Klaus Modick : Konzert ohne Dichter

Konzert ohne Dichter
Konzert ohne Dichter Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015 ISBN 978-3-462-04990-9. 231 Seiten ISBN 978-3-462-30891-4 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1894 zieht Heinrich Vogeler in die Künstler-Kolonie Worpswede. Die dort erworbene Kate gestaltet er zu einem Gesamtkunstwerk um. 1898 freundet er sich mit Rainer Maria Rilke an, der sich daraufhin wiederholt in Worpswede aufhält. Aber bei der Fertigstellung seines berühmten Gemäldes "Sommerabend" im Jahr 1905 verbannt Heinrich Vogeler den Dichter aus dem Bild ...
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Kritik

Die drei Kapitel des historischen Künstlerromans "Konzert ohne Dichter" spielen an den Tagen vom 7. bis 9. Juni 1905, Die entscheidende Vorgeschichte erzählt Klaus Modick in Rückblenden, die Heinrich Vogelers Erinnerungen spiegeln. Dessen subjektive Perspektive bestimmt also die Darstellung.
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1894 1900

Heinrich Vogeler, der am 12. Dezember 1872 in Bremen geborene älteste Sohn des Eisengroßhändlers Carl Eduard Vogeler und dessen Ehefrau Marie Luise, wird Künstler. Als er im Frühjahr 1894 von einer Ausstellung seiner Werke im Kunst-Salon Fritz Gurlitt in Berlin nach Bremen zurückkehrt und Fritz Overbeck besuchen möchte, erfährt er, dass der Künstlerkollege nach Worpswede gezogen ist, in eine 1889 im Teufelsmoor 20 Kilometer nordöstlich von Bremen gegründete Künstlerkolonie. Heinrich Vogeler folgt dem Beispiel im Mai 1894. Im Dezember gründet er zusammen mit seinen Kollegen Hans am Ende, Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Fritz Overbeck und Carl Vinnen den Künstler-Verein Worpswede.

Sein Erbanteil nach dem Tod des Vaters im selben Jahr ermöglicht es ihm, der Witwe des im Herbst gestorbenen Brennmeisters der Worpsweder Ziegelei eine reetgedeckte Kate am Weyerberg im Ortsteil Ostendorf abzukaufen, die er nun mit selbst entworfenen Einrichtungsgegenständen im Jugendstil zu einem Gesamtkunstwerk umgestaltet, das er Barkenhoff nennt (plattdeutsch für Birkenhof).

Nachdem die 21-jährige Künstlerin Paula Becker Worpswede im Sommer 1897 bei einem Ausflug kennengelernt hat, kehrt sie im Herbst zurück. 1898 werden sie und die fast drei Jahre jüngere Clara Westhoff Schülerinnen von Fritz Mackensen.

Weil Hans am Ende und Fritz Mackensen, beides völkisch gesinnte Reserveoffiziere, sich weigern, „Malweiber“ wie Paula Becker und Clara Westhoff in den Künstler-Verein Worpswede aufzunehmen, treten Otto Modersohn, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler aus.

Der Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder gründet 1899 mit seinem Cousin Alfred Walter Heymel in München eine Monatszeitschrift für Kunst und Kultur mit dem Titel „Die Insel“. Das erforderliche Kapital bringt Heymel mit, der 1890 seinen Adoptivvater, den Bremer Großkaufmann Adolph Heymel beerbte. Der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum übernimmt die Redaktion  und für die künstlerische Gestaltung gewinnt das Trio den Grafiker und Illustrator, Heinrich Vogeler. Der verbringt deshalb ein halbes Jahr in München, kehrt dann jedoch nach Worpswede zurück.

1898 – 1905

Im Frühjahr 1898 gerät Heinrich Vogeler während einer Florenzreise in eine Männergesellschaft, die zu vorgerückter Stunde den Palazzo der Signora Aretino aufsucht, um sich dort mit „Damen“ zu vergnügen. Der Künstler sondert sich dort ebenso ab wie der drei Jahre jüngere Dichter Rainer Maria Rilke. Die beiden entdecken eine Seelenverwandtschaft, und im Dezember 1898 besucht Rilke den neuen Freund in Worpswede.

Rainer Maria Rilke lernte im Vorjahr in München die 14 Jahre ältere Lou Andreas-Salomé kennen und folgte ihr nach Berlin, wo er eine Wohnung in der Nähe der seit 1887 mit dem 15 Jahre älteren Orientalisten Carl Andreas verheirateten Intellektuellen mietete.

Nach zwei Russland-Reisen – eine mit dem Ehepaar Andreas (1899), die andere mit Lou Andreas-Salomé allein (1900) – folgt Rainer Maria Rilke Ende August 1900 erneut einer Einladung Vogelers nach Worpswede.

Die befreundeten Künstlerinnen Paula Becker und Clara Westhoff sind auch wieder da. Sie kehrten zwei Monate vor Rilkes Ankunft aus Paris zurück, als Otto Modersohns Ehefrau Helene nach schwerer Krankheit im Alter von 32 Jahren gestorben war.

Der Dramatiker Carl Hauptmann lädt die „Worpsweder Familie“ zur Premiere eines Stücks im Schauspielhaus nach Hamburg ein. Fritz Mackensen. Otto Modersohn, Heinrich Vogeler und sein Bruder Franz, Rainer Maria Rilke, Clara Westhoff, Paula Becker und ihre älteste Schwester Bianca Emilie („Milly“) folgen der Einladung.

Zurück in Worpswede äußert Rilke die Absicht, zu bleiben und beginnt, ein Haus zu suchen, aber nachdem er fünf Wochen lang Heinrich Vogelers Gastfreundschaft im Barkenhoff genossen hat, reist er am 5. Oktober 1900 unvermittelt ab, vermutlich weil Paula Becker sich am 12. September mit dem Witwer Otto Modersohn verlobte. Rilke liebte nämlich sowohl Paula Becker als auch Clara Westhoff.

Als Heinrich Vogeler im November 1900 einige Tage in Berlin zu tun hat, verabredet Rainer Maria Rilke sich mit ihm in der Wohnung des Ehepaars Andreas, und Lou Andreas-Salomé lädt bei dieser Gelegenheit auch Gerhart Hauptmann ein, um die Herren miteinander bekannt zu machen.

Am 6. März 1901 heiratet Heinrich Vogeler seine Verlobte Martha Schröder, die jüngste Tochter der Witwe eines 1885 gestorbenen Dorfschullehrers, die ihm bereits 1894 als 15-Jährige Modell saß.

Ein paar Wochen später, am 28. April, heiraten Rainer Maria Rilke und Clara Westhoff. Sie beziehen ein Haus im Nachbardorf Westerwede. Bereits am 12. Dezember wird ihre Tochter Ruth geboren.

Eine dritte Hochzeit folgte am 25. Mai, als Paula Becker und Otto Modersohn sich das Ja-Wort gaben.

Das Glück hielt in keiner der drei Ehen lange vor.

Die Hochzeit von Clara und Rilke war der Anfang vom Ende dessen, was Paula als Worpsweder Familie bezeichnet hatte. Rilke gelang es in kurzer Zeit, die zwanglose Lebensfreude seiner Frau in eine ewige Weihestunde, in madonnenhafte Künstlichkeit und gravitätische Feierlichkeit zu verwandeln. Und schon bald versank diese Feierlichkeit in abgrundtiefer Traurigkeit.

Rainer Maria Rilke hätte gern Porträts von sich und seiner frisch angetrauten Frau, aber Heinrich Vogeler, dessen Auftragsbücher voll sind, verweist ihn an Oskar Zwintscher. Der kann allerdings erst im März 1902 nach Worpswede kommen. Als die Bilder fertig sind, bittet Rilke um Zahlungsaufschub, was Heinrich Vogeler so peinllich ist, dass er seinem Malerkollegen ein anderes Gemälde für einen überhöhten Preis abkauft.

Trotz seiner finanziellen Schwierigkeiten reist Rilke viel, und es gibt Gerüchte über reiche Gönnerinnen. Das Ehepaar, das sein Haus in Westerwede 1902 verkauft hat, wohnt nach einem Paris-Aufenthalt und vor der Weiterreise nach Rom im Sommer 1903 im Barkenhoff, aber als Martha Vogelers zweite Tochter geboren wird, weichen die Besucher zu Claras Eltern im Bremer Vorort Oberneuland aus, bei denen Ruth aufwächst.

Rilkes im selben Jahr veröffentlichtes Buch über Worpswede trägt zur Bekanntheit der Künstler-Kolonie bei, aber die Freundschaft mit Heinrich Vogeler zerbröckelt.

7. Juni 1905

Nach jahrelanger Arbeit und vielen Änderungen vollendet Heinrich Vogeler das 3.10 Meter breite und 1.75 Meter hohe Ölgemälde „Sommerabend“. Im Zentrum steht Martha Vogeler am Eingang des Barkenhoffs. Vor ihr auf der Treppe liegt der russische Barsoi, den Alfred Heymel ihr schenkte. Links sitzen Marthas beste Freundin Agnes Wulff, Clara Rilke-Westhoff und Paula Modersohn-Becker. Hinter ihnen steht Otto Modersohn. Die Gruppe rechts besteht aus Marthas Bruder Martin Schröder (mit Flöte) sowie den Brüdern Franz (mit Geige) und Heinrich Vogeler. Dabei wird der Cello spielende Maler nahezu ganz von seinem Bruder verdeckt. Ursprünglich war auch Rainer Maria Rilke vorgesehen, aber nach dem Zerbrechen der Freundschaft betrachtete Heinrich Vogeler ihn nicht mehr als zugehörig. Das Bild könnte den Titel „Konzert ohne Dichter“ tragen.

Das Kunstwerk soll auf der Nordwestdeutschen Kunstausstellung in Oldenburg präsentiert und der Maler mit der Großen Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet werden. Aber Heinrich Vogeler hält das Bild für missglückt.

Das ist einer der Gründe, warum das große Bild, mit dem er sich jahrelang abgequält hat, so gründlich missglückt ist. Es zeigt Musizierende, aber es klingt nicht. Bleibt stumm. Und die Lauschenden hören nichts. […] In der Festschrift zur Kunstausstellung […] feiert ein sogenannter Fachmann das Bild – ein rauschender Hymnus auf den Abendfrieden sei es, höchst realistisch und ungekünstelt und voller Musik, voll zarter lyrischer Klänge […] Der Experte sagt nicht, was er sieht, sondern was er sehen will, und wie er es sagt, so pathetisch hochgestimmt und lyrisch überdreht, klingt es wie eine schlechte Parodie auf den Dichter, der auf dem Bild fehlt. […] wo er hätte sitzen sollen, ist der Platz leer, und so wäre vielleicht Konzert ohne Dichter ein besserer Titel.

Bevor sich Heinrich Vogeler am 7. Juni 1905 auf den Weg nach Bremen macht, um bei seiner Mutter zu übernachten und am nächsten Tag weiterzureisen, begegnet er Rilke, der ihm anvertraut, dass er Geld benötigt und offenbar erwartet, der ehemalige Freund werde sich bei dem Bremer Kaffeeimporteur, Kolonialwarenhändler, Generalkonsul und Kunstmäzen Ludwig Roselius für ihn einsetzen.

8. Juni 1905

In Oldenburg sind Heinrich Vogeler und Ludwig Roselius, aber auch beispielsweise die Maler Georg Müller vom Siel und Bernhard Winter Gäste des Privatgelehrten Theodor Francksen. Der möchte „Sommerabend“ für seine umfangreiche Kunstsammlung erwerben, aber Roselius erklärt ihm, er habe das Gemälde bereits vor der Fertigstellung gekauft, „vom Halm“ gewissermaßen.

9. Juni 1905

Seine Königliche Hoheit
Großherzog Friedrich August,
Erbe zu Norwegen, Herzog von Schleswig-Holstein,
Stormarn, der Dittmarschen und Oldenburg,
Fürst von Lübeck und Birkenfeld,
Herr von Jever und Kniphausen,
gibt sich die Ehre,
anlässlich der feierlichen Eröffnung
der unter dem Protectorat S. KGL. H. Stehenden
Landes-Industrie- und Gewerbe-Ausstellung
verbunden mit
der Nordwestdeutschen Kunstausstellung
am Freitag, dem 9. Juno 1905,
Herrn Kunstmaler Heinrich Vogeler, Worpswede,
zu einem Mittagsbankett im Großen Restaurant
sowie zu einem Cercle mit anschließendem Souper
im Großherzoglichen Schloss zu bitten.

In der von Peter Behrens entworfenen Kunsthalle in Oldenburg wird „Sommerabend“ mit zahlreichen anderen, von Museen und Privatpersonen zur Verfügung gestellten Gemälden Heinrich Vogelers ausgestellt. Außerdem ist eine 1902 von Clara Rilke-Westerhoff geschaffene Bronzebüste des Malers zu sehen.

„Sommerabend“ wird gepriesen. Heinrich Vogeler möchte das Bild dennoch zurückkaufen und zerstören, aber Ludwig Roselius ist nicht bereit, es herzugeben.

Daraufhin will der an sich zweifelnde Maler, Grafiker, Illustrator, Designer und Innenarchitekt nur noch weg aus Worpswede, von Martha und vom Jugendstil. 1906 reist der 33-Jährige nach Ceylon.

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In seinem Roman „Konzert ohne Dichter“ erzählt Klaus Modick vor allem von der Künstlerkolonie Worpswede und der vorübergehenden Freundschaft Heinrich Vogelers und Rainer Maria Rilkes. Der Titel spielt auf das Gemälde „Sommerabend“ an, aus dem der Maler den Dichter vor der Fertigstellung verbannt hat.

Die drei Kapitel des Buches spielen an den Tagen vom 7. bis 9. Juni 1905, als Heinrich Vogeler von Worpswede über Bremen nach Oldenburg reist, wo die Nordwestdeutsche Kunstausstellung eröffnet und der Künstler mit der Großen Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet wird. Die entscheidende Vorgeschichte erzählt Klaus Modick in Rückblenden, die Heinrich Vogelers Erinnerungen spiegeln. Dessen subjektive Perspektive bestimmt also die Darstellung.

„Konzert ohne Dichter“ ist Fiktion, aber im Nachwort schreibt Klaus Modick, er habe sich an Briefen und Tagebüchern von Rainer Maria Rilke, an Heinrich Vogelers fragmentarischen Lebenserinnerungen und anderen Zeugnissen orientiert. Ausdrücklich weist er darauf hin, dass auch diese Vorlagen nicht objektiv sind. Es ist unklar, wie weit sich die beiden Künstler selbst stilisierten.

Der Hamburger Germanist Bernd Stenzig ist der Meinung, dass Klaus Modick die Grenzen dichterischer Freiheit in dem historischen Roman überschritt. Seine Kritik fasst er in dem Buch „Rilke und Vogeler. Irreführungen in Klaus Modicks ‚Konzert ohne Dichter'“ zusammen (Verlag Karl-Robert Schütze, Berlin 2015, 56 Seiten, ISBN 978-3-928589-29-1).

Den Roman „Konzert ohne Dichter“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Christian Brückner (Regie: Sabine Buss, ISBN: 978-3-941004-64-1).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch

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