Colson Whitehead : Die Regeln des Spiels

Die Regeln des Spiels
Crook Manifesto Doubleday, New York 2023 Die Regeln des Spiels Übersetzung: Nikolaus Stingl Carl Hanser Verlag, München 2023 ISBN 978-3-446-27754-0, 383 Seiten ISBN 978-3-446-27855-4 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

"Die Regeln des Spiels" besteht aus drei Episoden, die von der Figur des New Yorker Möbelhändlers Ray Carney zusammengehalten werden. Um seiner 15-jährigen Tochter Eintrittskarten für ein ausverkauftes Konzert zu besorgen, wendet er sich an einen korrupten Polizisten, der zu einem Netzwerk in der Unterwelt von Harlem gehört ...
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Kritik

Colson Whitehead geht es in "Die Regeln des Spiels" nicht nur um spannende Unterhaltung, sondern auch um ein (düsteres) Panorama der Gesellschaft bzw. Lebensverhältnisse in Harlem in den Siebzigerjahren. Dabei versteht er es, Komik und Gewalt zu verbinden.
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Ringolevio, New York 1971

Der Afroamerikaner Ray Carney erinnert sich daran, dass sein Vater Michael immer wieder einmal nach Rauch und Petroleum gerochen hatte. Tatsächlich arbeitete „Big Mike“ als Abwickler für Wilbur Martin, das heißt, er setzte Gebäude in Brand, damit Auftraggeber Versicherungssummen kassieren und endlich neu bauen konnten. Die Erbschaft und eigene Einkünfte als Hehler ermöglichten es Ray, ein Möbelgeschäft zu eröffnen: Carney’s Furniture. Vor vier Jahren zog er sich von den kriminellen Geschäften zurück.

Seine ebenfalls schwarze Ehefrau Elizabeth führt ein Reisebüro, dessen Besitzer Dale Baker sich nicht mehr ums Tagesgeschäft kümmert.

Ray und Elizabeth haben eine 15-jährige Tochter. May möchte unbedingt zu dem Konzert der Jackson Five, das im nächsten Monat im Madison Square Garden stattfinden wird. Aber es ist längst ausverkauft, und nicht einmal Rays Schwiegervater Leland Jones, der für Anwälte und Manager der Unterhaltungsbranche Bücher frisierte, kann da weiterhelfen.

Um Mays Wunsch zu erfüllen, bleibt ihrem Vater nichts anderes übrig, als sich an den korrupten Detective Munson zu wenden, der über ein Netzwerk verfügt, in dem nichts unmöglich ist. Munson erklärt sich bereit, zwei Karten für The Jackson Five zu beschaffen, erwartet allerdings eine Gegenleistung: Ray Carney soll noch einmal als Hehler tätig werden und eine Papiertüte voll Schmuck zu Geld machen. Und das braucht Munson vor dem nächsten Morgen.

Ray sucht den Antiquitätenhändler Martin Green auf, den er von früher kennt, aber der erkennt sofort, dass die wertvollen Stücke bei dem bewaffneten Raubüberfall auf J. M. Benson Fine Jewelry letzte Woche erbeutet wurden. Weil es sich bei den Tätern um Angehörige der Black Liberation Army handeln soll, ist ihm die Ware zu heiß.

Auf der Straße wird Ray Carney von Buck Webb, Munsons Partner beim New York Police Department, niedergeschlagen. Der Cop raubt ihm die Juwelen.

Munson bleibt gelassen, als Ray zurückkommt und berichtet, was geschehen ist. Er und Buck Webb brachten den von der Black Liberation Army erbeuteten Schmuck bei einer heimlichen Durchsuchung eines Quartiers an sich, wurden aber beim Verlassen des Gebäudes von drei Schwarzen entdeckt und verfolgt. Dabei kam es zu einem Schusswechsel, und Malik Jarmal – eigentlich: Robert Taylor aus Chattanooga – traf Munson in den rechten Unterarm.

Der kriminelle Cop will sich noch in dieser Nacht aus New York absetzen und hoffte, dass Ray die Juwelen verhökern könne. Er hätte seinem Partner Buck Webb dessen Anteil geschickt, beteuert er. Munson plant schon länger, sich abzusetzen. Weil er nun aber – ebenso wie Buck Webb bereits vor ihm – eine Vorladung der von Bürgermeister John V. Lindsay eingesetzten und von Whitham Knapp geleiteten Untersuchungskommission über Korruption bei der Polizei bekam, hält er es für zu riskant, länger in New York zu bleiben. Seine Frau Angela ist bei ihrer Schwester in Pittsburgh zu Besuch und wird später vielleicht nachkommen. Aber erst einmal will er noch „Kasse machen“ und ein paar „letzte Inkassos“ eintreiben. Und wegen seiner Schussverletzung soll Ray Carney ihn fahren.

Als erstes verabredet sich Munson mit Buck Webb – und erschießt seinen Partner. Der hätte bei den Befragungen durch die Knapp-Kommission nicht dichtgehalten, erklärt er Ray.

Er raubt das Geld einer illegalen Spielergruppe, deren Organisator, Corky Bell, vergeblich protestiert und darauf hinweist, dass er die Polizei regelmäßig bezahlt habe. Beim fünften Stopp raubt der kriminelle Detective Clyde’s Classic aus, die Fassade des illegalen Lotteriegeschäfts des Gangsters Chink Montague.


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Dann wartet er auf einen Ukrainer, der ihm gefälschte Papiere bringen soll. Es klopft. Durch den Türspion vergewissert sich Munson, dass es sich um den Fälscher handelt, aber als er öffnet, ist dieser nicht allein, sondern in Begleitung von Malik Jamal und einem weiteren Angehörigen der Black Liberation Army.

Zu spät begreift Munson, dass Ray Carney ihn verraten hat. Als der nämlich kurz weg war, um Essen zu besorgen, rief er von einem Münztelefon aus einen Verbindungsmann an und ließ dem Gangster Notch Walker ausrichten, wo Munson zu finden sein würde.

Nachdem die Männer mit ihrem Gefangenen Munson die Wohnung verlassen haben, schaut Ray Carney sich um – und findet einen Umschlag mit zwei Eintrittskarten für The Jackson Five am 16. Juli im Madison Square Garden. Der korrupte Cop hätte also tatsächlich Wort gehalten, sich von ihm zum Flughafen fahren lassen und ihm die Tickets übergeben.

Weil Elizabeth geschäftlich zu tun hat, begleitet Ray die Tochter May zum Konzert.

Nofretete T. N. T., New York 1973

Zippo, der früher kompromittierende Fotos für Erpressungen knipste, dreht inzwischen Filme. Er wendet sich an Ray Carney und erhält die Genehmigung, einige Takes eines Blaxploitation-Films in dessen Möbelgeschäft aufzunehmen.

Als die Hauptdarstellerin Lucinda Cole (bürgerlich: Leanne Wilkes) während der Dreharbeiten vermisst wird, erhält Rays Bekannter Pepper den Auftrag, sie zu suchen. Er findet sie bei ihrer Mutter. Sie brauchte einfach eine Auszeit.

Die Abwickler, New York 1976

Der Staatsanwalt Alexander Oakes kandidiert für das Amt des Bezirksbürgermeisters von Manhattan, und Elizabeth Carney setzt sich mit der Bewegung „Frauen für Oakes“ für ihn ein.

Ein Wohnblock, in dem die Eigentümergesellschaft Excelsior Metro Properties im letzten Winter Strom und Heizung abstellte, um die letzten Mieter zu vertreiben, wird nach dem Herausreißen von verwertbarem Material wie Kabeln und Rohren in Brand gesteckt. Das ist in Harlem nichts Ungewöhnliches. Aber dieses Mal erleidet dabei der im Keller des leerstehenden Hauses spielende und dabei eingeschlafene elfjährige Junge Albert Ruiz eine Rauchvergiftung. Er überlebt nur knapp. Nach fünf Tagen erwacht er aus dem Koma, aber seine kaputte Lunge muss beim Atmen noch durch eine Maschine unterstützt werden.

Ray Carney, dessen Mieterin Mrs Ruiz ist, will mit Pepper zusammen den Brandstifter zur Rechenschaft ziehen.

Bei seinen Nachforschungen wird Pepper in einen Hinterhalt gelockt, von drei Männern angegriffen und mit einem Baseball-Schläger am Kopf getroffen. Zuflucht sucht er bei Ray Carney.

Er ist überzeugt, dass der Gangster Reece Brown hinter dem Anschlag steckt, und sobald er sich wieder auf den Beinen halten kann, passt er mit Ray gemeinsam Dan Hickey ab, einen für Reece Brown tätigen Geldeintreiber. Den bringen sie in ihre Gewalt und foltern ihn, bis er redet. Es stellt sich heraus, dass Reece Brown von Alexander Oakes angewiesen wurde, Pepper einen Denkzettel zu verpassen. Der Bürgermeister-Kandidat hatte mitbekommen, dass Pepper nach einem Brandstifter suchte und befürchtete, dass ihn die Nachforschungen in Schwierigkeiten bringen könnten. Der Staatsanwalt konspiriert nämlich schon lange mit Unternehmen, die aus geschäftlichen Gründen Gebäude abfackeln lassen. Dass es Pepper nur um den Fall ging, bei dem Albert Ruiz beinahe umgekommen wäre, konnte Oakes nicht ahnen. Und damit hatte er tatsächlich nichts zu tun.

Aufgrund von Dan Hickeys Anschuldigungen gegen Alexander Oakes bricht Pepper mit dem Tresorknacker Enoch Parker zusammen in das Wahlkampfbüro des Bürgermeister-Kandidaten ein, während Ray Carney den Fluchtwagen fährt. Sie rauben einen Sack voller Unterlagen, die vermutlich Oakes‘ Korruption beweisen.


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Kurz darauf zerstören Molotow-Cocktails Carney’s Furniture.

Bevor Ray Carney und Pepper dazu kommen, die geraubten Dokumente durchzusehen, bestellt Reece Brown die beiden in einen Club, wo sie auch von Alexander Oakes und dem Brandstifter Leon Drake erwartet werden. Sie wollen die aus dem Safe geraubten Papiere zurückhaben.

Reece Brown richtet seinen Revolver auf Pepper – und erschießt dann plötzlich Alexander Oakes, während Leon Drake Feuer legt. Und Pepper zertrümmert Reece Brown mit einem schweren Aschenbecher den Unterkiefer.

An Ray Carneys Beerdigung nimmt Elizabeth Carney aufgewühlt teil. Sie ahnt nichts von Oakes‘ Korruption und glaubt, ein Mann wie er hätte die verkommene Stadt wieder nach oben gebracht.

Ray schlägt ihr vor, ein eigenes Reisebüro zu gründen und behauptet, er habe etwas Geld gespart. Tatsächlich beabsichtigt er, das erforderliche Kapital durch Hehlerei zu beschaffen. Mit dem Geld könnte er dann auch in erweiterten Räumen ein neues Möbelgeschäft aufbauen.

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Mit „Die Regeln des Spiels“ legt Colson Whitehead den zweiten Band der mit „Harlem Shuffle“ begonnenen Trilogie vor. Den Protagonisten Ray Carney führte er bereits mit „Harlem Shuffle“ ein. Es geht Colson Whitehead nicht nur um spannende Unterhaltung, sondern auch um ein (düsteres) Panorama der Gesellschaft bzw. Lebensverhältnisse in Harlem in den Siebzigerjahren. Er versteht es, Komik und Gewalt zu verbinden.

„Die Regeln des Spiels“ wird zwar als Roman verkauft, besteht jedoch aus drei selbstständigen Episoden. Und die sind von unterschiedlicher Qualität. „Nofretete T. N. T.“ ist vielleicht am unterhaltsamsten, aber wohl auch am schwächsten. Zusammengehalten werden die drei Teile durch die Hauptfigur Ray Carney, aber Colson Whitehead erzählt nicht durchgehend aus dessen Blickwinkel, sondern wechselt zwischendurch die Perspektiven.

Für seine Romane „The Underground Railroad“ / „Underground Railroad“ und „The Nickel Boys“ / „Die Nickel Boys“ erhielt Colson Whitehead zwei Pulitzer-Preise (2017 / 2020).

Den Roman „Die Regeln des Spiels“ von Colson Whitehead gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Richard Barenberg.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023

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