Das Dorf des Schweigens

Das Dorf des Schweigens

Das Dorf des Schweigens

Originaltitel: Das Dorf des Schweigens – Regie: Hans Steinbichler – Drehbuch: Martin Ambrosch – Kamera: Bella Halben – Schnitt: Wolfgang Weigl – Musik: Alex Komlew – Darsteller: Petra Schmidt-Schaller, Ina Weisse, Simon Schwarz, Helmuth Lohner, Hary Prinz, Hildegard Schmahl, Karl Fischer, Doris Hindinger u.a. – 90; 2015 Minuten

Inhaltsangabe

Zwei Wochen vor der geplanten Hochzeit von Eva Perner und Christian Kern kommt Lydia Perner nach 30 Jahren erstmals in ihren Geburtsort Bad Gastein zurück. Es heißt, Evas ältere Halbschwester sei mit 14 psychisch erkrankt und habe nach einem Suizidversuch und einer psychiatrischen Behandlung in den USA gelebt. Nun beschuldigt sie Christian, sie damals vergewaltigt zu haben und zeigt ihn bei der Polizei an ...
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Kritik

Die Familientragödie "Das Dorf des Schweigens" dreht sich um die Un­fähig­keit zum Gespräch, um Lebens­lügen und bürgerliche Fassaden vor menschlichen Abgründen. Hans Steinbichler setzt auf wuchtige Bilder, knappe Dialoge und erstklassige Schauspieler.
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Kurz vor ihrer geplanten Hochzeit mit Christian Kern (Simon Schwarz) spürt Dr. Eva Perner (Petra Schmidt-Schaller) ihre ältere Halbschwester Lydia Perner (Ina Weisse) übers Internet in den USA auf und lädt sie ein, nach Bad Gastein zu kommen, ohne dies mit ihrem Verlobten oder ihrer Familie abgesprochen zu haben. Christian unterrichtet als Lehrer an einer Schule in Bad Gastein, Eva praktiziert als Ärztin im Heilstollen. Ihre Eltern Karin und Hans Perner (Hildegard Schmahl, Helmuth Lohner) besitzen das Hotel Miramonte in Bad Gastein, in dem sie jedoch nur noch wohnen, ohne Gäste aufzunehmen.

Von Lydia heißt es, sie sei in der Pubertät psychisch krank geworden und nach einem Suizidversuch im Alter von 14 Jahren in einer psychiatrischen Klinik in Hamburg behandelt worden. Danach kam sie nicht mehr nach Bad Gastein zurück. Eva erhält keine Antwort von ihr, aber Lydia, die kürzlich ihre Anstellung bei einer Autovermietung in New Mexico verloren hat, reist nach Bad Gastein und quartiert sich im Hotel Sponfeldner ein. Claudia (Angelika Niedetzky), die Besitzerin, erkennt sie erst, als Lydia erklärt, wer sie ist. Die beiden Frauen haben sich seit der Kindheit nicht mehr gesehen.

Zwei Wochen vor der Hochzeit sitzen Eva und Christian mit Evas Eltern sowie ihrem Bruder Max Perner (Hary Prinz), dessen Ehefrau Petra (Doris Hindinger) und der Tochter Paula (Ella Frey) beim Abendessen, als Lydia sie mit ihrem Besuch überrascht. Allerdings bleibt sie nicht lang: Lydia schüttet Christian wortlos ein Glas Wein ins Gesicht und geht wieder.

Noch in der Nacht geht Lydia Perner zur Polizei und zeigt Christian Kern wegen Vergewaltigung an. Am nächsten Morgen unterrichtet der Polizist Fritz Stadler (Karl Fischer) das Brautpaar inoffiziell darüber. Eva versichert ihm sogleich, es müsse sich um eine falsche Anschuldigung handeln, denn Christian sei die ganze Nacht bei ihr gewesen, aber Fritz Stadler erklärt ihr, dass Lydia behauptet, Christian habe sie 1983 vergewaltigt, also vor 30 Jahren. Damals war sie 14.

Max und Christian, die seit der Kindheit befreundet sind, erklären, dass sie während des ganzen Sommers 1983 mit einem Railway-Ticket unterwegs gewesen seien. Kaum jemand traut Christian eine Vergewaltigung zu, aber Gerüchte über die Anzeige irritieren Eltern von Schülerinnen und Schülern, und darüber macht sich die Schulleiterin Sorgen. Christian muss mit seiner Suspendierung rechnen.

Neben dem Gasteiner Wasserfall wird seine Leiche gefunden. Es sieht nach einem Selbstmord aus, und die Obduktion wird später bestätigen, dass Christian Kern ohne Fremdeinwirkung an einem Genickbruch starb.

Eva, die davon ausgeht, dass Christian durch falsche Anschuldigungen in den Tod getrieben wurde, findet Lydia vor dem Sommerhaus der Familie und stellt sie zur Rede.

Zurück im Hotel Miramonte, sagt sie Karin, Lydia habe ihr die Narbe eines Kaiserschnitts gezeigt. Sie sei damals schwanger gewesen. Für Karin ist das nicht neu. Sie erzählt, Lydia sei von einem ein Jahr älteren Sommergast aus Deutschland verführt worden, der sich dann aus dem Staub gemacht habe. Statt sich der Familie anzuvertrauen, versuchte Lydia, sich das Leben zu nehmen. Durch die Psychopharmaka, die ihr daraufhin in einer Hamburger Klinik verordnet wurden, starb der Embryo und wurde mit einem Kaiserschnitt entfernt.

Hans Perner trifft sich mit seiner Stieftochter Lydia am Sommerhaus. Warum sie damals nichts gesagt habe, fragt er. Er drängt sie, auf Eva Rücksicht zu nehmen und meint: „Manchmal ist die Wahrheit den Menschen nicht zumutbar.“ Für ihr Schweigen bietet er ihr die Überschreibung des Sommerhauses und 200 000 Euro, die er bar bei sich hat. Lydia will das Geld nicht annehmen, aber er stopft es ihr in eine Manteltasche.


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Max beteuert noch immer, dass er in dem Sommer, in dem Lydia geschwängert wurde, ohne Unterbrechung mit Christian in Europa unterwegs gewesen sei. Aber Lydia findet einen Handzettel mit einer Einladung zu einer Party von Max und Christian am 12. August 1983 in Bad Gastein. Sie unterstellt Max, während Lydias Vergewaltigung durch seinen Freund Schmiere gestanden zu haben.

Schließlich legt Lydia ihr eine Geburtsurkunde hin: Eva Perner, geboren am 17. Mai 1984 in Hamburg, Vater unbekannt, Mutter: Lydia Perner!

Lydia ist nicht ihre ältere Halbschwester, sondern ihre Mutter. Beinahe hätte Eva ihren Vater geheiratet. Und die Großeltern hätten es zugelassen.

Kurz nach einander verlassen Lydia und Eva Bad Gastein.

Hans Perner sitzt fassungslos inmitten der am Boden verstreuten Banknoten, die Lydia bei der Polizei abgab.

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Bei dem Fernsehfilm „Das Dorf des Schweigens“ handelt es sich um eine Familientragödie im Stil eines modernen Heimatfilms. Ohne küchenpsychologische Erklärungsversuche zeigen Martin Ambrosch (Drehbuch) und Hans Steinbichler (Regie), welche Sprengkraft jahrzehntelang gehütete Familiengeheimnisse haben können. Eva öffnet ahnungslos die Büchse der Pandora und löst eine Tragödie aus, deren Ursachen 30 Jahre alt sind. Am Ende bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. „Das Dorf des Schweigens“ dreht sich um die Unfähigkeit zum Gespräch, um Lebenslügen und bürgerliche Fassaden vor menschlichen Abgründen, aber auch um Traumatisierung und Heimatlosigkeit.

Eine Frau fährt in den von Bergen umschlossenen Ort Bad Gastein, dessen berühmter Wasserfall die Naturgewalt symbolisiert. Am Ende reisen zwei Frauen ab; ob das einer Befreiung gleichkommt, bleibt offen. Wenn Eva aus dem Dunkel des Heilstollens ans Licht kommt, entspricht das der Aufklärung des Familiengeheimnisses. Symbolisch ist auch die (allerdings schlecht geschnittene) Szene mit Evas Wildunfall. Hans Steinbichler setzt auf wuchtige Bilder – Kamera: Bella Halben – und knappe Dialoge. Die Besetzung ist erstklassig. Ina Weisse schöpft den Facettenreichtum ihrer Figur voll aus, aber auch Petra Schmidt-Schaller, Hildegard Schmahl und vor allem Helmuth Lohner überzeugen in ihren Rollen.

Helmuth Lohner starb am 23. Juni 2015, eine Woche vor der Premiere von „Das Dorf des Schweigens“ am 1. Juli beim Munich International Film Festival.

Im Fernsehen war „Das Dorf des Schweigens“ erstmals am 22. Februar 2016 zu sehen (ZDF).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016

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