Alice Schwarzer


Alice Sophie Schwarzer wurde am 3. Dezember 1942 in Wuppertal als Tochter einer unverheirateten zweiundzwanzigjährigen Mutter geboren und wuchs nach ihren eigenen Worten »mit einem sehr fürsorglichen Großvater und einer sehr politischen Großmutter« auf, die in Wuppertal-Elberfeld einen Tabakladen betrieben, in dem auch Alices Mutter mithalf. Nicht zuletzt, weil es damals noch als Schande galt, ein uneheliches Kind zu sein, wurde Alice Schwarzer zur Außenseiterin. Nach dem Besuch einer Handelsschule begann sie 1959 mit einer kaufmännischen Lehre in der Buchhaltung einer Firma für Autozubehör, aber im Jahr darauf zog sie nach Düsseldorf und arbeitete dort als Sekretärin in einer Werbeagentur. Später wechselte sie zu einem Verlag in München.

Von 1963 bis 1966 lebte Alice Schwarzer in Paris, wo sie Sprachen studierte und zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts Gelegenheitsarbeiten ausführte.

Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik wollte sie die Journalistenschule in München besuchen, bestand jedoch die Aufnahmeprüfung nicht und absolvierte stattdessen 1966 bis 1968 ein Volontariat bei den »Düsseldorfer Nachrichten«. Dabei befasste sie sich beispielsweise mit den Schwierigkeiten lediger Mütter, der sozialen Lage weiblicher Teilzeitkräfte und den Arbeitsbedingungen von Prostituierten. 1969 war Alice Schwarzer ein halbes Jahr lang bei der satirischen Zeitschrift »Pardon« in Frankfurt am Main tätig. Dann reiste die inzwischen Siebenundzwanzigjährige nochmals nach Paris, bot als freie Journalistin Beiträge für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunksendungen an und studierte von 1970 bis 1974 Psychologie und Soziologie an der Université de Vincennes in Saint-Denis.

Als Alice Schwarzer sich um ein Interview mit Jean-Paul Sartre (1905 – 1980) bemühte, lernte sie dessen Lebensgefährtin Simone de Beauvoir (1908 – 1986) kennen, die in ihrem 1949 veröffentlichten Buch »Das andere Geschlecht« das Bild der Frau in der Biologie, in der Psychoanalyse und im historischen Materialismus untersucht und die Lebensbedingungen der Frau im Verlauf der Geschichte beschrieben hatte. 1972 führte Alice Schwarzer das erste von insgesamt sechs langen Interviews mit Simone de Beauvoir, die ihr großes Vorbild wurde. »Und die Person Simone de Beauvoir, die Summe ihres Werkes und ihres Lebens, war – und ist – Symbol: Symbol für die Möglichkeit, trotz allem ein ganzes Stück selbstbestimmt und frei von Konventionen und Vorurteilen zu leben, auch als Frau.« (Alice Schwarzer: Simone de Beauvoir heute) Wie die französische Schriftstellerin kämpft Alice Schwarzer für eine Gesellschaft, in der es nicht entscheidend ist, welches Geschlecht eine Person hat: »Ich bin es leid, eine Frau zu sein. Ich wäre schrecklich gerne einfach nur Mensch«, klagte sie in einem Interview.

Bald gehörte die deutsche Journalistin in Paris zu den radikalen Mitgliedern des »Mouvement de libération des femmes«. Als Simone de Beauvoir und 342 weitere Frauen sich Anfang April 1971 eigener Abtreibungen bezichtigten, um gegen das gesetzliche Verbot zu protestieren, griff Alice Schwarzer die Idee auf und organisierte eine ähnliche Aktion in Deutschland: Am 6. Juni 1971 hieß es auf dem Titelblatt der Illustrierten »Stern«: »Wir haben abgetrieben! 374 deutsche Frauen halten den § 218 für überholt und erklären öffentlich: Wir haben gegen ihn verstoßen.« Mit dem Slogan »Mein Bauch gehört mir« ging die Kampagne weiter. Damit erhielt die 1968 im Zuge der Studentenbewegung entstandene »Neue Frauenbewegung« einen kräftigen Schub.

Im März 1972 nahm Alice Schwarzer an der Bundesfrauenkonferenz in Frankfurt am Main teil. Im Rahmen eines Lehrauftrags hielt sie 1974/75 an der soziologischen Fakultät der Universität Münster eine Vorlesung über den »Stellenwert der Sexualität in der Emanzipation der Frau«.

In einem 45 Minuten langen, am 6. Februar 1975 – im Jahr der Frau – vom WDR gesendeten Streitgespräch widersprach sie vehement Esther Vilar, die in ihrem Buch »Der dressierte Mann« geschrieben hatte: »Die Frauen lassen die Männer für sich arbeiten, für sich denken, für sich Verantwortung tragen. Die Frauen beuten die Männer aus […] Wie bringen es die Frauen […] fertig, dass ihre Opfer sich nicht betrogen und gedemütigt vorkommen, sondern als das, was sie am wenigsten sind – als die Herren? […] Warum werden die Frauen nicht entlarvt?« Da war Alice Schwarzer ganz anderer Meinung, denn sie ging davon aus, dass der Mann die Frau unterdrückt, nicht umgekehrt. Durch diesen Auftritt und den im selben Jahr veröffentlichten – in dreizehn Sprachen übersetzten – Bestseller »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen« wurde eine breite Öffentlichkeit auf Alice Schwarzer aufmerksam. »Ich wollte zeigen, dass die Geschlechtsverhältnisse Machtverhältnisse sind. Zum andern, dass der übliche Koitus an den Bedürfnissen der Frau vorbeigeht.« Mit solchen Sätzen löste sie eine heftige Debatte aus und wurde persönlich beschimpft. Unerschrocken unternahm sie im Oktober 1975 eine Lese- bzw. Diskussionsreise durch die Bundesrepublik und fragte: »Wer hat Angst vor Alice Schwarzer?« Bascha Mika schreibt in ihrer Biografie: »Sie wollte nicht nur im Binnengewässer der Frauenbewegung schwimmen, sondern auch im großen Meer der gesellschaftlichen Öffentlichkeit«.

1976 zog die Feministin von Berlin – wo sie seit dem Vorjahr in einer Frauen-WG gewohnt hatte – nach Köln und gründete die »Alice Schwarzer Verlags-GmbH«, aus der kurze Zeit später die »Emma Frauenverlags-GmbH« hervorging (Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin: Alice Schwarzer), in der seit Januar 1977 die feministische Zeitschrift »Emma« (»von Frauen für Frauen«) erscheint.

1983 gehörte Alice Schwarzer zu den Gründerinnen des »Hamburger Instituts für Sozialforschung« und übernahm den Vorsitz im Vorstand des neuen feministischen Archivs und Dokumentationszentrums »FrauenMediaTurm« in Köln.

Ohne ihre enorme Vitalität hätte Alice Schwarzer ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen können. Viele bewundern ihr Charisma, andere unterstellen ihr eine egozentrische Profilierungssucht, und sie gab selbst zu: »Ich entbehre nicht autoritärer Züge. Meine Stärke schüchtert manchmal andere ein.«

Alice Schwarzer schrieb bisher 21 Bücher, editierte 16 weitere und ist häufig zu Gast in Talkshows, wo sie mit temperamentvollen, rechthaberischen und scharfzüngigen Beiträgen polarisiert, aber auch für Unterhaltung sorgt. »Um keinen Preis möchte ich die manchmal recht dünne Luft der Konfrontation wieder tauschen gegen die stickige des Sich-Einreihens, des Sich-Beugens«, gestand sie. Alice Schwarzer gilt seit den Siebzigerjahren als Ikone der Neuen Frauenbewegung, wurde 1997 vom »Deutschen Staatsbürgerinnen-Verband« zur Frau des Jahres gewählt und erhielt für ihr Engagement zahlreiche Auszeichnungen, beispielsweise den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Kompromisslose Feministinnen werfen ihr allerdings vor, ihre Ziele durch die Annahme dieser Ehrungen aus der »Männergesellschaft« verraten zu haben.

Alice Schwarzer: Bibliografie (Auswahl)

  • Frauen gegen den § 218 (1971)
  • Frauenarbeit – Frauenbefreiung (1973)
  • Der „kleine Unterschied“ und seine großen Folgen. Frauen über sich.
    Beginn einer Befreiung (1975)
  • So fing es an. 10 Jahre neue Frauenbewegung. Chronik (1981)
  • Mit Leidenschaft (1982)
  • Simone de Beauvoir heute. Gespräche aus 10 Jahren (1982)
  • Warum gerade sie? Weibliche Rebellen. Begegnungen mit berühmten Frauen (1989)
  • Von Liebe und Hass (1992)
  • Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian (1993)
  • Marion Dönhoff. Ein widerständiges Leben (1996)
  • So sehe ich das (1997)
  • Romy Schneider. Mythos und Leben (1998)
  • Der große Unterschied. Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen (2000)
  • Alice im Männerland. Eine Zwischenbilanz (2002)
  • Liebe Alice, liebe Barbara. Briefe an die beste Freundin
    (Briefwechsel mit Barbara Maia – 2005)
  • Lebenslauf (2011)
  • Es reicht! Gegen Sexismus im Beruf (2013)

© Dieter Wunderlich 2006 / 2011

Emmeline Pankhurst (Kurzbiografie)
Alice Schwarzer: Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian

Anna Burns - Milchmann
Anna Burns legt mit "Milchmann" einen mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman weitab vom Mainstream vor. Auf Leserinnen und Leser, die den Nordirlandkonflikt nur aus Berichten kennen, wirken die dargestellten Lebensverhältnisse surreal. Die Autorin überlässt das Wort einer Ich-Erzählerin. Der Text liest sich wie der mündliche, teilweise umgangssprachliche Bericht der Protagonistin, die assoziativ Erinnerungen verknüpft und sich auch Einschübe erlaubt.
Milchmann