Angela Merkels Katharina die Große

Interview mit Justus Bender in „Die Zeit“, 27. Oktober 2005


Die Zeit: Angela Merkel möchte ihr Amt mit „Demut“ ausführen. Passt dazu das Vorbild der Zarin?“

Dieter Wunderlich: Teilweise schon. Merkel versteht sich wie Katharina die Große als Dienerin des Staates […]

Die Zeit: Es gibt also Parallelen?

Dieter Wunderlich: Ja. Beide wurden anfangs völlig unterschätzt. Merkel war Kohls Mädchen; sie kam aus dem Osten. Katharina die Große kam als unbedarftes deutsches Prinzesschen an den Zarenhof. Sie war extrem ehrgeizig […] und hatte den Willen, ihre Chance zu nutzen […]

Die Zeit: Welchen Stil hatte die Zarin?

Dieter Wunderlich: Sie hatte ein dichtes Informationsnetz und politische Freunde. So wurde sie vor Intrigen gewarnt und konnte rechtzeitig reagieren. Auch ihre vielen ehemaligen Liebhaber hat sie reich belohnt und sich deshalb nicht zu Feinden gemacht. Ihr bekanntester Liebhaber, Potemkin, blieb lebenslang ihr Berater.

Die Zeit: Hatte sie in der politischen Männerwelt des Zarenhofes wirkliche Macht?

Dieter Wunderlich: Man kann sagen, sie hat autokratisch durchregiert. Sie hat alles selbst entschieden, an ihren zuständigen Ministern vorbei – und trotzdem immer wieder auf ihre Berater gehört.

[…]

Die Zeit: War sie eine Reformerin?

Dieter Wunderlich: Sie führte eine grundlegende Rechtsreform durch, war neben Peter dem Großen die herausragendste Zarin in der russischen Geschichte und bis Angela Merkel die mächtigste Herrscherin deutscher Abstammung. Für ihre Fortschrittlichkeit wurde sie von den Aufklärern verehrt. Man nannte sie das „Licht des Nordens“. Mit Montesquieu schrieb sie sich Briefe zum Thema Gewaltenteilung, und Voltaire verehrte ihr Reformwerk als „das Evangelium der gesamten Menschheit“. So eine Reform hat Merkel noch vor sich.

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.