Meine Heldin

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Meine Heldin

Meine Heldin - Originaltitel: L'ennui - Regie: Cédric Kahn - Drehbuch: Cédric Kahn und Laurence Ferreira Barbosa, nach dem Roman "La Noia" von Alberto Moravia - Kamera: Pascal Marti - Schnitt: Yann Dedet - Darsteller: Charles Berling, Sophie Guillemin, Arielle Dombasle, Robert Kramer, Alice Grey, Tom Quedraogo u.a. - 1998; 120 Minuten

Inhaltsangabe

Ein Intellektueller wird einem pummeligen, gesellschaftlich und intellektuell weit unterlegenen Mädchen hörig und grübelt vergeblich, um zu begreifen, was da geschieht.

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Kritik

Während in Alberto Moravias 1960 veröffentlichtem Roman "La Noia" der verwirrte, verzweifelte Liebhaber im Zentrum steht, kreist Cédric Kahns Verfilmung "Meine Heldin" um das Mädchen.
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Martin (Charles Berling) ist Philosophieprofessor in Paris. Von seiner Frau Sophie (Arielle Dombasle) hat sich der Fünfunddreißigjährige zwar getrennt, aber er trifft sich nach wie vor mit ihr und fragt sie auch hin und wieder um Rat. Sie hat inzwischen eine neue Liebesbeziehung mit Jean-Paul und erzählt Martin, dass sie sich besonders lebendig fühle, wenn dieser sie schlage.

Um seine Kräfte voll und ganz für das Buch aufzusparen, das er zu schreiben beabsichtigt, verzichtet Martin seit einem halben Jahr auf Sex. Als er lebensüberdrüßig, gelangweilt, nervös und ziellos durch die Straßen fährt, beobachtet er, wie eine junge Frau einen Mann wegstößt und dieser kurz darauf in einen Nachtclub geht. Martin folgt ihm. Weil der Fremde seine Zeche am Ende nicht bezahlen kann, wird er brutal hinausgeworfen. Da übernimmt Martin die Rechnung. Der andere, er heißt Leopold Meyers (Robert Kramer) und ist Kunstmaler, besteht darauf, dass Martin als Pfand für den ausgelegten Betrag ein Aktgemälde an sich nimmt, auf dessen Rückseite seine Adresse angegeben ist.

Drei Tage später geht Martin zu dem Atelier – und erfährt von einer Nachbarin, dass Meyers am Nachmittag zuvor beim Liebesakt mit einem Modell gestorben ist. Im Atelier begegnet er der siebzehnjährigen Cécilia (Sophie Guillemin), dem Mädchen, in dessen Armen der sehr viel ältere Künstler verschied. Martin fragt Cécilia nach Einzelheiten ihrer Beziehung mit dem Maler aus. Sie hatte Meyers vor zwei Jahren durch eine Freundin kennen gelernt und sich in ihn verliebt. Erst nach einigen Monaten begann er sich für sie zu interessieren und entwickelte schließlich eine sexuelle Obsession für sie, während Cécilia ihn zunehmend langweilig fand.

Martin lässt sich als Dozent freistellen, angeblich um an seinem Buch zu arbeiten. Tatsächlich trifft er sich jeden Tag in seinem Apartment mit Cécilia. Dabei ist sie pummelig und nicht besonders attraktiv. Außerdem ist Martin ihr gesellschaftlich und intellektuell weit überlegen. Während er über alles nachgrübelt und zwanghaft jedes Detail hinterfragt, antwortet sie auf seine Fragen nicht selten mit „darüber habe ich nicht nachgedacht“, und sie fragt einmal zurück: „Wem nützt denn das, etwas zu denken?“ Bezeichnend ist auch, dass sie im religiösen Sinn an nichts glaubt, aber nicht, weil sie sich damit auseinandergesetzt hat, sondern weil sie es langweilig findet, darüber nachzudenken. Stets freundlich und sanftmütig, versucht sie so gut wie möglich auf seine lästigen Befragungen einzugehen. Sie lebt einfach in den Tag hinein. Obwohl Sex für Cécilia offenbar zum Wohlfühlen gehört und etwas Alltägliches und Selbstverständliches wie die täglichen Mahlzeiten ist, hält sie vor ihren Eltern, bei denen sie noch wohnt, den Anschein aufrecht, bei Martin handele es sich – wie vorher bei Meyers – um ihren Zeichenlehrer. Martin kann an nichts anderes mehr denken und versteht nicht, wie er diesem Mädchen verfallen konnte. Einmal, als sie wieder nackt zu ihm ins Bett kommt, verlangt er von ihr, dass sie erst einmal die Vorhänge zuzieht, seine Zigaretten holt, überprüft, ob er das Gas in der Küche ausgedreht habe und so weiter, aber es gelingt ihm nicht, sie aggressiv zu machen. Dann drückt er ihr Geld in die Hand und beschimpft sie als Prostituierte, doch auch das scheint sie nicht weiter zu berühren. Wenn er ihr Geld gebe, nehme sie es, meint sie, und wenn nicht, dann sei es auch gut.

Seiner Exfrau Sophie gegenüber behauptet Martin, Cécilia würde ihn langweilen und er werde sich von ihr trennen.

Es kommt anders. Als sie einmal nicht, wie gewohnt, zu ihm kommt und er sie zufällig Arm in Arm mit dem jungen Schauspieler Momo (Tom Quedraogo) am Eingang eines Parks ertappt, rastet er vor Eifersucht aus. Der Gedanke, sie könne ihn langweilig finden und habe sich deshalb einen zweiten Liebhaber gesucht, quält ihn. Schließlich macht er ihr einen Heiratsantrag, aber sie lehnt ab, weil sie Momo nicht aufgeben möchte. Trotz ihrer Naivität lässt sie sich nicht beherrschen.

Cécilia verreist für zwei Wochen mit Momo nach Korsika. Verzweifelt holt Martin eine Prostituierte in sein Auto, und während er sie zu Fellatio auffordert, rast er wie ein Verrückter über die Straßen, bis er beim Ausweichen vor einem Lastwagen gegen einen Baum knallt. Aus dem Krankenhaus schreibt er Sophie: „In letzter Zeit habe ich viel über Selbstmord nachgedacht. Ich wollte sterben. Wirklich sterben. Aber jetzt glaube ich, dass man nicht aus Hoffnungslosigkeit sterben sollte. Im Gegenteil. Ich glaube, man sollte sich an der Hoffnungslosigkeit aufrichten, anstatt an ihr sterben zu wollen. Man muss leben. Ich glaube, man muss um jeden Preis leben.“

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Ein Intellektueller wird einem schlichten Mädchen hörig und versucht vergeblich zu begreifen, was da geschieht.

Cédric Kahn verlegt die Handlung von Rom nach Paris und aus den späten Fünfziger- in die späten Neunzigerjahre. Aus dem Maler Dino macht er den Philosophieprofessor Martin. Während in Alberto Moravias 1960 veröffentlichtem Roman „La Noia“ der verwirrte, verzweifelte Liebhaber im Zentrum steht, kreist Cédric Kahns Verfilmung „Die Heldin“ um das Mädchen. Er sagt: „Was mich vielmehr fasziniert hat, war das Mädchen. Ich fand es frappierend, wie sie schon im Roman eine Filmfigur ist, die sich nur in die Literatur verirrt hat. Moravia versucht sie zu fassen und zu definieren, er strampelt sich mit Wörtern, Sätzen und raffinierten Wendungen ab – aber sie entzieht sich schlichtweg seinen Anstrengungen. Sie hat einen ‚unaussprechlichen‘ Charakter, und das forderte mich heraus.“

Alberto Moravia (1907 – 1990) wurde in Rom als Sohn eines aus Mähren eingewanderten, wohlhabenden Architekten geboren. Wegen einer schweren Erkrankung wurde er von einem Privatlehrer unterrichtet. Nach seiner Genesung begann er 1925 zu schreiben und machte sich bereits mit seinem Debütroman „Die Gleichgültigen“ einen Namen.

„La Noia“ wurde bereits 1963 unter dem Titel „Die Nackte“ mit Catherine Spaak, Bette Davis und Horst Buchholz verfilmt. Cédric Kahns spröder Spielfilm „Meine Heldin“ läuft im Fernsehen unter dem ebenso missratenen Titel „Liebe, Sex und Leidenschaft“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003

Cédric Kahn: Ein besseres Leben

Maarten 't Hart - Die Netzflickerin
In seinem konventionell erzählten, gut durchdachten und fesselnden Roman "Die Netzflickerin" zeigt Maarten ΄t Hart Mechanismen auf, die zur Verunglimpfung und Vorverurteilung von Personen führen. Zugleich kritisiert er damit die Macht der Medien sowie Intoleranz und Selbstgerechtigkeit.
Die Netzflickerin