Hans Fallada : Der Trinker

Der Trinker
Manuskript: 1944/45 Originalausgabe: Aufbau-Verlag, Berlin 1950 Aufbau-Taschenbuch, Berlin 2011 ISBN 978-3-7466-2791-5, 303 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Erwin Sommer fühlt sich seiner Frau Magda nach gut vierzehn Jahren kinderloser Ehe entfremdet und verheimlicht ihr, dass er aus Nachlässigkeit mit seinem Großhandelsgeschäft in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. In dieser Lebenskrise entdeckt er die betäubende Wirkung des Alkohols und wird zum Trinker – mit verheerenden Folgen.
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Kritik

Hans Fallada erzählt die bestürzende Geschichte konsequent in der Ich-Form aus der Sicht des Protagonisten Erwin Sommer. Der wie ein Bericht wirkende Roman "Der Trinker" ist das realistische, authentische und erschütternde Psychogramm eines Alkoholkranken.
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Der Lebensmittelgroßhändler Erwin Sommer ist einundvierzig Jahre alt und im fünfzehnten Jahr mit seiner Frau Magda verheiratet, die aufgrund der Folgen einer Fehlgeburt keine Kinder bekommen kann. Sommer fühlt sich von Magda entfremdet. Er verheimlicht ihr, dass er durch seine Nachlässigkeit einen Dreijahresvertrag für die Belieferung des örtlichen Gefängnisses mit eintausendfünfhundert Insassen verloren hat und die Bank ihm wegen seiner Verluste keinen Kredit mehr gewährt. Nach einem kleinen Streit holt er ausnahmsweise eine Flasche Rotwein aus dem Keller, die er vor einiger Zeit geschenkt bekam, und als er eineinhalb Gläser Wein getrunken hat, spürt er, wie seine geschäftlichen Sorgen und das Gefühl der Einsamkeit schwächer werden.

Am nächsten Morgen sucht er den für den Einkauf des Gefängnisses verantwortlichen Oberinspektor auf, aber er kommt drei Wochen zu spät, denn die Entscheidung über die Auftragsvergabe ist endgültig zugunsten eines jungen Konkurrenten mit dem Namen Heinrich Heinze gefallen. Statt danach ins Kontor zurückzukehren, geht Sommer ziellos spazieren und kehrt schließlich in einem Wirtshaus außerhalb der Stadt ein. Er bestellt ein Bier und trinkt dazu, dem Beispiel eines anderen Gastes folgend, auch noch ein Glas Schnaps.

Als Magda während des Mittagessens von dem siebzehnjährigen Dienstmädchen Else in die Küche gerufen wird, um etwas abzuschmecken, nimmt Sommer heimlich die angebrochene Rotweinflasche aus der Anrichte und trinkt sie aus, ohne ein Glas zu benutzen, denn das würde auffallen. Weil ihm das Blut in den Kopf steigt, will er sich kurz hinlegen, doch als er wieder aufwacht, dämmert es bereits und Else teilt ihm mit, dass seine Frau telefonisch in die Firma gerufen worden sei.

Erschrocken darüber, dass Magda inzwischen wohl weiß, wie es um das Unternehmen steht und in ihrer Tüchtigkeit versuchen wird, den finanziellen Niedergang aufzuhalten, sucht Sommer erneut den Landgasthof auf, trinkt eine Flasche Schnaps, gibt der Bedienung Elinor eine Flasche Sekt aus und legt beim Bezahlen der Rechnung einen Hundertmarkschein als Trinkgeld dazu. Daraufhin nimmt Elinor ihn nach dem Absperren von sich aus mit auf ihr Zimmer, wo sie sich auszieht und nackt ins Bett legt, aber er ist zu betrunken und klettert ohne Schuhe durchs Fenster hinaus. Als er mit blutenden Füßen nach Hause kommt, weint Magda. Das nimmt er triumphierend zur Kenntnis.

Am anderen Morgen schämt er sich.

Im Kontor stellt er fest, dass Magda in seinem Sessel am Schreibtisch sitzt und eine Unterredung mit dem Buchhalter führt. Gegen den Rat seiner Frau reist Sommer zur Akquisition neuer Geschäfte nach Hamburg und treibt sich dort fünf Tage lang herum, bevor er – mit einer neuen Taschenflasche ausgerüstet – wieder den Zug nach Hause nimmt.

Ich hatte mich aber in Hamburg nicht einmal betrunken, das muss ich hier ausdrücklich feststellen. Doch hatte ich dort die Gewohnheit der kleinen Gläschen zu jeder Tagesstunde, auch schon am frühen Vormittag, angenommen, eine Angewohnheit, die vielleicht noch verhängnisvoller ist als ein gelegentlicher schwerer Rausch […] Nie ganz trunken, ja, eigentlich sehr weit ab von jeder Trunkenheit, und doch nie ganz nüchtern, verlebte ich dort meine Tage, und wenn ich zu Anfang noch bis zehn oder gar bis elf mit meinen ersten Schnäpschen gewartet hatte, so klingelte ich an den beiden letzten Tagen schon gegen acht Uhr dem Zimmermädchen und ließ mir meinen ersten doppelstöckigen Kognak ganz fromm und frei ans Bett bringen. (Seite 36)

In der Nacht schleicht er im Pyjama in die Küche und leert die Reste aus drei Flaschen.

Ich wechselte meine Ansicht, wie weit Magda mich durchschaute, fast stündlich. Meist war ich fest davon überzeugt, dass sie gar nichts ahnte, zu anderen Stunden, namentlich wenn ich missmutig und gereizt war, wusste ich es beinahe, dass sie mich ganz und gar durchschaute. (Seite 39)

Gegen Magdas Vorwurf, ständig betrunken zu sein, verwahrt er sich:

„[…] möchte ich dich wohl fragen, ob du mich je einmal hast torkeln sehen oder lallen hören? Ich nehme dann und wann ein Gläschen, das gebe ich ohne weiteres zu, aber ich vertrage es auch. Es macht mich klarer. Den Alkohol soll meiden, wer ihn nicht verträgt, das bin aber nicht ich.“ (Seite 41)

In der Landgaststätte lädt er alle an seinen Tisch ein und lärmt mit ihnen. Da kommt sein Hausarzt Dr. Mansfeld mit dem Amtsarzt Medizinaldirektor Dr. Siebing herein, und die beiden Herren setzen sich nach kurzem Gruß an einen der Tische. Sommer wagt es nicht mehr, sich noch ein Glas Schnaps einzugießen, doch als Elinor beim Kassieren die Sicht der Ärzte auf ihn verdeckt, verkorkt er rasch die angebrochene Flasche und packt sie in seine Aktentasche. Mansfeld will ihn nach Hause fahren, und Sommer bleibt nichts anderes übrig, als mit ihm und dem Medizinaldirektor in den Wagen einzusteigen. Als Mansfeld unterwegs bremsen muss, springt Sommer hinaus und läuft querfeldein davon. (Erst später erfährt er, dass ihn die beiden Ärzte in Absprache mit seiner Frau nicht nach Hause, sondern in eine Trinkerheilanstalt fahren wollten.)

Irgendwo auf dem Land nimmt er sich ein schäbiges Zimmer, und weil er kein Geld für die verlangte Mietvorauszahlung bei sich hat, gibt er dem Hausbesitzer Lobedanz seinen Ehering als Pfand und verspricht, am nächsten Morgen einen ausreichenden Betrag von der Bank zu holen. Er lässt sich von Lobedanz eine Flasche Schnaps bringen, aber sein Magen rebelliert; er muss sich übergeben, zittert, und der Schweiß bricht ihm aus.

Endlich lag ich wieder auf meinem Bett, zu Tode erschöpft, von einer wahnsinnigen Angst gepackt: Nahte jetzt schon das Ende? So schnell schon? Ich hatte doch noch gar nicht lange und gar nicht übermäßig viel getrunken? Wurde man so schnell zu einem Trinker? So rasch also baute der Alkohol einen Körper ab? Nein, ich wollte noch nicht sterben! Ich hatte diese Trinkerzeit immer nur als ein Durchgangsstadium angesehen; ich war überzeugt gewesen, dass ich mit ihr jederzeit Schluss machen könnte, ohne Schädigung für mich – und nun schon sollte alles zu Ende sein? (Seite 56)

Weil Sommer am Morgen nicht in der Lage ist, aufzustehen und zur Bank zu gehen, verkauft Lobedanz den verpfändeten Ring. Ein zweiter Ring, die goldene Uhr und die lederne Aktentasche folgen. Lang gibt Lobedanz sich damit nicht zufrieden, und Sommer sieht sich schließlich gezwungen, in seine eigenen Villa einzubrechen. Als er mitten in der Nacht vor seinem Haus steht, muss er aus Selbstmitleid weinen. In der Geldkassette sind nicht mehr als 50 Mark. Also packt Sommer auch das Tafelsilber für zwölf Personen ein. Er hat es fast vollständig im mitgebrachten Koffer verstaut, da fällt ihm ein Löffel klirrend auf den Boden, und gleich darauf poltert die Schublade hinterher. Plötzlich steht Magda in der Tür, und hinter Sommer taucht Else auf. Magda beauftragt Else, Dr. Mansfeld anzurufen. Sommer stößt seine Frau so heftig zurück, dass sie umfällt. „Die Sachen schleppst du nicht weg!“, schreit sie. „Mein Silber bleibt hier, das versäufst du nicht auch noch!“ Sommer rafft seine Sachen zusammen und hört noch, wie Elsa am Telefon ruft: „Er will seine Frau ermorden!“ Draußen wartet überraschenderweise Lobedanz auf ihn und nimmt ihm den Koffer ab.

Kurz darauf erkundigt Sommer sich in der Bank nach dem Guthaben auf seinem Konto und spielt kurz mit dem Gedanken, die gesamten 7800 Mark abzuheben, aber er begnügt sich mit 5000 Mark. Auf der Straße wird er erneut von Lobedanz erwartet. Der zerrt ihn in eine Bahnhofstoilette, reißt ihm das Geld aus der Tasche und läuft nach einer kurzen Rauferei damit fort. Nur einen Tausendmarkschein hat er übersehen.

Nachts randaliert Sommer vor der Landgaststätte, bis ihm die Wirtin öffnet. Er tut so, als habe er eine Pistole bei sich und bedroht die Wirtin, bis sie Elinor herbeiruft. Während ihn die Bedienung ablenkt, telefoniert die Wirtin mit der Polizei. Wenige Minuten später erscheint der Gendarm, um Sommer zu verhaften. Als dieser die konsumierten Getränke bezahlen soll, hat er nicht mehr genügend Geld für die Rechnung bei sich, weil Elinor ihm die Scheine abnahm und in ihren Ausschnitt steckte, ohne dass die anderen es merkten. So muss er sich auch noch als Zechpreller beschimpfen lassen, während Elinor ihn höhnisch ansieht.

In der Gefängniszelle nimmt Sommer sich Besserung vor:

Also, ich will von jetzt an ehrlich sein: ich kann dem Alkohol nicht sofort ganz abschwören, aber ich werde von nun an sehr mäßig trinken, vielleicht nur eine halbe Flasche pro Tag oder gar nur ein Drittel. (Seite 90)

Es bestürzt ihn, dass das Wachpersonal ihn statt mit „Herr Sommer“ einfach nur mit dem Nachnamen anspricht. Der Staatsanwalt sorgt dafür, dass Sommer wegen Mordversuchs an seiner Frau eingesperrt bleibt.

Als Lobedanz wegen des offenbar von Magda angezeigten Diebstahls ebenfalls inhaftiert wird, geht Sommer ihm aus dem Weg, aber als er einmal nicht aufpasst, stürzt Lobedanz sich auf ihn und beißt ihm vor Wut beinahe die Nase ab.

Sommer lernt, wie man Bürsten, Besen und Pinsel macht. Nach einiger Zeit verrät er dem Amtsarzt seine neuen Zukunftspläne: Er möchte sich als Bürstenmacher in ein ruhiges Dorf zurückziehen. Wider Erwarten hält der Arzt das für ein Hirngespinst und einen Beweis dafür, dass Sommer noch längst nicht geheilt ist.

Als Sommers Entlassung endlich anzustehen scheint, besucht Magda ihn zum ersten Mal im Gefängnis. Dass die Geschäfte wieder gut gehen, teilt sie ihm mit. Sie habe sich auch privat mit einem jungen Konkurrenten zusammengetan – Heinrich Heinze – und gestern die Scheidung eingereicht, um ihn heiraten zu können. Zornig greift Sommer sie an und muss vom Wachtmann festgehalten werden.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Am nächsten Morgen geht Sommer wie jeden Tag wegen einiger Furunkel zum Verbinden. Der Pfleger verlässt kurz den Raum. Die Gelegenheit nutzt Sommer, um ein Röhrchen Schlaftabletten aus dem Arzneimittelschrank zu stehlen. Dabei entdeckt er ein Fläschen mit der Aufschrift „Alkohol 95%“. Das gießt er am Waschbecken in ein Glas und füllt es mit etwas Wasser auf. Mit drei, vier Schlucken stürzt er die Flüssigkeit hinunter – und bricht ohnmächtig zusammen.

Einen Mordprozess gibt es nicht. Stattdessen wird Sommer für unzurechnungsfähig erklärt, entmündigt und auf Lebenszeit in eine geschlossene Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Magda und Heinrich Heinze heiraten und legen ihre Unternehmen zusammen.

Heimlich schlürft Sommer die Flaschen aus, in die die Tuberkulosekranken ihren Auswurf spucken …

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Hans Fallada erzählt die bestürzende Geschichte konsequent in der Ich-Form aus der Sicht des Protagonisten Erwin Sommer und erweckt den Eindruck, dieser habe den Text zwischen dem 6. und dem 21. September 1944 in der Irrenanstalt von Strelitz verfasst. Demgemäß wirkt das Buch wie ein Bericht. „Der Trinker“ ist das realistische, authentische und erschütternde Psychogramm eines Alkoholkranken. Bereits nach den ersten Seiten glaubt man, Erwin Sommer könne nicht tiefer fallen, aber er stürzt immer noch weiter ab.

Tom Toelle verfilmte den Roman „Der Trinker“ von Hans Fallada nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf und mit Harald Juhnke in der Hauptrolle, verlegte dabei allerdings die Handlung in die Gegenwart.

Der Trinker – Regie: Tom Toelle – Drehbuch: Ulrich Plenzdorf, nach dem Roman „Der Trinker“ von Hans Fallada – Kamera: Achim Poulheim – Schnitt: Karin Nowarra – Musik: Jürgen Knieper – Darsteller: Darsteller: Harald Juhnke, Jutta Wachowiak, Christian Grashof, Deborah Kaufmann, Eberhard Esche, Mey Lan Chao, Dietrich Körner, Raidar Müller-Elmau, Thomas Neumann u.a. – 1995; 100 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Textauszüge: © Aufbau-Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.