuchten nur noch die Wand einzudrücken, da wird die Kanalisation geflutet. Statt sich zu ergeben und aus einem der bewachten Kanalschächte zu klettern, harren die Brüder aus, obwohl ihnen kaum noch Luft zum Atmen bleibt. Damit ein großes Polizeiaufgebot die Kanalisation absuchen kann, wird das Wasser wieder abgelassen. Franz und Erich entkommen. Sie überlegen: Wieso wurde in dem Augenblick, als sie die Tresorwand erreichten, Alarm ausgelöst? War eine Wache im Tresorraum? Dann muss es einen Luftschacht geben; sonst wäre der Mann erstickt. Durch diesen Schacht dringen die Sass-Brüder nun doch noch in den Tresorraum vor, zerschlagen die Klappen der Schließfächer mit einem Vorschlaghammer und rauben die Wertsachen.
Mit Gertrude im Fond ihres Wagens fahren sie nach Norden, um sich über Dänemark in die USA abzusetzen. Trotz der falschen Pässe, die sie sich in Venedig von einem Österreicher besorgt hatten, erkennt sie der Grenzbeamte (Thomas Darchinger), und als Erich Gas gibt, werden sie beschossen. Gertrude kommt durch einen Schuss in den Rücken ums Leben. Sie halten an. Franz wird getroffen, bleibt neben dem Wagen liegen und fordert Erich auf, weiterzulaufen. Auf der dänischen Grenzlinie dreht Erich sich um und kehrt zu seinem verletzten Bruder zurück.
Kaum ein Schließfachbesitzer hat seinen Verlust angezeigt. Offiziell fehlen lediglich 13 000 Mark – und die 8 Millionen der NSDAP. Überraschenderweise spricht der Richter (Peter Roggisch) die Angeklagten aus Mangel an Beweisen frei. Auf dem Korridor des Gerichts wartet Sonja auf Franz: Sie will wieder mit ihm zusammen sein und ist bereit, mit ihm nach Amerika zu gehen. Die Brüder lassen ihrer Mutter 10 000 Mark da und versprechen, sie so bald wie möglich nachzuholen. Dann verabreden sie sich mit Sonja in Hamburg. Doch bevor sie Berlin verlassen können, werden sie auf der großen Treppe vor ihrem Stammlokal, der „Mulackritze“, von einem Stoßtrupp der SA mit Maschinenpistolen niederschossen.
Kriminalsekretär Fabich, der inzwischen durchschaut hat, dass der NS-Politiker Zörgiebel (Traugott Buhre) im Hintergrund die Fäden zieht, will die Einbrecher warnen. Er kommt zu spät: Erich Sass liegt bereits tot auf der Treppe. Bevor Franz Sass stirbt, steckt er Fabich einen Gepäckschein zu.
Sonja wartet im Überseehafen von Hamburg. Statt Franz und Erich Sass taucht Fabich auf, überbringt ihr die Nachricht vom Tod der Sass-Brüder und einen Koffer voll Geld. „Ich habe mir 100 000 herausgenommen“, gesteht er. Statt wie Sonja das Land zu verlassen, bleibt er, quittiert aber den Dienst bei der Polizei.
Sieben Monate später wird Sonja in Chicago von einem Sohn entbunden. Als er erwachsen ist, wird er Rechtsanwalt und vertritt vorwiegend Gangster vor Gericht.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Die Hauptfiguren in Carlo Rolas Kinofilm „Sass. Die Meisterdiebe“ sind nicht aus der Luft gegriffen. Es gab tatsächlich zwei Berliner Einbrecher, die so hießen: Franz Sass (1904 – 1940) und Erich Sass (1906 – 1940). Aber der Film ist weitgehend frei erfunden. Es wird zwar behauptet, die Sass-Brüder seien aus Not Verbrecher geworden, aber die Handlung legt eher den Schluss nahe, dass sie dem Reiz der glamourösen Welt der Reichen erlagen. Jedenfalls ist „Sass“ eine unterhaltsame Mischung aus Melodram und Gangsterballade. Nicht nur mit sepiagetönten Bildern, sondern auch mit viel Liebe zum Detail und großem Aufwand in der Ausstattung wurde die Atmosphäre der Goldenen Zwanziger Jahre in Berlin nachempfunden. Den Tod der beiden Ganoven inszeniert Carlo Rola im Kugelhagel à la „Bonnie und Clyde“ auf einer Treppe wie in dem Film „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) von Sergej Michailowitsch Eisenstein (1898 – 1948).
Rainer Wolffhardt drehte 1972 einen Fernsehfilm über Franz und Erich Sass: „Auf Befehl erschossen. Die Brüder Sass, einst Berlins große Ganoven“ (Drehbuch: Manfred Bieler; Kamera: Peter Arnold und Jost Vacano; Schnitt: Eva Strohmer; mit Friedrich G. Beckhaus als Kommissar Fiebach, Christoph Felsenstein als Franz Sass, Jürgen Prochnow als Erich Sass u. a.)
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004
Franz und Erich Sass (Kurzbiografie)
Carlo Rola: Und Jimmy ging zum Regenbogen
Carlo Rola: Das Kindermädchen