Der Erste Weltkrieg: Ein totaler Krieg


Die deutschen Soldaten, die im Sommer 1914 unter dem Jubel der Bevölkerung in den Krieg gezogen waren, hatten geglaubt, Weihnachten schon wieder zu Hause zu sein. Kaum ein Staat hatte sich auf eine längere Dauer des Krieges eingestellt. Niemand hatte daran gedacht, rechtzeitig Rohstofflager und Lebensmittelvorräte anzulegen. Dabei verwandelte sich der Erste Weltkrieg rasch in einen mörderischen Stellungskrieg, in dem der Materialeinsatz eine Rolle spielte wie nie zuvor,

und die Mittelmächte wurden durch die englische Flotte jahrelang von Einfuhren abgeschnitten.

Am 2. November 1914 erklärte Großbritannien die gesamte Nordsee zur Kriegszone, legte Minenfelder im Kanal sowie zwischen der englischen Ostküste und Norwegen an, wies der neutralen Schifffahrt bestimmte Routen zu und begann Handelsschiffe nach Konterbande zu durchsuchen. Die schrittweise verschärften Blockademaßnahmen verstießen gegen die (nicht ratifizierten) Beschlüsse der Londoner Seerechtskonferenz (Dezember 1908 – Februar 1909), von denen sich Großbritannien und Frankreich am 7. Juli 1916 auch formell lossagten.

Am 9. August 1914 wies der Industrielle Walther Rathenau (1867 – 1922) – der Sohn des AEG-Gründers – den preußischen Kriegsminister Erich von Falkenhayn darauf hin, dass alle kriegswichtigen Rohstoffe staatlich kontrolliert werden müssten. Zunächst unter seiner Leitung wurde noch im selben Monat eine „Kriegsrohstoff-Abteilung“ im Kriegsministerium eingerichtet, die verfügbare Produktionskapazitäten auf den Kriegsbedarf hin umstellte, aber auch Surrogate und neuartige Herstellungsverfahren entwickeln ließ. Der umsichtigen Arbeit der Kriegsrohstoff-Abteilung war es zu verdanken, dass die deutsche Rohstoffversorgung bis zum Ende des Krieges nicht zusammenbrach.

Überall fehlten Arbeitskräfte, da die Männer als Soldaten an den Fronten kämpften und die gefallenen, verwundeten und in Gefangenschaft geratenen wieder ersetzt werden mussten.

Fleisch wurde zu Konserven verarbeitet und an die Front geschickt. Fischkutter konnten nicht mehr in die Nordsee ausfahren, und der Fischbestand in der Ostsee war zu gering, um den Ausfall ersetzen zu können. An Brot, Milch, Fett, Fleisch und Fisch mangelte es („Kohlrübenwinter“ 1916/17). Für private Haushalt gab es kaum noch Kohlen, und im Winter wurden auch öffentliche Einrichtungen geschlossen, um Brennstoff zu sparen. Die gesamte Wirtschaft produzierte schließlich für den militärischen Bedarf. Die notdürftige Versorgung der Bevölkerung mit Lebenmitteln, Kleidung und Brennstoffen wurde streng rationiert („den Mangel verteilen“). Tausende von Zivilisten starben an den Folgen der Not, aber die Leistungsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie und die Kampfkraft der deutschen Truppen blieben auf diese Weise erhalten.

Der Erste Weltkrieg war ein totaler Krieg, kein Kabinettskrieg, den Fürstenhäuser mit Hilfe von Söldnertruppen gegeneinander führten; die gesamte Bevölkerung litt, auch weit hinter der eigentlichen Front („Heimatfront“).

Daran änderte auch die „Haager Landkriegsordnung“ nichts.

Am 24. August 1898 hatte Zar Nikolaus II. angesichts der erschöpften russischen Staatsfinanzen eine internationale Konferenz über Rüstungsbeschränkungen und die Erhaltung des Friedens angeregt. 1899 und 1907 hatten sich die Repräsentanten zahlreicher Staaten in Den Haag getroffen, aber auf keiner der beiden Haager Friedenskonferenzen waren Rüstungsbegrenzungen oder Maßnahmen zur Friedenssicherung beschlossen worden. Als Ergebnisse bleiben der Ständige Schiedshof (Cour Permanente d’Arbitrage, Permanent Court of Arbitration) in Den Haag und die am 29. Juli 1899 und am 18. Oktober 1907 verabschiedeten – unter der Bezeichnung „Haager Landkriegsordnung“ zusammengefassten – Abkommen zur „Humanisierung“ des Krieges, die an die Genfer Konvention vom 22. August 1864 anknüpften und die rechtliche Stellung von Parlamentären, Spionen, Kriegsgefangenen regelten, Plünderungen verboten, die Verwendung von Giftkampfstoffen untersagten und der Bevölkerung in besetzten Gebieten eine Reihe von Rechten garantierten.

Bis zum Ersten Weltkrieg waren die Militärstrategen unbeirrt davon ausgegangen, dass sich ein Krieg nur in der Offensive gewinnen lasse und die Defensive allenfalls dazu tauge, eine Entscheidung hinauszuzögern. Dass diese Theorie nicht mehr galt, stellte die militärische Führung im Verlauf des Ersten Weltkriegs fest.

Die Frontsoldaten lagen sich in Schützengräben und Unterständen gegenüber – oft nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Nachts rückten Spähtrupps vor, um die Lage zu erkunden und Soldaten der anderen Seite gefangen zu nehmen. Tagsüber beschoss die Artillerie feindliche Stellungen und versuchte, durch – mitunter tagelang anhaltendes – Trommelfeuer („Stahlgewitter“) den Gegner zu zermürben. In diesen Materialschlachten kam es darauf an, auszuharren. Ausfälle brachten eher die Angreifer in Not, wenn sie vergeblich gegen die feindlichen Verteidigungslinien anrannten und mit Maschinengewehren beschossen wurden.

Fortsetzung

© Dieter Wunderlich 2006

Erster Weltkrieg: Inhaltsverzeichnis

Jan Weiler - Kühn hat zu tun
"Kühn hat zu tun" ist Groteske, Krimi und Gesellschaftssatire. Eben­so wichtig wie der Whodunit-Plot ist das Familienleben des Kommissars Martin Kühn. Die Lektüre ist unter­halt­sam, aber Jan Weiler hat zu viel in das Buch hineingepackt, und die Handlung ist hanebüchen.
Kühn hat zu tun

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.