Diese Nacht

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Diese Nacht

Diese Nacht – Originaltitel: Nuit de chien – Regie: Werner Schroeter – Drehbuch: Gilles Taurand und Werner Schroeter, nach dem Roman "Für diese Nacht" von Juan Carlos Onetti – Kamera: Thomas Plenert – Schnitt: Julia Grégory, Bilbo Calvez – Musik: Eberhard Kloke – Darsteller: Pascal Greggory, Jean-François Stevenin, Mark Barbe, Bruno Todeschini, Eric Caravaca, Sami Frey u.a. – 2008; 115 Minuten

Inhaltsangabe

Der Arzt Ossorio, Oberst einer gescheiter-ten Widerstandsbewegung, kehrt in die von den Siegern bereits eingeschlossene Hafenstadt Santa Maria zurück, um seine Geliebte Clara zu holen und mit ihr das Land zu verlassen, aber sie ist verschwun-den. Auf den Straßen herrscht Chaos, überall liegen Tote. In einem Inferno aus Gewalt und Verrat, Egoismus und Opportunismus, in dem sich die Beteiligten selbst oder gegenseitig sinnlos vernichten, sucht Ossorio nach Clara ...
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Kritik

In seiner Verfilmung des Romans "Für diese Nacht" von Juan Carlos Onetti reiht Werner Schroeter wie in einer Oper Szenen aneinander. Bilder und Bewegungen, Geräusche und Musik fügen sich zu einer grandiosen Einheit. "Diese Nacht" ist bildgewaltiges, manieriertes Kino.
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In einem Land, dessen Namen wir nicht erfahren, tobt ein Bürgerkrieg. Der Ausgang ist entschieden: Während die Geheimpolizei der neuen Militärdiktatur Santa Maria terrorisiert, die letzte Stadt, die sich noch nicht ergeben hat, riegelt die Armee die Ausfallstraßen ab, und die Eroberung durch General Fraga wird wohl in den nächsten Stunden beginnen. Auf den Straßen in der Stadt herrscht Chaos, überall liegen Tote und Sterbende, Verwundete ebenso wie Opfer der grassierenden Cholera. Im Hafen ist ein einziges Schiff vertäut, und viele hoffen, das Land damit am nächsten Morgen verlassen zu können.

Darunter ist auch der Chirurg Luís Ossorio Vignale (Pascal Greggory), ein Oberst der gescheiterten Widerstandsbewegung. Er kehrt mit dem letzten Zug nach Santa Maria zurück, um seine frühere Geliebte Clara zu holen und sich mit ihr zum Schiff durchzukämpfen. Ein Mann namens Manu soll zwei Tickets für ihn haben. Aber es scheint sich um einen kleinen Gauner zu handeln, und es heißt, alle Tickets seien von jemandem gestohlen worden. Als Ossorio Claras Wohnung verlassen vorfindet, befürchtet er, dass die kritische Journalistin von der Geheimpolizei abgeholt wurde.

Er irrt durch die Stadt und fragt Freunde und Bekannte nach ihr. Doch auf wen kann er sich noch verlassen? Inzwischen versuchen alle nur noch, sich selbst zu retten, und dabei schreckt kaum jemand vor Gewalt, Verrat oder dem Wechsel der Seiten zurück. Um politische Überzeugungen geht es nicht mehr. In dem Inferno werden alte Rechnungen beglichen.

Martins (Jean-François Stévenin), der Befehlshaber der Milizen, überlegt, ob er einen Ausbruchsversuch wagen oder zu den Siegern überlaufen soll.

Der sadistische Geheimdienstchef Morasan (Bruno Todeschini) durchkämmt die Stadt. Untergetauchte Widerstandskämpfer werden ebenso aufgegriffen wie Personen, die im Verdacht stehen, ihnen geholfen zu haben. Im Bordell von Madame Risso (Nathalie Delon) nimmt er die Animierdame Irène (Amira Casar) fest, die mit Clara befreundet war und noch im Folterkeller versucht, Ossorio zu helfen.

Barcala (Sami Frey), der gestürzte Diktator und Anführer der dem Untergang geweihten Partei des Bürgerkriegs, steckt Ossorio zwei Tickets für das Schiff zu, bevor er sich in einem Prunksessel sitzend in die Luft sprengt.

Auf Barcalas verwaiste Tochter Victoria (Laura Martin) trifft Ossorio in der Pension von Doña Inês (Bulle Ogier). Als die Ursulinen, in deren Kloster sie erzogen wurde, aus der Stadt geflohen waren, hatte Irène die Zwölfjährige abgeholt und in die Pension gebracht, und Inês drängt nun Ossorio, sich des Mädchens anzunehmen.

Er bringt sie zunächst zu Maria de Souza (Elsa Zylberstein). Die erwartet zwar ihren Liebhaber Juan (João Baptista), einen bisexuellen Kellner aus Madame Rissos Bordell, verführt jedoch den sexuell ausgehungerten Widerstandskämpfer, indem sie sich vor ihm auszieht und in die Badewanne steigt.

Während Maria auf Victoria aufpassen soll, eilt Ossorio zu dem Minister Granowsky (Mostefa Djadjam) und fragt ihn nach Clara. Granowsky behauptet, sie sei alkoholkrank gewesen und er habe sie deshalb in eine Entzugsklinik gebracht, aus der sie allerdings nach kurzer Zeit ausgerissen sei. Er bietet dem renommierten Chirurgen an, ihn zum Chef des Gesundheitswesens zu machen, aber darauf geht Ossorio nicht ein.

Nachdem Ossorio gegangen ist, explodiert Granowskys Villa, und der Minister kommt bei dem Anschlag ums Leben.

Als Ossorio zurückkommt, ist Victoria nicht mehr da, und Maria schluchzt in einem blutverschmierten Kleid. Das Mädchen habe sich plötzlich mit einer Schere auf sie gestürzt, klagt die Verletzte. Ossorio zeigt ihr die beiden Schiffskarten und fordert sie auf, mit ihm zu kommen, aber sie zieht es vor, auf Juan zu warten.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Victoria passt Ossorio auf der Straße ab.

Max (Oleg Zhukov), ein zwielichtiger Kerl, der hofft, dass Ossorio gegen Morasan kämpft, fährt ihn und Victoria zum Privathaus des Geheimdienstchefs. Als sie hinkommen, erfahren sie jedoch von Hauptmann Villar (Eric Caravaca), dass Morasan soeben seine Frau, die Kinder und sich selbst erschoss [erweiterter Suizid].

Der Hafen ist mit Gittern abgeriegelt. Davor staut sich eine verzweifelte Menschenmenge. Ossorio zeigt den Soldaten am Tor die beiden Tickets und darf mit Victoria passieren. Aber als sie sich dem Schiff nähern, werden sie von einem Geheimdienstoffizier aus dem Hinterhalt erschossen.

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Der Film „Diese Nacht“ (Originaltitel: „Nuit de chien“) basiert auf dem existenzialistischen Roman „Für diese Nacht“ (Originaltitel: „Para esta noche“), den der uruguayische Schriftsteller Juan Carlos Onetti (1909 – 1994) 1943 veröffentlichte (Übersetzung: Svenja Becker, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2009, ISBN 978-3-518-42054-6, 230 Seiten, 22.80 €). Allerdings haben sich Gilles Taurand und Werner Schroeter für den Protagonisten eine Vorgeschichte ausgedacht und sie lassen ihn in der dem Untergang geweihten Stadt nach seiner Geliebten suchen. Das erinnert an Orpheus und Eurydike.

Werner Schroeter entfaltet in „Diese Nacht“ eine kafkaesk-schaurige Apokalypse, ein unmenschliches Inferno aus Gewalt und Verrat, Egoismus und Opportunismus, in dem sich die Beteiligten selbst oder gegenseitig sinnlos vernichten. Eine Nacht lang dauert die Handlung, sofern man von einer Handlung sprechen kann, denn Gilles Taurand und Werner Schroeter reihen wie in einer Oper Szenen aneinander, ohne sich dabei an dramaturgische Regeln zu halten oder sich für psychologische Entwicklungen zu interessieren. „Diese Nacht“ ist keine stringente Narration, sondern bildgewaltiges, manieriertes Kino. Bilder und Bewegungen, Geräusche und Musik fügen sich in „Diese Nacht“ zu einer grandiosen Einheit.

Eingerahmt wird der Film von einem Zitat aus der Tragödie „Julius Caesar“ von William Shakespeare:

Von allen Wundern, die ich je gehört,
Scheint mir das größte, daß sich Menschen fürchten,
Da sie doch sehn, der Tod, das Schicksal aller,
Kommt, wann er kommen soll.
(Caesar, 2. Akt, 2. Szene)

Werner Schroeter selbst spricht den Text zu Beginn und am Ende, sowohl in der französischen Originalfassung als in der deutschsprachigen Version.

Bei dem Gemälde, das im Vorspann zu sehen ist, handelt es sich um die „Häutung des Marsyas“ von Tizian (um 1575).

Die Musik, die zu hören ist, während Barcala sich in die Luft sprengt, stammt aus Rossinis „Stabat Mater“. In „Diese Nacht“ erklingt auch Musik von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Franz Liszt.

Die Außenaufnahmen wurden nachts in Porto gedreht.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

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Jacques Monod - Zufall und Notwendigkeit
Während die Morphogenese durch den DNS-Code determiniert ist, ermöglichen zufällige Störungen (Mutationen) überhaupt erst die Evolution. Der Mensch ist in der Evolution weder eine Ausnahme noch ein Ziel, sondern wie alle anderen Lebewesen das Produkt von Zufällen.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.