Die Adenauer-Ära


Zusammenarbeit mit den westlichen Besatzungsmächten

Nach seinem Amtsantritt fuhr Bundeskanzler Konrad Adenauer alle paar Tage zu dem Hotel auf dem Petersberg bei Königswinter („Monte Veto“) hinauf, in dem sich die Alliierte Hohe Kommission („Unheilige Dreifaltigkeit“) eingerichtet hatte. Nach zähen Verhandlungen unterzeichneten John McCloy, Sir Bryan Robertson, André François-Poncet und Konrad Adenauer am 22. November 1949 ein Abkommen, das einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur Revision des Besatzungsstatutes bildete (Petersberger Abkommen). Die Alliierten ermächtigten die Bundesregierung, konsularische Beziehungen zu anderen Staaten aufzunehmen, Handelsverträge zu schließen und in internationalen Organisationen mitzuarbeiten. Die der Bundesrepublik auferlegten Beschränkungen für den Bau von Hochseeschiffen wurden gelockert, und die Alliierten strichen ihre Demontage-Listen weiter zusammen. Im Gegenzug anerkannte die Bundesregierung das Ruhrstatut vom 22. April 1949 und trat der Internationalen Ruhrbehörde bei, in der bis dahin die Alliierten Hohen Kommissare Westdeutschland vertreten hatten.

Adenauer hatte verhandelt und unterschrieben, ohne den Bundestag zu konsultieren. Als im Nachhinein über das Petersberger Abkommen debattiert wurde, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen der Abgeordneten über Adenauers eigenmächtiges Vorgehen und die Anerkennung des Ruhrstatuts. Oppositionsführer Kurt Schumacher wurde vorübergehend von der Teilnahme an Bundestags-Sitzungen ausgeschlossen, weil er Adenauer in der Nacht vom 24./ 25. November 1949 als „Bundeskanzler der Alliierten“ beschimpft hatte.

Unbeirrt von der scharfen Kritik verfolgte Konrad Adenauer das Ziel, die Bundesrepublik Deutschland als gleichberechtigten Partner in die Staatengemeinschaft der „freien Welt“ einzugliedern.

Konrad Adenauer und John McCloy unterschrieben am 15. Dezember 1949 ein deutsch-amerikanisches Abkommen, das die Abwicklung des „European Recovery Program“ (ERP; „Marshall-Plan“) in der Bundesrepublik Deutschland regelte. Die Bundesrepublik gehörte seit dem 31.Oktober 1949 der OEEC an, die von den Militärgouverneuren der drei westlichen Besatzungszonen mitbegründet worden war. Der Bundeskanzler richtete ein eigenes „Ministerium für Angelegenheiten des Marshall-Planes“ unter dem FDP-Politiker Franz Blücher ein. Mit ERP-Mitteln finanzierte die Bundesregierung vor allem Investitionen in der Forschung, in der Grundstoffindustrie, im Verkehrswesen und im Wohnungsbau.

Die Mitglieder des Ministerausschusses des Europarates beschlossen auf ihrer zweiten Sitzung, auch die Bundesrepublik Deutschland in den Europarat aufzunehmen (3. – 5. November 1949). Die offizielle Einladung vom 1. April 1950 wurde von der Bundesrepublik Deutschland angenommen, und ab dem 8. Juli gehörte sie dem Europarat als assoziiertes Mitglied an. Vollmitglied wurde die Bundesrepublik Deutschland am 2. Mai 1951.

Wiederbewaffnung

In einem Interview mit John P. Leacacos vom „Cleveland Plain Dealer“ signalisierte Konrad Adenauer am 3. Dezember 1949 seine Bereitschaft, über eine deutsche Wiederbewaffnung im Rahmen einer westeuropäischen Verteidigungsstreitmacht zu verhandeln. Am 29. August 1950 übermittelte er McCloy als dem gerade amtierenden Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission zwei Denkschriften. In der einen schlug Adenauer vor, die Besatzung der Bundesrepublik Deutschland schrittweise zu beenden. Von dem zweiten Memorandum erfuhren selbst die Kabinettsmitglieder erst am 31. August aus der Presse: Adenauer regte an, die westalliierten Militäreinheiten in der Bundesrepublik Deutschland zu verstärken und deutsche Streitkräfte daran zu beteiligen. Der für Sicherheitsfragen zuständige Bundesminister des Inneren, Gustav Heinemann, bot am 4. September aus Protest gegen Adenauers Alleingang seinen Rücktritt an und bestand darauf, aus dem Kabinett auszuscheiden. Er wurde am 11. Oktober von Robert Lehr abgelöst.

Adenauer veranlasste, dass im Herbst 1950 in einem Eifeler Kloster Experten ein Konzept für einen deutschen Wehrbeitrag erarbeiteten („Himmeroder Denkschrift“, 6. Oktober 1950).

Am 26. Oktober 1950 ernannte Adenauer den CDU-Politiker Theodor Blank zum „Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen in Deutschland zusammenhängenden Fragen“. Tatsächlich bereitete die „Dienststelle Blank“ den Aufbau eines bundesdeutschen Verteidigungsministeriums vor.

Zu einem zunächst geheim gehaltenen Gespräch über einen bundesdeutschen Wehrbeitrag trafen sich am 9. Januar 1951 Konrad Adenauer und die Mitglieder eines „engeren Ausschusses für Verteidigungsfragen“ – Johann Adolf Graf von Kielmansegg, Theodor Blank, Hans Speidel und Adolf Heusinger – mit den Alliierten Hohen Kommissaren auf dem Petersberg.

Im Winter 1950/51 wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika die Stimmen unüberhörbar, die einen Rückzug der US-Truppen aus Europa forderten, weil insbesondere das im Indochina-Krieg seine Ressourcen verzehrende Frankreich die Verteidigung der westlichen Welt – beispielsweise in Korea – allein den Amerikanern zu überlassen schien („The Great Debate“).

Sorgfältig achtete Adenauer darauf, ihnen keine Argumente zu liefern. Als Folge eines Disengagements der Westmächte in Deutschland strebte er die Souveränität nicht an. Die amerikanischen, britischen und französischen Truppen sollten die Bundesrepublik Deutschland weiterhin vor den Kommunisten schützen – sich allerdings von Besatzungsmächten zu Verbündeten wandeln.

Der Schock, den der Korea-Krieg in den westlichen Staaten auslöste, bewirkte schließlich, dass sich die Befürworter einer deutschen Wiederbewaffnung durchsetzten.

Französische Sicherheitsbehörden schlossen Überlegungen über eine unabhängige deutsche Streitmacht von vorneherein aus. Adenauer nutzte deshalb den Wunsch der Westalliierten nach einem deutschen Verteidigungsbeitrag als Hebel, um der Gleichberechtigung einen Schritt näher zu kommen: Bundesdeutsche Streitkräfte sollten als Kontingent einer supranationalen Armee aufgestellt werden.

Am 11. August 1950 stimmte die Versammlung des Europarates der Anregung Churchills zu, eine „Europa-Armee“ zu bilden und in diese auch bundesdeutsche Einheiten zu integrieren. Die Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs befürworteten ebenfalls einen deutschen Verteidigungsbeitrag (Konferenz vom 12. – 18. September 1950 in New York).

Aufgrund eines am 15. Februar vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes wurde am 16. März 1951 damit begonnen, einen Bundesgrenzschutz einzurichten. Diese Sonderpolizei des Bundes – sie unterstand dem Innenminister – hatte Störungen der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet (bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern) zu unterbinden. Die Beamten des Bundesgrenzschutzes, die vorwiegend kaserniert waren, sollten im Kriegsfall den Kombattanten-Status erhalten.

Am 6. März 1951 verzichtete die Alliierte Hohe Kommission auf weitere Kontrollbefugnisse in der Bundesrepublik und veröffentlichte ein revidiertes Besatzungsstatut. Von den Hohen Kommissaren ermächtigt, ein Auswärtiges Amt einzurichten, übernahm Konrad Adenauer am 15. März auch das Amt des Außenministers (März 1951 – Juni 1955).

Im Juli 1951 beendeten Frankreich und Großbritannien den Kriegszustand mit Deutschland. Die beiden Supermächte folgten diesem Schritt: am 24. Oktober 1951 die USA, am 25. Januar 1955 schließlich auch die Sowjetunion.

Eine Klammer zwischen der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (West) und der Bundesrepublik Deutschland bildete der innerdeutsche Handel, der durch ein am 20. September 1951 in Berlin geschlossenes Abkommen („Interzonenhandelsabkommen“) geregelt wurde. Für die Bundesrepublik Deutschland stellte der innerdeutsche Handel keinen Teil des Außenhandels dar. Anderer Auffassung war die Deutsche Demokratische Republik. Der Zahlungsverkehr wurde über zentrale Konten bei der Deutschen Bundesbank und bei der Staatsbank der DDR abgewickelt, und zwar in Verrechnungseinheiten, die einer Deutschen Mark entsprachen, obwohl die Kaufkraft der westdeutschen Mark die der ostdeutschen weit übertraf. Da die DDR im innerdeutschen Handel mehr ein- als ausführte, wurde viel Gebrauch gemacht von den für die Fälle unausgeglichener Leistungsbilanzen vereinbarten zinslosen Überziehungskrediten („Swing“).

Am 15. September 1951 verabschiedete die DDR-Volkskammer eine Erklärung, in der die Durchführung „freier, gleicher und geheimer demokratischer Wahlen für eine Nationalversammlung“ in ganz Deutschland angeregt wurde. Obwohl dieses Angebot einer Forderung entsprach, die Bonn am 22. März 1950 erhoben hatte, deutete Konrad Adenauer die ostdeutsche Initiative als bloß taktischen, propagandistischen Vorstoß. Aufgrund eines – von den Alliierten weitergeleiteten – entsprechenden Antrages der Bundesrepublik Deutschland beauftragte am 19. Dezember 1951 die UNO eine Untersuchungskommission, die Voraussetzungen für freie Wahlen in der Deutschen Demokratischen Republik zu überprüfen. Das aber lehnte die DDR am 2. Januar 1952 ab.

Die UdSSR schlug am 10. März 1952 in einer an die drei Westalliierten gerichteten Note vor, über die Wiedervereinigung Deutschlands und einen mit einer gesamtdeutschen Regierung zu schließenden Friedensvertrag zu verhandeln („Stalin-Note“). Der neue Staat sollte zwar zur Neutralität verpflichtet sein, jedoch eigene Truppen aufstellen dürfen.“Sämtliche Streitkräfte der Besatzungsmächte müssen spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Friedensvertrages mit Deutschland abgezogen werden. Gleichzeitig werden sämtliche ausländischen Militärstützpunkte auf dem Territorium Deutschlands liquidiert.“ Am 9. April 1952 erklärte sich Moskau überdies damit einverstanden, freie Wahlen in Deutschland abzuhalten. Nicht von einer UN-Kommission, sondern von den Vier Mächten sollten sie überwacht werden. Die Regierung Grotewohl begrüßte den sowjetischen Vorschlag (13. März), die Westmächte versuchten Zeit zu gewinnen, und Konrad Adenauer malte das Menetekel eines unweigerlich in den sowjetischen Einflussbereich geratenden europäischen Machtvakuums an die Wand.

Wenn es die Absicht Moskaus gewesen war, durch die Angebote die Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland in ein westliches Verteidigungsbündnis zu verhindern und die Stationierung ausländischer Streitkräfte auf deren Territorium zu beenden, dann wurde diese durchkreuzt.

Bei ihrem Treffen vom 10. bis 14. September 1951 in Washington gaben der amerikanische, der britische und der französische Außenminister grünes Licht für Verhandlungen der Hohen Kommission auf dem Petersberg mit der Bonner Regierung über eine Beendigung der Besatzung. Am 26. Mai 1952 unterzeichneten Dean Acheson, Anthony Eden, Robert Schuman und Konrad Adenauer den „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“ („Deutschlandvertrag“). Beabsichtigt war es, die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland herzustellen und die alliierten Sonderrechte auf die Stationierung von Truppen, auf das Eingreifen im akuten Notstandsfall, auf die Berlin und Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen zu beschränken. Zusatzabkommen regelten die vorläufige Höhe des finanziellen bundesdeutschen Verteidigungsbeitrages, die Rechte und Pflichten der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte, deren Besteuerung, die Entschädigung von NS-Opfern, die Dekartellierung und anderes („Bonner Verträge“). In Kraft treten sollte das Vertragswerk gleichzeitig mit dem einen Tag später in Paris unterzeichneten EVG-Vertrag.

Wiedergutmachung

Am 26. November 1949 stellte Bundespräsident Theodor Heuss den Juden finanzielle Entschädigungen in Aussicht. Der Bundeskanzler bekannte sich am 27. September 1951 vor dem Bundestag feierlich zur Wiedergutmachung. Die israelische Regierung forderte die deutschen Staaten auf, Beihilfen für die Ansiedelung jüdischer Emigranten in Israel zu zahlen (Noten vom 12. März und vom 30. November 1951). Während die Deutsche Demokratische Republik jegliche Kontinuität zwischen dem Deutschen Reich und ihrer eigenen Existenz leugnete, begannen Beauftragte Israels und der Bundesrepublik Deutschland am 21. März 1952 in Den Haag, über Wiedergutmachungsleistungen zu verhandeln.

Am 27. März 1952 wurden der zwölfjährige Werner Breitschopf und der dreizehnjährige Bruno Beyersdorf in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes von einem Fremden angesprochen, der sie bat, ein an Konrad Adenauer adressiertes Paket zur Post zu bringen. Sie lieferten das verdächtige Paket stattdessen bei der Polizei ab. Im Keller der Münchner Polizeipräsidiums in der Ettstrasse explodierte es. Dabei starb ein Mensch, und vier weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Am übernächsten Tag erhielten mehrere französische Zeitungen ein Bekennerschreiben. Es wird vermutet, dass der misslungene Anschlag von rechtsextremen Kreisen vorbereitet worden war, aber die tatsächlichen Hintermänner blieben im Dunkeln.

Am 10. September 1952 unterzeichneten Konrad Adenauer und der israelische Außenminister Moshe Sharett in Luxemburg ein Abkommen über deutsche Wiedergutmachungsleistungen, in das auch die „Jewish Material Claims Conference against Germany“ – die Interessenvertretung der nicht in Israel lebenden Juden – mit einbezogen wurde. Der Bundestag in Bonn ratifizierte den Vertrag am 4. März 1953.

Nach Kriegen unterlegenen Gegnern auferlegte Reparationszahlungen kannte man seit jeher, aber nie zuvor waren staatliche Entschädigungen freiwillig an ausländische Staaten gezahlt worden – dazu noch an einen Staat, der zum Zeitpunkt der NS-Verbrechen noch gar nicht bestanden hatte. Die Bundesrepublik Deutschland leistete Wiedergutmachung – nicht zuletzt, weil sich Konrad Adenauer davon einen Zuwachs an internationalem Ansehen für seinen Staat versprach.

Die Bundesrepublik wird souverän

Dass die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich bereit war, auch die Auslandsschulden des Deutschen Reiches zu übernehmen, hatte Konrad Adenauer den Hohen Kommissaren als Gegenleistung für die Revision des Besatzungsstatutes am 6. März 1951 zugesichert. Am 27. Februar 1953 verständigte sich die Bundesrepublik Deutschland mit achtzehn Staaten darüber, wie die seit dem Ersten Weltkrieg aufgelaufenen Auslandsschulden Preußens und des Deutschen Reiches sowie die aus der Wirtschaftshilfe der drei westlichen Besatzungsmächte in der Nachkriegszeit entstandenen Verbindlichkeiten getilgt werden sollten (Londoner Schuldenabkommen). Die getroffenen Vereinbarungen wurden in den folgenden Jahren von weiteren fünfzehn Staaten gebilligt. Der Bundestag ratifizierte das Londoner Schuldenabkommen am 2. Juli 1953.

Auf der Konferenz der Außenminister der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion, die vom 25. Januar bis 18. Februar 1954 im ehemaligen Berliner Kontrollratsgebäude stattfand, prallten die unvereinbaren Vorstellungen über die Deutschlandfrage ergebnislos aufeinander: Während Molotow daran festhielt, dass eine gemeinsame Regierung in Deutschland gebildet und mit dieser ein Friedensvertrag abgeschlossen werden müsse, bevor gesamtdeutsche Wahlen denkbar seien, beharrten die Westmächte darauf, dass die Wahlen am Anfang der deutschen Wiedervereinigung zu stehen hätten (Eden-Plan).

Als die Europäische Verteidigungsgemeinschaft am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung scheiterte und deshalb auch der Deutschland-Vertrag nicht in Kraft treten konnte, suchten die Westmächte mit der Bundesregierung nach Alternativlösungen. Im Herbst 1954 einigten sie sich darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland in den Brüsseler Pakt und in die NATO aufgenommen werden sollte (Londoner Neunmächte-Konferenz, 28. September – 3. Oktober 1954). Vom 19. bis 23. Oktober 1954 fanden in Paris mehrere Konferenzen statt, auf denen die vierzehn NATO-Partner mit Italien und der Bundesrepublik Deutschland über deren Aufnahme in die westlichen Verteidigungsgemeinschaften berieten. Die italienische und die deutsche Delegation gaben den Verzicht ihrer Staaten auf die Herstellung und Verwendung von ABC-Waffen zu Protokoll, und am 23. Oktober wurde ein Bündel von Verträgen unterzeichnet (Pariser Verträge). Italien und die Bundesrepublik Deutschland traten dem zur „Westeuropäischen Union“ (WEU) umgestalteten Brüsseler Vertrag bei, und ihre Aufnahme in die NATO wurde vorbereitet. Ein „Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland“ ersetzte den Deutschland-Vertrag. Die USA, Großbritannien und Frankreich bekräftigten ihre Verantwortung für Berlin.

Am 15. Januar 1955 versuchte Moskau noch einmal, die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die WEU und in die NATO zu verhindern. Obwohl die UdSSR die Wiedervereinigung nun auf der Grundlage gesamtdeutscher Wahlen in Aussicht stellte, ratifizierte der Bundestag am 27. Februar 1955 die Pariser Verträge. Sie traten am 5. Mai 1955 in Kraft. „Die Bundesrepublik Deutschland ist souverän“, erklärte der Bundeskanzler. Die Alliierte Hohe Kommission löste sich auf; die Botschafter André François-Poncet, Frederick Robert Hoyer-Millar und James B. Conant überreichten dem Bundespräsidenten ihre Akkreditierungsschreiben. Die Bundesrepublik Deutschland wurde in die Westeuropäische Union (7. Mai) und in den Nordatlantik-Pakt (9. Mai) aufgenommen.

Am 7. Juni 1955 bildete Konrad Adenauer sein Kabinett um: Das Amt des Außenministers übergab er Heinrich von Brentano; Hans Joachim von Merkatz löste den am 26. Mai zurückgetretenen Heinrich Hellwege als Bundesminister für Bundesrats-Angelegenheiten ab, und Theodor Blank wurde zum ersten Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland ernannt.

Konrad Adenauer in Moskau

Auch auf der Genfer Gipfelkonferenz (18. – 23. Juli 1955) wurden in der Deutschlandfrage keine Fortschritte erzielt. Während der französische Ministerpräsident Edgar Fauré betonte, dass auch ein wiedervereinigtes Deutschland die Freiheit haben müsse zu entscheiden, ob es der NATO angehören wolle, versicherte Nikolai Bulganin, dass die Sowjetunion auf der Wahrung der „sozialistischen Errungenschaften“ der DDR bestehen werde.

Auf der Rückreise aus Genf besuchten Bulganin und Chruschtschow Ostberlin. Am 26. Juli 1955 erklärte Chruschtschow bei einer Massenkundgebung auf dem Marx-Engels-Platz, dass Verhandlungen der beiden deutschen Regierungen den einzigen Weg zur Wiedervereinigung darstellten („Zwei-Staaten-Theorie“). Damit zerstoben im Westen die Hoffnungen, mit gesamtdeutschen Wahlen den Wiedervereinigungsprozess einleiten zu können.

Am 7. Juni 1955 hatte die Sowjetunion signalisiert, ohne Vorbedingungen mit der Bonner Regierung über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verhandeln zu wollen. Im Sinne der Zwei-Staaten-Theorie war dies konsequent. Konrad Adenauer sah die Möglichkeit, die letzten noch lebenden deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR freizubekommen. Deren Zahl schätzte das Deutsche Rote Kreuz auf 130 000.

Am 8. September 1955 traf Konrad Adenauer mit einem Teil seiner Delegation auf dem Moskauer Flughafen ein. Die Verhandlungen begannen am folgenden Tag. Sie wurden hart geführt; Adenauer und Chruschtschow sollen sich gegenseitig mit der Faust gedroht haben. Als Adenauer das Schicksal der „in Russland zurückgehaltenen Personen“ ansprach, entgegnete ihm Bulganin, es gebe keine Kriegsgefangenen mehr in der Sowjetunion – nur noch 9 628 rechtskräftig zu Haftstrafen verurteilte „Gewalttäter, Brandstifter, Mörder von Frauen, Kindern und Greisen“. Als die deutschen Politiker auf der Freilassung der Kriegsgefangenen als Vorbedingung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen bestanden, drohten die Verhandlungen zu scheitern, und Adenauer bestellte am 12. September eine Sondermaschine für den Rückflug. Während eines Banketts am selben Abend versicherten ihm jedoch Bulganin und Chruschtschow, dass sie alle deutschen Kriegsgefangenen freilassen würden, wenn er schriftlich um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Moskau nachsuche. Adenauer ging darauf ein und blieb noch bis zum 14. September in Moskau, um die Verhandlungen zu Ende zu führen und das Abschlusskommuniqué zu unterzeichnen. Die Moskauer Führung hielt ihr Wort und entließ in der Tat während der folgenden Monate die letzten deutschen Kriegsgefangenen.

Alleinvertretungs-Anspruch, Hallstein-Doktrin

Die Bundesregierung nahm diplomatische Beziehungen zu eben jenem Staat auf, der sich für die diplomatische Anerkennung beider deutscher Staaten einsetzte und den Bonner Alleinvertretungsanspruch zurückwies! Adenauer beeilte sich, dies als Sonderfall hinzustellen. In seiner Regierungserklärung über die Moskaureise drohte er am 23. September, dass alle anderen Staaten für den Fall einer Anerkennung der DDR mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland rechnen müssten.

Walter Hallstein, der zu diesem Zeitpunkt als Staatssekretär im Auswärtigen Amt arbeitete, beauftragte unmittelbar nach der Moskaureise Wilhelm G. Grewe, den Leiter der politischen Abteilung, diesen Grundsatz zu konkretisieren, und Außenminister Heinrich von Brentano erläuterte die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage Anfang Dezember 1955 („Hallstein-Doktrin“).

Angewandt wurde die Hallstein-Doktrin erstmals, als Jugoslawien und die DDR am 10. Oktober 1957 vereinbarten, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

Der Alleinvertretungsanspruch war von Konrad Adenauer bereits am 21. Oktober 1949 im Bundestag formuliert worden: „In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willen der deutschen Bevölkerung. Das, was jetzt geschieht, wird nicht von der Bevölkerung getragen und legitimiert. Die Bundesrepublik Deutschland stützt sich dagegen auf die Anerkennung durch den frei bekundeten Willen von rund dreiundzwanzig Millionen stimmberechtigten Deutschen. Die Bundesrepublik Deutschland ist somit bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes.“ Diese Auffassung wurde auch von den Regierungen in Paris, London und Washington geteilt. Als die DDR am 25. März 1954 von der Sowjetunion als souveräner Staat anerkannt worden war, hatte die Alliierte Hohe Kommission auf dem Petersberg bei Bonn diesen Schritt ausdrücklich verworfen (8. April 1954).

Wer in der Ära Adenauer die in der DDR übliche Abkürzung „BRD“ verwendete oder die „Deutsche Demokratische Republik“ beim Namen nannte, wurde als Kommunist verdächtigt. Gemeinhin bezeichneten bundesdeutsche Medien den ostdeutschen Staat als „Zone“, „SBZ“ oder „sogenannte DDR“.

Bundeswehr, Wehrpflicht

Am 12. November 1955 erhielten die ersten freiwilligen Soldaten der Bundeswehr ihre Ernennungsurkunden, und am 2. Januar 1956 rückten die ersten sechstausend Bundeswehr-Soldaten in ihre Unterkünfte ein.

Nach erbitterten Auseinandersetzungen im Parlament und in der Öffentlichkeit wurde am 21. Juli 1956 für alle Männer vom achtzehnten bis fünfundvierzigsten Lebensjahr die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.

Die rechtlichen Voraussetzungen für den Aufbau der Bundeswehr bildeten mehrere 1955/56 erlassene Gesetze, besonders die Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes vom 26. März 1954 und 19. März 1956 (Wehrnovellen). Die Bundeswehr sollte in den demokratischen Rechtsstaat eingebunden werden, um eine Sonderstellung wie die der Reichswehr von vorneherein auszuschließen. Die Bundeswehr untersteht deshalb auch nicht der Befehlsgewalt des Bundespräsidenten, sondern gewöhnlich dem Bundesminister für Verteidigung, im Ernstfall dem Bundeskanzler – also immer der Bundesregierung, und damit auch der parlamentarischen Kontrolle.

Keines der bundesdeutschen Wehrgesetze galt in Berlin. Damit respektierte die Bundesrepublik Deutschland den Viermächtestatus der ehemaligen Reichshauptstadt.

Geheimdienste

In den fünfziger Jahren richtete die Bundesrepublik Deutschland drei staatliche Geheimdienste ein: den Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Sie sind ausschließlich damit beschäftigt, Informationen zu beschaffen; polizeiliche Befugnisse haben sie nicht. Am 14. April 1949 hatten sich die drei westlichen Militärgouverneure in einem Brief an den Parlamentarischen Rat damit einverstanden erklärt, dass die zukünftige Bundesrepublik Deutschland einen Nachrichtendienst zum Schutz vor Umsturzversuchen einrichtete. Die Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln und der Verfassungsschutzämter der Länder regelt das „Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ vom 27. September 1950. Sie sind ermächtigt, nachrichtendienstliche Methoden anzuwenden, um Bewerber für den öffentlichen Dienst zu überprüfen und verfassungsfeindliche Bestrebungen rechtzeitig aufzudecken.

Für einen politischen Skandal sorgte Otto John, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, als er sich am 20. Juli 1954 über den Rundfunk aus der Deutschen Demokratischen Republik meldete. Nachdem zahlreiche ehemals aktive Nationalsozialisten in führende Staatsstellungen aufgerückt seien, könne er in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr guten Gewissens weiterarbeiten und habe deshalb die Fronten gewechselt. Unvermittelt kehrte Otto John am 13. Dezember 1955 wieder zurück, und obwohl er nun behauptete, gegen seinen Willen entführt worden zu sein, wurde er am 22. Dezember 1956 wegen Landesverrates zu vier Jahren Haft verurteilt.

Am 21. Februar 1956 beschloss die Bundesregierung, den seit 1946 mit amerikanischer Unterstützung von Reinhard Gehlen (1902 – 1979) aufgebauten Spionagedienst („Organisation Gehlen“) am 1. April 1956 zu übernehmen und als „Bundesnachrichtendienst“ (BND) unmittelbar dem Bundeskanzleramt zu unterstellen. Gehlen hatte von 1942 bis 1945 die Abteilung Fremde Heere Ost im Generalstab des Heeres geleitet. Das Archiv dieses Geheimdienstes hatte er nach seiner Amtsenthebung am 9. April 1945 versteckt und schließlich den Amerikanern zur Verfügung gestellt. Der Bundesnachrichtendienst richtete seine Zentrale in Pullach bei München ein. Seine Aufgabe besteht darin, wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische, militärische und politische Informationen aus dem Ausland zu beschaffen, auszuwerten und dem Bundeskanzleramt vorzulegen. Im Inland darf der Bundesnachrichtendienst nur tätig werden, um fremde Geheimdienste zu bekämpfen. Reinhard Gehlen leitete den Bundesnachrichtendienst („der Dienst“) bis 1968.

Um speziell die Bundeswehr gegen Spionage, Sabotage und Infiltration zu schützen, baute General Gerhard Wessel – der mit Reinhard Gehlen in der Abteilung Fremde Heere Ost zusammengearbeitet hatte – von 1956 bis 1967 den Militärischen Abschirmdienst (MAD) mit dem „Amt für Sicherheit der Bundeswehr“ in Köln als Zentrale auf.

Helgoland, Schleswig, Saarland

Am 1. März 1952 hatte Großbritannien die Insel Helgoland der Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Die 1949 von den Franzosen besetzte Stadt Kehl war schrittweise bis zum 6. Juni 1953 geräumt worden. Belgien und die Bundesrepublik Deutschland hatten sich am 24. September 1954 auf Grenzkorrekturen zugunsten der Bundesrepublik geeinigt. (Entsprechende Verträge mit Luxemburg und den Niederlanden folgten am 11. Juli 1959 und am 8. April 1960.)

Am 29. März 1955 erklärten Konrad Adenauer in Bonn und sein dänischer Amtskollege Hans Christian Svane Hansen in Kopenhagen, dass jeder Bewohner des deutsch-dänischen Grenzgebietes in Schleswig selbst entscheiden könne, ob er Däne oder Deutscher sein wolle. Niemand dürfe daran gehindert werden, persönliche und kulturelle Verbindungen über die Staatsgrenze hinweg zu pflegen (Bonn-Kopenhagener Erklärungen).

Bestandteil der Pariser Verträge war auch ein deutsch-französisches Abkommen über die Zukunft des Saarlandes. Am 3. März 1950 hatten der französische Außenminister Robert Schuman und der saarländische Ministerpräsident Johannes Hoffmann in Paris zwölf Abkommen unterzeichnet (Saar-Konventionen).

Die Besatzung war von den Franzosen beendet worden, aber die saarländische Regierung hatte bis zum Abschluss eines Friedensvertrages dem französischen Staat die Kohlevorkommen im Saargebiet überlassen und eingewilligt, sich außenpolitisch von der französischen Regierung vertreten zu lassen. Während der Verhandlungen im Oktober 1954 einigten sich Konrad Adenauer und Pierre Mendes-France darauf, die Bevölkerung des Saargebietes in einer Volksabstimmung entscheiden zu lassen, ob ihr Land ein autonomes europäisches Statut erhalten solle. 68 Prozent der Wähler lehnten dies bei der am 23. Oktober 1955 durchgeführten Volksabstimmung ab. Der saarländische Ministerpräsident Johannes Hoffmann trat zurück, und die aus den Landtagswahlen vom 18. Dezember 1955 hervorgegangene neue saarländische Regierung sprach sich für die Rückkehr des Saarlandes zu Deutschland aus. Darüber verständigten sich Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland am 27. Oktober 1956. Tatsächlich wurde das Saargebiet der Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1957 als zehntes Bundesland eingegliedert, und am 5. Juli 1959 erfolgte auch dessen wirtschaftliche Integration in den westdeutschen Staat.

Restauration

Während in der sowjetischen Besatzungszone das Berufsbeamtentum abgeschafft wurde, schrieb das Grundgesetz ausdrücklich vor, das Recht des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik Deutschland „unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln“ (Artikel 33). Das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 lehnte sich daher weitgehend an das Deutsche Beamtengesetz von 1937 an.

Medien der Deutschen Demokratischen Republik prangerten immer wieder im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte ehemalige Nationalsozialisten an („Braunbuch“, 1965).

Besonders der „Fall Globke“ erregte Aufsehen: Hans Globke (1898 – 1973) arbeitete von Anfang an im Bundeskanzleramt mit – seit 1953 im Rang eines Staatssekretärs –, wurde häufig von Konrad Adenauer zu Rate gezogen und stellte gewiss eine „graue Eminenz“ dar. Dabei hatte er als Ministerialrat im Reichsinnenministerium (1932 – 1945) maßgeblich an der Ausarbeitung nationalsozialistischer Gesetze mitgewirkt und war im Reichsverordnungsblatt und Amtsblatt des Preußischen Innenministeriums vom 11. März 1936 lobend als Mitautor der Nürnberger Rassengesetze erwähnt worden. Trotz der scharfen Angriffe aus der DDR („intellektueller Judenmörder“) und der heftigen Kritik in der westdeutschen Öffentlichkeit hielt der Bundeskanzler bis Juli 1963 an seinem Staatssekretär fest.

Wahlrecht

In den Fünfzigerjahren wurde das Wahlverfahren für den Bundestag noch einmal entscheidend abgeändert. Gemäß dem von den Ministerpräsidenten am 15. Juni 1949 verkündeten Wahlgesetz für den ersten Bundestag waren 60 Prozent der Bundestagsmandate nach den Prinzipien des Mehrheitswahlrechtes direkt in den Wahlkreisen, 40 Prozent aufgrund von Wahllisten zugeteilt worden. Am 25. Juni 1953 verabschiedete der Bundestag ein neues Wahlgesetz (das am 8. Juli in Kraft trat). Nun erhielt jeder Wahlberechtigte zwei Stimmen. Die Erststimme war für einen Kandidaten des Wahlkreises gedacht, die Zweitstimme für die Landesliste einer politischen Partei oder Wählervereinigung. Maßgeblich für die Stärke der Bundestagsfraktionen waren zunächst die für die Listen abgegebenen Stimmen (Verhältniswahl). Ausgezählt wurden diese nach dem Verfahren, das der niederländische Rechtswissenschaftler Victor d’Hondt 1882 ausgearbeitet hatte (d’Hondtsches Höchstzahlverfahren). Direktmandate erhielten diejenigen Kandidaten, für die sich in einem Wahlkreis eine einfache Mehrheit der Wähler entschieden (Mehrheitswahlrecht). Direktmandate wurden zwar auf die Gesamtzahl der einer Partei zustehenden Sitze angerechnet, falls diese jedoch übertroffen wurde, erhöhte sich für die Legislaturperiode die Anzahl der Mitglieder des Bundestages (Überhangmandate).

Um Splittergruppen vom Parlament fernzuhalten, war bereits für die erste Bundestagswahl eine Fünf-Prozent-Hürde eingeführt worden. Während aber 1949 eine Partei fünf Prozent der Wählerstimmen lediglich in einem Bundesland benötigt hatte, um bei der Verteilung der Mandate berücksichtigt zu werden, sind dafür seit 1953 fünf Prozent aller im Bundesgebiet abgegebenen Stimmen erforderlich. Direktmandate sind von dieser Sperrklausel ausgenommen.

Durch das – für alle zukünftigen Bundestagswahlen geltende – Gesetz vom 7. Mai 1956 wurden diese Regelungen im wesentlichen beibehalten.

Als Otto Ernst Remer – der ehemalige Kommandant des Berliner Wachbataillons „Großdeutschland“, der am 20. Juli 1944 telefonisch von Adolf Hitler beauftragt worden war, den Aufstand niederzuschlagen – an der Spitze der am 2. Oktober 1949 gegründeten „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP) versuchte, Neonazis zu mobilisieren, verbot das Bundesverfassungsgericht am 23. Oktober 1952 die Organisation.

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die bei den Bundestagswahlen am 6. September 1953 2,2 Prozent der Stimmen erhalten hatte, wurde am 17. August 1956 ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht verboten.

Wirtschaft, Arbeitsrecht

Die zahlreichen in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 gebildeten regionalen Gewerkschaften schlossen sich in den beiden darauffolgenden Jahren innerhalb der Besatzungszonen zu ersten Dachverbänden zusammen. Am 12./13. April 1949 konstituierte sich in Stuttgart-Bad Cannstatt die „Deutsche Angestelltengewerkschaft“ (DAG), deren Vorsitz Fritz Rettig übernahm. Vom 12. bis 14. Oktober 1949 fand in München der Gründungskongress des bundesweiten „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (DGB) statt, und Hans Böckler wurde von den Delegierten zum Vorsitzenden gewählt. Die Beamten in den Bundesrepublik Deutschland schufen sich am 21./22. März 1950 im „Deutschen Beamtenbund“ eine Interessenvertretung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und dessen Mitgliedsgewerkschaften bezeichneten sich als „demokratisch und unabhängig von Unternehmern, Regierungen, Konfessionen und Parteien“. Faktisch allerdings gehören die meisten Spitzenfunktionäre der SPD an, und zahlreiche SPD-Abgeordnete sind zugleich Gewerkschaftsmitglieder.

Die Koalitionsfreiheit ist im Grundgesetz festgeschrieben: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ (Artikel 9).

Tatsächlich gehört die Bundesrepublik Deutschland zu den Industriestaaten, deren Sozialprodukt trotz einer demokratischen Verfassung relativ wenig durch Arbeitskämpfe geschmälert wird. Sicherlich wurde diese Entwicklung ermöglicht durch eine prosperierende Wirtschaft, die es den Unternehmern erleichterte, den Arbeitnehmern Zugeständnisse zu machen, aber sie war auch die Folge einer spezifischen Strategie der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland, die davon ausgingen, dass sie durch zähe Verhandlungen und über eine verantwortungsbewusste Mitbestimmung mehr erreichten als durch blindwütige Konfrontationen. Auf beiden Seiten bemühten sich führende Funktionäre, den Antagonismus zu überwinden, eine Atmosphäre der gegenseitigem Respektierung, vielleicht sogar einer „Sozialpartnerschaft“ zu schaffen und dabei ohne kostspielige Arbeitskampfmaßnahmen tragfähige Kompromisse sowie einen fairen Interessenausgleich zu erzielen.

Urteilen des Bundesarbeitsgerichtes zufolge sind in der Bundesrepublik Deutschland spontane und nicht von einer Gewerkschaft vorschriftsmässig organisierte Arbeitsniederlegungen („wilde Streiks“) unzulässig. Auch dürfen Änderungen gültiger Tarifverträge nicht durch Arbeitskämpfe erzwungen werden (Friedenspflicht). Abgesehen von kurzen Warnstreiks kann der Vorstand einer Gewerkschaft erst dann den Streik ausrufen, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Lösung eines Konfliktes – Tarifverhandlungen und freiwillige Schlichtungsversuche – ausgeschöpft worden sind (Sozialadäquanz), und in der Regel müssen mindestens 75 Prozent der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder in einer geheimen Urabstimmung für den Streik votieren.

Um auch die negative Koalitionsfreiheit zu gewährleisten, Arbeitnehmer also nicht zu zwingen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, entschied das Bundesarbeitsgericht, dass unorganisierte Arbeitnehmer eines Betriebes nicht schlechter gestellt werden dürfen als tarifvertraglich vereinbart („Trittbrettfahrer“).

1951 wurde in den Großunternehmen der Montanindustrie die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer eingeführt („Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie“, 21. Mai 1951). In die Aufsichtsräte der betroffenen Unternehmen entsandten die Arbeitnehmer ebenso viele Vertreter wie die Kapitaleigner. Diese wählten ihrerseits ein zusätzliches Mitglied, dessen Stimme in Pattsituationen den Ausschlag gab und die Entscheidungsfähigkeit des Gremiums gewährleisteten. Zugleich wurde die Funktion des „Arbeitsdirektors“ eingeführt, eines Vorstandsmitgliedes, das Chef des Ressorts Personalwesen war und nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ernannt werden durfte.

In der Weimarer Republik hatte der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund vergeblich versucht, die politische Demokratie auf die Wirtschaft auszuweiten und Arbeitnehmer an wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu beteiligen. Nach dem Zweiten Weltkrieg griff die SPD das Konzept der Wirtschaftsdemokratie zwar erneut auf (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Wirtschaft, 25. Juli 1950), doch konzentrierten sich die Bemühungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf die Mitbestimmung im Bereich der Unternehmenspolitik und auf Einzelfragen des Arbeitslebens im Industriebetrieb.

In von den Alliierten eingenommenen Gebieten bildeten sich noch vor der Kapitulation der Wehrmacht „antifaschistische Ausschüsse“ als Interessenvertretungen der Belegschaften von Industriebetrieben. Der Alliierte Kontrollrat gestattete am 10. April 1946 die Einrichtung von Betriebsräten zur „Wahrnehmung der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten in den einzelnen Betrieben“ (Kontrollratsgesetz Nr. 22). Als sich abzeichnete, dass die politischen Parteien, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände keinen Konsensus über die Gestaltung einer innerbetrieblichen Mitbestimmung finden konnten, brachte die Bundesregierung am 31. Oktober 1950 einen Gesetzentwurf „über die Neuordnung der Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben (Betriebsverfassungsgesetz)“ ein. Eine in Bundesausschüssen 1951/52 mehrfach abgeänderte Fassung verabschiedete der Bundestag am 19. Juli 1952 in dritter Lesung, und der Bundesrat stimmte am 30. Juli zu. Das Betriebsverfassungsgesetz wurde am 11. Oktober verkündet und trat am 14. November 1952 in Kraft.

Nach dem Vorbild des Betriebsrätegesetzes vom 4. Februar 1920 schob das Betriebsverfassungsgesetz dem innerbetrieblichen Arbeitskampf einen Riegel vor und verpflichtete sowohl das Management als auch die Interessenvertretung der Arbeitnehmer zur vertrauensvollen Zusammenarbeit. Die Betriebsleitung wurde verpflichtet, bei bestimmten Entscheidungen den Betriebsrat rechtzeitig zu informieren, ihn anzuhören oder sich mit ihm zu beraten. Echte Mitbestimmung etablierte das Betriebsverfassungsgesetz lediglich in Angelegenheiten des Arbeitsschutzes, der Betriebsordnung, der Festlegung der Arbeitszeit und der Urlaubsregelung.

Als es den Gewerkschaften nicht gelang, die Betriebsräte ihrer Organisation anzugliedern, ließen sie ihre Mitglieder in den Betrieben „Vertrauensleute“ wählen („Vertrauenskörper“). Damit stellten sie sicher, dass sie auch dann das betriebliche Geschehen beeinflussen konnten, wenn ein Betriebsrat nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollte.

Die Arbeitszeitordnung (AZO) des Deutschen Reiches vom 30. April 1938 blieb auch in der Bundesrepublik Deutschland gültig. Sie ging davon aus, dass normalerweise an sechs Tagen in der Woche nicht mehr als acht Stunden täglich gearbeitet wird. In den Fünfzigerjahren forderten die bundesdeutschen Gewerkschaften, die Arbeit am Samstag abzuschaffen („Samstags gehört Vati mir“) und die wöchentliche Normalarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden zu reduzieren. Tatsächlich leiteten einige Tarifverträge 1956 den Übergang zur Fünf-Tage-Woche ein, indem sie die Wochenarbeitszeit auf 45 Stunden senkten. Und am 23. Februar 1961 ließ die IG Bau, Steine, Erden in einem Tarifvertrag festschreiben, dass die wöchentliche Arbeitszeit vom 1. Oktober 1962 bis zur Erreichung der 40-Stunden-Woche jährlich um eine Stunde verkürzt werden sollte.

In der Weimarer Republik kannte man zwar tarifliche Ansprüche auf einen bezahlten Erholungsurlaub; gesetzlich festgelegt wurde die Mindesturlaubsdauer aber erst durch Landesgesetze nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst das Bundesurlaubsgesetz vom 8. Januar 1963 – das rückwirkend zum 1. Januar in Kraft trat – schrieb bundeseinheitlich einen unabdingbaren bezahlten Mindest-Erholungsurlaub von achtzehn Werktagen pro Kalenderjahr vor.

Durch das Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953 wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine dreistufige Arbeitsgerichtsbarkeit etabliert (Arbeitsgerichte, Landesarbeitsgerichte, Bundesarbeitsgericht). Ihr kommt große Bedeutung zu, weil es in der Bundesrepublik kein umfassendes Gesetzbuch der Arbeit gibt und das Arbeitsrecht sich weniger aus gesetzlichen Vorschriften als aus gerichtlichen, besonders höchstrichterlichen Entscheidungen ergibt (Richterrecht).

Die Währungsreform, die finanziellen Mittel aus dem „European Recovery Program“ (Marshall-Plan), die Beendigung der Demontagen, steuerliche Vergünstigungen von unternehmerischen Investitionen, die Förderung der Eigeninitative durch die Wirtschaftspolitik (Soziale Marktwirtschaft) und eine außergewöhnliche Leistungsbereitschaft der Bevölkerung beim Wiederaufbau bildeten in der Bundesrepublik Deutschland die Grundlagen eines beispiellosen Wirtschaftswachstums in den Fünfzigerjahren („Deutsches Wirtschaftswunder“).

Besonders der öffentlich geförderte Bau von Sozialwohnungen erwies sich als Motor des Aufschwungs (Gesetz über den sozialen Wohnungsbau, 23. März 1950).

Zu Beginn der Fünfzigerjahre waren eineinhalb Millionen Bundesbürger arbeitslos. Doch als die Wirtschaft aufblühte, hätten die im Krieg gefallenen jungen Männer als leistungsfähige Arbeitskräfte gefehlt – wenn der Altersaufbau der bundesdeutschen Gesellschaft nicht durch den Zustrom von Flüchtlingen verbessert worden wäre. Trotz der vielen Flüchtlinge wurde in der Bundesrepublik Deutschland am Ende der Ära Adenauer die Vollbeschäftigung erreicht, und als sich ein Arbeitskräftemangel abzuzeichnen begann, vereinbarten Italien und die Bundesrepublik Deutschland am 20. Dezember 1955 die Beschäftigung von 80 000 bis 100 000 italienischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland.

Um den freien Wettbewerb zu gewährleisten, die Bildung marktbeherrschender Unternehmen durch Fusionen zu verhindern und Absprachen von Anbietern zu unterbinden, verabschiedete der Bundestag am 3. Juli 1957 das „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen“. Als Aufsichtsbehörde wurde das Bundeskartellamt in Berlin geschaffen.

Die „Stiefkinder des Wirtschaftswunders“ wurden gern übersehen, aber Ludwig Erhards Slogan „Wohlstand für alle“ war keineswegs wirklichkeitsfern. Wohlstand für alle sollte weniger durch eine nivellierende Umverteilung der Vermögen und Einkommen erreicht werden als durch allgemeines Wirtschaftswachstum, das als Universalmittel zur Lösung sozialer Probleme angesehen wurde. Der zunehmende Wohlstand erleichterte es, die Maschen des „sozialen Netzes“ dichter zu knüpfen.

Am 21. Januar 1957 verabschiedete der Deutsche Bundestag eine rückwirkend zum 1. Januar in Kraft tretende Rentenreform, für die sich Konrad Adenauer – die bevorstehende Bundestagswahl vor Augen – persönlich eingesetzt hatte. Im Deutschen Reich hatten Arbeitnehmer Versicherungsbeiträge entrichtet, um ihre späteren Altersrenten zu finanzieren. Weil das angesammelte Kapital nicht mehr zur Verfügung stand, musste in der Bundesrepublik Deutschland ein neues System entwickelt werden. Das Altersruhegeld einer Generation wurde nun jeweils durch die Beitragszahlungen der nächsten aufgebracht. Die Rentenreform vom 1957 ging davon aus, dass die Renten der Lohn- und Gehaltsentwicklung regelmäßig angepasst werden konnten (Dynamisierung).

Am 30. Juni 1961 regelte der Bundestag die öffentliche Fürsorge neu (Bundessozialhilfegesetz). Menschen, die trotz Lastenausgleich, Versorgungsgesetz und Sozialversicherung in Not gerieten, sich nicht selbst zu helfen imstande waren und auch keine Unterstützung von anderen erwarten konnten, gewährleistete der Staat ungeachtet der Ursache ihrer Bedürftigkeit ein „Existenzminimum“. Die Sozialhilfe zielte darauf ab, die Bedürftigen wieder in den Stand zu setzen, sich selbst zu versorgen.

Um die Vermögensbildung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten zu fördern – aber auch überschüssige Kaufkraft abzuschöpfen – verabschiedete der Bundestag am 19. März 1959 ein Gesetz über die Gewährung staatlicher Prämien für Sparleistungen.

Als dieser Schritt und einige andere Maßnahmen nicht ausreichten, um die Drehung der Lohn-Preis-Spirale zu verlangsamen und die Inflation einzudämmen, begann Ludwig Erhard am 21. März 1961 in einer Fernsehansprache mit seinen berühmten Appellen an die Bundesbürger, maßzuhalten.

Kernwaffen

Auf die.Herstellung und Anwendung von Atomwaffen hatte die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1954 ausdrücklich verzichtet.

Am 6. Oktober 1955 beschloss die Bundesregierung, ein eigenes Ministerium für Atomfragen einzurichten, um die Kernforschung in der Bundesrepublik Deutschland voranzutreiben und die friedliche Nutzung ihrer Erkenntnisse zu fördern. (Es wurde im Dezember 1962 zum Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung erweitert.) Der erste Bundesminister für Atomfragen, der CSU-Politiker Franz Josef Strauß (1915 – 1988) wurde am 16. Oktober 1956 von seinem Parteifreund Siegfried Balke abgelöst und übernahm seinerseits von Theodor Blank das Bundesverteidigungsministerium.

In den folgenden Monaten begannen Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer von der Notwendigkeit einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr zu sprechen. Atomwaffen seien lediglich „eine Weiterentwicklung der Artillerie“, beteuerte Konrad Adenauer seinen Zuhörern in einer Pressekonferenz. Besorgt wandten sich daraufhin am 12. April 1957 achtzehn namhafte deutsche Naturwissenschaftler in Göttingen an die Öffentlichkeit, um vor den Gefahren eines Atomkrieges zu warnen und gegen die Verharmlosung der Kernwaffen zu protestieren („Göttinger Appell“).

Am 2. Oktober 1957 empfahl der polnische Außenminister Adam Rapacki in einer Rede vor der UN-Vollversammlung in New York, dass zunächst die beiden deutschen Staaten, danach auch Polen und die Tschechoslowakei die Herstellung und Stationierung von Atomsprengköpfen und Trägerwaffen auf ihren Territorien untersagen sollten (Rapacki-Plan). Die Bundesregierung äußerte wegen der Überlegenheit des Warschauer Paktes mit konventionellen Waffen Bedenken gegen eine „atomwaffenfreien Zone“ in Mitteleuropa, und am 4. Mai 1958 wurde der Rapacki-Plan offiziell von den USA abgelehnt.

Am 19. Dezember 1957 beschloss der NATO-Rat, in Europa Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen aufzustellen, und am 25. Februar 1958 sprach sich NATO-Oberbefehlshaber General Lauris Norstad öffentlich für die atomare Bewaffnung der Bundeswehr aus.

Der Deutsche Bundestag stimmte der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen am 25. März 1958 ausdrücklich zu. SPD-Politiker, Gewerkschafter und andere Gegner der atomaren Aufrüstung formierten sich in dem am 10. März 1958 in Frankfurt am Main gegründeten Arbeitsausschuss „Kampf dem Atomtod“. Eine von der SPD angeregte Volksbefragung über die atomare Ausrüstung der Bundeswehr wurde vom Bundestag verworfen und vom Bundesverfassungsgericht am 30. Juli 1958 verboten.

Deutschlandfrage

Am 27. Oktober 1958 behauptete der SED-Parteichef Walter Ulbricht: „Ganz Berlin liegt auf dem Territorium der DDR. Ganz Berlin gehört zum Hoheitsbereich der DDR.“

Genau einen Monat später, am 27. November 1958, verlangte der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow von den Westmächten, sich innerhalb eines halben Jahres mit der sowjetischen Regierung über einen Friedensvertrag für die beiden deutschen Staaten zu verständigen, bis dahin den Vier-Mächte-Status Berlins aufzuheben und Westberlin zu einer „freien und entmilitarisierten Stadt“ zu machen. Für den Fall, dass die Westmächte nicht auf seinen Vorschlag eingingen, drohte er damit, die Kontrolle der alliierten Zufahrtswege nach Westberlin der DDR zu übergeben (Berlin-Ultimatium). Die Westmächte wiesen jedoch am 14. Dezember 1958 jede einseitige Änderung des Vier-Mächte-Status von Berlin zurück.

Am 10. Januar 1959 schlug die Sowjetunion in einer Note an die Bundesregierung und die Westmächte vor, eine Friedenskonferenz einzuberufen und die Wiedervereinigung auf der Grundlage einer Konföderation zweier souveräner Staaten vorzubereiten. Nach langem Zögern fanden sich die Regierungen in Washington, Paris und London bereit, erneut mit der Kremlführung die deutsche Frage zu erörtern. Vom 11. Mai bis 21. Juni und vom 12. Juli bis 5. August 1959 verhandelten in Genf die Außenminister der vier Staaten, und erstmals waren – als Berater – auch die beiden deutschen Außenminister Heinrich von Brentano und Lothar Bolz bei einer Vier-Mächte-Konferenz zugegen. Da der Osten auf der Zwei-Staaten-Theorie beharrte, der Westen am Eden-Plan festhielt, endete auch dieser Ansatz ergebnislos.

„Präsidentschaftskrise“

Bevor im September 1959 die zweite Amtsperiode des hoch angesehenen Bundespräsidenten Theodor Heuss endete, musste ein Nachfolger gefunden werden, da das Grundgesetz keine zweite Wiederwahl zuließ.

Am 12. Februar 1959 nominierte die SPD Carlo Schmid (1896 – 1979) als ihren Kandidaten. Zwölf Tage später nannte das CDU-Komitee, das sich mit der Suche nach dem geeigneten Aspiranten befasste, Ludwig Erhard, doch der lehnte es ab, sich um das Amt des Bundespräsidenten zu bewerben, denn er strebte nach dem des Bundeskanzlers. Obwohl Konrad Adenauer bereits dreiundachtzig Jahre alt war, glaubte er, in irgendeiner Weise weiter regieren zu müssen. Um die Fäden in der Hand zu behalten, verfolgte er die Absicht, sich zum Bundespräsidenten und den ihm treu ergebenen Bundesfinanzminister Franz Etzel zum Bundeskanzler wählen zu lassen. Er sorgte also dafür, dass Eugen Gerstenmaier ihn am 7. April 1959 bat, sich zur Verfügung zu stellen und versicherte am folgenden Tag in einem Fernseh-Interview, für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren zu wollen. (Am 21. Mai 1959 beschloss die FDP auf ihrem Berliner Parteitag, trotz der Aussichtslosigkeit Max Becker gegen Carlo Schmid und Konrad Adenauer aufzustellen.) Als der Bundeskanzler jedoch merkte, dass sich sein Wunschkandidat nicht gegen Ludwig Erhard durchsetzen ließ und er deshalb befürchten musste, als Bundespräsident nur wenig Einfluss auf die Politik nehmen zu können, erklärte er am 4. Juni 1959 überraschend, dass er Bundeskanzler bleiben wolle und löste damit eine heftige Kontroverse aus („Präsidentschaftskrise“).

Zum Bundespräsidenten gewählt wurde am 1. Juli 1959 in Berlin der glanzlose CDU-Politiker Heinrich Lübke (1894 – 1972, der bis zu diesem Zeitpunkt Bundeslandwirtschaftsminister gewesen war.

Godesberger Programm

Der überwältigende Wahlsieg der CDU/CSU am 15. September 1957 hatte den „Reformern“ in der SPD-Führung zum Durchbruch verholfen: Carlo Schmid, Herbert Wehner, Fritz Erler und Willy Brandt arbeiteten darauf hin, den „neuen Mittelstand“ – Akademiker, Studenten, Beamte und Angestellte mit höherer Bildung – für die SPD zu gewinnen, ohne zur konturlosen Partei zu degenerieren oder die Arbeiter zu verprellen. Auf einem außerordentlichen Parteitag, der vom 13. bis 15. November 1959 in Bad Godesberg stattfand, verabschiedete die SPD nach 34 Jahren erstmals wieder ein Grundsatzprogramm („Godesberger Programm“). Die eindeutige Festlegung auf die marxistische Ideologie und die hergebrachte Rolle der unternehmerfeindlichen Arbeiterpartei wurden als Ballast über Bord geworfen; die SPD mauserte sich zur „Volkspartei“. Als Grundwerte nannte das Godesberger Programm Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ausdrücklich bejahte die SPD die bis dahin abgelehnte Soziale Marktwirtschaft: „Wettbewerb soweit wie möglich – Planung soweit wie nötig!“ In einer Bundestagsrede bekräftigte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner am 30. Juni 1960 die neue Linie. Die SPD habe ihren Widerstand gegen die deutsche Wiederbewaffnung aufgegeben, lehne allerdings nach wie vor eine Stationierung von Atomwaffen auf bundesdeutschem Territorium ab. Nicht mehr in Frage gestellt wurde die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland: „Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht davon aus, dass das europäische und das atlantische Vertragssystem, dem die Bundesrepublik angehört, Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik ist.“

Bau der Berliner Mauer, Bundestagswahl 1961

Der am 13. August 1961 begonnene Bau der Berliner Mauer wirkte auch in den Bundestags-Wahlkampf des Jahres 1961 hinein. Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von Berlin, den die SPD gerne als neuen Bundeskanzler gesehen hätte, erfuhr von den Vorgängen, als sein Wahlkampf-Sonderzug am 13. August um vier Uhr früh in Hannover hielt. Eine halbe Stunde später wurde Bundeskanzler Konrad Adenauer in Rhöndorf von Hans Globke angerufen. Während Brandt sofort seine für diesen Tag in Kiel geplanten Wahlreden absagte und noch am selben Morgen nach Berlin flog, kam Adenauer erst am 22. August dorthin. Das wurde ihm schwer verübelt. Im Gegenzug verstieg Adenauer sich in einer Wahlrede zu der Behauptung, die Kommunisten würden die Berliner Mauer bauen, um die bundesdeutschen Wähler für die SPD zu mobilisieren. Giftiger noch war eine Bemerkung, die er am 15. August bei einer Wahlrede in Regensburg fallen ließ: „Wenn irgend jemand von seinen politischen Gegnern mit der größten Rücksicht behandelt worden ist, so ist es Herr Brandt alias Frahm.“ Adenauer spielte damit auf die Vergangenheit seines Herausforderers an: Herbert Ernst Karl Frahm, der uneheliche Sohn einer Verkäuferin, war 1933 emigriert und hatte erst in der norwegischen Widerstandsbewegung den Schriftstellernamen Willy Brandt angenommen, unter dem er 1947 in Deutschland wieder eingebürgert worden war.

Bei der Bundestagswahl am 17. September 1961 ging der Stimmenanteil der CDU/CSU von 50,2 auf 45,3 Prozent zurück, während sich das Ergebnis der SPD von 31,8 auf 36,2 Prozent verbesserte. Als dritte Fraktion zog die FDP, die ihren Stimmenanteil von 7,7 auf 12,8 Prozent ausbaute, in den vierten Bundestag ein. Alle anderen Parteien waren an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit musste Konrad Adenauer die Freien Demokraten als Koalitionspartner gewinnen. Diese hatten zwar im Wahlkampf klargestellt, dass sie nicht mit Adenauer regieren wollten („Mit der CDU, aber ohne Adenauer!“), aber vor die Wahl Opposition oder Regierungsbeteiligung gestellt, änderte der FDP-Vorsitzende Erich Mende seine Meinung. Nur wenige wussten damals, dass die FDP immerhin auf einer Verpflichtung Adenauers bestand, während der Legislaturperiode Platz für einen Nachfolger zu machen. Am 7. November 1961 wurde Konrad Adenauer mit 259 von 499 Stimmen zum vierten Mal als Bundeskanzler gewählt. Mindestens 49 Abgeordnete der Koalition hatten gegen ihn votiert.

„Spiegel“-Affäre

In der Nacht vom 26./27. Oktober 1962 durchsuchten Beamte des Bundeskriminalamtes die Büros des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Herausgeber Rudolf Augstein sowie die Chefredakteure Claus Jacobi und Johannes K. Engel wurden aufgrund von drei Tage zuvor ausgestellten Haftbefehlen festgenommen. Den stellvertretenden Chefredakteur Conrad Ahlers, der in Malaga Urlaub machte, nahm die spanische Polizei am 27. Oktober fest, und am folgenden Tag wurde er in ein Flugzeug nach Frankfurt am Main gesetzt.

Um einen „Abgrund von Landesverrat“ ging es bei den Ermittlungen gegen den „Spiegel“, der Adenauers Regierung und besonders Franz Josef Strauß häufig scharf kritisiert hatte. Ein Gutachten des Bundesverteidigungsministeriums schien nachzuweisen, dass in einem „Spiegel“-Artikel vom 10. Oktober 1962 über das NATO-Manöver „Fallex 62“ („Bedingt abwehrbereit“) militärische Staatsgeheimnisse preisgegeben worden seien. Allmählich stellte sich in einer Kette von Vorwürfen, Dementis und Eingeständnissen heraus, dass das Bundeskriminalamt erst am 27. Oktober um die Mittagszeit den Haftbefehl gegen Conrad Ahlers nach Spanien übermittelt hatte.

Der „Spiegel“-Redakteur war aufgrund eines Telefongespräches festgenommen worden, das Verteidigungsminister Franz Josef Strauß nach Mitternacht mit dem deutschen Militärattaché in Madrid, Oberst Achim Oster, geführt hatte. Konrad Adenauer versuchte, die Polizeiaktion gegen das missliebige Nachrichtenmagazin zu rechtfertigen und bezichtigte am 7. November den „Spiegel“ im Bundestag, systematisch Landesverrat zu betreiben, um Leser zu ködern. Innenminister Hermann Höcherl gab tags darauf zu, dass das Vorgehen „etwas außerhalb der Legalität“ gewesen sei. Franz Josef Strauß leugnete zunächst seine Beteiligung, dann gestand er am 9. November, in Madrid angerufen zu haben, versicherte aber zugleich, dies sei im Auftrag der Justizbehörden geschehen. Vorwürfe, er habe seine Mitwirkung zwei Wochen lang verheimlicht, wies er als Missverständnis zurück: Es sei ihm doch nur darauf angekommen, klarzustellen, dass er nichts mit der Veranlassung der Polizeiaktion zu tun gehabt habe. Die „Spiegel-Affäre“ löste tiefes Unbehagen aus.

Am 19. November 1962 traten die fünf FDP-Bundesminister zurück, um eine Regierungsumbildung zu erzwingen. Bei den neuen Koalitionsverhandlungen verlangte die FDP den Rücktritt des Verteidigungsministers. Am 14. Dezember 1962 konnte das fünfte Kabinett Adenauers vereidigt werden, dem Franz Josef Strauß nicht mehr angehörte.

Deutsch-französischer Vertrag

Konrad Adenauer und Charles de Gaulle hatten sich am 14. September 1958 in Colombey-les-deux-Eglises und am 26. November desselben Jahres in Bad Kreuznach erstmals getroffen. In der Zeit vom 4. bis 9. September 1962 besuchte der französische Staatspräsident Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Hamburg und München, um den Staatsbesuch des Bundeskanzlers vom 2. bis 6. Juli in Frankreich zu erwidern.

Am 19. September 1962 legte die französische Regierung den Entwurf eines deutsch-französischen Abkommens vor, und nachdem sich deutsche und französische Experten auf die endgültige Formulierung geeinigt hatten (17. Dezember 1962), reiste Adenauer am 20. Januar 1963 nach Paris, um zwei Tage später gemeinsam mit de Gaulle den „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit“ zu unterzeichnen. Die beiden Nachbarstaaten vereinbarten, sich vor jeder bedeutenden Entscheidung gegenseitig zu konsultieren, besonders in „auswärtigen Angelegenheiten“, im Bereich der „Verteidigung“ sowie in „Erziehungs- und Jugendfragen“.

Die letzten Amtsmonate Adenauers

Am 26. Juni 1963, dem letzten Tag seines viertägigen Staatsbesuches in Deutschland (23. – 26. Juni 1963), versicherte US-Präsident John F. Kennedy den 400 000 vor dem Schöneberger Rathaus versammelten Menschen in deutscher Sprache: „Ich bin ein Berliner!“ Eine begeisterte Menschenmenge jubelte dem US-Präsidenten zu, als er sich – neben Konrad Adenauer und Willy Brandt im offenen Strassenkreuzer stehend – durch Berlins Strassen fahren ließ.

Vereinbarungsgemäß reichte Konrad Adenauer am 11. Oktober 1963 seinen Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers ein. Er konnte nicht verhindern, dass nun doch Ludwig Erhard zu seinem Nachfolger gewählt wurde (16. Oktober), der Mann, den er zwar als „Vater des Wirtschaftswunders“ respektierte, den er jedoch nicht für fähig hielt, sein Lebenswerk fortzusetzen.

Leo Perutz - Der schwedische Reiter
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon einen Monat, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte. Aus familiären Gründen reduziere ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik.