Tödliche Entscheidung

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Tödliche Entscheidung

Tödliche Entscheidung – Originaltitel: Before the Devil Knows You're Dead – Regie: Sidney Lumet – Drehbuch: Kelly Masterson – Kamera: Ron Fortunato – Schnitt: Tom Swartwout – Musik: Carter Burwell – Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei, Aleksa Palladino, Michael Shannon, Amy Ryan, Sarah Livingston, Brian F. O'Byrne, Rosemary Harris u.a. – 2007; 115 Minuten

Inhaltsangabe

Andy Hanson hat wegen seiner Drogensucht viel Geld unterschlagen. Das droht nun durch eine Steuerprüfung aufzufliegen. In seiner Not stiftet er seinen jüngeren Bruder Hank dazu an, das Juweliergeschäft der Eltern auszurauben. Weil Hank Schulden hat, lässt er sich überreden, aber er heuert einen Ganoven an, der ihm dabei helfen soll, es allerdings am Ende vorzieht, den Laden allein zu betreten und Hank im Auto warten lässt. Das ist der Beginn eine Kette tödlicher Zufälle ...
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Kritik

Sidney Lumet erzählt die Handlung repetitiv aus vier verschiedenen Perspektiven. Die meisterhafte Struktur macht aus "Tödliche Entscheidung" eine packende Mischung aus Familiendrama, Verliererepos, Psychothriller und Charakterstudie.
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Während eines Ferienaufenthalts in Rio de Janeiro haben Andrew („Andy“) und Gina Hanson (Philip Seymour Hoffman, Marisa Tomei) nach langer Zeit wieder einmal leidenschaftlich Sex miteinander. Zu Hause in New York versagt Andy des Öfteren im Bett.

Er leitet die Buchhaltung eines großen Immobilienmaklerbüros. Gina ahnt nicht, dass Andy Kokain schnupft und sich zwischendurch von dem jungen schwulen Drogendealer Justin (Blaine Horton) in dessen Luxusappartment in Manhatten Heroin spritzen lässt. Das Geld, das er für die Drogen benötigt, besorgt er sich durch Betrug in der Firma: Er unterschlägt Sozialversicherungsbeiträge und hat zwei längst gekündigte Mitarbeiter weiter auf der Gehaltsliste. Das droht nun aufzufliegen, weil sich die Steuerprüfung angesagt hat.

In seiner Not plant Andy, das Juweliergeschäft seiner Eltern Charles und Nanette Hanson (Albert Finney, Rosemary Harris) auszurauben. Er kennt sich dort aus. Der Überfall soll am Samstagvormittag durchgeführt werden, wenn die schon etwas ältere Angestellte Doris im Laden ist. Gewalt wird da nicht erforderlich sein. Und weil die Eltern versichert sind, werden sie auch keinen Schaden erleiden.

Andy wendet sich an einen zwielichtigen früheren Geschäftspartner seines Vaters (Leonardo Cimino), von dem er weiß, dass er Hehlerei betreibt, kündigt ihm Ware an und hinterlässt seine Karte, um sich gegenüber dem vorsichtigen Gauner auszuweisen.

Dann setzt er sich mit seinem jüngeren Bruder Hank (Ethan Hawke) zusammen, dessen Ehe mit Martha (Amy Ryan) geschieden wurde. Hank ist mit den Unterhaltszahlungen für die Tochter Danielle (Sarah Livingston) seit Monaten im Rückstand und hat ihr Geld für die Teilnahme an einer Klassenfahrt versprochen, obwohl er nicht weiß, woher es nehmen soll. Trotz seiner Bedenken lässt er sich von Andy dazu überreden, den Raubüberfall durchzuführen. Was bleibt ihm anderes übrig?

Weil Hank es sich allerdings nicht zutraut, den Coup allein durchzuführen und Andy behauptet, er sei in der Gegend des Juweliergeschäftes zu bekannt, um dabei mitzumachen, heuert er den achtundzwanzigjährigen Ganoven Bobby Lasorda (Brian F. O’Byrne) an.

Als er ihn am Samstagmorgen mit einem Leihwagen abholen will, liegt Bobby noch mit seiner Ehefrau Chris (Aleksa Palladino) im Bett. Er solle bloß nicht das Kind aufwecken, schimpft Chris.

Auf dem Weg zum Juweliergeschäft setzt Hank eine Perücke auf und klebt sich einen Bart an. Damit sieht er so auffällig aus, dass Bobby sich halb tot lacht und beschließt, allein in den Laden zu gehen. Hank soll im Auto auf ihn warten. Er protestiert, als er sieht, dass Bobby eine Pistole bei sich hat, aber der Gauner besteht darauf sie mitzunehmen. Er habe ja nicht vor, sie zu benutzen, beruhigt er Hank.

Unmittelbar, bevor Bobby das Juweliergeschäft betritt, zieht er sich eine Maske übers Gesicht. Mit vorgehaltener Waffe dirigiert er die Frau, die allein im Laden ist, in eine Ecke und warnt sie, sich dem Alarmknopf zu nähern. Er leert eine Schublade nach der anderen in einen mitgebrachten Sack. Als er vergeblich versucht, eine Glasvitrine zu öffnen und abgelenkt ist, nutzt die Frau die Gelegenheit, nach einer im Geschäft deponierten Pistole zu greifen. Damit streckt sie Bobby nieder. Er schießt ebenfalls. Beide versuchen, trotz ihrer schweren Verletzungen auf die ihnen aus der Hand gefallen Waffen zuzukriechen. Die Frau legt noch einmal auf Bobby an, und die Wucht des Schusses wirft ihn durch die geschlossene Glastüre. Er ist sofort tot.

Hank hört die Schüsse und sieht, wie sein Komplize durch die Tür fliegt. Panisch vor Angst gibt er Gas und rast davon.

Von einer Telefonzelle aus ruft er Andy im Büro an und stammelt, der Überfall sei missglückt. Bevor er den Leihwagen abgibt, wischt er sorgfältig alles ab, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, vergisst jedoch eine CD im Player.

Es stellt sich heraus, dass die Angestellte Doris an diesem Samstagvormittag freigenommen hatte, weil sie auf ein Baby aufpassen musste. Nanette Hanson selbst war im Laden. Sie liegt im Koma. Weil der Arzt (Damon Gupton) keine Gehirntätigkeit feststellt und davon ausgeht, dass die Patientin nie mehr erwachen würde, trifft Charles schweren Herzens die Entscheidung, die Geräte abstellen zu lassen [Sterbehilfe].

Andy und Hank sind erschüttert über den Tod ihrer Mutter. Nach wie vor haben sie kein Geld.

Chris Lasorda und ihr Bruder Dex (Michael Shannon) passen Hank ab. Sie wissen aus der Zeitung, dass Bobby bei einem Raubüberfall erschossen wurde, nachdem Hank ihn abgeholt hatte. Es kommt ihnen nicht darauf an, Hank vor Gericht zu bringen, aber Dex verlangt von ihm 10 000 Dollar für Chris und ihr Kind. Falls er nicht innerhalb von zwei Tagen bezahle, werde er zur Polizei gehen, droht Dex.

Woher soll Hank 10 000 Dollar nehmen?

Am Montag geht Andy nicht ins Büro. Sein Vorgesetzter Jake (Lee Wilkof) ruft an, erreicht jedoch nur Gina und lässt Andy ausrichten, er werde dringend gebraucht, weil die Steuerprüfer auf Unregelmäßigkeiten gestoßen sind. Gina, die längst gemerkt hat, dass Andy in Schwierigkeiten ist, packt ihre Sachen und verlässt ihn. Zum Abschied gesteht sie ihm, dass sie seit einiger Zeit eine Affäre mit seinem Bruder hat und sich jeden Donnerstag mit ihm traf.

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überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Zeugenaussagen lassen darauf schließen, dass der Räuber einen Komplizen hatte. Mehrmals nimmt Charles Kontakt mit der Polizei auf, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen, wird jedoch hingehalten. Weil er zu der Überzeugung gelangt, dass die Polizei sich nicht sonderlich bemüht, den Fall aufzuklären, beschließt er nach einer Woche, auf eigene Faust zu handeln. Er steckt seine Pistole ein und erkundigt sich bei dem Hehler, den auch Andy aufgesucht hatte, ob er etwas wisse. William, so heißt der Mann, gibt ihm Andys Geschäftskarte und berichtet, dass er ihm unmittelbar vor dem Raubüberfall heiße Ware angekündigt habe. Charles ist entsetzt, als er begreift, dass sein älterer Sohn in das Verbrechen verwickelt ist.

Um mehr über ihn herauszufinden, beschattet er ihn.

Andy nimmt ein Taxi zum Büro, aber nur, um von dort seine Sachen mitzunehmen. Dann überfällt er zusammen mit Hank den Drogendealer Justin, von dem er weiß, dass er stets eine beträchtliche Menge Bargeld in seinem Appartment aufbewahrt. Er schlägt ihn nieder, erschießt im Schlafzimmer einen Kunden, der dort im Drogenrausch liegt, und rafft das gebündelte Bargeld zusammen. Bevor er mit Hank die Wohnung verlässt, tötet er auch Justin, damit es keinen Zeugen gibt.

Die Brüder fahren weiter zu einem telefonisch vereinbarten Treffen mit Dex in Chris‘ Wohnung. Zuerst zeigt Hank das viele Geld in seiner Tasche. Dieses Ablenkungsmanöver nutzt Andy, um Dex zu erschießen. Als er auf die junge Mutter zielt, protestiert Hank. Da richtet Andy die Waffe auf seinen Bruder, von dem er inzwischen weiß, dass er ihn mit Gina betrog. Er zögert abzudrücken – bis Gina ihn von ihnen niederschießt.

Aufgeregt schreit sie Hank an, er solle verschwinden und greift zum Telefon, um die Polizei zu alarmieren. Hank leert die Tasche mit dem Geld aus und läuft davon.

Charles sieht ihn aus dem Haus rennen und ruft ihm nach, aber Hank hört ihn nicht. Als Charles ausparken will, wird er von den anrückenden Polizei- und Rettungskräften eingeklemmt. Aus nächster Nähe beobachtet er, wie Andy auf der Trage herausgebracht wird.

Ein paar Stunden später besucht er seinen älteren Sohn im Krankenhaus. Andy ist bei Bewusstsein. Er beteuert, dass der Mutter nichts passieren sollte. Er vermutete sie zum Zeitpunkt des Überfalls nicht im Laden, und eine Waffe war auch nicht vorgesehen. Dann schließt er erschöpft die Augen. Charles probiert aus, was passiert, wenn der Herzmonitor kurz nacheinander aus- und wieder eingeschaltet wird. Das Gerät löst zwar einen Alarm aus, aber der lässt sich mit der Reset-Taste abstellen, bevor das Personal herbeieilt. Charles öffnet sein Hemd, stellt das Gerät aus, klebt die Elektroden auf seine eigene Brust, stellt den Alarm ab und erstickt Andy mit einem Kissen. Dann befestigt Charles die Elektroden wieder auf der Brust des Toten. Bevor Ärzte und Schwestern wegen des anhaltenden Alarms gelaufen kommen, verlässt Charles das Krankenzimmer und geht fort.

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Die Geschichte, die Kelly Masterson (Drehbuch) und Sidney Lumet (Regie) in „Tödliche Entscheidung. Before the Devil Knows You’re Dead“ erzählen, ist einfach: Ein vierzigjähriger Mann, der seit seiner Kindheit unter der scheinbar fehlenden Liebe seines herrischen Vaters leidet, stiftet seinen jüngeren Bruder zu einem Raubüberfall an und löst damit eine Kette tödlicher Zufälle aus. Während die Brüder verzweifelt versuchen, die ungewollten Folgen der Tat in den Griff zu bekommen, verlieren sie immer stärker die Kontrolle über die ausweglose Situation.

Das Besondere an „Tödliche Entscheidung. Before the Devil Knows You’re Dead“ ist die komplexe Erzählstruktur. Kelly Masterson und Sidney Lumet springen mehrmals im zeitlichen Ablauf zurück und erzählen die Geschichte repetitiv aus den Perspektiven von Bobby, Andy, Hank und Charles. In jedem Durchgang erfahren wir neue Details. Dann wiederholt sich eine Szene (aus einem anderen Blickwinkel gefilmt), und die Geschichte wird ein Stück weiter entwickelt, bis die nächste Erzählschleife beginnt.

  1. Andy und Gina haben Sex in einem Hotelbett in Rio de Janeiro.
  2. Der Raubüberfall aus Bobbys Perspektive.
  3. Drei Tage vor dem Raubüberfall: Hank ist mit den Unterhaltszahlungen für Danielle im Rückstand. Schäferstündchen mit Gina.
  4. Die Anfahrt zum Juwelierladen aus Hanks Sicht.
  5. Der nächste Durchlauf – aus Andys Perspektive – beginnt vier Tage vor dem Raubüberfall und endet nach dem Raubüberfall im Krankenhaus.
  6. Die Episode aus Charles‘ Blickwinkel beginnt am Tag vor dem Raubüberfall. Am Ende versucht Charles, den Stand der polizeilichen Ermittlungen zu erfahren.
  7. Wir erfahren, was Hank erlebt, von seinem Anruf bei Andy aus einer Telefonzelle bis zum Abholen der im Leihwagen vergessenen CD.
  8. Der Tag des Überfalls aus Andys Sicht.
  9. Eine Woche nach dem Überfall, aus Charles‘ Perspektive. Die Geschichte wird bis zum Ende erzählt.

Durch diese verschachtelten Perspektivenwechsel wird „Tödliche Entscheidung. Before the Devil Knows You’re Dead“ zu einem Meisterwerk. Wenn man glaubt, die Wiederholungen müssten zu Lasten der Spannung gehen, täuscht man sich. Im Gegenteil: Als Zuschauer wird man immer tiefer in die Geschichte hineingezogen, weil die Motive der Figuren in jedem Durchgang besser herausgearbeitet werden. Der Film entwickelt sich zu einer unter die Haut gehenden Mischung aus Familiendrama, Verliererepos, Psychothriller und Charakterstudie.

Die schauspielerischen Glanzleistungen vor allem von Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke und Albert Finney tragen maßgeblich zu dem Erfolg bei. Obwohl keiner von ihnen eine sympathische Figur darstellt, ziehen sie uns in ihren Bann.

Der Originaltitel stammt aus einem irischen Trinkspruch: „May your glass be ever full. May the roof over your head be always strong. And may you be in heaven half an hour before the devil knows you’re dead.“

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010

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