Novemberrevolution


Ohne ihr Vorhaben mit der Reichsregierung abzustimmen, wollten die deutschen Admiräle Ende Oktober 1918 eine Seeschlacht provozieren. Doch als die Hochseeflotte auslaufen sollte, meuterten die Matrosen, am 29. Oktober in Wilhelmshaven, dann auch in anderen Häfen. Die Matrosen nahmen ihre Offiziere fest und hissten rote Fahnen auf den Kriegsschiffen.

Am 7./8. November stürzte Kurt Eisner (1867 – 1919) zusammen mit ein paar sozialistischen Gefolgsleuten die Wittelsbacher-Dynastie in München, rief den „Freien Volksstaat Bayern“ aus und richtete eine „Provisorische Regierung der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte“ ein.

Seit bekannt war, dass der amerikanische Präsident Wilson die Monarchien in Berlin und Wien durch demokratische Republiken ersetzt sehen wollte, wurde in der deutschen Öffentlichkeit erörtert, ob der Kaiser zurücktreten oder den ehrenvollen Soldatentod an der Front suchen sollte. Am 29. Oktober 1918 entzog sich Wilhelm II. der Debatte, verließ die Reichshauptstadt und reiste ins Große Hauptquartier nach Spa.

Endlich, am 9. November, ermächtigte Wilhelm II. Staatssekretär Paul von Hintze (1864 – 1941), den Reichskanzler wissen zu lassen, dass er zwar preußischer König bleiben wolle, aber bereit sei, als deutscher Kaiser abzudanken. Nachmittags traf das Telegramm mit der Nachricht in Berlin ein, aber Max von Baden hatte schon um die Mittagszeit eigenmächtig bekannt gegeben, dass die Hohenzollern dem Thron entsagt hätten: „Seine Majestät der Kaiser und König haben sich entschlossen, dem Throne zu entsagen.“ Ohne dazu legitimiert zu sein, hatte Max von Baden gegen 13 Uhr den sozialdemokratischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Friedrich Ebert (1871 – 1925) zum neuen Reichskanzler ernannt und war selbst zurückgetreten.

Der halbherzigen Reform von oben (Oktoberreformen) folgte am 9. November 1918 eine kraftlose Revolution von unten (Novemberrevolution): „Nicht wurde eine Kette gesprengt durch das Schwellen des Geistes und Willens, sondern ein Schloss ist durchgerostet“, kommentierte Walther Rathenau. Die extreme Linke versuchte, die russische Entwicklung zu wiederholen, aber die gemäßigten Sozialdemokraten verhinderten eine Radikalisierung.

Als der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann (1865 – 1939) am 9. November um die Mittagszeit davon erfuhr, dass der Spartakist Karl Liebknecht (1871 – 1919) eine Republik ausrufen wollte, zögerte er nicht länger, trat auf einen Balkon des Reichstagsgebäudes und rief der zusammengelaufenen Menge zu: „Es lebe die Deutsche Republik!“ Zwei Stunden später, um 16 Uhr, proklamierte Karl Liebknecht die „Freie Sozialistische Republik“ – ohne großen Widerhall zu finden („Wettstreit der Balkone“).

Friedrich Ebert war über Scheidemanns Vorgehen wütend, wollte er doch eine Nationalversammlung wählen und diese über die zukünftige Staatsform des Deutschen Reiches entscheiden lassen.

In der Nacht vom 9./10. November telefonierten Wilhelm Groener und Friedrich Ebert miteinander. Der General sagte dem Sozialdemokraten die Unterstützung der Obersten Heeresleitung zu. Die militärische Führung arbeitete mit den von Bismarck verfolgten und von Wilhelm II. als „vaterlandslose Gesellen“ diffamierten Sozialdemokraten zusammen! Weitaus lieber hätte die Oberste Heeresleitung eine konservative Regierung unterstützt, aber nur ein Zweckbündnis mit Ebert konnte einen weiteren Linksruck verhindern.

Nur wenige Stunden amtierte Friedrich Ebert als Reichskanzler, dann bildeten die SPD und die USPD mit Zustimmung eines im Zirkus Busch versammelten regionalen Berliner „Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte“ eine provisorische neue Staatsführung mit exekutiven und legislativen Befugnissen: den sechsköpfigen „Rat der Volksbeauftragten“, in dem Ebert den Ton angab (10. November 1918). Ohne formell aufgelöst zu sein, spielte der Reichstag keine Rolle mehr.

Am 10. November setzte Wilhelm II. sich nach Holland ab. Innerhalb weniger Tage verzichteten auch die übrigen deutschen Dynastien auf ihre Herrschaft.

Die meisten Junker und „Schlotbarone“ überstanden den politischen Umbruch dagegen unbeschadet. Die Sozialdemokraten riskierten nämlich keine Vergesellschaftungen, weil sie befürchteten, dass die Siegermächte staatlichen Besitz als Reparationsleistung verlangen könnten. Außerdem wagten sie in der desolaten wirtschaftlichen Lage keine Sozialisierungsexperimente.

Während in Berlin die Republik ausgerufen wurde, saßen sich im Wald von Compiègne unweit von Paris die mit den Verhandlungen über einen Waffenstillstand beauftragten Delegationen in einem Salonwagen gegenüber. Den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (1875 – 1921) hatte Max von Baden beauftragt, die deutsche Abordnung zu leiten. Am 8. November war sie am Verhandlungsort eingetroffen. Die gegnerische Seite wurde von Ferdinand Foch geführt. Am 10. November forderte Hindenburg die deutschen Abgesandten noch einmal ausdrücklich auf, in jedem Fall einen Waffenstillstand zu vereinbaren, aber kein einziger deutscher Offizier war zugegen, als das Waffenstillstands-Abkommen in der Nacht zum 11. November unterzeichnet wurde.

Den Deutschen sollte es unmöglich gemacht werden, die Kampfhandlungen noch einmal aufzunehmen. Sie mussten sich verpflichten, ihre Truppen sofort über den Rhein zurückzunehmen. Alle Kriegsgefangenen des Deutschen Reiches waren unverzüglich freizugeben. Die deutsche Hochseeflotte wurde interniert. Flugzeuge, Lastwagen, Lokomotiven, Eisenbahnwaggons und Waffen in großer Zahl hatte das Deutsche Reich den Alliierten zu übergeben. Und trotz des Waffenstillstandes setzten die Briten die Seeblockade fort.

Das Abkommen wurde auf 36 Tage befristet; um es zu verlängern, musste das Deutsche Reich weitere schwerwiegende Zugeständnisse machen (13. Dezember 1918; 16. Januar, 16. Februar 1919).

Am 11. November 1918 trat der Waffenstillstand in Kraft. Die Deutschen konnten ihre Niederlage kaum begreifen, stand doch zu diesem Zeitpunkt praktisch kein feindlicher Soldat auf deutschem Boden, während die deutschen Armeen sich tief im Inneren Frankreichs und Russlands verkrallt hatten. Hindenburg konnte am 19. November 1919 vor dem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung behaupten, das deutsche Heer sei „im Felde unbesiegt“ geblieben, aber von den „Novemberverbrechern von hinten erdolcht“ worden. Diese Rechtfertigungsideologie („Dolchstoßlegende“) wäre ungehört verhallt, wenn militärische und politische Repräsentanten des wilhelminischen Deutschlands den Waffenstillstands-Vertrag unterzeichnen hätten müssen!

Die Macht lag Ende 1918 auf der Straße. Das Heer marschierte geordnet von der Front zurück und verlief sich in der Heimat. Kasernen verwandelten sich in Bordelle und Schwarzmärkte. Gewehre waren überall zu haben. Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Gustav Noske (1868 – 1946) fand sich schließlich bereit, im Rat der Volksbeauftragten Ende Dezember 1918 das Militärressort zu übernehmen („einer muss der Bluthund sein“), um mit Hilfe von Freikorps die Regierung zu schützen. Das war ein riskanter Balanceakt, weil die meisten der Freikorps weit rechts von der SPD standen.

Vom 16. bis 19. Dezember tagte in Berlin der „Allgemeine Deutsche Rätekongress“. Die USPD wollte, dass der Rätekongress sich selbst zum Nationalparlament proklamierte, aber die überwältigende Mehrheit der Delegierten votierte für die Ausschreibung von Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung, die über die zukünftige Staatsform des Deutschen Reiches entscheiden sollte.

Als die in Berlin einquartierte Volksmarinedivision den Sold nicht rechtzeitig ausbezahlt bekam, meuterten die Matrosen am 23. Dezember und sperrten die Volksbeauftragten Friedrich Ebert und Otto Landsberg (1869 – 1957) vorübergehend ein. Als Ebert nach seiner Freilassung Soldaten gegen die meuternden Matrosen einsetzen ließ, um den als Geisel festgehaltenen Berliner Stadtkommandanten Otto Wels (1873 – 1939) zu befreien, verbrüderten sich Berliner Arbeiter mit den Rebellen, und nach blutigen Kämpfen musste die Militäraktion abgebrochen werden („Blutweihnacht“, 24. Dezember 1918). Erst als die Regierung den Matrosen zusätzlichen Sold ausbezahlen ließ, kam Wels am 24. Dezember frei.

Die USPD verließ am 29. Dezember unter Protest den Rat der Volksbeauftragten, die „Regierung der Matrosenmörder“. Zum Jahreswechsel wurde auf einer Reichskonferenz des Spartakusbundes in Berlin die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KPD) gegründet.

Am Abend des 5. Januar 1919 besetzten bewaffnete Spartakisten das Berliner Zeitungsviertel und riefen die Arbeiter auf, den Rat der Volksbeauftragten zu stürzen (Spartakusaufstand, 5. – 12. Januar 1919). Liebknecht sollte Ebert in Berlin ablösen, wie Lenin in Petrograd auf Kerenski gefolgt war. Aber es gelang der extremen Linken nicht, die breite Masse zu mobilisieren. Selbst die Volksmarinedivision hielt sich zurück. Gustav Noske warf den Aufstand nieder. Am 15. Januar wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zusammengeschlagen und ermordet.

Fortsetzung

© Dieter Wunderlich 2006

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