Rote Riesen und Schwarze Zwerge


1937/38 erläuterten Hans Albrecht Bethe und Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker unabhängig voneinander, was offenbar im Kern von Sternen wie der Sonne abläuft: Bei einer Temperatur von mehr als 15 Millionen Grad verschmelzen je vier Atome des dort vorherrschenden Wasserstoffs zu einem Heliumatom und setzen dabei pro Gramm Helium rund 170 000 Kilowattstunden Energie frei. 650 Millionen Tonnen Helium bilden sich jede Sekunde in der Sonne. 4,5 Millionen Tonnen Masse werden dabei in Energie zerstrahlt.

Wenn in einigen Milliarden Jahren der meiste Wasserstoff der Sonne in Helium umgewandelt ist, bläht diese sich zum „Roten Riesen“ auf, bis infolge des abnehmenden Drucks die Temperaturen nicht mehr ausreichen, die Kettenreaktion weiter aufrechtzuerhalten. Dann zieht sich die Sonne rasch zusammen. Die Temperaturen steigen erneut ? bis sie für eine Helium-Kernfusion ausreichen, aus der Kohlenstoff entsteht. Durch solches Pulsieren ergibt sich eine Reihe weiterer chemischer Elemente; schließlich aber genügen Druck und Temperatur nicht mehr, um weitere atomare Reaktionen auszulösen: die Sonne fällt in sich zusammen und entwickelt sich zu einem dichten kleinen Himmelskörper, einem „Weißen Zwerg“, der später zu einem nicht mehr strahlenden „Schwarzen Zwerg“ erkaltet.

Bei solchen Prozessen kommt es mitunter zu gewaltigen Explosionen (Supernova), durch die der „Sternenstaub“ im All verstreut wird. Weil sich dabei allerdings keine gleichmäßige Masseverteilung ergibt, verursacht die Schwerkraft Zusammenballungen und Verdichtungen in Form rotierender Nebel, die zu einer protoplanetarischen Scheibe und schließlich zu einem neuen Planetensystem werden können. Auf diese Weise formte sich vor fünf Milliarden Jahren auch das Sonnensystem. Dabei ballte sich fast alles Material in der Sonne zusammen; aus dem restlichen Promille Materie gingen die Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und Pluto sowie die Planetoiden hervor. (Das ist übrigens im Mikrokosmos ebenso: Der Kern eines Wasserstoffs besteht aus 99,9 Prozent der Gesamtmasse.) Da in der Sonne nur Helium aus Wasserstoff entsteht, stammen nahezu alle schwereren Elemente, die in natürlicher Weise auf der Erde vorkommen, aus „Sternenstaub“.

Wäre die Sonne mindestens eineinhalbmal größer, würde sie nicht als Weißer bzw. Schwarzer Zwerg, sondern als Neutronenstern enden, als völlig entarteter Himmelskörper, der trotz seiner gigantischen Masse einen Durchmesser von nur 50 oder 100 km aufwiese.

Bei Sternen, die wenigstens achtmal so groß wie die Sonne sind, geht dieser unvorstellbare Prozess noch weiter: Die Materie bricht vollends in sich zusammen. Dann hält die extreme Gravitation selbst Licht (Photonen) zurück.

Dass die Krümmung der Raumzeit im Bereich eines solchen Himmelskörpers gegen unendlich wächst, während sein Volumen auf einen mathematischen Punkt schrumpft, postulierte 1965 der Brite Roger Penrose. Raum und Zeit gibt es an dieser Stelle des Universums nicht mehr. Der Amerikaner John Wheller führte dafür 1969 den Begriff „Schwarzes Loch“ ein. Es kann lediglich anhand seiner Schwerkraft ausgemacht werden. Beispielsweise lässt sich beobachten, wie ein Schwarzes Loch Materie aus der Umgebung anzieht und „wegsaugt“. Ausgebaut wurde die Theorie der Schwarzen Löcher vor allem von dem britischen Physiker Stephen Hawking, der auch postulierte, dass Schwarze Löcher nicht ganz „schwarz“ sind, sondern aufgrund quantenmechanischer Effekte etwas strahlen („Hawking-Strahlung“).

Ein Schwarzes Loch glauben die Astronomen 1977 im Zentrum unserer eigenen Galaxie entdeckt zu haben. Während Luciano Rezzolla mit seinem Team am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam plant, das im Zentrum der Milchstraße vermutete Schwarze Loch vermittels Radiowellen abzubilden, glaubt Stephen Hawkings neuerdings (2014), dass es gar keine Schwarzen Löcher geben könne.

Ebenso emsig wie nach Schwarzen Löchern suchen die Astrophysiker seit 1986 nach „Dunkler Materie“. Noch wissen wir kaum etwas über die Dunkle Materie, aber ihre Existenz wird postuliert, weil das Sonnensystem und unsere Galaxie aufgrund der Fliehkräfte auseinanderfliegen würden, wenn es nicht mehr als die bekannte Masse ? und damit ein Plus an Schwerkraft ? gäbe.

Falls Dunkle Materie tatsächlich existiert, kann sich das Universum infolge der Schwerkraft nicht ewig ausdehnen, sondern es wird sich schließlich wieder zu einer Singularität zusammenziehen. Mit einem weiteren Urknall mag dann alles neu beginnen. So beschrieb es der stumme und gelähmte Cambridge-Professor Stephen Hawking 1988 in „Eine kurze Geschichte der Zeit“. Siebzehn Jahre später ? in „Die kürzeste Geschichte der Zeit“ rückte er von diesen Annahmen allerdings wieder ab. (2011 erhielten Saul Perlmutter, Adam Riess und Brian Schmidt den Nobelpreis für Physik. Ihren Erkenntnissen zufolge wird sich das Universum mit wachsender Geschwindigkeit immer weiter ausdehnen.)

Kosmologie: Literatur

  • Stephen W. Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums (Übersetzung: Hainer Kober, Rowohlt Verlag, 1988)
  • Stephen W. Hawking: Das Universum in der Nussschale (Übersetzung: Markus Pössel; Hoffmann & Campe, 2002)
  • Helmut A. Müller: Kosmologie (Vandenhoeck & Ruprecht, 2004)
  • Stephen Hawking & Leonard Mlodinow: Die kürzeste Geschichte der Zeit
    (Übersetzung: Hainer Kober, Rowohlt Verlag, 2005)

© Dieter Wunderlich 2004 / 2014

Stephen W. Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit
Stephen Hawking & Leonard Mlodinow: Die kürzeste Geschichte der Zeit
Peter Atkins: Galileos Finger. Die zehn großen Ideen der Naturwissenschaft

Peter Liendl und Gisela Klötzer: Takimo. Sternenstaub

Joël Dicker - Das Verschwinden der Stephanie Mailer
Joël Dicker springt nicht nur zwischen zwei Zeitebenen hin und her, sondern wechselt auch die Ich-Erzähler und damit die Perspektiven. Dieses komplexe Geflecht macht "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" interessant, auch wenn einige Wendungen hanebüchen sind und er den Thriller überfrachtet hat.
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