Heloise und Abaelard

1079: Peter Abaelard (Petrus Abaelardus, Pierre Abélard) wird in Le Pallet östlich von Nantes, an der Loire-Mündung, als ältester Sohn des Ritters Berengar und dessen Ehefrau Lucia geboren.

Um 1090: Bernhard von Clairvaux wird auf Burg Fontaine-lès-Dijon bei Dijon geboren.

1093: Die Synode von Soissons bezichtigt den Nominalisten Roscelin von Compiègne (Johannes Roscelinus von Compiègne) der Häresie. Er wird beschuldigt, die Dreifaltigkeit zu leugnen.

Während die Nominalisten im Universalienstreit die Auffassung vertreten, dass nur einzelne Dinge real sind und alle Allgemeinbegriffe (Universalien) für gedankliche Abstraktionen halten, berufen sich die Realisten auf Platon und sind überzeugt, dass Ideen (Oberbegriffe, Kategorien, Gattungen, Werte, Tugenden etc.) eigenständig existieren. Im Mittelalter spitzt sich der Universalienstreit zum Beispiel in Bezug auf die Trinitätslehre zu.

Roscelin von Compiègne setzt sich nach England ab, wird dort im Jahr darauf ausgewiesen.

1095: Der reitende Wanderscholar Peter Abaelard beginnt bei Roscelin von Compiègne in einem alten Kloster in Loches nördlich von Vannes zu studieren. Er hat, vermutlich im Einverständnis mit dem Vater, auf sein Erstgeburtsrecht zugunsten seiner drei jüngeren Brüder verzichtet und sich ganz der Dialektik verschrieben.

1096 bis 1099: Erster Kreuzzug

Zwischen 1095 und 1100: Heloise (Heloisa, Héloïse) wird geboren. Der Vater ist unbekannt. Bei der Mutter könnte es sich um Hersendis von Champagne (um 1060 – 1114) handeln, die Tochter eines angevinischen Aristokraten und spätere Priorin der Abtei Fontevrault.

1100: Abaelard verlässt Roscelin von Compiègne und wird Schüler des Realisten Wilhelm von Champeaux, des Leiters der Domschule und Archidiakons von Notre-Dame in Paris, der auf der Île de la Cité Dialektik lehrt. (Bei der Kirche handelt es um ein Bauwerk aus dem 6. Jahrhundert. Mit dem Bau der gotischen Kathedrale wird erst 1163 begonnen. Die französische Hauptstadt ist damals nur eine Siedlung auf der Seine-Insel.)

Der Unterricht findet nicht in Form reiner Vorlesungen statt, bei der die Studenten nur zuhören bzw. mitschreiben. Zwar liest der Lehrer im Mittelalter in der Regel zunächst einen Text vor (lectio) und erläutert ihn, aber dann diskutiert er mit den Schülern darüber, und dieser Disput ist der Kern des Unterrichts. Weil Abaelard als einer der jüngsten Schüler den berühmten Lehrer dabei seine intellektuelle Überlegenheit spüren lässt, macht er sich unbeliebt.

1102: Abaelard verlässt Paris und gründet in Melun, südöstlich von Paris, eine eigene Schule. Von dort zieht er nach kurzer Zeit weiter nach Corbeil (heute: Corbeil-Essonnes).

1105: Abaelard bricht psychisch zusammen und erholt sich drei oder vier Jahre lang bei seiner Familie in der Bretagne.

1108: Wilhelm von Champeaux gibt aus Altersgründen die Leitung der Domschule und das Amt des Archidiakons von Notre-Dame ab. Er gründet den Orden der Regularkanoniker von Saint-Victor am linken Seine-Ufer bzw. Fuß der Montagne Sainte-Geneviève.

1109: Abaelard kehrt nach Paris zurück.

Der neue Leiter der Domschule lässt ihn Vorlesungen halten. Aber Wilhelm von Champeaux sorgt dafür, dass der Schulleiter von einem Gefolgsmann abgelöst wird, der Abaelard die Lehrerlaubnis wieder entzieht. Abaelard weicht erneut nach Melun aus. Bald darauf eröffnet er seine Schule im Kreuzgang des Klosters auf Montagne Sainte-Geneviève, also oberhalb seines Widersachers.

1112: Abaelard kehrt nach Le Pallet zurück, um Familienangelegenheiten zu regeln, denn sein Vater zog sich bereits in ein Kloster zurück, und nun folgt die Mutter diesem Beispiel.

1112: Bernhard (von Clairvaux) tritt mit dreißig Edelleuten in das südfranzösische Zisterzienserkloster Citeaux südlich von Dijon ein.

1113: Wilhelm von Champeaux wird zum Bischof von Châlons-sur-Marne ernannt und verlässt Paris.

1113: Abaelard verlässt Le Pallet, aber statt nach Paris zurückzukehren, reitet er nach Laon nordwestlich von Reims und beginnt bei dem dreißig Jahre älteren Magister Anselm von Laon ein Theologiestudium. Enttäuscht stellt er fest, dass der Frühscholastiker die Texte traditionell auslegt und keine eigenständigen Überlegungen dazu anstellt.

Als Abaelard hochmütig äußert, er wolle nicht durch Routine sondern durch Genialität weiterkommen, fordern ihn Kommilitonen dazu auf, diese zu beweisen. Er nimmt die Herausforderung an und hält nach kurzer Vorbereitung seine erste theologische Vorlesung, an der bald weitere Studenten teilnehmen. Der Zulauf hält an, bis Anselm die Weiterführung der exegetischen Vorlesung des Studienanfängers untersagt. Abaelard verlässt Laon nach wenigen Monaten.

Ein halbes Jahrtausend vor der Aufklärung propagiert Abaelard den Primat der Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Im Universalienstreit entscheidet Abaelard sich für eine mittlere Position zwischen Nominalismus und Realismus (Konzeptualismus).

1114: Abaelard übernimmt den Dialektik-Lehrstuhl auf der Île de la Cité in Paris. Studenten kommen auch aus anderen Ländern zu ihm. Dadurch wird er reich.

1. Dezember 1114: Hersendis von Champagne stirbt.

Als Lateinschülerin im Benediktinerinnen-Konvent Sainte-Marie von Argenteuil fällt Heloise durch ihren Eifer und ihren scharfen Verstand auf. Sie eignet sich eine außergewöhnlich gute Bildung an.

1115: Der Abt des Klosters Citeaux schickt Bernhard mit zwölf anderen Mönchen zu einer Einöde im Wermuttal. Dort gründen sie das Kloster Clairvaux.

1116: Wilhelm von Champeaux, der Bischof von Chalons-sur-Marne, weiht Bernhard von Clairvaux zum Abt.

1116: Gilbert wird Bischof von Paris. Noch im selben Jahr vertraut er Abaelard die Leitung der Domschule an.

1116: Der Kanonikus Fulbert, der seit 1104 als Subdiakon von Notre-Dame in Paris fungiert, holt seine vermutlich verwaiste Nichte Heloise zu sich in sein stiftsherrliches Haus im Osten der Seine-Insel. Als Frau bleibt ihr zwar ein Studium versagt, aber Fulbert fördert ihre Weiterbildung.

Die Studenten drehen sich nach dem hübschen, zwischen sechzehn und neunzehn Jahre alten Mädchen um, denn Heloise ist nach Abaelards Worten eine „anmutige Erscheinung“, „mit allem geschmückt, was Liebe zu wecken pflegt“.

Der übereifrige Gelehrte, der zwar sehr von sich überzeugt ist, aber noch nie mit einer Frau zusammen war, weil er Prostituierte verabscheut und anderseits nie Zeit für den „gesellschaftlichem Verkehr mit Frauen der Adelsschicht“ fand, setzt sich in den Kopf, Heloise für sich zu gewinnen. Die Liebe habe ihn durchglüht, meint er später.


Dieter Wunderlich: Verführerische Frauen. © Piper Verlag 2012

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1117: Um seinem Ziel näher zu kommen, lässt Abaelard sich von Fulbert als Pensionsgast aufnehmen. Die Sache entwickelt sich besser als er zu hoffen wagte: Der ahnungslose Kanoniker fragt den berühmten Professor nämlich, ob dieser bereit sei, seine Nichte zu unterrichten und freut sich, als Abaelard es verspricht.

Heloise, in der Liebe ebenso unerfahren wie der zwanzig Jahre ältere Professor, leistet keinen Widerstand.

Abaelard lernt, das es etwas gibt, dem die Vernunft nichts entgegenzusetzen hat, und aus Liebe beginnt er zu dichten. Darunter leidet allerdings seine Lehrtätigkeit.

Lange Zeit weigert Fulbert sich, die Gerüchte über eine unschickliche Beziehung seiner Nichte mit dem berühmten Pensionsgast zu glauben. Als er die beiden in flagranti ertappt, gerät er außer sich. Sein Zorn ist umso heftiger, als er selbst Heloise und Abaelard selbst zusammengebracht hat. Er wirft den Professor aus dem Haus.

Einige Zeit später merkt Heloise, dass sie schwanger ist. Ein Bote überbringt Abaelard die Nachricht.

Als Fulbert über Nacht nicht zu Hause ist, entführt Abaelard seine Geliebte kurzerhand und bringt sie zu seiner Schwester Dionysia in die Bretagne.

1118: Dort bringt Heloise einen Sohn zur Welt, der den Namen Petrus Astrolabius erhält.

Die Geburt eines unehelichen Kindes ist im Mittelalter nicht mit Schande verbunden. Das Wort Bastard wird noch nicht als Schimpfwort gebraucht, und die unehelichen Kinder wachsen zusammen mit ihren Halbgeschwistern auf.

Abaelard reitet nach der Geburt seines Sohnes zurück nach Paris, sucht Fulbert auf und bittet ihn um die Verzeihung für die Entjungferung und Entführung seiner Nichte. Er erklärt sich bereit, Heloise zu heiraten, allerdings unter der Bedingung, dass die Ehe geheim bleibt, denn er sorgt sich um seinen Ruf als Gelehrter. Der Zölibat ist zwar für seine Lehrtätigkeit nicht zwingend vorgeschrieben, gilt jedoch als förderlich.

Nach der Versöhnung mit Fulbert reitet Abaelard nach Le Pallet zurück, um seine Braut abzuholen. Wie verblüfft muss er sein, als Heloise gegen die Abmachung der beiden Männer protestiert.

Heloise will keine Ehe, von der sie weiß, dass sie ihrem Geliebten schaden würde. Sie will den außerordentlichen Gelehrten nicht zu einem gewöhnlichen Menschen machen. Ihre Liebe ist bedingungslose Hingabe.

Außerdem ahnt sie, dass ihr Onkel sich nicht an die Zusage halten wird, die Heirat geheim zu halten.

Am Ende lässt Heloise sich von Abaelard umstimmen und begleitet ihn nach Paris. Ihren Sohn lassen sie bei Dionysia zurück. Das Desinteresse an Kindern ist im Mittelalter nicht ungewöhnlich.

Heloise wohnt erneut bei ihrem Onkel, Abaelard im Domherrenhof. Auch nach der Hochzeitszeremonie, an der nur einige wenige Verwandte der Braut teilnehmen, treffen Abaelard und Heloise sich nur selten, und das heimlich.

Die Heimlichkeit nützt nichts: Wie von Heloise befürchtet, beginnt der Onkel schon bald, das Geheimnis zu verraten. Heloise begehrt dagegen auf, indem sie ihn vor anderen der Lüge bezichtigt und schwört, nicht mit dem berühmten Gelehrten verheiratet zu sein. Dafür wird sie möglicherweise von Fulbert verprügelt. Jedenfalls erträgt sie die Situation nicht länger.

1118: Sie lässt sich von Abaelard ins Kloster Sainte-Marie von Argenteuil bringen. Diesmal wird sie nicht als Schülerin, sondern als Laienschwester aufgenommen.

Abaelard kehrt nach Paris zurück. Mindestens einmal besucht er seine Ehefrau – und bedrängt sie, bis sie ihm in einer Ecke des Refektoriums zu Willen ist.

1118: Fulbert nimmt es nicht hin, dass Heloise von Abaelard ins Kloster gebracht wurde. Sein Diener wird bestochen und lässt eines Nachts, als Abaelard tief schläft, zwei Verwandte des Kanonikers ins Haus. Die drei Männer überfallen Abaelard im Schlaf. Während zwei ihn festhalten, schneidet einer ihm das wahrscheinlich zuvor eingeschnürte Skrotum ab. (Führt er auch eine Penektomie durch? Wir wissen es nicht.) Seine Angst- und Schmerzensschreie sind weithin zu hören.

Im Morgengrauen laufen die Bewohner vor seinem Haus zusammen. Auch Bischof Gilbert ist bestürzt. Der Diener und einer der Verwandten Fulberts werden aufgegriffen und nicht nur wie Abaelard kastriert, sondern auch geblendet. Fulbert leugnet zwar, die Männer angestiftet zu haben, aber der Bischof enthebt ihn seines Amtes und beschlagnahmt seinen Besitz.

Studenten, Kleriker, Pilger, Kaufleute verbreiten die Nachricht von der Entmannung des berühmten Gelehrten. Abaelard erhält viel Mitleid – aber es ging ihm um Ruhm.

Immerhin findet er sich mit seinem Schicksal ab, ohne mit Gott zu hadern.

1. April 1119: Fulbert darf das Amt des Kanonikus wieder ausüben.

1119: Heloise nimmt schluchzend den Schleier und legt in Argenteuil vor Bischof Gilbert von Paris ihre Profess ab. Später weist sie Abaelard in einem Brief darauf hin, warum sie ins Kloster ging.

Vielleicht verlangt Abaelard von Heloise den Rückzug ins Kloster nicht zuletzt auch deshalb, weil er sie keinem anderen Mann gönnt. Ob Heloise das so sieht, ist unklar. Auf jeden Fall fühlt sie sich tief verletzt, weil er ihr offenbar misstraut und sein Ordensgelübde im Reichskloster Saint-Denis nördlich von Paris erst nach ihr ablegt. Auch bei Abaelard ist es keine Berufung, die ihn dazu motiviert ins Kloster zu gehen, sondern eher die Scham.

Bald nach seiner Aufnahme in Saint-Denis empört Abaelard sich über die Ausschweifungen seiner Mitbrüder. Diese Kritik akzeptieren die anderen Mönche schon gar nicht von einem Mann wie Abaelard, der mit seiner Sittenlosigkeit einen Skandal auslöste. Sein reformatorischer Eifer stößt sie ab. Um den Anfeindungen zu entgehen, zieht Abaelard sich in eine Einsiedelei zurück, in das zum Kloster Saint-Denis gehörende Priorat Maisoncelles-en-Brie bei Provins.

Als sich das herumspricht, strömen erneut Schüler zu ihm.

1120: Seine Gegner wollen dem ein Ende machen und erreichen, dass ihm jegliche Lehrtätigkeit verboten wird. Zu diesem Zweck streben sie seine

Verurteilung als Häretiker an. Um dem zuvorzukommen, geht Abaelard mutig in die Offensive: Er fordert den ihm gewogenen Bischof Gilbert von Paris auf, Roscelin von Compiègne vor eine Kirchenversammlung zu laden. Die soll dessen nominalistische Lehre verwerfen – und auf diese Weise Abaelard als Vertreter des Realismus stärken. Der Schuss geht jedoch nach hinten los: Bischof Gilbert wendet sich ratsuchend an den päpstlichen Legaten Kuno von Urach, den Bischof von Praeneste, und der beruft nach Soissons, 100 Kilometer nordöstlich von Paris, ein Konzil ein.

1121: Abaelard wird vor das Konzil von Soissons geladen. Man wirft ihm vor, die Existenz von drei Göttern zu postulieren. Überraschenderweise gehen die vielleicht zwanzig Teilnehmer der Versammlung zunächst gar nicht auf Abaelard ein. Erst am letzten Tag kommt der Fall auf die Tagesordnung: Gottfried von Lèves, der Bischof von Chartres, schlägt vor, Abaelard vor ein besser qualifiziertes Konzil zu laden – und löst dadurch einen Tumult aus. Ohne die Anschuldigungen zu prüfen, wird Abaelard gezwungen, ein Exemplar seiner Schrift „Tractatus de Unitate et Trinitate divina“ (Über die göttliche Einheit und Dreiheit) ins Feuer zu werfen. Danach sperrt man ihn ins Benediktinerkloster Saint-Médard in Soissons. Für den Verurteilten ist diese Schmach schlimmer als seine Entmannung.

Allerdings bereut Kuno von Urach das ungerechte Urteil schon bald, und er erlaubt es Abaelard, nach Saint-Denis zurückzukehren.

Wieder schafft Abaelard es, sich innerhalb von kurzer Zeit den Zorn seiner Mitbrüder zuzuziehen: Er bezweifelt, dass es sich beim Ordensgründer um Dionysius Areopagita, den von Paulus zum Christentum bekehrten ersten Bischof von Athen, gehandelt habe. Damit löst er einen Aufruhr aus. Der Konvent verurteilt ihn zur Klosterhaft und droht wegen seiner angeblichen Herabsetzung eines Reichsklosters mit seiner Auslieferung an ein königliches Gericht.

Abaelard flieht aus Saint-Denis und sucht Zuflucht beim mächtigen Grafen Theobald von Champagne im Schloss von Provins und wird durch dessen Fürsprache im Priorat von Saint-Ayoul aufgenommen, das zum Kartäuserkloster von Moutiers-la-Celle bei Troyes gehört.

11. Januar 1122: Der starrsinnige Abt Adam von Saint-Denis stirbt.

12. März 1122: Zum Nachfolger wird Suger gewählt. Der stimmt sich mit dem Grafen von Champagne, einflussreichen Kirchenmännern und König Ludwig VI. ab und entlässt dann Abaelard aus der Klostergemeinschaft von Saint-Denis unter der Bedingung, dass er fortan als Eremit lebt.

1122: Abaelard zieht sich in eine verwilderte Einöde am Ardusson südlich von Nogent-sur-Seine zurück. Dort schenkt man ihm ein Stück Land, auf dem er aus Stroh und Schilf eine Hauskapelle errichtet, die er dem Parakleten weiht, also dem Heiligen Geist.

Wieder finden sich Studenten ein. Sie errichten eine neue Kapelle aus Holz und Stein und bauen sich Wohnhütten.

1122: Petrus Venerabilis wird Abt von Cluny.

Zwischen 1122 und 1125: Heloise wird von den Schwestern im Kloster Sainte-Marie von Argenteuil zur Priorin gewählt.

1127: Weil seine Gegner nicht ruhen, folgt Abaelard dem Ruf der Mönche von Saint-Gildas, einem Kloster auf der zur Bretagne gehörenden Halbinsel Rhuys, die ihn als Abt gewählt haben. Er stößt dort auf raue Sitten und schlimme Verhältnisse.

Anfang 1129: Abt Suger von Saint-Denis erhebt Anspruch auf das Kloster Saint-Marie in Argenteuil. Er argumentiert, es zwar im 9. Jahrhundert als Nonnenkloster von Saint-Denis getrennt worden, aber mit der Maßgabe, dass es nach dem Tod der Äbtissin Theodrada, einer Tochter Karls des Großen, wieder an die königliche Abtei zurückfallen sollte. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, wirft Suger den Nonnen in Agenteuil eine schimpfliche Lebensweise vor. Er zieht einflussreiche Bischöfe wie die von Reims, Paris, Chartres und Soissons auf seine Seite und überzeugt König Ludwig VI., den Schutzherrn von Saint-Denis, von der Rechtmäßigkeit des Anspruchs. Ohne eine Gelegenheit zur Verteidigung gehabt zu haben, werden Heloise und ihre Mitschwestern aus Agenteuil verjagt.

Als Abaelard das erfährt, macht er sich sofort auf den fast 600 Kilometer weiten Weg zu seiner Ehefrau. Für den Ritt benötigt er schätzungsweise drei bis vier Wochen (Horst, 105). Zum ersten Mal seit zehn Jahren sehen sich die beiden wieder. In der Zwischenzeit hörte Heloise von Abaelard nur, wenn in ihrem Kloster übernachtende Pilger und Kleriker etwas Neues über ihn wussten. Er selbst meldete sich kein einziges Mal bei ihr.

1130: Abaelard übereignet Heloise und den Nonnen die dem Parakleten geweihte, seit drei Jahren verlassene Anlage am Ardusson bei von Nogent-sur-Seine, die seinen ganzen Besitz darstellt.

1130/31: Er ersucht Papst Innozenz II., diese Schenkung zu bestätigen, entweder im Sommer 1130 auf dem Konzil von Étampes südlich von Paris oder am 20. Januar 1131, als der Papst an der Altarweihe im Kloster Morigny bei Étampes teilnimmt.

Ende 1131: Papst Innozenz II. bestätigt die Schenkung in Auxerre an der Yonne.

Die Nonnen leben zunächst in bitterer Armut.

Zwischen 1131 und 1133: Bernhard von Clairvaux besucht das Kloster Paraklet. Er findet nichts Regelwidriges, kritisiert nur eine von Abaelard vorgegebene Fassung des Vaterunsers, in der statt vom täglichen vom supersubstantiellen Brot die Rede ist.

Abaelard gelingt es nicht, in Saint-Gildas-en-Rhuys Zucht und Ordnung herzustellen. Man versucht, ihn mit Gift im Messkelch zu töten, und während eines Ausritts stirbt ein Klosterbruder, der etwas isst, was für Abaelard bestimmt war.

Abaelard schreibt u.a. die „Historia calamitatum“ („Abaelardi ad Amicum Suum Consolatoria“), eine Autobiografie in Form eines Trostbriefes an einen imaginären Freund.

1132/33: Abaelard flüchtet aus dem Kloster Saint-Gildas.

1133 bis 1138: Einige Jahre lehrt er noch einmal auf der Montagne Sainte-Geneviève, diesmal in der zum Stift Saint-Marcel bei Paris gehörenden Kirche Saint-Hilaire.

Heloise erhält durch Zufall eine Abschrift der „Historia calamitatum“. Aufgebracht schreibt sie ihrem Ehemann und beschwert sich darüber, dass er seine Lebensbeichte nicht an sie, sondern an einen fiktiven Freund gerichtet und ihr nicht einmal eine Kopie geschickt habe. Außerdem wirft sie ihm vor, sie „vernachlässigt und vergessen“ zu haben. In ihrem zweiten Brief gesteht Heloise offen, dass sie noch immer von der Erinnerung an ihre Liebesabenteuer mit ihm heimsucht wird. Der leidenschaftliche Ausbruch überrascht Abaelard.

Um 1133 bis um 1136: Heloise und Abaelard wechseln mehrere Briefe. Es handelt sich nicht um Liebesbriefe, sondern die Themen verschieben sich auf Abaelards Drängen vom Persönlichen zum Amtlichen. Am Ende erbittet die Äbtissin von Abaelard für ihr Kloster eine für Nonnen geeignete Modifikation der Benediktinerregel.

17. Juni 1135: Innozenz II. verleiht dem von Heloise geleiteten Konvent Paraklet die offiziellen Klosterprivilegien, stellt das Kloster unter seinen Schutz und seine Rechtsprechung.

1135: Das Kloster Paraklet erhält Zuwendungen von König Ludwig VII.

1140: Das von Heloise geleitete Kloster ist noch immer verschuldet.

1140: Der in der Abtei von Signy in den Ardennen lebende Zisterzienser Wilhelm von Saint-Thierry, der das Amt des Abts von Saint-Thierry vor einigen Jahren niederlegte, schickt Gottfried von Lèves, dem Bischof von Chartres, und Bernhard von Clairvaux eine Aufstellung von angeblich häretischen Äußerungen Abaelards.

1141: In Sens an der Yonne, 40 Kilometer südlich von Nogent-sur-Seine, soll im Beisein von König Ludwig VII. und zahlreicher kirchlicher Würdenträger eine feierliche Ausstellung von Reliquien stattfinden. Abaelard beabsichtigt, Bernhard von Clairvaux vor diesem Publikum zu einer Disputation über seine Thesen herauszufordern. Er weiß, dass ihm sein Gegner im verbalen Schlagabtausch nicht gewachsen ist. Aber Bernhard von Clairvaux bleibt nicht untätig:

24. Mai 1141: Am Vorabend der Veranstaltung ruft er die wichtigsten Kirchenfürsten zusammen. Mit ausgewählten, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten aus Schriften von Abaelard gewinnt er sie dafür, diesen am nächsten Tag wegen Häresie anzuklagen statt eine öffentliche Disputation zuzulassen. Berengar von Poitiers, ein Anhänger Abaelards, behauptet, die Würdenträger seien bereits betrunken gewesen, als sie die Entscheidung trafen.

25. Mai 1141: Nach dem Pontifikalamt wird Abaelard im Beisein von König Ludwig VII. zum Chor vor dem Hauptaltar gerufen. Dort tritt ihm Bernhard von Clairvaux entgegen und verliest die Anklage. Abaelard wartet nicht ab, bis sein Gegner damit fertig ist: Er dreht sich um und verlässt die Kirche. Weil nach dem geltenden Recht eine Verurteilung ohne Geständnis unzulässig ist, durchkreuzt Abaelard das listige Vorhaben.

1141: Er bricht nach Rom auf, um den Papst persönlich von seiner Rechtgläubigkeit zu überzeugen. Als er erschöpft in Cluny rastet, lädt Abt Petrus Venerabilis ihn zum Bleiben ein.

16. Juni 1141: Papst Innozenz II. verurteilt allein aufgrund der Anklagen Abaelard zur Klosterhaft und ordnet die Vernichtung seiner Werke an.

Durch sein Verhandlungsgeschick erreicht Petrus Venerabilis, dass man seinen Gast in Ruhe lässt.

Herbst 1141: Abaelard wird Zisterzienser und zieht sich aus gesundheitlichen Gründen in das Priorat Saint-Marcel bei Chalon-sur-Saône zurück. Seine Verwahrlosung geht mit körperlichem Verfall einher.

Abaelard verfasst ein Lehrgedicht für seinen Sohn Astrolabius.

21. April 1142: Abaelard stirbt in Saint-Marcel und wird auf dem kleinen Friedhof begraben. In Abwesenheit des Abtes, der sich gerade in Spanien aufhält, benachrichtigt einer der Mönche von Cluny Heloise.

1142: Nach seiner Rückkehr schreibt Petrus Venerabilis persönlich Heloise einen Brief, in dem er ihr großen Respekt zollt. Eine persönliche Anerkennung wie diese bekam Heloise von Abaelard nie.

Sie möchte den Toten in ihrem Kloster bestatten. Obwohl dies eine ganz und gar ungewöhnliche Bitte ist, erfüllt Petrus Venerabilis sie: Er lässt Abaelard ein halbes Jahr nach dessen Tod exhumieren und begleitet den beschwerlichen Transport persönlich.

Herbst 1142: Petrus Venerabilis kommt zu Heloise ins Kloster Paraklet.

16. November 1142: Dort zelebriert er eine Messe.

1143: Heloise bedankt sich bei Petrus Venerabilis in einem Brief und äußert zwei weitere Bitten: Der Abt möge ihr ein Siegel mit der Bestätigung schicken, dass Abaelard die Sünden vergeben wurden, und sie ersucht ihn, sich für ihren Sohn Astrolabius einzusetzen, damit dieser eine Pfründe bekommt. Zumindest die erste Bitte erfüllt Petrus Venerabilis.

Heloise bewährt sich als Priorin bzw. Äbtissin, und die Lage des Klosters Paraklet verbessert sich im Lauf der Zeit.

1. November 1147: Der päpstliche Gesandte, der im Namen von Papst Eugen III. den zum Kloster gehörenden Grundbesitz bestätigt, stellt fest, dass es prosperiert. Die Gemeinschaft hat inzwischen zusätzliches Land, Nutzungsrechte in den umliegenden Wäldern, Fischereirechte und Brückenzölle erhalten, und man stellt ihr Arbeitskräfte zur Verfügung.

20. August 1153: Bernhard von Clairvaux stirbt.

25. Dezember 1156: Petrus Venerabilis stirbt.

Mai 1164: Heloise stirbt. Sie wird in der Kapelle Petit Moustier neben Abaelard beigesetzt.

Mai 1497: Die Gebeine von Heloise und Abaelard werden aus dem Grab genommen und zu beiden Seiten des Hochaltars in der Abteikirche des Klosters Paraklet neu beigesetzt.

März 1621: Die Gebeine werden unter den Hochaltar verlegt.

1780: Die letzte Äbtissin, Marie-Charlotte de La Rochefoucauld de Roucy, lässt die Gebeine in einen Bleisarg legen.

1792: Im Zuge der Französischen Revolution wird das Kloster aufgelöst. Die Gebeine von Heloise und Abaelard werden in die Pfarrkirche Saint-Laurent von Nogent-sur-Seine gebracht.

6. November 1817: Heloise und Abaelard finden auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris ihre letzte Ruhe.

Literatur über Abaelard und Heloise

  • Eberhard Brost: Abaelard. Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloisa (Lambert Schneider, Heidelberg 1979)
  • Michael T. Clanchy: Abaelard. Ein mittelalterliches Leben (Primus, Darmstadt 2000, ISBN: 3-89678-214-2)
  • Stephan Ernst: Petrus Abaelardus (Aschendorff, Münster 2003, ISBN: 3-402-04631-8)
  • Eberhard Horst: Heloisa und Abaelard. Biografie einer Liebe (Claassen, München 2004, ISBN: 3-546-00352-7)
  • Hans-Wolfgang Krautz: Abaelard. Der Briefwechsel mit Heloisa (Reclam, Stuttgart 2001, ISBN: 3-15-003288-1)
  • Ursula Niggli (Hg.): Peter Abaelard. Leben – Werk – Wirkung (Herder, Freiburg 2003, ISBN: 3-451-28172-4)
  • Matthias Perkams: Liebe als Zentralbegriff der Ethik nach Peter Abaelard (Aschendorff, Münster 2001, ISBN: 3-402-04009-3)
  • Régine Pernoud: Heloise und Abaelard. Ein Frauenschicksal im Mittelalter (dtv, München 1994, ISBN: 3-466-34267-8)
  • Adalbert Podlech: Abaelard und Heloisa oder die Theologie der Liebe (Piper, München / Zürich 1990, ISBN: 3-492-03245-1)
  • Rudolf Thomas (Hg.): Petrus Abaelardus. Person, Werk und Wirkung (Paulinus, Trier 1980, ISBN: 3-7902-0041-7)
  • Dieter Wunderlich: Verführerische Frauen. Elf Porträts (Piper, München 2012, ISBN 978-3-492-27274-2)
  • Christian Zitzl: Abaelard und Héloise. Die Tragik einer großen Liebe (Buchner, Bamberg 2007, ISBN: 978-3-7661-5738-6)

© Dieter Wunderlich 2010

Eberhard Horst: Heloisa und Abaelard. Biografie einer Liebe
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