Siamesische Zwillinge


Unter dem Begriff „siamesische Zwillinge“ versteht man eineiige Zwillinge, die sich in der frühen Embryonalphase nicht vollständig getrennt haben. Siamesisch nennt man sie nach Eng und Chang Bunker aus Siam (heute: Thailand), die am Bauch und am Brustkorb zusammengewachsen waren, von 1811 bis 1874 lebten, sich auf Jahrmärkten präsentierten, mit zwei Frauen verheiratet waren und zusammen angeblich zweiundzwanzig Kinder hatten. (Dass siamesische Zwillinge dreiundsechzig Jahre alt werden, ist äußerst selten. Meistens sterben sie sehr viel früher.)

Die Geburt siamesischer Zwillinge kommt im Normalfall einmal bei hundert- bis zweihunderttausend Geburten vor. Siamesische Zwillinge werden mit zusammengewachsenen Körpern und mitunter auch mit gemeinsamen Organen geboren. Je nach Art der Verwachsung unterscheidet man zwischen Thoracopagus (am Brustkorb zusammengewachsen), Omphalopagus (Bauch), Pygopagus (Steiß) und Craniopagus (Kopf). Meistens sind siamesische Zwillinge im Brustbereich verwachsen, seltener am Kopf (2 Prozent).

Wenn siamesische Zwillinge über getrennte Organe verfügen, besteht die Chance, sie im Säuglingsalter operativ zu trennen. Bei am Kopf verwachsenen Kindern ist das Risiko allerdings sehr hoch.

Die am 3. Januar 1950 in Moskau geborenen siamesischen Zwillinge Masha und Dasha Kriwoschljapowa (auch: Mascha und Dascha) waren an der Taille verwachsen, verfügten zwar über getrennte Herzen, hatten aber einen gemeinsamen Blutkreislauf, nur eine Blase und teilten sich die Fortpflanzungsorgane. Mascha und Dascha wurden ihrer Mutter, einer fünfunddreißigjährigen Bäuerin, bald nach der Geburt weggenommen und sechs Jahre lang in einem Forschungsinstitut nicht nur beobachtet, sondern auch schmerzhaften Experimenten unterzogen. Sie bewegten sich schließlich mit Krücken auf zwei Beinen. (Ein deformiertes drittes Bein hatte man amputiert.) Während Dascha eher sanft und freundlich war, gab Mascha sich hart und unnachgiebig. Ihr grausames Schicksal ertrugen sie am Ende nur noch durch Alkoholmissbrauch. Mascha und Dascha Kriwoschljapowa starben 2003. Die englische Journalistin Juliet Butler schrieb ihre Biografie: „Masha & Dasha“.

Für besonderes Aufsehen sorgte der weltweit erste Versuch, erwachsene, am Kopf verwachsene siamesische Zwillinge zu operieren. Die 1974 in der südiranischen Provinz Fars geborenen, später von einem reichen iranischen Arzt adoptierten siamesischen Zwillinge Laleh und Ladan Bijani (Bidschani) hatten gemeinsam Jura studiert und wollten unbedingt getrennt werden.

Der aus dem Iran stammende Neurochirurg Madjid Samii hielt den Eingriff 1988 für zu riskant. Zu dem gleichen Ergebnis kam ein 1997 konsultiertes Ärzteteam der Universitätsklinik in Heidelberg. Als Laleh und Ladan erfuhren, dass der Chirurg Keith Y. C. Goh im April 2001 im Singapore General Hospital am Kopf verwachsene elf Monate alte siamesische Zwillinge getrennt hatte, reisten sie im Oktober 2002 zu ihm. Bewusst ließen sie sich auf das Risiko ein. Die gewünschte Operation begann am 6. Juli 2003 im Raffles Hospital in Singapur und dauerte zweiundfünfzig Stunden. Zu den Assistenten Gohs gehörte Prof. Benjamin Carson, der Direktor der Abteilung für pädiatrische Neurochirurgie am Johns Hopkins Hospital in Baltimore, der selbst 1987, 1994 und 1997 am Kopf verwachsene siamesische Zwillinge im Säuglingsalter operiert hatte. (Im September 2004 trennte er die aus Lemgo in Westfalen stammenden siamesischen Zwillinge Lea und Tabea. Letztere starb dabei.) Laleh und Ladan verfügten zwar über eigene Gehirne, aber sie teilten sich eine Hauptvene (Sinus sagittalis). Die Chirurgen mussten also einer der beiden Patientinnen einen Bypass legen. Die Operation schien zunächst geglückt zu sein, aber dann starben Laleh und Ladan Bijani am 8. Juli innerhalb von eineinhalb Stunden aufgrund des Blutverlustes.

Literatur über siamesische Zwillinge

  • Juliet Butler: Masha & Dasha
    (Übersetzung: Christine Strüh, Scherz Verlag, München 2000, 253 Seiten)

© Dieter Wunderlich 2005

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.