Völkermord in Ruanda

Ruanda, das „Land der tausend Hügel“ (pays de mille collines), gehörte zusammen mit Burundi ab 1897/99 zur Kolonie Deutsch-Ostafrika, wurde nach den Weltkriegen ein Mandatsgebiet des Völkerbunds (1919) bzw. der Vereinten Nationen (1946). Seit 1. Juli 1962 ist Ruanda souverän. Die Hauptstadt Kigali liegt im Zentrum des Landes. Aufgrund der intensiven Missionierung während der Kolonialzeit galten in den Sechzigerjahren mehr als die Hälfte der 7 Millionen Einwohner Ruandas als Katholiken. Bei 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung handelte es sich um Hutu, 10 bis 15 Prozent waren Tutsi und 1 Prozent Twa. Diese „Stämme“ sprechen dieselbe Sprache (Ikinyarwanda) und lassen sich nicht zuletzt wegen ihrer Vermischung nicht klar voneinander unterscheiden.

Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi entlud sich mehrmals in blutigen Auseinandersetzungen. Geschürt wurde der Hass der Hutu gegen die Tutsi von einem „Komitee zur Verteidigung der Republik“ (CDR), dem Sender „Radio-Télévision Libre des Mille Collines“ und von Vertrauten Agathe Habyarimanas, der Ehefrau des Staatspräsidenten Juvénal Habyarimana (1937 – 1994), eines Hutu, der 1973 in einem unblutigen Staatsstreich die Macht an sich gerissen hatte und seinerseits auf einen Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen hinarbeitete. Radikale Hutu beschimpften die Tutsi als „Kakerlaken“ (inyenzi) und riefen dazu auf, sie wie Ungeziefer auszurotten.

Als Juvénal Habyarimana mit Cyprien Ntaryamira, seinem Amtskollegen aus Burundi, am 6. April 1994 von einer Gipfelkonferenz in Daressalam zurückkehrte, wurde ihr Flugzeug beim Anflug auf Kigali von zwei Raketen getroffen und stürzte ab.

Der Tod des Staatspräsidenten von Ruanda wirkte wie ein Fanal: Unmittelbar nach dem Absturz der Maschine – für den die Hutu auf der Stelle die Tutsi verantwortlich machten, obwohl der Anschlag bis heute ungeklärt blieb – brachte Juvénal Habyarimanas Leibgarde gemäßigte Politiker in den eigenen Reihen um, darunter auch die Premierministerin Agathe Uwilingiyimana. Mit Gewehren, Macheten und Nagelkeulen bewaffnete Hutu-Milizen errichteten Straßensperren, durchkämmten Kigali und verschonten bei ihrer Jagd auf Tutsi auch keine Frauen und Kinder. Häufig verstümmelten sie ihre Opfer, bevor sie sie töteten. Kirchentüren hielten die Mörderbanden nicht auf. Hutu, die zur Mäßigung mahnten, wurden ebenfalls umgebracht.

Die in Ruanda stationierten UN-Beobachter (MINUAR) sahen zunächst tatenlos zu, wie die Tutsi abgeschlachtet wurden. Einige Male wurden sie selbst angegriffen. Die Blauhelm-Soldaten halfen zwar Ausländern beim Verlassen des Landes, aber die Einheimischen überließen sie ihrem Schicksal. Die Vereinten Nationen deklarierten das Geschehen bewusst als Bürgerkrieg und nicht als Genozid. Erst am 23. Juni griff eine französische Militäreinheit mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrats von Zaïre aus in die Auseinandersetzungen ein.

Eine Rebellenarmee der Tutsi („Front Patriotique Rwandais“, FPR), die von Uganda aus in Ruanda einmarschiert war, eroberte am 4. Juli 1994 Kigali und erklärte zwei Wochen später den Krieg für beendet.

In den drei Monaten April, Mai und Juni 1994 kamen mindestens 800 000 Menschen ums Leben, darunter auch 50 000 Hutu. 75 bis 90 Prozent der Tutsi fielen dem Völkermord zum Opfer. Vor der Rache der Tutsi flohen schätzungsweise zwei Millionen Menschen in die Nachbarländer.

Das Internationale Straftribunal in Arusha (Tansania) verurteilte am 18. Dezember 2008 den 1996 in Kamerun festgenommenen Hutu Théoneste Bagosora (* 1941) als Drahtzieher des Genozids an den Tutsi in Ruana zu lebenslanger Haft.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy räumte im Februar 2010 ein, dass der Militäreinsatz seines Landes im Juni 1994 zu spät und zu schwach gewesen sei.

Literatur über den Völkermord in Ruanda

  • Lukas Bärfuss: Hundert Tage
  • Roméo Dallaire: Handschlag mit dem Teufel (Übersetzung: Andreas Simon dos Santos. Zweitausendeins, Frankfurt/M 2005, 651 Seiten)
  • Robert Stockhammer: Ruanda. Über einen anderen Genozid schreiben (Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2005, 188 Seiten)

Spielfilme über den Völkermord in Ruanda

© Dieter Wunderlich 2005 / 2008 / 2010

Flavio Steimann - Bajass
Flavio Steimann bedient sich zwar des Genres der Kriminalromane, aber "Bajass" ist eher eine düstere Milieu- bzw. Gesellschaftsstudie, die sich durch eine dichte Atmosphäre, eine treffsichere Wortwahl und eine historisierende Sprache auszeichnet.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.