Harold Pinter
Harold Pinter wurde am 10. Oktober 1930 in London geboren und wuchs als Sohn eines aus Ungarn stammenden jüdischen Damenschneiders in Hackney auf, einem Arbeiterviertel im East End von London. 1948 verweigerte er den Militärdienst. Nach einem nicht abgeschlossenen Studium an verschiedenen Schauspielakademien – darunter die Royal Academy of Dramatic Art – schrieb er Gedichte und trat unter dem Künstlernamen David Baron als Theaterschauspieler in der Provinz auf. Sein erstes Bühnenstück – „The Room“ („Das Zimmer“) – schrieb er 1957. Einen durchschlagenden Erfolg als Dramatiker erzielte er mit dem 1960 uraufgeführten Stück „The Caretaker“ („Der Hausmeister“).
Pinters Theaterstücke „vereinen in verrätselter Kombination realistische, absurde, psychologische, mythologische, soziologische und philosophische Aspekte. Ausgehend von banalen Alltagssituationen präsentiert er eine Welt, in der es keine absoluten Gewissheiten gibt; Realität gilt ihm – wie seinen Vorbildern Franz Kafka und Samuel Beckett – als ein erkenntnistheoretisches Problem.
Seine Charaktere handeln nach undurchschaubaren Motiven, sind unerklärlichen Bedrohungen ausgesetzt und verschleiern in alogischen Dialogen ihre Identität […] Die Charaktere werden direkt konfrontiert mit existenziellen Grundproblemen: Angst, Macht und Gewalt. Vergeblich ziehen sie sich vor der bedrohlichen Außenwelt ins Gewöhnliche des Alltags oder in verklärende Fantasien zurück […] Wichtigster Handlungsträger ist eine realistische Alltagssprache, die den Figuren als Manipulations-, Verschleierungs- und Machtmittel dient […] Wie Beckett beherrscht auch Pinter den wesenlosen Dialog: Triviales Geschwätz, Pausen und Schweigen fügen sich zu einem schwer dekodierbaren Subtext, evozieren jedoch eine prägnante Atmosphäre der Unsicherheit und der Bedrohung.“ (Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Dortmund 1989, Band 4, Seite 2296).
Neben zahlreichen Bühnenstücken schrieb Harold Pinter auch Prosa, Hörspiele und Drehbücher wie zum Beispiel für die Filme „Die Geliebte des französischen Leutnants“ und „Die Geschichte der Dienerin“.
1956 heiratete Harold Pinter die Schauspielerin Vivien Merchant. Ein sieben Jahre lang währendes Liebesverhältnis mit der Fernsehmoderatorin Joan Bakewell inspirierte ihn zu dem Stück „Betrayal“ („Betrogen“). Nach einundzwanzig Jahren Ehe trennte Harold Pinter sich 1977 von seiner Ehefrau, um mit Lady Antonia Fraser zusammenzuleben. Die beiden heirateten nach Harold Pinters Scheidung im Jahr 1980.
Später engagierte Harold Pinter sich auch politisch. So reiste er beispielsweise 1985 mit Arthur Miller in die Türkei, um dort mit Opfern politischer Unterdrückung zu sprechen. Im März 2001 schloss er sich dem Komitee zur Verteidigung von Slobodan Miloevic an. Als Amerikaner und Briten 2003 in den Irakkrieg zogen, beschuldigte er die USA der Barbarei und beschimpfte den britischen Premierminister Tony Blair als „irregeleiteten Idioten“.
Die Vereinigten Staaten sind ein außer Kontrolle geratenes Monster […] Das Land wird von einer Handvoll krimineller Irrer geführt, die sich Blair als christlichen Schläger halten. Der geplante Angriff gegen den Irak ist ein Akt von vorsätzlichem Massenmord. (Harold Pinter am 15. Februar 2003 im Londoner Hyde Park, zit.: „Süddeutsche Zeitung“, 14. Oktober 2005)
Sogar in seiner Nobelrede am 10. Dezember 2005 zum Thema „Kunst, Wahrheit & Politik“ prangerte Harold Pinter die USA an:
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs unterstützten die Vereinigten Staaten jede rechtsgerichtete Militärdiktatur auf der Welt, und in vielen Fällen brachten sie sie erst hervor. Ich verweise auf Indonesien, Griechenland, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Haiti, die Türkei, die Philippinen, Guatemala, El Salvador und natürlich Chile […]
Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, konstant, infam, unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen. Das muss man Amerika lassen. Es hat weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation betrieben und sich dabei als Streiter für das universelle Gute gebärdet […]
Ich behaupte, die Vereinigten Staaten ziehen die größte Show der Welt ab, ganz ohne Zweifel. Brutal, gleichgültig, verächtlich und skrupellos, aber auch ausgesprochen clever […]
Mit Hilfe der Sprache hält man das Denken in Schach […]
Sie [die Vereinigten Staaten] sehen keine weitere Notwendigkeit, sich Zurückhaltung aufzuerlegen […] Sie scheren sich einen Dreck um die Vereinten Nationen, das Völkerrecht oder kritischen Dissens […]
Die Invasion in den Irak war ein Banditenakt, ein Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der die absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte. Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelöst durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien und somit der Öffentlichkeit; ein Akt zur Konsolidierung der militärischen und ökonomischen Kontrolle Amerikas im mittleren Osten unter der Maske der Befreiung […]
(zitiert nach: Harold Pinter, Theaterstücke. Verlag Coron bei Kindler, Berlin 2006, Seite 32ff, Übersetzung: Michael Walter)
Harold Pinters große Zeit waren die Sechziger- und Siebzigerjahre. Obwohl seine Theaterstücke zu Beginn des 21. Jahrhunderts kaum noch gespielt wurden, gab Horace Engdahl, der ständige Sekretär der Schwedischen Akademie am 13. Oktober 2005 in Stockholm bekannt, dass Harold Pinter mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird. Zur Begründung hieß es, dass er „in seinen Dramen den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freilegt und in den geschlossenen Raum der Unterdrückung einbricht“.
Harold Pinter erlag am 24. Dezember 2008 im Alter von 78 Jahren einer Krebserkrankung.
Harold Pinter: Dramen (Auswahl)
- The Room (1957; Das Zimmer)
- The Birthday Party (1958; Die Geburtstagsfeier)
- The Dumb Waiter (1959; Der Stumme Diener)
- The Caretaker (1960; Der Hausmeister)
- The Lover (1961; Der Liebhaber)
- The Dwarfs (1963; Die Zwerge)
- The Homecoming (1965; Die Heimkehr)
- Landscape (1968; Landschaft)
- Silence (1969; Schweigen)
- Old Times (1971; Alte Zeiten)
- No Man’s Land (1975; Niemandsland)
- Betrayal (1978; Betrogen)
- The Hothouse (1980; Das Treibhaus)
- One For the Road (1984; Noch einen Letzten / Einen für unterwegs)
- Mountain Language (1988; Berg-Sprache)
- Moonlight (1993; Mondlicht)
- Celebration (2000; Celebration)
Literatur über Harold Pinter
- Heinz Eikmeyer: Angst und Furcht in den Dramen Harold Pinters (1990)
- Martin Esslin: Harold Pinter (1976)
- Heinz Höller: Schnauzer und Pinter. Ein Vergleich (1986)
- Rüdiger Imhof: Harold Pinters Dramentechnik (1976)
- Peter Münder: Harold Pinter und die Problematik des Absurden Theaters (1976)
- Peter Münder: Harold Pinter (2006)
- Horst G. Oeder: Die Philosophie in Harold Pinters Frühwerk. Verbindungen zum Neuplatonismus der italienischen Renaissance (2004)
- Karl-Heinz Stoll: Harold Pinter.
Ein Beitrag zur Typologie des neuen englischen Dramas (1977) - Volker Strunk: Harold Pinter (1989)
© Dieter Wunderlich 2005 / 2008
Harold Pinter: Celebration
Die Geliebte des französischen Leutnants (Drehbuch: Harold Pinter)
Die Geschichte der Dienerin (Drehbuch: Harold Pinter)