Le passé

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Le passé. Das Vergangene – Originaltitel: Le passé – Regie: Asghar Farhadi – Drehbuch: Asghar Farhadi – Kamera: Mahmoud Kalari – Schnitt: Juliette Welfling – Musik: Evgueni Galperine, Youli Galperine – Darsteller: Bérénice Bejo, Ali Mosaffa, Tahar Rahim, Pauline Burlet, Elyes Aguis, Jeanne Jestin, Sabrina Ouazani, Babak Karimi u.a. – 2013; 130 Minuten

Inhaltsangabe

Vier Jahre nachdem der Iraner Ahmad seine Frau Marie in Frankreich verließ und nach Teheran zurückkehrte, fliegt er wegen der von ihr beantragten Scheidung noch einmal nach Paris. Marie wohnt mit ihren aus einer früheren Beziehung stammenden Töchtern Lucie und Léa, ihrem neuen Lebens­gefährten Samir und dessen Sohn Fouad in einem Haus, an dessen Renovierung sie arbeitet. Um Samir heiraten zu können, möchte sie die Scheidung. Die erfolgt am nächsten Morgen. Aber bevor Ahmad wieder abreist, wird er mit einer Reihe von Konflikten in der Patchwork-Familie konfrontiert ...
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Kritik

"Le passé. Das Vergangene" ist ein bewegendes Familiendrama. Asghar Farhadi versteht es wie kaum ein anderer, fesselnde Dialoge in realis­tische Alltagssituationen einzubetten und sie unaufdringlich mit Bedeu­tung aufzuladen. Er benötigt keine spektakulären Ereignisse, um eine packende Geschichte zu erzählen.
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Vier Jahre nachdem der Iraner Ahmad (Ali Mosaffa) seine Frau Marie (Bérénice Bejo) in Frankreich verließ und nach Teheran zurückkehrte, fliegt er wegen der von ihr beantragten Scheidung noch einmal nach Paris. Marie wartet im Flughafen auf ihn und sieht ihn kommen, doch er bemerkt sie erst, als ihn eine andere Reisende auf die winkende Frau aufmerksam macht. Marie versucht ihm etwas zu sagen, aber eine Glaswand trennt die beiden noch. Im Auto erfährt Ahmad, dass Marie kein Hotelzimmer für ihn reserviert hat, wie es eigentlich abgesprochen war. Sie habe es nicht getan, weil sie nicht sicher gewesen sei, ob er komme, sagte sie, immerhin habe er sie vor einem Jahr versetzt. Er soll bei ihr im Haus übernachten.

In dem Haus neben Bahngleisen, an dessen Renovierung sie gerade arbeitet, wohnt sie mit ihren Töchtern Lucie (Pauline Burlet) und Léa (Jeanne Jestin), ihrem Lebensgefährten Samir (Tahar Rahim) und dessen Sohn Fouad (Elyes Aguis). Um Samir heiraten zu können, möchte sie die Scheidung. Sie behauptet, Ahmad das alles in einer E-Mail mitgeteilt zu haben, aber er wusste bisher nichts von ihrer neuen Beziehung. Marie arbeitet in einer Apotheke. Samir betreibt eine Reinigung.

Am nächsten Morgen fahren Marie und Ahmad zum Gericht und lassen sich scheiden. Unterwegs teilt Marie ihrem Ex-Mann mit, dass sie im dritten Monat schwanger ist.

Ahmads Koffer kommt offen und beschädigt vom Flughafen.

Marie bittet ihn, mit Lucie zu reden und herauszufinden, was sie bedrückt, denn die 16-Jährige kommt nur noch zum Schlafen nach Hause. In dem Gespräch mit Ahmad klagt Lucie darüber, dass sie Samir auch nicht für eine dauerhafte Beziehung ihrer Mutter hält, die sich von Lucies und Léas Vater ebenso wie später von Ahmad trennte. Deshalb ertrage sie es zu Hause nicht, sagt sie. Außerdem klärt sie Ahmad darüber auf, dass Samir verheiratet ist. Seine Ehefrau Céline liegt seit einem Suizidversuch vor acht Monaten komatös im Krankenhaus. In der Hoffnung, bei Lucie Verständnis für ihre Mutter zu wecken, vertraut Ahmad ihr an, dass Marie schwanger ist. Aber daraufhin kommt Lucie auch am Abend nicht nach Hause zurück. Marie macht sich Sorgen, und die beiden Männer fahren los, um nach dem Mädchen zu suchen. Mitten in der Nacht findet Ahmad heraus, dass Lucie Zuflucht bei dem mit ihm befreundeten Wirt Shahryar (Babak Karimi) und dessen Frau gesucht hat und dort schläft. Marie besteht darauf, Lucie sofort zurückzuholen.

Wegen Lucies Abwehrhaltung will Samir sich für eine Weile zurückziehen und kehrt mit Fouad in seine Wohnung über der Reinigung zurück. Auf dem Weg dorthin verhält der kleine Junge sich aufsässig. Samir redet in einer U-Bahn-Station mit ihm und merkt, dass Fouad völlig verstört ist. Er versteht nicht, dass seine Mutter zwar nicht mehr da, aber auch nicht tot ist. Und er weiß nicht, wo jetzt sein Zuhause ist. Als sein Vater mit ihm zu Marie zog, erklärte er ihm, dass sie dort für immer wohnen würden. Aber jetzt kehren sie doch wieder in die alte Wohnung zurück.

Ahmad und Lucie treffen sich mit Naïma (Sabrina Ouazani), die in Samirs Reinigung arbeitet, obwohl sie illegal in Frankreich lebt. Sie berichtet von einem heftigen Streit Célines mit einer Kundin vier oder fünf Tage vor dem Selbstmordversuch. War das der Grund? Lucie glaubt es nicht. Sie gesteht Ahmad, dass sie eine Reihe von E-Mails, die Marie und Samir sich geschrieben hatten, an Céline weiterleitete. Das war am Tag bevor Céline in der Reinigung ein Putzmittel trank, um sich das Leben zu nehmen.

Weil Lucie sich deshalb schuldig fühlt und darunter leidet, drängt Ahmad sie, es ihrer Mutter zu beichten. Am Ende übernimmt er das für Lucie, aber Marie gerät durch das Geständnis in Wut, sie prügelt auf ihre Tochter ein und wirft sie aus dem Haus. Als Lucie dann losgeht, um zu ihrem Vater nach Brüssel zu fahren, holt Marie das Mädchen zurück.

Marie besucht Samir und hält ihm vor, dass sie für ihn nur die Lücke fülle, die seine Frau hinterlassen habe. Daraufhin bezeichnet Samir ihre Schwangerschaft als Unfall und unterstellt ihr, sie habe nur deshalb keine Abtreibung durchführen lassen, weil sie durch das Kind von Ahmad loskommen wolle. Samir ist sich sicher, dass seine Frau nichts von der Affäre mit Marie ahnte. Dabei hätte er sich etwas Eifersucht gewünscht, um nicht glauben zu müssen, dass er ihr gleichgültig geworden sei. Marie klärt ihn darüber auf, dass Céline von Lucie einige E-Mails bekommen habe, die sie sich schrieben.

Weil Samir – der seit Célines Streit mit der Kundin nicht mehr mit seiner Frau geredet und sich vor ihrem Selbstmordversuch nicht mehr mit ihr versöhnt hatte – das nicht glauben mag, fragt er Naïma, wann Céline zuletzt in der Reinigung gewesen sei. Naïma zufolge war das an dem Tag des Streits mit der Kundin. Lucie behauptete jedoch, Céline am Tag vor dem Suizidversuch in der Reinigung angerufen und nach ihrer E-Mail-Adresse gefragt zu haben. Zunächst nimmt Marie an, dass Lucie gelogen habe, aber dann findet Samir heraus, dass Naïma am Telefon war, Lucie glauben ließ, sie sei die Chefin und ihr die E-Mail-Adresse für die Übermittlung der Mails von Samir und Marie nannte. Warum sie das gemacht habe, fragt Samir, und Naïma erklärt ihm, dass Céline geglaubt habe, sie sei Samirs Geliebte. Deshalb habe Céline alles getan, um die vermeintliche Rivalin aus der Reinigung und seiner Nähe zu vertreiben. Die Mails sollten Céline beweisen, dass Samir sie nicht mit Naïma, sondern mit Marie betrog. Naïma nimmt jedoch an, dass Céline die Mails gar nicht gelesen und bis zuletzt sie für Samirs Geliebte gehalten habe. Denn sonst hätte sie das Putzmittel nicht vor ihren Augen in der Reinigung getrunken. Aufgewühlt wirft Samir die Mitarbeiterin hinaus.

Vor seiner Abreise möchte Ahmad seiner Ex-Frau erklären, warum er sie vor vier Jahren verließ. Aber Marie hindert ihn daran; sie weigert sich, in die Vergangenheit zurückzublicken.

Samir bringt seine Parfums und die seiner Frau ins Krankenhaus. Der Arzt will damit einen Test durchführen und prüfen, ob die Komapatientin auf einen der Düfte reagiert. Aber nach zwei, drei Proben gibt er bereits auf. Als Samir allein mit Céline zurückbleibt, besprüht er sich mit einem weiteren Parfum, fasst Célines Hand an und flüstert ihr zu, sie solle seine Hand drücken, wenn sie sich an den Duft erinnere.

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„Le passé. Das Vergangene“ ist ein bewegendes Familiendrama von Asghar Farhadi. Es dreht sich um Liebe und Eifersucht, Schuld und Missverständnisse, Trauer, Selbsttäuschung, Selbstzweifel und Verstörung, um Konflikte zwischen den Bedürfnissen der Eltern und der Kinder sowie die Abhängigkeit der Gegenwart von der Vergangenheit. Asghar Farhadi zeigt uns mit „Le passé. Das Vergangene“ ein vielschichtiges, facettenreiches Bild einer Patchwork-Familie. In seiner einfühlsamen und verständnisvollen Darstellung verzichtet er auf Schuldzuweisungen. Und das Ende lässt er offen.

Asghar Farhadi beginnt das Kammerspiel nicht mit einer Einführung der Figuren und der Situation, sondern lässt die Zusammenhänge allmählich deutlich werden. Aber schon die erste Szene ist voller Aussagekraft: Ahmad hält im Flughafen vergeblich Ausschau nach Marie und entdeckt sie erst, nachdem ihn eine andere Reisende auf die Winkende hingewiesen hat. Zu diesem Zeitpunkt sind Marie und Ahmad auch noch durch eine Glaswand getrennt und können einander nicht hören. Diese Symbolik wirkt in „Le passé. Das Vergangene“ nicht aufgesetzt, sondern sie ergibt sich wie selbstverständlich aus den Umständen. Asghar Farhadi versteht es wie kaum ein anderer Drehbuchautor oder Filmregisseur, realistische Alltagssituationen unaufdringlich mit Bedeutung aufzuladen. Er benötigt keine spektakulären Ereignisse, um eine packende Geschichte mit spannenden Wendungen zu erzählen. Im Grunde besteht „Le passé. Das Vergangene“ nur aus Dialogen, aber die sind alle so meisterhaft eingefügt, dass sie nicht nur glaubhaft wirken, sondern zugleich den Zuschauer fesseln.

Obwohl viel geredet wird, kommt es in „Le passé. Das Vergangene“ auch sehr auf die Mimik und unauffällige Gesten der Figuren an, und da überzeugen vor allem die großartigen schauspielerischen Leistungen von Bérénice Bejo und Ali Mosaffa.

Die Dreharbeiten für „Le passé. Das Vergangene“ fanden von 8. Oktober 2012 bis 11. Januar 2013 hauptsächlich in Paris statt. Als Produktionszeitraum wird 9. Juli 2012 bis 10. März 2013 angegeben. Erstmals vorgeführt wurde „Le passé. Das Vergangene“ am 17. Mai 2013 auf den Internationalen Filmfestspielen in Cannes.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

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