Kannibalismus


Unter dem Begriff „Kannibalismus“ versteht man das Verzehren von Fleisch, das von Artgenossen stammt. Für den Kannibalismus unter Menschen gibt es einen engeren Fachausdruck: Anthropophagie.

Menschliche Kannibalen gab es in verschiedenen Kulturen aus rituellen Gründen: Verzehrt wurden Feinde (Exokannibalismus), Opfer, aber auch Freunde und Verwandte (Endokannibalismus). Die Kannibalen glaubten, sich auf diese Weise – vor allem durch den Verzehr des Gehirns oder des Herzens – erstrebenswerte Eigenschaften eines Toten wie Mut, Stärke und Weisheit einverleiben zu können. Im Zusammenhang damit kann auch das christliche Abendmahl gesehen werden, bei dem die Gläubigen den Leib und das Blut Christi in Form von Brot und Wein (Transsubstantiation) zu sich nehmen.

Mit der gewöhnlichen Nahrungsaufnahme haben kannibalische Rituale nichts zu tun. In Extremsituationen kann jedoch auch der Überlebensdrang Menschen zu Kannibalen werden lassen. Zwei bekannte Beispiele: Der Schiffbruch der Fregatte „Medusa“ 1816

und Der Untergang der „Essex“ 1820. Ähnliches ereignete sich 1972: Siebzehn von fünfundvierzig Passagiere überlebten den Absturz einer Fokker Friendship am 12. Oktober in den südlichen Anden, aber die Rettungstrupps fanden sie nicht. Um an dem abgelegenen Ort in 3500 Meter Höhe nicht zu verhungern, verzehrten die verzweifelten Menschen das Fleisch ihrer bei dem Unfall umgekommenen Mitreisenden. Erst als das Wetter nach zwei Monaten besser wurde, konnten zwei Männer von der Unfallstelle aus absteigen. Sie trafen nach mehreren Tagen auf einen Hirten. Daraufhin wurden sie und vierzehn weitere Überlebende gerettet.

Kannibalismus tritt auch als Perversion auf.

Dass attraktive junge Frauen als „süß“, „knackig“ und „appetitlich“ bezeichnet werden und man sich beim Liebesspiel mitunter beißt, deutet auf eine erotische Komponente des Kannibalismus hin. In Extremfällen wird dieser unbewusste Zusammenhang ausgelebt: So erschoss der japanische Literaturstudent Issei Sagawa am 11. Juni 1981, seinem 32. Geburtstag, in Paris die mit ihm befreundete Kommilitonin Renée Hartevelt, um Teile des Körpers der attraktiven Holländerin verspeisen zu können.

Mehrmals in der Kriminalgeschichte kam es vor, dass Mörder vom Blut ihrer Opfer tranken oder von ihrem Fleisch aßen. Karl Denke, Peter Kürten, Joachim Kroll sind dafür Beispiele.

Im Februar 2001 kamen der damals achtunddreißigjährige Armin Meiwes und der fünf Jahre ältere Ingenieur Bernd Jürgen Armando Brandes übers Internet in Kontakt. Brandes reiste von Berlin nach Rotenburg an der Fulda und traf sich am 9. März mit Meiwes, der ihn auf seinen Wunsch hin vor laufender Videokamera tötete und zum Teil verzehrte. Einige Medien nannten ihn deshalb „Kannibale von Rotenburg“. Armin Meiwes wurde 2004 zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil am 22. April 2005 aufgehoben hatte, verhängte das Landgericht Frankfurt/M am 9. Mai 2006 eine lebenslange Freiheitsstrafe gegen ihn.

Am 9. März 2006 sollte der von Martin Weisz gedrehte Horrorfilm „Rohtenburg“ (Originaltitel: „Butterfly, a Grimm Love Story“) in die deutschen Kinos kommen. Obwohl der Ort mit „h“ geschrieben wurde und der kannibalische Protagonist in dem Film Oliver Hartwin (Thomas Kretschmann) und sein Opfer Simon Grobeck (Thomas Huber) heißen, weist der Plot Übereinstimmungen mit dem Fall von Rotenburg auf. Deshalb erwirkte Armin Meiwes am 3. März eine einstweilige Verfügung gegen die Vorführung des Streifens.

© Dieter Wunderlich 2006 / 2010

Karl Denke
Peter Kürten
Joachim Kroll
Issei Sagawa

Der Untergang der „Essex“
Alexandre Corréard und Jean-Baptiste Henri Savigny: Der Schiffbruch der Fregatte Medusa

Sebastian Themessl - Wo dein sanfter Flügel weilt
Sebastian Themessl gibt in seinem Roman "Wo dein sanfter Flügel weilt" Adam Mason – den Bruder des Protagonisten Phil − als Chronisten aus. Dadurch entsteht der Eindruck von Authentizität. Die abstrusen Zusammenhänge in dem unterhaltsamen "musikgeschichtlichen Kriminalroman" bleiben allerdings vage.
Wo dein sanfter Flügel weilt

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.