Der Bogen
Der Bogen
Inhaltsangabe
Kritik
Auf einem verrosteten Kutter auf dem Meer lebt ein alter Mann (Jeon Seong-hwang) mit einem Mädchen (Han Yeo-reum). Wie die jetzt 16-Jährige zu ihm kam, erfahren wir nicht. Sie zu umsorgen gibt dem Leben des Alten Sinn, aber zugleich ist er ein Despot, denn er hat ihr in den zehn Jahren, die sie bisher bei ihm verbracht hat, kein einziges Mal erlaubt, das Schiff zu verlassen. Im nächsten Monat wird sie 17 Jahre alt. An diesem Tag will der Patriarch, der nie ein Wort spricht, mit ihr Hochzeit feiern. Die Festkleidung für die Zeremonie besorgt er nach und nach, wenn er mit dem motorisierten Beiboot zum Festland fährt, um Hobbyangler gegen Bezahlung für einen Tag auf seinen mit Sofas in Pastellfarben an der Reling ausgestatteten Kutter zu holen. Jeden Abend geht der Alte zu einem Wandkalender, streicht einen Tag aus und zählt die Tage bis zur Hochzeit. Dann legt er sich in die Koje, die sich über der ihren befindet, greift nach unten und hält ihre Hand.
Lüstern begaffen die Angler das hübsche Mädchen. Anzügliche Bemerkungen nimmt die Kindfrau schweigend und lächelnd hin. Aber wenn einer der Männer sie zu begrabschen versucht, weist ihn der Alte mit einem Bogenschuss in die Schranken. Mit dem Bogen schießt der Alte nicht nur, sondern er macht damit auch Musik. Außerdem benutzt er ihn, wenn er von Anglern um Wahrsagungen gebeten wird, für ein undurchschaubares Ritual.
Eines Tages bringt der Alte einen Studenten (Seo Si-jeok) und dessen Vater (Jeon Gook-hwan) zum Angeln auf den Kutter. Obwohl der Student und das Mädchen kein Wort miteinander sprechen, entgeht dem Alten nicht, dass sie sich auf den ersten Blick ineinander verliebt haben. Der Student beobachtet im Verlauf des Tages durch ein Fenster, wie das Mädchen in einem Zuber sitzt und von dem alten Mann gewaschen wird. Die Nackte entdeckt ihn am Fenster – und lächelt ihn an. Zum Abschied schenkt der Student ihr seinen MP3-Player. Doch als der Alte sie damit erwischt, reißt er ihr den Kopfhörer herunter und wirft ihn auf den Boden.
Das Auftauchen des Studenten hat die 16-Jährige von ihrer Hörigkeit befreit. Als der Alte ihr von seinem nächsten Landgang Schmuck mitbringt, zerreißt sie die Halskette, die er ihr umlegt. Dann setzt sie sich demonstrativ zu einem der Angler und schmiegt sich an den Fremden. Aufgebracht bringt der Alte den Angler gleich wieder an Land. Am Abend streicht er mehrere Tage aus, um die Zeit bis zur Hochzeit zu verkürzen.
Der Student kommt mit einem Motorboot zurück. Er hat die Eltern des Mädchens gefunden und entfaltet ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass die Eltern nach ihrer Tochter suchen. Wortlos zerknüllt der Alte das Papier. Er feilt ein paar Pfeilspitzen zu und zielt auf den Studenten, bis sich das Mädchen schützend vor den jungen Mann stellt.
Als das Mädchen am nächsten Morgen erstmals das Schiff verlässt und mit dem Studenten im Motorboot wegfährt, legt sich der verzweifelte Alte die Schlinge eines an dem Boot befestigten Seils um den Hals. Im letzten Augenblick kappt das Mädchen das Seil. Dann kehrt es mit dem Studenten auf den Kutter zurück.
Dem jungen Mann bleibt nichts anderes übrig, als dem Alten und dem Mädchen zuzusehen: Die beiden legen die Festkleidung an und heiraten in einer stummen, feierlichen Zeremonie. Dann fahren sie mit dem Beiboot ein Stück weit weg und lassen den Studenten an Bord des Kutters zurück. Der befreit das gefesselte Huhn, das bei der Hochzeitszeremonie auf dem Schrein lag. Bevor er auch die Fesseln des Hahns löst, schlägt er ihn stellvertretend für den alten Mann.
Am Abend stellt der Alte den Motor ab. Er spielt auf dem Bogen, bis das Mädchen im weißen Kleid einschläft. Dann nimmt er die Resonanztrommel aus dem Bogen, sodass dieser wieder zur Waffe wird und legt einen Bogen ein. Wird er das Mädchen töten? Nein, er schießt den Pfeil in den Himmel. Dann lässt er sich über Bord fallen und ertränkt sich.
Das Motorboot mit dem schlafenden Mädchen treibt auf den Kutter zu. Die Kindfrau erwacht, bleibt aber auf dem Rücken liegen und greift sich zwischen die gespreizten Beine. Nachdem der Student die junge Frau mit einem Pfeilschuss defloriert hat, nimmt er sie in die Arme, und sie kommt zum Orgasmus.
Der Student wirft den Motor an. Aus einiger Entfernung sehen er und die junge Frau, wie der Kutter sinkt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In „Hwal. Der Bogen“ ist alles symbolisch. Die ganze Geschichte spielt auf einem Schiff mitten auf dem Ozean. Zum Festland scheint es nicht allzu weit zu sein, aber es kommt nicht in Sicht. Die Beziehung des liebevollen Despoten und des ihm hörigen jungen Mädchens an Bord des Kutters könnte einer Altherrenfantasie entsprungen sein, aber Kim Ki-duk überhöht sie mystisch und erzählt davon in Form einer Parabel. Die spirituelle Harmonie der beiden wird durch Männer vom Festland – also aus der Außenwelt – gefährdet, und ein Student befreit das Mädchen schließlich. „Hwal. Der Bogen“ dreht sich um Liebe, Abhängigkeit, Macht und Gewalt. Symbolisch ist auch der titelgebende Bogen, nicht nur weil Pfeil und Bogen in der griechischen Mythologie für Eros und Apoll stehen, sondern vor allem auch, weil es bei dem als Waffe und Musikinstrument einsetzbaren Bogen auf die richtige Spannung ankommt: Mit einer schlaffen Sehne lässt sich weder schießen noch ein Ton erzeugen, zieht man sie jedoch zu stark an, bricht der Bogen.
Eine kleine Geschichte, immer waghalsig auf der Kippe zwischen befremdlicher Eros-Fantasie und mystisch-existenzieller Parabel, entfaltet sich in wunderbar strahlenden Bildern. (Rainer Gansera, Süddeutsche Zeitung, 27. Juli 2006)
Kim Ki-Duks Filme folgen einer eigenen, ganz und gar extremen Logik, die nicht unbedingt durchschaut werden muss. Sein Kino ist eines der Metaphern, Verweise und Symbole, die jedoch nicht immer restlos aufgehen, weil er seinen Figuren und Geschichten ein unkontrollierbares, ja erschreckendes Eigenleben zugesteht. Im Grunde dreht dieser Regisseur Filme über die seltsamen Verirrungen der menschlichen Seele, und wer kann diese schon wirklich verstehen, geschweige denn erklären? Gerade weil Kim Ki-Duk sich nicht anmaßt es zu tun, kann er ihren Deformationen und Abgründen so vorbehaltlos entgegentreten […] (Anke Leweke, „Die Zeit“, 9. Dezember 2004)
Kim Ki-duk erzählt die minimalistische Geschichte, in der kaum ein Wort gesprochen wird, in schönen poetischen Bildern. Er ist nicht nur für das Drehbuch und die Regie des Films „Hwal. Der Bogen“ verantwortlich, sondern auch für den kunstvoll-eleganten Schnitt.
Die Dreharbeiten fanden Anfang 2005 bei großer Kälte auf dem Meer statt.
Die Musik wurde von der Geigerin Kang Eun-il komponiert und auf einem traditionellen südkoreanischen Streichinstrument (Haegum) gespielt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Kim Ki-duk: Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling
Kim Ki-duk: Samaria
Kim Ki-duk: Pieta