Annette Lory : Vom Fliegen außer Atem

Vom Fliegen außer Atem
Vom Fliegen außer Atem Originalausgabe: Kommode Verlag, Zürich 2016 ISBN: 978-3-9524401-1-7, 208 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die 18-jährige, bei ihrem geschiedenen Vater in Bern aufgewachsene Schülerin Sara fliegt als Au-pair in die USA. Dort brennt sie nach kurzer Zeit mit ihrem neuen Freund Nino durch, einem Künstler, der seine Bilder illegal auf der Straße verkauft und deshalb in New York festgenommen wird. Während Sara – weit weg von ihrem Zuhause – nach ihm sucht, beginnt sie, sich selbst zu finden ...
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Kritik

"Vom Fliegen außer Atem" ist ein poetischer Roman. Annette Lory er­zählt die Coming-of-Age-Ge­schich­te nicht chronologisch, sondern im kunst­vollen Wechsel zwischen Gegen­wart – vier aufeinander folgenden Tagen in New York – und Vergangenheit.
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Vorgeschichte

Als die Ehe der Eltern zerbricht, zieht Anna zu ihrer Mutter Hanna, während die Tochter Sara beim Vater in Bern bleibt und er sich eine neue Wohnung sucht. Eine Stiefmutter bekommt Sara nicht, abgesehen von einer kurzen Episode mit einer Frau namens Carla.

Im Alter von 18 Jahren erfährt die Schülerin von dem Schweizer Ehepaar Klaus und Cecilia Haller in den USA, das ein Au-Pair-Mädchen sucht. Zum Erstaunen ihrer Freundin Aline und noch mehr ihres Vaters bewirbt Sara sich – und erhält einen Vertrag. Ihrem Vater erklärt sie, dass sie Zeit und einen Tapetenwechsel benötige, um herauszufinden, was sie werden möchte.

Cecilia Haller ist hochschwanger, als sie Sara vom Flughafen abholt.

Das Baby wird drei Wochen zu früh geboren und schreit unaufhörlich. Sara darf den Kinderwagen nur um den Block herum schieben. Sich mit dem Säugling weiter zu entfernen, wird ihr ausdrücklich verboten.

Aufbruch

Sie lernt Nino Torres kennen, einen Künstler, der sich mit dem unangemeldeten, also illegalen Straßenverkauf seiner Bilder durchschlägt. Die beiden werden ein Paar. Nino möchte noch mehr vom Land sehen und weiterreisen, aber Sara denkt an den Ärger mit ihrem Vater im Fall eines Vertragsbruchs. Immerhin haben die Hallers die Sprachschule im Voraus für sie bezahlt. Aber das Abenteuer reizt sie. Nino rät ihr davon ab, mit den Hallers zu reden. Die würden nur ihren Vater anrufen, meint er, und dann müsse sie unverzüglich zurück in die Schweiz. Also hinterlässt Sara nur einen Brief, als sie sich mit Nino auf den Weg macht.

Weil sie sich kein Motel leisten können, schlafen sie in Ninos Auto. In Los Angeles bleiben sie mit einem Motorschaden liegen, aber Nino findet einen Mechaniker, der den Wagen mit Hilfe seiner Söhne repariert.

Ende August kommen Sara und Nino in New York an. Ein Freund namens Felipe gab ihnen vor dem Aufbruch die Telefonnummer seiner Tante Maria Lopez in New York. Ihr Ehemann Gustavo arbeitet Doppelschichten in einem Hotel, parkt Autos in der Tiefgarage und schleppt Koffer. Als Maria hört, dass Sara und Nino im Auto schlafen, meint sie entsetzt, das sei viel zu gefährlich. Sie wendet sich an ihren als Hausmeister beschäftigten Bruder. In dem Gebäude, in dem er auch selbst mit seiner Frau Elena und dem kleinen Sohn Damian wohnt, vermietet er Sara und Nino Kellerräume. Eigentlich wohnt da eine alte Frau, aber die ist aus irgendeinem Grund nicht da. Weil der Strom abgeschaltet ist, zapft Marias Bruder die Hauptleitung an – und erhöht die Miete, weil dadurch sein Risiko gestiegen ist.

Mittwoch / Donnerstag

Sara sitzt auf dem Bett und schaut zum einzigen Fenster hinauf, einem schmalen Streifen Helligkeit, knapp unterhalb der Zimmerdecke. Das Fenster ist vergittert, hinter den Metallstäben gehen Menschen vorbei, von denen sie nur Beine und Füße sieht […]. Die Füße der Passanten stecken in Schuhen mit dicken Sohlen, lange Mäntel hängen ihnen bis über die Knie hinunter. Es ist nicht die erste Jahreszeit, die Sara vorübergehen sieht. Als sie und Nino in die Wohnung eingezogen sind, wurden die nackten Beine der Passanten von bunten Stoffen umweht: leises Flattern, flüchtige Bewegungen. Dann wurden die Kleider schwerer und die Schritte fester, nun sind es nur noch dunkle Schatten, die am Fenster vorbeigleiten.

An einem Mittwoch im Dezember kommt der Hausmeister zu Sara mit der Nachricht, dass Nino festgenommen wurde. Von einer Telefonzelle aus ruft Sara Maria an. Nino sei von der Polizei beim illegalen Straßenverkauf seiner Bilder erwischt worden, berichtet sie. Er habe sie nach seiner Verhaftung angerufen und gebeten, auch Sara zu benachrichtigen.

Sara telefoniert mit dem New York Police Department, aber niemand kann ihr etwas über Nino Torres sagen. Ebenso vergeblich verläuft Saras Besuch am nächsten Tag im Criminal Court. Nino steht auf keiner Liste.

Weil sie sich auf der Straße plötzlich bedroht fühlt, rennt bzw. fliegt sie los und winkt einem Taxi. „Vom Fliegen außer Atem“ setzt sie sich in den Fond und bittet den Fahrer, sie zu einem möglichst billigen Hotel zu bringen. Dort übernachtet sie, weil sie es nicht wagt, in die Kellerwohnung zurückzukehren.

Freitag

Am Freitag besucht sie Victor. Der Halblatino, ein gemeinsamer Bekannter von ihr und Nino, wohnt in einem „Q“ genannten besetzten Haus und verkauft selbstgebastelten Schmuck auf der Straße, schwarz, wie Nino seine Bilder. Plötzlich steht Phil in Victors Tür, ein anderer Hausbewohner, und teilt aufgeregt mit, dass David tot sei. Der seltsame Mann, der wie ein Obdachloser aussah, kaum etwas aß und trank, Musik hörte und von Gott sprach, wohnte in einer fensterlosen Kammer unter dem Dach des besetzten Hauses. Dort fand Phil seine Leiche.

Die Bewohner versammeln sich und einigen sich darauf, wegen der zu erwartenden polizeilichen Ermittlungen noch am selben Tag alle Drogen aus Q verschwinden zu lassen. Am folgenden Tag wollen sie so tun, als hätten sie David gerade erst entdeckt und den Notdienst alarmieren.

Sara ist noch bei Victor, als Polizisten die Tür eintreten und alles durchsuchen, ohne etwas Belastendes gegen Victor zu finden.

Manu, der ebenfalls bei Victor zu Besuch ist, lädt ihn und Sara angesichts der von der Polizei verwüsteten Einrichtung ein, die Nacht bei ihm zu verbringen. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit aus Draht gebastelten Figuren, die er aber nicht illegal auf der Straße, sondern als Kommissionsware in einer Boutique verkauft.

Sara, die seit ihrer Ankunft in den USA jeden Tag ein Foto knipst und Tagebuch führt, hat es an diesem Freitag erstmals versäumt.

Samstag

Als sie am Samstagmorgen nach Hause zurückkehrt, kommt ihr Ninos Festnahme nicht mehr so dramatisch vor. In der Kellerwohnung brennt Licht. Hat sie vergessen, es auszuschalten? Oder ist Nino wieder da? Sie beeilt sich nicht, es herauszufinden.

Nino sitzt am Küchentisch. Er blickt nicht auf und sagt erst nach einer Weile etwas, fragt aggressiv, wo sie gewesen sei. Das ärgert Sara. Es kommt zum Streit. Am Ende geht Sara wieder.

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Der Roman „Vom Fliegen außer Atem“ dreht sich um eine Schülerin aus einer zerbrochenen Familie, die frei sein und ihren eigenen Weg gehen möchte. Während die 18-jährige Sara in New York – weit weg von ihrem Zuhause in Bern – nach ihrem amerikanischen Freund Nino sucht, beginnt sie, sich selbst zu finden.

Die in der Gegenwart spielende, mit einfachen Sätzen im Präsens erzählte Geschichte dauert gerade einmal von Mittwoch bis Samstag. Äußerlich geschieht da nicht allzu viel, aber in diesen vier Tagen emanzipiert sich Sara unmerklich von Nino.

Sara ist keine Intellektuelle, sondern eine feinfühlige junge Frau, die gut beobachtet und intuitiv versteht. Gegenstände und Erlebnisse assoziiert sie mit Erinnerungen und Erfahrungen, die Annette Lory elegant als Rückblenden im Präteritum einfügt. Zumeist sind es größere Abschnitte im Text, aber einmal wechselt die Autorin wie in einer filmischen Parallelmontage von Satz zu Satz zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

Sara begegnet in „Vom Fliegen außer Atem“ verschiedenen Menschen, die von Annette Lory mit knappen Pinselstrichen charakterisiert werden und dabei so schemenhaft bleiben wie die zum Buch gehörenden Fotos. Das wirkt nicht unvollkommen, sondern poetisch.

Der Kommode Verlag in Zürich hat aus „Vom Fliegen außer Atem“ ein fadengeheftetes Buch mit farbigem Vorsatz gemacht und in den Text seitengroße, zum Teil sogar aufklappbare Bilder von Sabine Hagmann und Claudia Fellmer eingefügt, die beide an der Zürcher Hochschule der Künste Fotografie studierten.

Fürs Titelbild von „Vom Fliegen außer Atem“ fotografierte Jeannette Mehr das 159 mal 222 cm große Aquarell „Interieur III“ von Thomas Hauri aus dem Jahr 2007.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Kommode Verlag, Zürich 2016

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.