Der "Maskenmann" Martin Ney
Am 3. März 1992 bemerkte eine Betreuerin im leeren Schlafsaal eines Kinderheims in Hepstedt nordöstlich von Bremen einen maskierten Mann, der daraufhin durch eine Terrassentüre floh. Einige Tage später überfiel ein Maskierter im selben Heim einen Elfjährigen, rannte aber davon, als das Kind schrie. Ähnliche Vorfälle wurden im März 1992 aus Schullandheimen in Badenstedt und Cluvenhagen gemeldet.
Anfang Mai 1992 fand man in den Verdener Dünen den am 31. März aus einem Internat in Scheeßel entführten 13-jährigen Stefan Jahr mit auf den Rücken gefesselten Händen tot auf.
Damit begann eine Serie von pädosexuellen Übergriffen und Morden. Weil der Täter schwarz gekleidet und maskiert war, bezeichneten die Medien ihn als „schwarzen Mann“ bzw. „Maskenmann“. Ab 1994 brach er auch in Privathäuser ein.
Im Juli 1995 wurde der acht Jahre alte Dennis Rostel aus einem Zeltlager am Selker Noor bei Schleswig entführt und ermordet. Der Täter brachte den Jungen über die damals noch kontrollierte Grenze nach Dänemark und verscharrte ihn dann tot in Dünen, wo die Leiche am 8. August entdeckt wurde. Am 5. September 2001 entführte der Maskenmann den neunjährigen Dennis Klein aus einem Schullandheim in Wulsbüttel zwischen Bremen und Bremerhaven. Pilzsammler stießen zwei Wochen danach in einem Gebüsch zwischen Kirchtimke und Hepstedt auf die Leiche des Jungen.
Ulrich Jahr, der Vater des ersten Mordopfers, setzte alles daran, um herauszufinden, wer seinen Sohn missbraucht und ermordet hatte. Er verteilte Handzettel, gab Fernsehinterviews am Grab des toten Kindes, engagierte einen Privatdetektiv und ließ auf eigene Kosten DNA-Vergleiche durchführen.
Die Polizei soll fast 8000 Hinweisen nachgegangen sein. Sonderkommissionen wurden gebildet. Hunderte Männer gaben Speichelproben für einen DNA-Test ab. Erst die späte Aussage eines Zeugen im August 2010 brachte die Ermittler weiter: Aufgrund einer Fernsehsendung erinnerte sich jemand, neun Jahre zuvor einen Mann mit einem Jungen wie Dennis Klein im Auto auf einem Waldweg gesehen zu haben. Die Veröffentlichungen darüber lösten im Frühjahr 2011 bei einem Missbrauchsopfer aus dem Jahr 1995 Erinnerungen und Vermutungen aus, die sich als entscheidende Hinweise für die Identifikation des Maskenmannes erwiesen.
Der 1970 in Bremen geborene Pädagoge Martin Ney gestand nach seiner Verhaftung am 15. April 2011 die drei Morde in Norddeutschland und den sexuellen Missbrauch von etwa 40 weiteren Kindern. Er erdrosselte Stefan Jahr, weil er befürchtete, der Junge habe sich das Kennzeichen seines Autos gemerkt. Mit Dennis Rostel verbrachte er mehrere Tage in einem Ferienhaus bei Holstebro in Dänemark, bevor er ihn erwürgte, damit er ihn nicht verraten konnte. Dennis Klein wehrte sich und schrie. Deshalb erstickte ihn der Maskenmann.
1989 war Martin Ney vom Amtsgericht Bremen-Blumenthal nach dem Jugendstrafrecht zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden, weil er als 17-Jähriger zwei Elternpaare in Bremen um Geld zu erpressen versucht hatte, und zwar mit der Drohung, ihren Kindern etwas anzutun. 1995 bewarb sich der auf BAföG angewiesene Lehramtsstudent Martin Ney, der auch als Jugendbetreuer tätig war, beim Amt für Soziale Dienste in Bremen um einen Pflegesohn. Eine Vormundschaftsrichterin des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal sprach ihm 1996 das Sorgerecht für einen zwölfjährigen Jungen zu, ohne von seinen Verbrechen etwas zu ahnen. Der Junge lebte bis zur Volljährigkeit vier Jahre lang bei seinem Pflegevater und sagte später aus, er sei nie sexuell missbraucht worden. Martin Ney brach das Referendariat vor dem zweiten Staatsexamen ab und bewarb sich 2000 bei einer Stiftung in Hamburg mit gefälschten Hochschul-Zeugnissen als Diplom-Sozialpädagoge für eine Stelle zur Kinderbetreuung. Von 2000 bis 2008 übte er die Tätigkeit aus.
Ein Verfahren gegen Martin Ney wegen sexuellen Missbrauchs in zwei minderschweren Fällen wurde 2005 gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Aber im Jahr darauf wurde er wegen eines erneuten Erpressungsversuchs zu einer auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafe verurteilt. Bei den Ermittlungen hatte die Polizei auf seinem Computer 30 000 kinderpornografische Fotos sichergestellt. Weil jedoch nicht geklärt werden konnte, wer die Dateien gespeichert hatte und wann sie zuletzt aufgerufen worden waren, stellte man ein entsprechendes Verfahren 2007 ein. Übersehen wurde dabei, dass auch Opfer des Maskenmanns abgebildet waren. Bei der Rasterfahndung im Mordfall Dennis Klein wurden die Ermittler auf Martin Ney aufmerksam, aber bei seiner Vernehmung im Dezember 2007 stritt er pädophile Neigungen ab. Eine Speichelprobe wollte er nicht abgeben. Es dauerte noch drei Jahre, bis der Maskenmann verhaftet werden konnte.
Am 15. Juli 2011 klagte die Staatsanwaltschaft Martin Ney an.
Sein Nachmieter entdeckte im November 2011 in der Dunstabzugshaube versteckte, mit komplizierten Zugangscodes gesicherte Speichermedien, aber der Polizei gelang es nicht, die Dateien zu öffnen.
Der Prozess gegen Martin Ney hatte am 10. Oktober 2011 vor dem Landgericht Stade begonnen. Wegen dreifachen Mordes und 20 Missbrauchsdelikten (ebenso viele waren verjährt) verurteilte das Gericht den Angeklagten am 27. Februar 2012 zu lebenslanger Haft. Im Revisionsverfahren hob der Bundesgerichtshof zwar am 10. Januar 2013 die vom Landgericht vorsorglich angeordnete Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Haftstrafe auf, bestätigte jedoch die besondere Schwere der Schuld.
Die Ermittler brachten zwei weitere Morde mit Martin Ney in Verbindung, konnten sie ihm aber nicht nachweisen: Der 13-jährige Nicky Verstappen wurde im August 1998 in einem Zeltlager in der niederländischen Kleinstadt Brunssum überfallen und ermordet. Im April 2004 verschwand der elf Jahre alte Jonathan Coulom aus einem Schullandheim in Saint-Brévin-les-Pins an der Loire-Mündung. Seine Leiche fand man am 19. Mai. Die beiden Verbrechen ergäben mit den drei von Martin Ney gestandenen Morden einen Dreijahres-Rhythmus: 1992, 1995, 1998, 2001, 2004.
Damir Lukačević drehte über den „Maskenmann“ den Fernsehfilm „Im Namen meines Sohnes“.
© Dieter Wunderlich 2016
Damir Lukačević: Im Namen meines Sohnes