Stella Goldschlag

Stella Goldschlag wurde am 10. Juli 1922 in Berlin als einziges Kind des jüdischen Ehepaars Toni und Gerhard Goldschlag geboren. Die Mutter war Konzertsängerin, der Vater Journalist, Komponist und Dirigent.

Stella Goldschlag besuchte die Kunstschule von Feige und Strassburger in Berlin und ließ sich zur Modezeichnerin ausbilden.

1939 heiratete sie den jüdischen Musiker Manfred Kübler.

Ungefähr zur gleichen Zeit freundete sich die 17-Jährige mit der ein Jahr jüngeren, ebenso wie sie im Stadtteil Wilmersdorf aufgewachsenen Lieselotte („Lilo“) Streszak an. Die beiden jungen Frauen besorgten sich gefälschte Papiere, um den Schikanen gegen Juden zu entgehen. Weil die blauäugige Blondine Stella Goldschlag nicht dem Klischee einer Jüdin entsprach, bewegte sie sich wie eine „Arierin“ in der Gesellschaft und wurde zunächst auch nicht behelligt.

Am 2. Juli 1943 verhaftete die Gestapo Stella Goldschlag aufgrund einer Denunziation im Café Bollenmüller, einem Treffpunkt von Künstlern und Journalisten, wo sie mit ihrem späteren Ehemann (Hochzeit am 29. Oktober 1944) Rolf Isaaksohn („von Jagow“) und dessen Cousine Dorothea verabredet war.

Weil die Gestapo herausfand, dass Stella Goldschlags Papiere von dem Fälscher Günther Rogoff stammten, der bereits zur Fahndung ausgeschrieben war, versuchte man dessen Versteck von ihr zu erfahren und folterte sie. Aber sie wusste nicht, wo er wohnte. Und während eines Termins beim Zahnarzt gelang ihr die Flucht.

Sie eilte zu ihren Eltern, die sich bei einer „arischen“ Familie versteckten. Nicht einmal einen ganzen Tag verbrachte Stella Goldschlag in Freiheit. Die Gestapo holte sie und ihre Eltern aus einer soeben erst bezogenen Pension in Wilmersdorf. Während Toni und Gerhard Goldschlag im Sammellager Große Hamburger Straße eingesperrt wurden, wo Deportationen von Juden in das KZ Theresienstadt oder nach Auschwitz vorbereitet wurden, brachte man Stella in ein improvisiertes Frauengefängnis auf einem Fabrikgelände in der Bessemerstraße.

Von dort entkam sie während der gewaltigen Luftangriffe der Briten in der Nacht vom 23./24. August 1943. Aber sie versuchte nicht, wieder unterzutauchen, sondern stellte sich im Sammellager Große Hamburger Straße, um bei ihren Eltern zu sein.

In der Hoffnung, ihre Eltern vor der Deportation bewahren zu können, erklärte sich Stella Goldschlag gegenüber dem Lagerleiter SS-Hauptscharführer Walter Dobberke und dessen Stellvertreter SS-Rottenführer Felix Lachmuth nicht nur bereit, Günther Rogoff aufzuspüren, sondern auch sonst als „Greiferin“ für die Gestapo tätig zu werden. Stella Goldschlag erhielt einen Dauer-Passierschein für das Lager und einen grünen Gestapo-Ausweis. Um den Druck auf sie aufrechtzuerhalten, hielt Walter Dobberke ihre Eltern im Sammellager Große Hamburger Straße zurück – und Stella hatte damit fürs Erste ihr Ziel erreicht.

In Zusammenarbeit mit Rolf Isaaksohn, der inzwischen ebenfalls festgenommen und „umgedreht“ worden war, suchte Stella Goldschlag nach untergetauchten Juden, schlich sich mitunter zunächst in deren Vertrauen, um Hinweise auf weitere Verstecke zu erhalten und meldete alle Erkenntnisse der Gestapo, die sie schließlich mit einer Pistole ausstattete, damit sie auch selbst Festnahmen durchführen konnte.

Nach einem halben Jahr Aufschub konnte der Lagerleiter das Ehepaar Goldschlag nicht länger von den Deportationslisten streichen. Weder ihre Eltern noch ihren Ehemann konnte Stella Goldschlag durch ihren Einsatz retten. Manfred Kübler kam 1943 nach Auschwitz, Toni und Gerhard Goldschlag wurden im Februar 1944 nach Theresienstadt und acht Monate später nach Auschwitz deportiert. Keiner von ihnen überlebte den Holocaust.

Dennoch machte Stella Goldschlag weiter, bis im März 1945 der letzte Deportations-Zug von Berlin nach Theresienstadt fuhr.

Stella Goldschlag und Lilo Streszak, deren Kontakt längst abgebrochen war, sahen sich zufällig im Februar 1944 in einem Milchgeschäft wieder. Lilo Streszak hatte Gerüchte über ihre frühere Freundin gehört, konnte aber nicht glauben, dass Stella tatsächlich Juden denunzierte. Zehn Tage nach der Begegnung holten Stella Goldschlag und ein Begleiter Lilo Streszak aus ihrer Wohnung.

Wie viele Menschen der Denunziantin zum Opfer fielen, ist unklar. Die Schätzungen schwanken zwischen 600 und 3000.

Im April 1945 floh Stella Goldschlag aus Berlin. In Liebenwalde, 40 Kilometer nördlich, gebar sie eine Tochter.

Im Dezember 1945 wurde Stella Goldschlag ihrerseits denunziert und festgenommen. Vergeblich versuchte sie, als Opfer des NS-Regimes gesehen zu werden. Ein Sowjetisches Militärtribunal verurteilte sie im Juni 1946 wegen ihrer Kooperation mit der Gestapo zu zehn Jahren Lagerhaft.

Nach der Verbüßung der Strafe ließ sie sich in Westberlin nieder, wo ihre Tochter bei einer jüdischen Pflegefamilie lebte. Das Mädchen distanzierte sich jedoch von ihr und wanderte 1967 nach Israel aus.

1957 wurde Stella Goldschlag zwar in Moabit erneut zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, aber die Strafe galt als bereits verbüßt.

Nach dem Tod ihres fünften Ehemanns in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre zog Stella Goldschlag von Berlin nach Freiburg im Breisgau. Dort stürzte sie sich 1994 aus einem Fenster ihrer Wohnung in den Tod.

Peter Weidenreich (1923 – 1998), der mit Stella Goldschlag die Privatschule für jüdische Kinder von Leonore Goldschmidt besucht hatte und 1937 mit den Eltern emigriert war, führte 1990 Gespräche mit ihr und veröffentlichte 1992 unter dem Namen Peter Wyden das Buch „Stella. One Woman’s True Tale of Evil, Betrayal, and Survival in Hitler’s Germany“ (Simon & Schuster, New York 1992; „Stella“, Übersetzung: Ilse Strasmann, Steidl Verlag, Göttingen 1999; Neuausgabe: „Stella Goldschlag. Eine wahre Geschichte“, Vorwort von Christoph Heubner, Steidl Verlag, Göttingen 2019, ISBN 978-3-95829-608-4).

Takis Würger schrieb über Stella Goldschlag den Roman „Stella“ (2019).

© Dieter Wunderlich 2019

Takis Würger: Stella

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